Oktober 1916. Während er im Berliner Untersuchungsgefängnis auf den Antritt seiner vierjährigen Zuchthausstrafe wegen „Hochverrats“ wartete, schrieb Karl Liebknecht an seinen „Betrachtungen und Erinnerungen“. Darin berichtet er auch von jener denkwürdigen Fraktionssitzung der SPD vom 3. August 1914. Es ging um eine existentielle Frage: Soll die SPD – mit 110 von 397 Abgeordneten immerhin die weitaus stärkste Partei im Reichstag – die Kriegskredite bewilligen, also ein faktisches „Ja“ zum Großen Krieg erklären? Ausführlich gibt Liebknecht die Argumente Eduard Davids wieder, einem Repräsentanten des rechten Parteiflügels.
Er meinte der Augenblick gebiete, sich von überkommenen Vorstellungen loszusagen und umzulernen, die Sozialdemokratie würde in dieser Zeit noch in vielen Dingen umlernen müssen. Er beantragte im Namen der Mehrheit des Parteivorstandes die Bewilligung der Kredite....Der Volksstimmung dürfen und können wir uns nicht entgegenwerfen..., das „Ja“ wird aber die Stellung der Sozialdemokratie gewaltig stärken... eine starke demokratische Welle wird nach dem Kriege kommen.
Zum weiteren Verlauf der Debatte erfahren wir:
Die Mehrheit hörte mit Ungeduld und Unruhe die Vertreter der Minderheit an. Ein Schlussantrag machte der sehr erregten Debatte ein ziemlich frühes Ende. Nur 14 Genossen stimmten gegen die Kriegskredite, 78 stimmten dafür.
Dass Fraktionszwang beschlossen wurde, versteht sich. Eine Abstimmung nach einer nicht geraden „herrschaftsfreien“ Diskussion. Was war hier passiert? Wie konnten die Repräsentanten der größten Partei der Zweiten Internationale dafür sein, den Herrschenden ihres Landes die Finanzierung ihres Krieges zu gewähren? Hatte der Ko-Vorsitzende der SPD (und der Fraktion) Hugo Haase nicht vor knapp 2 Jahren auf dem Basler Friedenskongress unter dem Beifall der Delegierten verkündet:
Die Herrschenden sollen wissen, dass das internationale Proletariat aus tiefster Seele den Krieg verabscheut?
Hatte die Partei den Wahlkampf von 1912 nicht auch mit der Parole „Völkermord – der Segen des Militarismus“ geführt? Hatte der SPD-Vorstand nicht noch am 25. Juli 1914 einen Friedensaufruf veröffentlicht, der mit einem fett gedruckten „Wir wollen keinen Krieg! Nieder mit dem Kriege! Hoch die internationale Völkerverbrüderung!“ endete? Wurden nicht eine knappe Woche zuvor„Protestversammlungen“ gegen den Krieg durchgeführt? Mit 750.000 Demonstranten. Stellte der „Vorwärts“ vom 30. Juli nicht die Frage:
Soll der Unsinn siegen? Wer hinter die Kulissen der Kriegsbegeisterung blickt, dem enthüllt sich die angebliche Kriegsbegeisterung häufig als absolute Kopflosigkeit, als wilde Verzweiflung.
„Der russische Zarismus – Feind aller Kultur“
Zum Verständnis dieses „Paradigmenwechsels“ (um einen späteren SPD-Kanzler zu zitieren) ist ein Perspektivenwechsel nötig. Für die deutsche Regierung war die Haltung der SPD kriegswichtig. Ohne die Sozialdemokraten war eine geschlossene Wehrbereitschaft der Bevölkerung (wie man heute wieder sagt) nicht erreichbar, weder an der „äußeren“ noch an der „inneren Front“. Der Reichskanzler Bethmann-Hollweg ist als vorsichtiger, ja zaudernder Kanzler in die Historiographie eingegangen. Seit seinem Amtsantritt (1909) verfolgte er vor allem zwei Ziele für einen eventuellen Krieg: die Neutralität Großbritanniens, notwendig durch die Mittellage Deutschlands (und dem Schlieffenplan) und die Gefolgschaft der Sozialdemokratie. Er fürchtete Antikriegs-Aktionen der Arbeiter. Taktisch brauchte er die SPD auch, um dem – in Preußendeutschland immensen – Druck der reaktionären Militärs, des Adels und der Schwerindustrie zu widerstehen. Dabei kam ihm die prinzipielle Gegnerschaft der SPD-Führung (nicht der linken Opposition in der SPD) gegenüber dem russichen Zar zugute, dessen Reich damals direkt an Deutschland grenzte. Bebel hatte 1907 in seiner „zweiten Flintenrede“ proklamiert:
Wenn es gegen den russischen Zarismus als Feind aller Kultur und aller Unterdrückten geht, werde selbst ich als alter Knabe noch die Flinte auf den Buckel nehmen.
Zudem hatten die Sozialdemokraten noch immer nicht den kränkenden Vorwurf verkraftet, „vaterlandslose Gesellen“ zu sein. Über den „Reichsfeinden“ schwebte – ob real oder eingebildet, die Regierung spielte virtuos mit dieser Furcht – das Schwert des Organisationsverbots der Partei. Jede Kritik am Geld verschlingenden Wettrüsten, das die mehr als notwendigen Sozialreformen verhinderte, wurde so von der Kriegspartei locker ausgekontert (es gibt kaum etwas Lähmenderes als einen auftrumpfenden Bellizismus). Noch am 29. Juli forderte der Parteivorstand die Parteipresse zur „gebotenen Vorsicht“ auf, d.h. konkret, nicht zu weiteren Antikriegsdemonstrationen aufzurufen. Es gab schon erste Überlegungen für den Weg in die Illegalität.
