Marion Maréchal - der Weg nach oben

Kalkuliertes Comeback Die Nichte Marine Le Pens bereitet ihre politische Karriere vor, indem sie in medienwirksamer Dosis Events produziert. Hat sie echte Chancen?

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2027 wäre sie genau im richtigen Alter, Präsidentin der Franzosen zu werden. Aller Franzosen?
2027 wäre sie genau im richtigen Alter, Präsidentin der Franzosen zu werden. Aller Franzosen?

Foto: Miguel Medina/AFP/Getty Images

Mit Trump

Ein Comeback, ob politisch oder sportlich, muss, um als Ereignis zu erscheinen, gut vorbereitet werden. So wie dieses.

Maryland, 22. Februar 2018. Die „Conservative Political Action Conference“ schmückt sich mit Kurzauftritten von Donald Trump, Nigel Farage und einer Rednerin aus Frankreich (deren Auftritt im Vorfeld zu Diskussion geführt hat, weil sie „nationale Sozialistin“ sei). Und ausgerechnet dieser gelingt es, das Publikum mitzureißen. Marion Maréchal Le Pen, 28 Jahre jung, blond und mit der Aura natürlicher Jugendlichkeit, hält ihre Rede auf Englisch, orniert mit diesem unwiderstehlichen französischem Akzent (den auch Macron beherrscht).

Bonjour. Hello, my fellow conservatives.I hope that Americans really like French accent (Aber ja!).Yesterday I was a fascist, today I'm a socialist. OK“ (Das Pubikum lacht. Eine solche Frau kann keine Faschistin sein. Und Sozialistin doch hoffentlich erst recht nicht)

We the French must fight for our independance. France is no longer free. France is in the hands of Europe! (Das Publikum pfeift)... Our parliament endorse legislation of Europe... I'm not offended when I hear Mr. Trump saying „America first“...I want France first for the French people (Jubel).

Die junge Frau spricht von Islamisierung, Political Correctness und folgert:

This is not the France our grandfathers fought for.

Nach dem Bekenntnis zu Familie, Nation, Privateigentum und harter Arbeit fordert die Rednerin:

I want our country back!

und beendet den Auftritt mitVive la France!, einemetwas schüchternen Merci und einem flüchtigen Küsschen in Richtung Publikum, das sich zwecks Ovationen erhebt.

Der echte Adressat der Rede ist natürlich die französische Bevölkerung. Die Medien diesseits des Atlantik agieren auch prompt und bringen das Event an prominenter Stelle. Erleben wir einen Trump à la française? Wird Marion Maréchal Le Pen, die sich nach der Niederlage ihrer Tante aus dem politischen Leben zurückgezogen hat, offiziell, um das Wirtschaftsleben kennen zu lernen, schon 2022 die Kandidatin einer rechten Sammlungsbewegung? Mit 33 Jahren? Wird sie die blass gewordene Vorsitzende des Front national ablösen?

Die juvenile Hoffnungsträgerin der harten Rechten gibt darauf keine Antwort.. Just einen Tag vor ihrer Rede veröffentlicht sie in der erzkonservativen Zeitschrift Valeurs actuelles eine „Tribune“, in der sie ihre beruflichen Pläne erläutert: Vorerst kommen politische Funktionen für sie nicht in Frage. Sie beabsichtigt vielmehr die Gründung einer Akademie politischer Wissenschaften für die „konservative Jugend“. Wie viele -auch deutsche - Rechte bezieht sie sich mittlerweile auf einen Kommunisten: Auch für uns ist es Zeit, die Lektionen Antonio Gramscis anzuwenden. Dazu gehört Überzeugung und langer Atem. Es geht also – wieder einmal – um „Metapolitik“.

Metapolitisch ist es sinnvoll, sich für eine gewisse Zeit dem Focus der großen Medien entziehen, gerade wenn diese auf eine neue Lichtgestalt der Rechten geradezu brennen (auch ökonomisch). Marion Maréchal Le Pen kann es sich leisten. Fast 800.000 Menschen auf Facebook und über 300.000 auf Twitter followen ihr begeistert, darunter nicht wenige Verliebte. Die Macher ihrer Seiten der überzeugten Pilgerin und Napoleon-Bewunderin (in der konservativen Lesart) füttern die Follower mit traditionell katholischen Statements, mit Argumenten aus dem Arsenal der Action française, der Zeit des Maréchal Pétain, der Identitären und anderer Anhänger der Theorie des "Großen Austausches" und geben den Ton im Umgang mit den politischen Gegnern vor.

