Leben im Modus des Standby - Zur Geschichte des Dienens

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Schuld war - wie so oft - der Wein. Der hatte ihn umgehaun. Hilflos und nackt lag Noah da. Ham sah dies, unternahm nichts, sagte es aber seinen Brüdern Sem und Japhet, die schnell des Vaters Scham bedeckten. Strafe war fällig. Noah - wieder seiner Sinne mächtig - verkündete in der Übersetzung des Hieronymus (4. Jahrhundert) das Folgende: maledictus Chanaan servus servorum erit fratribus suis. Luther übersetzt 1523 den Hieronymus: Verflucht sey Canaan und sey knecht aller knecht unter seynen brudern...

Diese für uns Heutige gar nicht so kapitale Sünde dient der Legitimation der realen und universellen Knechtschaft während des gesamten Mittelalters. Gerade als dessen Auflösung beginnt, werden Hunderte von Texten und Bilder zum "Ursprung" der Knechtschaft produziert, die man im monumentalen Werk Hartmut Zwahrs, "Herr und Knecht" studieren kann (1).

Es kamen Renaissance und Aufklärung, und der Mensch warf sein Knechtsein ab. So ähnlich stet's wieder in den Geschichtsbüchern. Gerade der gebildete Freitagleser denkt dabei natürlich an Hegels Phänomenologie (Art. IV,A), lächelt und sagt: "Ach ja, die Herr-Knecht-Dialektik!" Vielleicht zitiert er gar: Der Herr ist die Macht über das Sein des Knechts. Jedoch: Die Seite der Selbständigkeit aber überlässt er dem Knecht, der es (das Ding) bearbeitet. D.h. sonnenklar, dass der müßige, faule Herr überflüssig wird.

Die Realgeschichte ist natürlich um einiges komplizierter. Und von Dienern und Dienerinnen sind wir noch heute umgeben. Die Entwicklung der neuzeitlichen Dienergeschichte beleuchtet der Medienhistoriker Karkus Krajewski an sieben Fallbeispielen (2). Bewusst bezieht er sich dabei auf den Diener, den männlichen mit direktem Herrenkontakt. Und er entscheidet er sich für eine Medien-, und nicht für eine Sozialgeschichte des Dieners. Als Medium, so Krajewski, ist der Diener buchstäblich eine Schlüsselfigur der Neuzeit.

Doch wer ist Diener? Der Autor definiert zunächst ex negativo: Ein Diener ist kein Sklave, kein Bauernknecht, kein Gehilfe, sondern: ein Mitglied der weit zu fassenden Familie, das als "free man" einer meist sehr strengen Dienstordnung unterworfen ist - eine Figur des "Dazwischen". Eine Figur mit einem historisch bestimmten und bestimmbaren Habitus, den "Signifikationen des Unterlings", identifizierbar an Livrée, Haltung, Bartlosigkeit (noch heute verunsichert uns ein vollbärtiger Kellner), Namen (Goethe nannte seine Diener einfach "Carl"), verallgemeinbar als "Person" ("Mannsperson", "Weibsperson"), also dem "Personal" zugehörig.

Krajewski untersucht Dienstsituationen mit "Umbruchcharakter" und erarbeitet diese an einem immensen Material mit einer vom Objekt her gedachten Methodik. So stellt er die "Topographie der Subalternen" schlüssig am Beispiel der Wege zum Souverän in der Wiener Hofburg dar. Wir folgen dem Autor halbfiktiv auf der Schlossallee, durchqueren die einzelnen Sozialfilter, die diversen Antecameras und stehen, wenn uns Fortuna (auch dank kleiner Geschenke an höhere Subalterne, den "Sportulationen") zulächelt, vor dem entscheidenden Torhüter. Es gibt allerdings auch indirekte Wege zum Herrn. Diener erscheinen hier als "Arkanwissenverwalter", die die Tunnel, Geheimtreppen, Tapetentüren kennen - wahrlich der Stoff, aus dem Romane waren und sind. Und nicht nur Fiktionen, wenn wir an die betürwächterten administrativen Labyrinthe der Jetztzeit denken. Kafka kannte nicht nur seine Habsburger! Diese Dienerfunktion bewirkt aber, dass sich die Unterlinge im Habitus immer mehr ihren Herren und Herrinnen annähern, was diese wieder zu Gegenstrategien zwingt. Dieses Personal heutzutage!