Bebel hatte schon 1904 in seiner „Flintenrede“ eine Art Gegenposition gegen die permanenten Vorwürfe der Bellizisten aufzubauen versucht:
...wenn der Krieg ein Angriffskrieg werden sollte, ein Krieg, in dem es sich dann um die Existenz Deutschlands handelte, dann – ich gebe Ihnen mein Wort – sind wir bis zum letzten Mann und selbst die ältesten unter uns bereit, die Flinte auf die Schulter zu nehmen und unseren deutschen Boden zu verteidigen, nicht Ihnen, sondern uns zu Liebe, selbst meinetwegen Ihnen zum Trotz. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten)
Andererseits hatte Bebel 1911 nach der 2. Marokkokrise auch klar gemacht, was Krieg bedeutet (und was alle wussten):
Dann kommt die Katastrophe. Alsdann wird in Europa der große Generalmarsch geschlagen, auf dem bis 16 bis 18 Millionen Männer, die Männerblüte der verschiedenen Nationen, ausgerüstet mit den besten Mordwerkzeugen geeneinander als Feinde ins Feld ziehen, Aber nach meiner Überzeugung steht hinter dem großen Generalmarsch der große Kladderadatsch...
Übrigens gab Bebel in derselben Rede einem Zwischenrufer („Mit jedem Krieg wird es besser!“) folgendes zurück:
Man weiß nicht mehr, wie man mit der Sozialdemokratie fertig werden soll. Da wäre ein auswärtiger Krieg ein ganz vortreffliches Ablenkungsmittel gewesen.
Man ist (heute sind wir natürlich wesentlich schlauer) versucht zu fragen: Wussten das wenigstens die Sozialdemokraten?
Der notorisch auf Militär getrimmte Gustav Noske (ja der!) hatte 1907 (nach einer blutigen antirevolutionären Repressionswelle im Zarenreich) im Reichstag erklärt:
Wir wünschen, dass Deutschland möglichst wehrhaft ist und sind selbstverständlich der Meinung, dass es unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit ist, dafür zu sorgen, dass das deutsche Volk nicht etwa von irgendeinem anderen Volk an die Wand gedrückt wird,
Luxemburg und Liebknecht kritisierten diese Worte scharf. Liebknecht warf Noske „Kriegervereinston“ vor. Aber es war nicht zu übersehen: Die SPD-Führung balancierte zwischen patriotischer Wehrhaftigkeit gegen Russland und antipreußischem Antimilitarismus (der Kolonienbefürworter und Militärfreund Noske – er selbst hatte nie „gedient“ – war eher eine Ausnahme) Aber zurück zur „Julikrise“.
Bethmann-Hollweg, ein guter Regisseur?
Bethmann bemühte sich folgerichtig um die Zustimmung der SPD-Fraktion, vor allem nach deren rigoroser Verwerfung des österreichischen Ultimatums an Serbien vom 23. Juli.(„verbrecherische und verantwortungslose Politik der österreichisch-ungarischen Kriegshetzer“). Er führte deswegen am 26. Juli ein längeres Gespräch mit den SPD-Führern Haase und Otto Braun. Es ging auch um das Verhalten der SPD im Falle eines Angriffs Russlands auf den Verbündeten Österreich. Haase erklärte jedoch, dies sei kein Bündnisfall für Deutschland. Aber war Haase noch repräsentativ für die Partei?
Am 28. Juli forcierte die österreichisch-ungarische Regierung die Situation. Sie erklärte Serbien den Krieg. Schon einen Tag später wurde Belgrad mit Kanonen beschossen, die erste militärische Operation des Weltkriegs. Damit schien der berühmte „Casus foederis“ gegeben: Frankreich-England-Russland auf der einen, die „Mittelmächte“ (Deutschland-Österreich-Ungarn und Italien) auf der anderen Seite. In dem Fall, das wussten alle Entscheider, gäbe es den „großen Kladderatsch“. Der russische Außenminister Sasanow brach erwartungsgemäß die Verhandlungen mit dem österreichischen Botschafter ab.
Aber noch immer gab es keinen reinen Automatismus in Richtung Krieg. Der britische Außenminister Edward Grey unternahm vor den Kriegserklärungen nicht wenige Vermittlungsversuche, machte aber dem deutschen Botschafter in London am 29. Juli klar, dass,
würden Deutschland und Frankreich hineingezogen, die Lage sofort eine andere sei, und die britische Regierung sich unter Umständen zu schnellen Entschlüssen gedrängt sehen.
Bethmann – aufs Äußerste besorgt – schickte Telegramme an den deutschen Botschafter in Wien, die anders klangen als die bisherige bedingungslose Unterstützung:
Wir sind zwar bereit, unsere Bündnispflicht zu erfüllen, müssen es aber ablehnen, uns von Wien und ohne Beachtung unserer Ratschläge in einen Weltenbrand hinziehen zu lassen.
Die Österreicher beharrten auf ihrem Standpunkt. In einem weiteren Telegramm verwies Bethmann auf ein anderes Argument:
Wenn Wien ...jedes Einlenken, insbesondere den letzten Greyschen Vorschlag ablehnt, ist es kaum mehr möglich, Russland die Schuld in der aufbrechenden europäischen Konfiguration zuzuschieben... (Wien beweise,) dass es unbedingt einen Krieg will, in den wir hineingezogen sind, während Russland schuldfrei bleibt. Das ergibt für uns der eigenen Nation gegenüber eine ganz unhaltbare Situation.