Mit Gramsci

Am 31. Mai erfolgt "endlich" das zweite (eigentlich gar nicht herausragende) Ereignis innerhalb des Comeback, wieder mit entsprechendem Medienecho. Marion Maréchal – den Zweitnamen Le Pen hat sie mittlerweile aus allzu verständlichen Distinktionsgründen aufgegeben – ist Teilnehmerin einer Diskussionsveranstaltung mit dem schönen Namen „Stellen wir den Mai 68 ab“. Veranstalter sind die Gruppe „Eveilleurs d'espérance“ (Hoffnungswecker), die aus der Bewegung gegen die „Ehe für alle“ hervorgegangen sind, und die hippe Monatsschrift „L'Incorrect“, gegründet von Maréchal-Vertrauten. Interessant sind die Teilnehmer: neben Maréchal sprechen: die einflussreiche Ideenphilosophin Charlotte Delcol, die sich selbst als „primäre Antikommunistin“ bezeichnet, Vertreterin des (auch Macron beeinflussenden) katholischen Personalismus, verheiratet mit dem ehemaligen Verteidigungsminister Charles Millon, den sie im antikommunistischen „Cercle Péguy“, gegründet wiederum von Delcols sehr katholischem Vater, kennengelernt hat, aber auch der – ebenfalls traditionell katholische – Philosoph Thibaud Collin, der 2017 zur Wahl Le Pens aufrief. Im Publikum finden sich bekannte Politiker und Unternehmer vom rechten Rand. Man kennt sich, schätzt sich, unterstützt sich.

Nach den Vorträgen wird eine „Table ronde“ inszeniert. Musik im Hintergrund, treten die Teilnehmer auf die Bühne: die rechtsextreme Vorzeigejournalistin Charlotte d'Ornellas, der Chefredakteur des l'Incorrect und Marion Maréchal. Alle sehr jung, cool, eloquent. Ihr Habitus ist ein generationeller. Äußerlich unterscheiden sie sich kaum merklich von ihren gleichaltrigen linken Gegnern, dafür umso mehr von den alten Lepenisten. Doch es kommt bekanntlich auf den Inhalt an.

Die „Table ronde“ entpuppt sich schnell als Werbeveranstaltung für die von Maréchal geplante Akademie, das Institut des sciences sociales, politiques et économiques (ISSEP), allerdings verknüpft mit der Kritik an Mai 68. Star des Abends ist natürlich Marion Maréchal. Sie mokiert sich – durchaus an linke Kritik anknüpfend - darüber, dass im Mai 68 Papasöhnchen Wortführer von Arbeitersöhnen werden wollten, springt dann schnell zu den „Bobos“, den bösen Black-Blocks („Bankiersöhne“) und anderen heutigen „Unterrevolutionären“. Dem „Abstellen“ des Mai 68 müsse ein „Wieder-Einstellen“ folgen. Die Erziehung sei der Königsweg“, den sie nun mit dem ISSEP in Lyon beschreite.

Erziehungsfragen sind immer auch ideologische Fragen. Maréchal kritisiert die „Grandes Ecoles“ (Ecole normale supérieure, ENA, Science Po) als „makronische Waffeleisen“, in denen eine seelen- und nationenlose Elite produziert werde, „spirituelle Emigrierte“. Es folgt die auch in deutschen rechten Kreisen beliebte Gegenüberstellung der Werte der Gemeinschaft und der Gesellschaft mit den Komponenten Tradition/Religion/Nation gegen geschichtslose Moderne/Gottlosigkeit/Kosmopolitismus. Das ISSEP wolle eine nicht „delokalisierbare“, auf das Volk bezogene neue Elite schaffen, künftige Chefs, die ihren Arbeitern „den Sinn der Arbeit“ vermitteln können, die Adam Smith kennen, aber auch Thomas von Aquin (starker Applaus im Publikum). Maréchal kennt ihre Stärken. Ihre Schlüsselwörter sind "Generation" und "Jugend".

Maréchal selbst ist Direktorin des ISSEP. Ihr zur Seite stehen der Unternehmer Patrick Libbrecht (Fischkonservenindustrie), Patrick Louis (vom Mouvement pour la France des Philippe de Villiers), der Neofaschist Pascal Gauchon und der Rechtsprofessor Guillaume Drago. Ziel ist, „Entscheider“ (aus)zubilden, im Respekt des Erbes und des Eroberergeistes. Angesprochen werden Diplomierte (Arbitur + drei Jahre Studium) die – nach sorgfältiger Auswahl – pro Jahr 5.500 Euro für ihre ganzheitliche Ausbildung zu zahlen haben, für einen symbolischen Abschluss (bisher gibt es keine staatlichen Diplome).

Dass es Bedarf gibt, hat die große Demonstration gegen die „Ehe für alle“ gezeigt. In bestimmten Regionen (Bretagne, Elsass, Dauphiné) existiert eine Art „Zombie-Katholizismus“ (Emmanuel Todd). Als eigentlicher Glaube gestorben, so Todd, bestimmt dieser noch immer die Werte und politischen Haltungen vor allem der „oberen Klassen“. Interessanterweise haben mit der großen Demonstration gegen die „Ehe für alle“, diesem „konservativen Mai 1968“ (Gael Brustier) gerade viele 20- bis 27jährige Guterzogene und Gutgekleidete den Glauben der „Vorväter“ wiedergefunden. Just diese Generation will Marion Maréchal ansprechen. Sie kann dies umso glaubwürdiger, als sie "in diesem Universum geradezu badet“, so der Historiker Grégoire Kauffmann.

