Nehmen Sie den ganzen Kopf eines Kalbs, entbeinen und blanchieren sie ihn, entfernen Sie das Gehirn und ziehen Sie die erste Haut ab...
Ich beende das Rezept, das uns Alexandre Dumas im Jahr 1827 schenkt, aus Rücksicht auf die veganistischen Leser des Freitag. Aber es ist nicht zu leugnen: Kalbskopf, mit einer Sauce ravigote serviert, schmeckt einfach gelatinös-gut. In vielen französischen Familien ist es ein Traditionsessen. Das bovine Haupt steht auf der Karte nicht weniger Sternerestaurants – natürlich in diversen „Deklinationen“. Und es erinnert an ein historisches Ereignis, das in den letzten Tagen aus bestimmten Gründen öfter evoziert wird: die öffentliche Dekapitation Louis des Sechzehnten am 21. Januar 1793.
Alle Zeitgenossen waren sich der historischen Großartigkeit dieses Events bewusst, das die Bevölkerung in Monarchisten und Königsmörder („Régicides“) teilte. Und das Ereignis zeigt, dass die Revolution nicht nur eine Angelegenheit von Kopf und Herz, sondern auch des Magens ist. Und wie!
Am 21 Januar veröffentlichte der Pamphletist Romeau die Brochüre „Der Kopf oder das Ohr des Schweins“ mit dem Untertitel:
Vorschlag an alle Citoyens, in ihren Familien die interessantesten Epochen der Revolution zu zelebrieren und als Erinnerung an den 21. Januar einen Schweinskopf oder ein Schweineohr zu speisen.
Der Schweinskopf ist natürlich ein Metonym für den König, der nach seiner gescheiterten Flucht im Juni 1791 oft als Schwein karikiert wurde. Und in der Tat wurde der Vorschlag eines symbolischen Kannibalismus zunächst eifrig befolgt. Mit dem Sturz der Montagne und der antijakobinischen Konstruktion einer barbarischen Schreckensherrschaft der „Königsmörder“ ging der junge Brauch verständlicherweise zurück..., um im Jahr 1816 wieder aufzuleben. In diesem Jahr ließ Louis der Achtzehnte dem Marschall Napoleons, Mouton-Duvernet den Prozess machen und zum Tode verurteilen. Plakate tauchten auf:
Wenn Ihr den Mouton (übersetzt „Hammel) tötet, stechen wir das Schwein ab!
Natürlich ließen sich die neuen alten Herrschenden nicht davon abschrecken. Mouton-Duvernet wurde hingerichtet. Es gab sogar ein öffentliches Bankett, auf dem sich die Reaktionäre ostentativ Hammelleber servieren ließen. Die Konterreaktion erfolgte prompt. Auf einem Gegenbankett wurde Schwein mit Kartoffeln gereicht. Die Kartoffeln sollten an ihren früheren königlichen Förderer Louis XVI erinnern, der mit den Erdäpfeln die für ihn so kritischen Brotkrisen abschaffen wollte. Fortan institutionalisierten sich republikanische Bankette mit schweinischen Stammgerichten. Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts und im Zuge der in Bürgerkreisen herrschenden Anglomania änderte sich der Hauptgang. Die Köpfe wurden ausgewechselt. Man bezog sich nun auf die englischen Republikaner, die sich in Erinnerung an die Köpfung Charles I. für das Haupt des Kalbs entschieden hatten.
Zum Schluss sei die Frage nach der republikanischen „Exemplarität“ (Innenminister Castaner) der Präsidenten gestellt? Der letzte Kalbskopfliebhaber war wohl der jüngst verstorbene Jacques Chirac. Sarkozy zog Müsliriegel vor, Hollande Fische (aus nachhaltigem Fang). Macron liebt das Cordon bleu, egel ob aus Huhn, Schwein oder Kalb. Bei einem volkstümlichen frühmorgendlichen Besuch im Großmarkt Rungis zeigte ihm ein Metzger einen Container mit Kalbsköpfen mit den Worten:
Die Tête de Veau ist weder rechts noch links.
Der Präsident selbst resümierte damals seinen Ausflug mit den typischen Worten:
Das ist ein Ort, wo ich denke, dass die Ideen, die ich trage verstanden und gehört werden.
Das war vor über einem Jahr. Seit einigen Tagen hört man jedoch tatsächlich nicht ganz ernst gemeinte Anspielungen auf den 21. Januar 1793. Ist das eine Revolte? Nein Sire, es ist eine....