Und dies wollte er unbedingt vermeiden. Am selben Tag erhielt Bethmann-Hollweg einen wohl (dringend erwarteten) Brief des SPD-Abgeordneten Albert Südekum:
Eurer Exzellenz mache ich hierdurch Mitteilung über den Verlauf meiner Unterredung mit den Mitgliedern des Vorstandes der Sozialdemokratischen Partei nach unserem heutigen Gespräch und gebe dieser mit der vollkommenen Offenheit, die ich der Sache und Eurer Exzellenz persönlich schulde... Ich erhielt die Bestätigung meiner Bemerkung, dass – gerade aus dem Wunsch heraus, dem Frieden zu dienen – keine wie immer geartete Aktion (General- oder partieller Streik. Sabotage und dergleichen) geplant oder auch nur zu befürchten sei...Indem ich hoffe, der Sache und Euer Exzellenz einen bescheidenen Dienst geleistet zu haben, bin ich in aufrichtiger Hochachtung Ew. Exzellenz ergebenster Dr. A. Südekum.
Der „bescheidene Dienst“ Südekums musste den Kanzler tatsächlich etwas beruhigen. Von Aktionen der Arbeiter ging also keine „Gefahr“ aus: keine Streiks gegen den Krieg, wie die Internationale es forderte. Auf die SPD-Führung schien die Regierung sich verlassen zu können. Das zweite Problem war jedoch kaum lösbar. Und hier bestimmte das Militär: Der Schlieffenplan (1905:) sah vor, zunächst Frankreich zu besiegen, um dann alle Kräfte gegen Russland zu orientieren. Das setzte jedoch den Durchmarsch durch das neutrale Belgien voraus, was den Kreigseintritt Großbritanniens auslösen würde.
Noch am Abend des 29. Juli ließ Bethmann der britischen Regierung durch ihren Botschafter Goschen folgendes übermitteln:
Die kaiserliche Regierung sei bereit, der britischen Regierung – ihre Neutralität vorausgesetzt – jede Zusicherung zu geben, dass Deutschland im Falle eines siegreichen Krieges keinen Gebietserwerb auf Kosten Frankreichs anstrebe. Auf meine Frage erwiderte Seine Exzellenz, er vermöge gleiche Zusicherung bezüglich Kolonien nicht geben.
Das war schon starker Tobak. Zudem, so der Kanzler, werde die „belgische Integrität“ beim Durchmarsch Deutschlands „geachtet“. Beides war für diplomatische Gebräuche etwas zu deutlich. Grey telegraphierte denn auch an Goschen:
Vom materiellen Standpunkt aus ist solch ein Vorschlag unannehmbar.
Was Grey nicht wusste: zu diesem Zeitpunkt war für den deutschen Gesandten in Brüssel ein verschlossener Kuvert unterwegs, zu öffnen nach besonderer Anweisung. Er enthielt nichts weniger als die Aufforderung an Belgien, die deutsche Armee ohne jeden Widerstand durchmarschieren zu lassen. Sie waren schon immer gründlich, diese Preußen.
Nach der Ablehnung der serbischen Antwort auf das Ultimatum und der Kriegserklärung Österreichs an Serbien am 28. Juli mit folgender Teilmobilmachung wurde auch die russische Mobilmachung angeordnet. In Paris stieß das unnachgiebige Vorgehen Österreich-Ungarns auf großes Unverständnis. Die französische Regierung hatte zwar das Bündnis mit Russland bekräftigt, wollte aber einen Krieg vermeiden. Bienvenu-Martin, der stellvertretende Außenminister telegraphierte seinem Gesandten in London:
Die Mächte und insbesondere Russland, Frankreich und England haben durch ihre dringenden Ratschläge Belgrad zum Nachgeben bestimmt. Sie haben also ihre Aufgabe erfüllt; jetzt ist es an Deutschland, das allein in der Lage ist, … Ratschläge an Österreich zu geben...
Bienvenu-Martin sollte einen Tag später im Gespräch mit dem deutschen Botschafter in Paris den wohl klügsten Satz der Julikrise prägen:
Das beste Mittel zur Vermeidung eines allgemeinen Krieges ist die Verhinderung eines lokalen.
Am 30. Juli wuchs der Druck der Militärs auf Bethmann. Ihre Kriegsstrategie verlangte schnelles Vorgehen, vor allem im Westen. Der preußische Kriegsminister von Falkenhayn bestand auf der Verkündung des „Zustands drohender Kriegsgefahr“. Der Generalstabschef Helmuth von Moltke drängte seinerseits in einem Memorandum an Bethmann auf die deutsche Mobilmachung (inklusive der Besetzung Luxemburgs und Lüttichs). Doch Bethmann (die Kanzlerbürde!) zögerte. Ihm ging es weiterhin um die Neutralität Englands und um das „taktische Eventualziel in der Julikrise“ (Imanuel Geiss), Russlands Generalmobilmachung als Auslöser des „Großen Krieges“, das despotische Zarenreich als einzigen Aggressor erscheinen.
Am selben Tag teilte Sasanow dem deutschen Botschafter seine „Friedensformel“ mit: Wenn Österreich-Ungarn anerkennt, dass der Streifall mit Serbien von europäischem Interesse ist und aus dem Ultimatum an Serbien die Angriffe auf die serbischen Souveränitätsrechte entfernt, stellt Russland alle militärischen Vorbereitungen ein. Der Befehl der Generalmobilmachung sei allerdings nicht mehr rückgängig zu machen. Daran sei die österreichische Mobilmachung schuld.