Hegel wäre sicher mit der Bestimmung des Dieners als "Informationszentrale" einverstanden: Mittelbar durch den Knecht bezieht sich der Herr auf die Dinge. Krajewski stellt durchaus amüsant das "Go-Between" des Bibliotheksdieners dar, der sich quasi als überlegener Konkurrent des Bibliothekskatalogs zeigt (er weiß, wo jedes Buch steht) - und der doch berufshistorisch gegen die Signatursysteme (als "postalische Adressen" des Buches, die wiederum gleichzeitig mit der Erfassung der Wiener Bevölkerung mittels "Adreßsystem" zwecks schnellen Rekrutenzugriffs eingefürht werden, keine Zukunft. Der Bibliotheksdiener wird Bücherzubringer, Gepäckträger. Und überhaupt: Wer auf den Inhalt sich einlässt, ist verloren, zitiert der Autor einen frühen Bibliothekswissenschaftler, vor allem als Diener, möchte man contre Hegel hinzufügen. Man stelle sich vor, die Diener wären alle solch wandelnde Wikipedias wie die englische Romanfigur Jeeves, der mittlerweile als Suchmaschine (askJeeves) (k)ein überraschendes Comeback erlebt: Großer Gott, Jeeves, gibt es etwas, was Sie nicht wissen? - Nicht, dass ich wüsste, Sir. Da tun einem die Herren ja schon fast leid.

Zum Glück (für die Herrschenden?) ging die Technik voran: Bücher findet und bekommt man mittlerweile per Server, der unsichtbaren, besser immateriellen Hand der Subalternen.

Wie hat's der Autor mit der Literatur, in der es bekanntlich von Herr-Knecht-Konstellationen wimmelt? Krajewski fokussiert auf das "bürgerliche Trauerspiel". "Rekursiv" wendet er aktuelle digitale Serverfunktionen auf Lessings "Miß Sara Sampson" (1755) an. Die Diener haben hier die "Funktion von Mail-Servern". Der Diener Waitwell etwa erfährt die Zurückweisung eines wichtigen Briefes (Vater an Tochter): keine Re-Mail. Waitwell reagiert zunächst mit "Serval Error" und droht schließlich mit "Serverausfall", bis die Mail endlich akzeptiert wird. Eine Stunde soll er warten, bis die Re-Mail geschrieben sei. Während er im "Standby-Modus" wartet, wird Miss Sara allerdings vergiftet. Fatal. Schon einige Jahrzehnte später wäre Waitwell autonomer gewesen.

An Brechts "Fragenden Arbeiter" und indirekt an Henscheids "Ehre den Probierern" anknüpfend macht Krajewski in einer wissenschaftshistorischen Fallstudie den bislang "unsichtbaren Dritten", den Labordiener, sichtbar, der als "Arbeiter im Opaken"seine historische Würdigung erfährt. Ein anderes Kapitel untersucht das Dienen in der Kommunikation - vom subalternen Hüsteln über den Klingelknopf zur Telematik, von der spätbarocken Briefformel der "tiefsten Devotion" bis zum heutigen "mfG". Interessant ist die Darstellung der "Objektivierung der Unterlinge". Die Herren sind im Widerspruch zwischen Repräsentation und Privatheit ab dem späten 18. Jahrhundert bemüht, die Körperlichkeit der Diener zum Verschwinden zu bringen (diese Diebstähle, diese Insolenz!). So kommt es zur Erfindung des "Stummen Dieners", der "Revolving Serving Door" durch Jefferson, der die Speisen anliefernden Minieisenbahn im Esszimmer (Menier) und der Kitchen (M)Aid (1919), der Realutopie aller männlichen Gourmets bis heute. Dies allerdings mit der unerbittlichen Konsequenz der Selbstbedienung. Der Autor interpretiert diese Entwicklung im Lichte der Actor-Network-Theory (Latour) und spricht von Mischformen aus menschlichen und nichtmenschlichen Wesen. Ich würde den good old Begriff Verdinglichung vorzuziehen.

Wie auch immer. Krajewskis Studien sind locker und trotzdem (?) auf hohem wissenschaftlichem Niveau geschrieben. Die gewählten Methoden - über die man streiten kann - sind stets "an der Sache". Das präsentierte Material ist immens und wird klug bebildert präsentiert. Entsprechend ist das Werk eine Fundgrube für jeden historisch (und politisch) Interessierten. Gerade die Materialfülle macht deutlich, wie wenig wir immer noch wissen.

Und doch, auch wenn man anerkennend den Pfaden folgt, die der Autor ins medienhistorische Dickicht schlägt: die Geschichte des Dienens endet eben nicht nur digital. Wir sind weiter von Dienenden umgeben, sind selber oft Dienende. Krajewski formuliert selbst, dass es nahe liege, eine Geschichte subalterner Dienstbarkeit fortzuschreiben mit den üblichen Mitteln und den gelegentlich eher konventionellen Thesen der Sozialgeschichte (Stichwort "Ausbeutung"). Oder, worauf (selbst) die Renzensentin der ZEIT hinwies: Sollte, wer von Hegel ausgeht, nicht auch einen gewissen Marx mit nehmen? Damit Noahs Fluch endlich gebrochen wird.

Servus

(1) Hartmut Zwahr, Herr und Knecht. Figurenpaare in der Geschichte. Leipzig 1990 (Urania -Verlag)

(2) Markus Krajewski, Der Diener. Mediengeschichte einer Figur zwischen König und Klient, Frankfurt 2010 (S.Fischer-Verlag)

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