Wir sind die Gegen-Generation zu 68. Wir wollen Prinzipien, Werte, wir wollen Meister, denen wir folgen können, wir wollen einen Gott (Maréchal 2017).

Neuerdings verbindet sie Business (Privathochschule) und Gramsci. Der Standort des ISSEC ist emblematisch. Lyon ist bekannt für ein reges rechtsintellektuelles Milieu. Neben den Absolventen rechtskatholischer Schulen und Hochschulen gibt es relativ starke rechtsextreme Zirkel, wie die monarchistische Action française, die Génération identitaire und der Parti national français. Sie sehen sich als Elite. In ihrer Vorstellung leben im Norden die dummen Bauern, im Süden ebenfalls, in Lyon aber die „Intellos“. Es existiert also ein nicht kleines Reservoir für künftige „organische Intellektuelle“ im „Bewegungs- unf Stellungskrieg“ des Politischen (Gramsci).

Die Ernte

Wir können uns also auf ein weiteres Ereignis einstellen. Die Erzeugung von Spannung erinnert fast an die Methode Macron. Ein Figaro-Journalist meint, sie müsse nur mit dem Finger schnipsen, um die Führung des Front national, der in „Rassemblement national“ (nationale Sammlung umbenamt worden ist) zu übernehmen und damit Kandidatin für die Präsidentenwahl 2022 zu werden. Er hat eine Umfrage zur Hand: 59 Prozent aller Franzosen wünschen angeblich die Rückkehr Maréchals auf die politische Bühne. Alles andere wäre in der Tat eine Überraschung. Allerdings müsste Maréchal drei Hürden nehmen.

Erstens müsste sie in nicht allzu weiter Zeit ihre Tante ablösen. Angesichts der offensichtlichen Schwäche und der chaotischen Führung könnte sie als die große Retterin auftreten, die mit einem eher bürgerlichen Programm („à droite“, also rechts) die gescheiterte pseudosozialistische Ideologie ihrer Tante („ni droite-ni gauche“) ersetzt. Gleichzeitig beträte sie damit

zweitens das „legitime“ Feld der politischen Rechten. Hier hätte sie es mit dem Hauptkonkurrenten Laurent Wauqiez zu tun, der auf der Suche nach einem großen Elektorat Marine Le Pen fast rechts überholt hat. Noch gibt es angeblich „unterirdische Verbindungen“ zwischen Wauquiez- und Maréchalkreisen. Letztere verlautbarte 2017, man könnte vieles zusammen machen. Doch in der Kandidatenfrage scheint Maréchal im Vorteil. Sie ist in Nationalismus, Traditionalismus und Anti-Islamismus einfach authentischer, „organischer“ als Wauquiez, dessen ideologisches Taktieren zu offensichtlich ist. Der FN wurde und wird doppelt dediabolisiert: als männliche Faschopartei durch Marine Le Pen und als „linke“ Partei durch Marion Maréchal. Der „Rassemblement national“ ist damit auch für die liberale Rechte wählbar, wenn auch mit moralischem Bauchweh, das jedoch schnell verfliegt, wenn sie die harte wirtschaftliberale Linie Maréchals bedenken.

Trotzdem werden sich wohl nicht wenige Macron zuwenden – wenn sie es, wie die so genannten Constructifs nicht schon getan haben. Damit nähern wir uns,

drittens, dem präsidialen Shootdown von 2022, der Zeitspanne entsprechend natürlich spekulativ. Wenn es die Linke auch aufgrund der niedrigen Wahlbeteiligung wieder einmal nicht schafft, wenn es also wirklich zur Wahl zwischen Maréchal und Macron kommen sollte (und dieser bis dahin nicht Erster Konsul mit Option auf den Titel des Empereur geworden ist), hätte die rechte Prätendentin wohl echte Chancen. Die Medien, die auch ökonomisch von diesem Zweikampf profitieren, werden nicht eindeutig Partei für Macron nehmen (wie 2017), sondern den Zweikampf anfeuern. Marion Maréchal mag zwar in manchen Positionen an den Maréchal Pétain erinnern, aber sie ist als rechte Konservative keine Faschistin. Der Zweikampf ist also keine echte Schicksalswahl wie die des Jahres 2017. Das wird Macron schaden.

Die Wählerbasis Maréchals ist größer als die des Start-up-Präsidenten der großen Börsenunternehmen, den – wenn ihm kein konjunkturelles Glück frommt – die Wirklichkeit eingeholt haben wird. Schon jetzt sind über 50 Prozent der Bevölkerung mit seiner Performanz unzufrieden. Der europäische Trend in Richtung Nationalismus und (oft vermeintliche) Tradition wird sich fortsetzen. Es könnte sogar zu der tragikkomischen Situation kommen, dass der Meister der persönlichen Inszenierung von einer 33jährigen Rechtskonservativen mit den eigenen Mitteln geschlagen wird. Auch dies läge im Trend.

Falls Macron doch obsiegen würde, tant pis! (macht auch nichts). Marion Maréchal setzt auf Gramsci. 2027 wäre sie genau im richtigen Alter, Präsidentin der Franzosen zu werden. Aller Franzosen?

Aussichten sind das!

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