Am Vormittag des 31. Juli erhielt Bethmann die lange erwartete Nachricht seines Petersburger Botschafters: Russland hatte umfangreich teilmobilisiert. Moltke verlangte immer eindringlicher die Mobilisierung. Erst am Abend brachten die Militärs Bethmann dazu, die endgültige Entscheidung für den nächsten Tag gegen Mittag festzulegen. Buchstäblich 5 Minuten vor 12 erreichte die versammelten Entscheider die Nachricht: Petersburg hat die allgemeine Mobilisierung befohlen. So wie Österreich an eben diesem Tage – übrigens in Unkenntnis der russischen Mobilmachung. Noch am Abend gingen von Berlin aus ultimative Anfragen an Petersburg und Paris. Die Kriegserklärungen wurden entworfen.
Ebenfalls am Vormittag desselben Tages fand eine gemeinsame Sitzung von Partei- und Fraktionsvorstand der SPD statt. Es wurde deutlich, dass die Mehrheit die Kriegskredite verweigern wollte. Die Nachricht von der Generalmobilisierung Russlands veränderte jedoch die Haltung der Abgeordneten radikal – kriegsradikal.
Am 1. August befahlen Deutschland und Frankreich ihre Generalmobilmachungen. Am Abend wurde Russland die Kriegserklärung übergeben. Am 2. August erging an den deutschen Gesandten in Brüssel die oben erwähnte Aufforderung inklusive Ultimatum (von Moltke auf 12 Stunden gekürzt) an Belgien zu übergeben. Die belgische Regierung lehnte am 3. August ab. Einen Tag später begann der Einmarsch deutscher Truppen in Belgien, Er wurde durch Falschnachrichten legitimiert. Keine Falschmeldungen waren die Greuel deutscher Soldaten in Belgien. Alles lief nach (Schlieffen-)Plan. Am 3. August erklärte man Frankreich den Krieg
Der "herkömmliche Krakeel ist vorüber"
Am selben Tag präsentierte Bethmann-Hollweg den Vorsitzenden der Reichstagsfraktionen seine Regierungserklärung vom 4. August. Philipp Scheidemann war mit seinem Ko-Vorsitzenden Haase anwesend (am Tage zuvor hatte sich der Fraktionsvorstand mit 4:2 für die Kriegskredite ausgesprochen). Man verstand sich. Scheidemann berichtete später:
Gegen ½1 Uhr kam der Kanzler. Er sah sehr zermürbt aus. Er drückte jedem die Hand; ich hatte das Gefühl, dass er mir die Hand auffällig fest und lange drückte, und als er dann sagte: »Guten Morgen, Herr Scheidemann!« da war es mir, als hätte er mir zu verstehen geben wollen: Du, jetzt ist unser herkömmlicher Krakeel vorläufig hoffentlich vorüber!
Am Vormittag desselben Tages sprach der Kaiser im Berliner Schloss vor bürgerlichen und konservativen Abgeordneten. Er benutzte die von Bethmann-Hollweg vorformulierten Worte:
Ich kenne keine Parteien mehr. Ich kenne nur noch Deutsche. Zum Zeichen dessen, daß sie fest entschlossen sind, ohne Parteiunterschied, ohne Stammesunterschiede, ohne Konfessionsunterschied durchzuhalten mit mir durch dick und dünn, durch Not und Tod, fordere ich die Vorstände der Parteien auf, vorzutreten und mir das in die Hand zu geloben.
Sie gelobten.
Am Nachmittag wurde im Reichstag über die Kriegskredite in Höhe von 5 Milliarden Reichsmark abgestimmt. Viele Abgeordnete waren in Uniform erschienen. Sie alle hatten von der Regierung eine „Vorläufige Denkschrift und Aktenstücke zum Kriegsausbruch“ erhalten. Die „Debatte“ dauerte gerade einmal eine Stunde. Bethmann-Hollweg trug seine Rede vor:
Wir wollten in friedlicher Arbeit weiterleben, und wie ein unausgesprochenes Gelübde ging es vom Kaiser bis zum jüngsten Soldaten: Nur zur Verteidigung einer gerechten Sache soll unser Schwert aus der Scheide fliegen. Der Tag, da wir es ziehen müssen, ist erschienen – gegen unseren Willen, gegen unser redliches Bemühen. Russland hat die Brandfackel an das Haus gelegt...
Ausgerechnet der Kriegskreditegegner Hugo Haase redete als Fraktionsvorsitzender der SPD (in Abwesenheit von Friedrich Ebert):
Die Sozialdemokratie hat diese verhängnisvolle Entwicklung mit allen Kräften bekämpft, und noch bis in die letzten Stunden hinein hat sie durch machtvolle Kundgebungen in allen Ländern, namentlich im innigen Einverständnis mit den französischen Brüdern für die Aufrechterhaltung des Friedens gewirkt. Ihre Anstrengungen sind vergeblich gewesen. Jetzt stehen wir vor der ehernen Tatsache des Krieges. Uns drohen die Schrecknisse feindlicher Invasionen. Nicht für oder gegen den Krieg haben wir heute zu entscheiden, sondern über die Frage der für die Verteidigung des Landes erforderlichen Mittel (Protokoll: Lebhafte Zustimmung der bürgerlichen Parteien).
Haase sprach auch über die kommenden Opfer, die die Soldaten und auch ihre Angehörigen zu bringen hätten, um dann fortzufahren:
Für unser Volk und seine freiheitliche Zukunft steht bei einem Sieg des russischen Despotismus, der sich mit dem Blut der Besten des eigenen Volkes befleckt hat viel, wenn nicht alles auf dem Spiel. Es gilt diese Gefahr abzuwenden, die Kultur und die Sicherheit unseres eigenen Landes sicher zu stellen. Da machen wir wahr, was wir immer betont haben: Wir lassen in der Stunde der Gefahr das eigene Vaterland nicht im Stich.
Alle Abgeordneten erhoben sich und applaudierten, d.h., fast alle: die Konservativen blieben sitzen. Noblesse oblige.