Kommentare 11
das waren noch zeiten, als gesellschaftliches schicksal/wohl und wehe
noch in e i n e m kopf verortet wurde,
von dem man sich mit einem schlage trennen konnte/die sorgen los-wurde....
um heute üblem gesellschafts-management kulinarisch zu opponieren
gibts nur asketische genuß-verweigerung
oder das reinigungs-ritual des kotzens...
>>Ist das eine Revolte? Nein Sire, es ist eine....<<
...révolution??
oder ist der verzehr von gummi-bärchen
eine symbolische kampfansage an die griko-regierung?
Herlich makaber- Jahresauftakt für Gourmets! Einfach. Küchenwahnsinn
Die republikanischen Bankette als politisches Handeln im (halb)-öffentlichen Raum unter mehr oder weniger harten Repressionsbedingungen sind äußerst effizient. Ihr Verbot wurde zum Anlass der Februarrevolution 48.
Ohne die Analogie zu überspannen: die zahlreichen und bunten Aktionen gegen die Rentendeform in Fkr. wirken ähnlich. Dass nicht nur gestreikt wird, sondern dass die Ärzte und Pflegerinnen die weißen Kittel wegwerfen, die Rechtsanwälte der Justizministerin die Roben vor die Füße knallen, Tänze aufführen und Songs verrevoluzzern, dass die Lehrer und Lehrerinnen Mauern aus alten Schulbüchern errichten, das Ballet der pariser Oper einmal nicht vor "hochkarätigem" Publikum, sondern im öffentlichen Raum vor dem Peuple tanzt, u.v.a.m., hat die bürgerl. Medien und die Macronie "irgendwie" auf dem falschen Fuss erwischt. Am Samstag spielte das Orchester der pariser Oper mit unglaublichem Schwung die Marseillaise und schaffte damit einen wirklichen Event: die antreibende Aktualisierung einer älteren, etwas verstaubten Hymne.
Danke für den (mir bis dato unbekannten) Impuls. Der Artikel schreit eigentlich nach einer Ausarbeitung im Sinne von de Quinceys "Der Mord als eine schöne Kunst betrachtet" (1827) oder Foucaults Art de Punir (Kunst des Bestrafens, der Henker als Künstler), nur eben durch ein Zusammendenken von Kochkunst & Revolution. Mir spukt doch auch gleich eine Fußnote zu Hannibal Lecter im Kopf herum...
Kochkunst und Revolution, das ist ein riesiges Feld. Die Revolution hat ja bekanntlich die Köche der Aristokraten "freigesetzt", die damit gezwungenermaßen die Restaurantkultur en marche setzten. Und dmit auch indirekt die kommenden Revolutionen vorbereitet (Balzac, Flaubert sind diesbez. wunderbare Quellen).
Interessant sind auch die politischen, ästhetischen und moralischen Grenzen dieses symbolischen Kannibalismus. Wo wird er (buchstäblich) geschmacklos?
Hat "À table, Président" einen historischen Hintergrund?
Die meisten Präsidenten der 5. Republik pflegten - oft etwas angestrengt - beim Volk zu speisen, vor allem Giscard d'Estaing, der für schöne Bilder gern seine Schlossküche gegen die von Arbeitern, Handwerkern und Lastkraftwagenfahrern austauschte und deren Frauen unter gewaltigen Stress setzte. So feierte er am 31.12.1975 in der Familie Baschou, einem Schreinerlehrlings-Ausbilder mit Kaninchen und Bohnen sowie Crème als Dessert. Und im Fernsehen lief gleichzeitig die Neujahrsansprache Giscard d'Estaings.
Sarkozy und Hollande folgten dem Beispiel, wenn auch nicht so häufig. Sarkozy speiste im März 2011 bei einer so resoluten wie schlagfertigen, also fernsehtüchtigen Bäuerin, begleitet übrigens von seinem Agrarminister, einem certain Bruno Le Maire, momentan Wirtschaftsminister Macrons und als künftiger Ministerpräsident gehandelt. Macron selbst, der sehr gerne Cordon bleu ißt, ist diesbezüglich noch etwas scheu (überall ist diese "hasserfüllte Menge"!), aber im Urlaub hat er schon einmal eine ganz gewöhnliche Pizzeria besucht.
Danke für die Info!