Mein Genosse Ministerpräsident

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Herr Rüttgers, mein Landesvater! Wie falsch ich Sie bisher sah! Glaubte ich doch den maliziösen Schreibern, die Sie als "selbsternannten Arbeiterführer" verspotteten.

Bis ich gestern hören musste, nein: durfte, dass Sie in einer Wahlkampfrede gerufen haben: ... die in Rumänien (kommen) eben nicht um 7 Uhr zur ersten Schicht und bleiben bis zum Schluss da. Sie kommen und gehen, wann sie (sic!) wollen (sic!). Herr Dr. Rüttgers, ich erkannte sofort, dass Sie diese Sätze nicht ausländerfeindlich meinten, wie die Wahlarbeiter von SPDie Grünen in NRW sofort zeterten. Sie drucksten zwar ein bisschen herum, aber was Sie sagen wollten, ist folgendes: Die rumänischen Proletarier "kommen und gehen, wann sie wollen." Sie sprechen den Arbeitern also Autonomie und freien Willen zu. Und wagen es im gleichen Atemzuge, den deutschen Malochern zu sagen: Ihr kommt und geht, wann eure Bosse es wollen!

Herr Rüttgers, ich habe Sie politisch unterschätzt. Ich glaube, Sie denken wie Ihr rheinischer Landsmann Marx, der da schrieb: "Die Proletarier müssen, um persönlich zur Geltung zu kommen, ihre eigne Existenszbedingung, die zugleich die der ganzen bisherigen Gesellschaft ist, die ARBEIT, AUFHEBEN." (Deutsche Ideologie).

Kollege Rüttgers, erst jetzt verstehe ich Ihre Polemik gegen die steuerliche Absetzbarkeit von Lehrerarbeitszimmern, als Sie sagten, Unterricht könne auch am Küchentisch vorbereitet werden. Sie dachten gewiss an die Familie Coppi, deren Bildungshunger - wie Peter Weiss in der Ästhetik des Widerstands beschreibt - auch am Küchentisch gestillt wurde -zum Behufe der Revolution.

Kollege Rüttgers, Sie sind nicht ausländerfeindlich. Kryptokommunistisch, und vielleicht darum etwas ungelenk, wollen Sie auf die fatale teutsche Arbeitswut hinweisen. Darum bellen die sozialdemokratischen Arbeitsfanatiker wütend auf. Soll den am deutschen Arbeitswesen wieder die Welt genesen?

Jürgen Rüttgers, Genosse (Tränen schießen mir in die Augen), ein Hoch auf den internationalen Kampf gegen den deutschen Arbeitswahn. Genosse Ministerpräsident, bilden Sie die Avantgarde (mit mir, dann sind wir schon zwei). Kämpfen Sie mit allen politischen Mitteln für die Einführung der 20-Stundenwoche! Dann "kommen" wir alle zur Arbeit. Kämpfen Sie für ein Gesetz mit dem Titel: "Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität von Arbeit und Verringerung der Arbeitsverdichtung". Dann "wollen" wir alle zur Arbeit.

Wir sind alle Rumänen! Nieder mit dem deutschen Arbeitswahn! Überall!

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