Zu dem Zeitpunkt waren die deutschen Truppen schon in Belgien einmarschiert. Auch England hatte nun den Krieg erklärt. Alle standen nun „vor der ehernen Tatsache des Krieges“. Während die deutschen Sozialisten im „reaktionären Zarenreich“ den Aggressor sahen, war der Feind der französischen Sozialisten der „preußische Militarismus“. C'est la guerre.
Mit der Bewilligung der Kriegskredite und der Abtretung der wichtiger legislativer Kompetenzen verabschiedete sich zunächst auch der Parlamentarismus. Der Kaiser fungierte als Oberster Kriegsherr. Die Exekutive ging an die Militärbefehlshaber. Die gesamte Zivilverwaltung wurde unter militärische Aufsicht gestellt, die Versammlungsfreiheit eingeschränkt und die Presse zensiert. Verstöße gegen den „Belagerungszustand“ wurden von Kriegsgerichten geahndet. Es war Krieg.
Und die Internationale? Welche Internationale?
Christopher Clark, Sleepwalkers. How Europe went to war in 1914. London 2012
Fritz Fischer, Juli 1914: Wir sind nicht hineingeschlittert. Reinbek 1983
Imanuel Geiss, Juli 1914. München 1980 (dtv-dokumente)
Klaus Gietinger/Winfried Wolf, Der Seelentröster. Wie Christioher Clark die Deutschen von der Schuld am 1. Weltkrieg erlöst. Stuttgart 2017
Wolfgang Kruse (Hrsg.), Eine Welt vonm Feinden. Der Große Krieg 1914-1918. Frankfurt 1997
André Loez/Nicolas Offenstadt, La Grande Guerre. Paris 2014
Heiner Karuscheit, Deutschland 1914. Vom Klassenkompromiss zum Krieg. Hamburg 2014
Wolfram Wette, Ernstfall Frieden. Bremen 2017
Kommentare 44
Zwar habe ich auch kurz an damals gedacht, aber nicht so ausführlich.
Also die SPD hat so entschieden. Hätte sie anders können? Wie wäre die Geschichte dann weiter gegangen? Kann man das mit heute vergleichen? Was für Lehren sollte man daraus für heute ziehen?
"Da steh' ich nun, ich armer Tor, Und bin so klug als wie zuvor! "
"Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen,
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der Türkei,
Die Völker auf einander schlagen."
Ja, was lehrt uns das heute? Vor allem, vorsichtig im Urteil bei Schuldzuweisungen zu sein. Sicher, Die Russische Föderation (um einmal von der nicht immer hilfreichen Personalisierung weg zu kommen) hat den eigentlichen Krieg begonnen. Und damit sind wir wieder bei 1914. Den "eigentlichen" Krieg, also faktuelles militärisches Operieren, hat Österreich begonnen (Kriegserklärung an Serbien, Beschießung von Belgrad), Russland hat "nur" reagiert (so, wie es damals üblich war). Der zweite "eigentliche" Aggressor war das Deutsche Reich mit dem Überfall auf Belgien. Interessanterweise übersehen die begeisterten Clarkleser ("Schlafwandler") und - vor allem - dessen nationalistischen Vorgänger seit 1914 dieses Faktum. Sie fokussieren sich auf die diplomatische Vorgeschichte. Und die gibt immer Raum für Interpretationen (Taktik und Strategie. Was bedeutet in welcher Situation welche Erklärung? Wahrheit oder Finte? Ist eine Mobilmachung gleich eine manifeste Kriegsdrohung?), Interpretationen, die auch von unserem gegenwärtigen Interesse gelenkt werden, un- oder doch absichtlich.
Unter den Clark (oder Münkler-)Fans vermute ich nicht wenige, die heute beim Ukrainekrieg einer anderen Logik folgen, nach der - anders als angeblich 1914 - der "eigentliche" Aggressor sonnenklar ist, nämlich Putin (der seinerseits eher das Argument der damaligen Mittelmächte übernimmt, einen Präventivkrieg zu führen). Die diplomatische Vorgeschichte wird marginalisiert.
Ich will nicht zu ausführlich werden. Interessant scheint mir aber ein Vergleich des Verhaltens der SPD-Führung 1914 und heute (sowieso). Scholz führt uns quasi wie Bethmann-Hollweg durch die Krise, mal martialisch ("Zeitenwenderede"), mal, zumindest nach außen, zögerlich. Ich glaube (oder hoffe eher), dass da noch ein wenig sozialdemokratischer Pazifismus à la Heinemann in ihm steckt. Selbst der steife bürgerliche Hanseat war einmal Juso. Erleichtert ihm die Tatsache, dass es wieder gegen ein nicht gerade demokratisches Russland geht (die Legitimation von 1914) die Entscheidungen? In historisch-analoger Perspektive ist es überigens spannend, dass ihm -atmosphärisch - der alte bellizistische Vorwurf der Unzuverlässigkeit der Sozialdemokraten, die mangelnde Entschlossenheit zur Wehrhaftigkeit vorgeworfen wird, gegen den die SPD vor 1914 zu kämpfen hatte. Die Rolle der unbedingten Kriegsbefürworter von 1914 übernehmen nun paradoxerweise auch die Pazifisten von einst, natürlich neben den Bundeswehrreservisten und Lobbyisten von FDP und CDU. Ich vereinfache hier etwas.
Es gibt noch viele andere Aspekte (Wirtschaft-Gesellschaft-Politik/Außenpolitik als Innenpolitik und retour/die fatale Tendenz des Krieges sich auszubreiten/der Umgang mit dem Verrecken der Freunde und dem der Feinde/das Medienspiel/die leider überall fehlende Quellenkritik u.v.a.m.)
"Sag mir wo du herkommst und ich sage dir wo du hingehst" meinte schon Konfuzius.
Dieser Ausflug in deutsche Geschichte zeigt paralell Linien zum heutigen Konflikt auf und es wäre dringend anzuraten daraus die notwendigen Schlüsse zu ziehen, damit sich kein Weltenbrand entwickelt. Wesentlich dabei ist für mich folgende Aussage:
"Bienvenu-Martin sollte einen Tag später im Gespräch mit dem deutschen Botschafter in Paris den wohl klügsten Satz der Julikrise prägen:
Das beste Mittel zur Vermeidung eines allgemeinen Krieges ist die Verhinderung eines lokalen."
Was leider mit Minsk II gescheitert ist ...
merci für den sinnstiftenden Beitrag @wwalkie
Danke für die Erläuterungen! Aber Sie schreiben so anspruchsvoll, da brauche ich als Laie Zeit.
Ich bleib dann doch lieber bei Fritz Fischer. Der hat genauer geguckt nach der Mentalitätswelt im deutschen Kaiserreich und kam zu einem eindeutigen Schluss. Den halte ich immer noch für überzeugend, alles nachgereichte hat die Vorstellungswelt der damaligen deutschen Führung mit einem Blitzkrieg eine Hegemonialstellung zu erreichen, nicht widerlegen können. ( zumindest mir nicht.)Und vielleicht können dann in einigen Jahrzehnten spätere Historikerinnen die Mentalitätsgeschichte in der Russischen Föderation herausarbeiten und uns (uns nicht mehr, den Nachkommen halt) erklären, wie es zu diesem Krieg kam.
Gerade ist alles eitel spekulieren.
Fritz Fischer hat in den 60ern und 70ern Enormes geleistet, wissenschaftlich und politisch. Seine Schüler (aber auch DDR-Historiker) haben die deutsche Erste-WK-Historie buchstäblich entrümpelt. Entsprechend groß war der tapfere Widerstand der Defensivkrieg-Befürworter, auch mithilfe des Außenminsteriums. Interessanterweise lebte diese konservative Sicht friedlich weiter, um dann 2014 zum Hundertjährigen mit den Schwarten von Clark und Münkler wie befreit aufzutrumpfen. Mit der "Exkulpierung" der deutschen Politik, der sich bei einigen HistorikerInnen (auch im Freitag) locker und flockig die Rede von der "reformbegeisterten Zivilgesellschaft" anschloss, sollte der Schatten des Wilhelminischen Reiches verblassen und Deutschland, also "Wir", endlich wieder eine selbstbewusste und robuste (wehrhafte) Außenpolitik führen können.
Mir ging es im Beitrag um die beiden politischen "Linien" der deutschen Regierung und der Sozialdemokratie in der (aktualisierbaren?) Frage des Krieges. Sie verliefen zunächst in gegensätzliche Richtungen, dann näherte sich die SPD-Linie plötzlich der ersteren an (die auf sie zu warten schien), die beiden Linien laufen eine Zeitlang zusammen, um sich dann wieder zu trennen, dies aber (siehe Ende des Krieges, Revolution 1918/19) nie völlig (Zusammenarbeit mit Reichswehr).
Mir scheint das alles doch irgendwie wie ein Rückwärts-Escapismus und es bleibt der letzte Satz: "Es ist Krieg". Ich kann da keine Lehren ziehen oder wenn daraus Lehren gezogen werden sollten: Welche? Lieber wwalkie - es ist eben brutale Gegenwart und die Parallelen schneiden sich im Unendlichen.
das „Ja“ wird aber die Stellung der Sozialdemokratie gewaltig stärken... eine starke demokratische Welle wird nach dem Kriege kommen.
Damit hatte David jedenfalls nicht Unrecht, wenn auch unter weitaus weniger günstigen Vorzeichen ab 1919, als er vermutlich meinte. Sozialdemokratie ist eben auch Real- und Machtpolitik, und vor allem letzterer zuliebe macht sie auch Kompromisse.
Wer das nicht alzeptabel findet, muss ja nach den Zeiten, in denen erlebt, USPD oder "Die Linke" wählen.
Etwas vergröbert vielleicht, aber ich denke, das trifft es.
"Aus der Geschichte lernen" sagt sich sehr schön, ist aber irreführend. Die Geschichte ist ein Zerrspiegel des Heute - bestenfalls.
""Aus der Geschichte lernen" sagt sich sehr schön, ist aber irreführend."
Das hätte ich gern näher erläutert.
Ausgerechnet jetzt ist "brutale Gegenwart" - Zufälle gibts.
Das hätte ich gern näher erläutert.
Dann drücken Sie am besten die Antwortfunktion - das steigert die Wahrscheinlichkeit, dass Wünsche wahr werden, ganz erheblich.
Das damalige Deutsche Reich sah sich als Aufsteiger und als Opfer zugleich, dem sein "Erfolg geneidet" wurde. Das war ein Zustand, unter dem Sozialdemokraten weniger litten als Bürgerliche, weil sie ganz andere Probleme hatten, aber das änderte nichts daran, dass die beleidigten Leberwürste und Kriegsprofiteure ihre Forderungen an sie - die Sozialdemokraten - herantrugen, und dass die SPD dazu Entscheidungen treffen musste.
Das heißt: damals wie heute ist die SPD die Partei "kleiner Leute" oder allenfalls der unteren Mittelschicht, aus der "man" es vielleicht, als höchstes der Gefühle, in eine Schulleiter- oder Sparkassenleiterfunktion, ein Parlament oder in einen Gazprom-Aufsichtsrat schafft.
Aber die Konstellationen, in der solche Forderungen an Sozialdemokraten herangetragen werden, ändern sich durchaus.
Finden Sie nicht? Soll ich das ebenfalls näher erläutern?
Schlecht gelaunt?
Ich denke, dass ich ziemlich differenziert auf die Frage nach den aktuellen Lehren geantwortet habe. Ich habe auch - trotz oder wegen aller verfügbaren Quellen - auf die Schwierigkeiten hingewiesen, eindeutige Urteile zu fällen (was für ein Verb übrigens). Aber die müssen sein. Trotz alledem.
Die große Lehre des Ersten Weltkrieges ist natürlich glasklar: Nie wieder!
Dafür braucht es aber die historische Erinnerung, z.B. an die "Julikrise" 1914, z.B. an das Verhalten unterschiedlicher Protagonisten in derselben, konkret der deutschen den Krieg anstrebenden Regierung (gepuscht, manchmal gegen ihre strategische Absicht, von den militärisch-industriellen Eliten und denn konservativen Parteien) und den bis dato offiziell pazifistischen Sozialdemokraten, die angesichts einer vermeintlichen Bedrohung zu Bellizisten wurden. Und damit Partner der Kriegstreiber. Alle gingen auf in einem Deutschland, das keine Parteien mehr kannte (so zumindest Willem II).
Meinen Sie nicht, dass man aus dieser historischen Situation etwas für die heutige lernen könnte? Über Strategien und Taktik, über die Macht des Patriotismus, der nur einen üblen Nationalismus kaschiert, über die Macht der Medien, die Rolle der Lobbyisten, der Rüstungsindustrie, über das Vorsichhertreiben der politischen Entscheider (Bethmann-Hollweg, heute Scholz), die Stärke von Imperien, die oft mäandernden, nicht immer parallelen Kontinuitätslinien, das Einknicken von Kriegsgegnern, die entsetzliche Dynamik eines begonnenen Krieges - ach, ich höre hier auf.
Ich bin mir sicher, das ist das rationale Gegenteil eines "Rückwärts-Eskapismus". Das Wort gehört übrigens in die Sprache der Bellizisten von heute, die denen von 1914 mehr ähneln, als sie glauben. Glauben Sie mir. 1914 sprach David vom "Umlernen", heute ist Pazifismus "aus der Zeit gefallen". Die Gegenwart hat recht. Glauben sie.
Nö. Aber sehr darum besorgt, meinen Mitforisten gerecht zu werden. Das geht aber nur, wenn sie auf sich und ihre Bedürfnisse aufmerksam machen.
Ihr überflüssiger Hinweis auf die Antwortfunktion (kennt ja jeder, aber manchmal trifft man halt den falschen Button) schien mir auf Verärgerung hinzudeuten. Auch Ihr etwas herablassender Schlusssatz wies in diese Richtung.
Dabei war meine Frage völlig neutral. Ich wollte einfach wissen, wie Sie das verstanden wissen wollen. Soll das heißen, dass wir der Vergangenheit nichts Handlungsleitendes für die Gegenwart entnehmen können, oder meinten Sie was anderes?
Ihr überflüssiger Hinweis auf die Antwortfunktion (kennt ja jeder, aber manchmal trifft man halt den falschen Button) schien mir auf Verärgerung hinzudeuten.
Ich halte solche Hinweise für wichtig, werde mich aber darüber nicht mit Ihnen streiten.
Soll das heißen, dass wir der Vergangenheit nichts Handlungsleitendes für die Gegenwart entnehmen können, oder meinten Sie was anderes?
Man kann unter sehr glücklichen Umständen vielleicht der Vergangenheit etwas Handlungsleitendes entnehmen. Praktisch aber funktioniert das fast nie, weil der Rückspiegel naturgemäß verzerrt ist.
Zum Beispiel haben bei der Beurteilung der russischen Absichten gegenüber der Ukraine der polnische Mainstream oder Beobachter wie hier in der FC Herr Jonas, Kolobok oder Mbert richtiger gelegen als ich (und vermutlich als Sie). Trotzdem glaube ich nicht, dass z. B. diese recht mittel- und osteuropakundigen Foristen ihre zutreffenden Ansichten vornehmlich aus der Historie gezogen haben (z. B. im Sinne von Universalschlüsseln wie "Appeasement funktioniert nie"). Sie waren "nur" aus verschiedenen Gründen näher dran als ich (oder vermutlich sie).
Und weder Sie noch ich haben die russischen Absichten der Ukraine gegenüber vermutlich falsch eingeschätzt, weil wir auf Blicke in den Rückspiegel verzichtet hätten. Wir waren "nur" nicht dicht genug dran am Problem.
++ Meinen Sie nicht, dass man aus dieser historischen Situation etwas für die heutige lernen könnte? Über Strategien und Taktik, über die Macht des Patriotismus, der nur einen üblen Nationalismus kaschiert, über die Macht der Medien, die Rolle der Lobbyisten, der Rüstungsindustrie, über das Vorsichhertreiben der politischen Entscheider (Bethmann-Hollweg, heute Scholz), die Stärke von Imperien, die oft mäandernden, nicht immer parallelen Kontinuitätslinien, das Einknicken von Kriegsgegnern, die entsetzliche Dynamik eines begonnenen Krieges - ach, ich höre hier auf. +
"Die entsetzliche Dynamik eines begonnenen Krieges" sehe ich auch. Aber alles andere, lieber wwalkie, wird weniger zum "Lernen" führen, sondern die Komplexität der Erinnerung wird davon ablenken, was jetzt aktuell zu streiten ist.
Was ich "lerne" und "sehe" ist, dass es offensichtlich doch von den Anlässen für einen Konflikt abhängt, wie sie in bestimmten Kreisen debattiert werden. "Patria o muerte" rief Fidel Castro und es war weltweite Solidarität und nicht "Frieden". Für Waffen wurde gesammelt von linken Kampfgenossen.
Die Ukraine gilt bei vielen "Linken" noch immer als eine Art von bösem Instrument gegen Russland, das in sich selbst gar keine wirkliche Berechtigung hat. Und dann kommt - natürlich - der ganze geostrategische Hintergrund, der verdeckt, dass es dort wirkliche Menschen gibt. Natürlich gibt es "Hintergründe" , aber es gibt einfach die Tatsache, dass Russland sich gegen ein Land wendet, das sich von ihm abgewendet hat - natürlich mit Hilfe vieler verbündeter Freunde.
Für mich und viele andere ist das Ganze im Moment aber auch Anlass für andere historische Erkundungen und Blicke: Auf die Wurzeln russisch-sowjetisch-russischer Politik, auf die Geschichte eines Landes, das sich aus autoritären Strukturen nicht befreien kann, das - außer militärischer Stärke - wenig Anziehung hat und das seine Chance darauf nicht genutzt hat. Das aus dem einstigen Sieg gegen den deutschen Faschismus plötzlich eine Daueraufgabe weltweit ableitet. Und auch auf die Orwellschen Sprachverwirrungen von der "Spezialoperation" , die sonst immer im westlichen Lager diagnostiziert werden. Das weckt auch erschreckende Assoziationen. Es ist schon interessant, da mal russische Verlautbarungen, von Putin selbst und von regierungsnahen Autoren zu lesen.
Ging zwar nicht an mich, aber mir fiel - wenn es historische Assoziationen gibt - andere Sachen ein. Aber, die werde ich unter meinen wwalkie-Kommentar noch anfügen.
Zitat: "Aber alles andere, lieber wwalkie, wird weniger zum 'Lernen' führen, sondern die Komplexität der Erinnerung wird davon ablenken, was jetzt aktuell zu streiten ist."
Was bitte ist daran "komplex"? Wer beim Krieg mit "Komplexität" argumentiert, der will nichts aus der Geschichte lernen, der will die Vergangenheit einfach nur ausblenden und verdrängen.
Mit Ausnahme der Rüstungsindustrie und Spekulanten/Aktionäre, die vom Krieg profitieren, weil sie damit Milliardengewinne machen, und der Lamettaträger, die sich noch einen Orden an die Brust heften dürfen, ist jeder Krieg aus der Sicht eines objektiven und neutralen Dritten für die Menschen, die vom Krieg direkt oder indirekt betroffen sind, ein großer stinkender Misthaufen.
Das gilt aber für ALLE Kriege und nicht nur für diesen einen ganz speziellen "aktuellen" Krieg Russlands in der Ukraine. Das gilt nämlich auch für die vielen Kriege, die die USA, Frankreich, Großbritannien und/oder andere Staaten im Namen der "Freiheit", der "Demokratie" oder aus irgendeinem anderen imaginären Grund seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges angefangen haben.
Nur weil viele Kriege in den meisten wertewestlichen Medien nicht als Kriege sondern als "militärische Interventionen" bezeichnet werden, wird kein Toter wieder lebendig.
War der Krieg der USA gegen Vietnam etwa kein Krieg? Im Laufe des Vietnamkrieges wurden von den USA rund 400 Kilogramm pures Dioxin in Form von Agent Orange flächendeckend über Südvietnam verstreut. Was die Erfindung neuer Waffen angeht, mit denen man andere Menschen umbringen kann, waren die US-Amerikaner schon immer sehr kreativ, viel kreativer als zum Beispiel die Russen, obwohl die robuste Kalaschnikow von einem Russen entwickelt wurde.
Konservativen Schätzungen zufolge liegen im Boden Vietnams heute noch rund 200.000 bis 300.000 Tonnen nicht explodierter Kriegsmunition.
Entweder gehören Sie, werte Frau, zu den Bürgerinnen/Bürgern, die ihre einseitige Argumentation nicht sehen können, weil Sie auf einem Auge blind sind, oder Sie sehen es, es fehlt Ihnen aber das Rückgrat, das offen zuzugeben.
Die Argumentation mit der "Komplexität der Erinnerung" ist so einseitig und scheinheilig wie die Forderung bestimmer Bürger für die Freiheit auch mal frieren zu können, wenn man selbst vor dem warmen Kaminfeuer sitzt, dabei ein Glas teuren Rotwein schlürft und nicht davon betroffen ist.
Auch der Krieg in der Ukraine wird irgendwann ein Ende finden und dann kommt der nächste Krieg bzw. die nächste "militärische Intervention".
Und was sagen die medialen Experten von Tagesschau, Tagesthemen, heute journal und andere zur Frage, wann eine militärische Intervention endet und ein richtiger ordentlicher Krieg beginnt?
Noch eine historische Erkundung ging mir durch den Sinn.
Deutschland nach dem I. Weltkrieg: Die Versailler Verträge mit ihrer demütigenden Intention. Könnte das nicht auch in Russland - beim russischen Präsidenten - eine Rolle spielen? Es geht da weniger um Reparationen, aber darum, dass nach 1989 die Sowjetunion nichts gewonnen hat, was ihren Zerfall kompensieren könnte. Das Gefühl, dass jene, die einst vom Faschismus befreit wurden, jetzt so groß dastehen.
Das Gefühl, eingekreist zu sein von feindlichen Mächten. Dieses Gefühl wird ja auch mit der NATO-Osterweiterung bedient und von der russischen Seite gepflegt. Es gibt genügend auch russische Strategen, die darin keine Bedrohung sahen, wohl aber eine Demütigung.
Das Wort von Barack Obama, dass Russland nur noch eine Regionalmacht sei. Diese Aspekte erinnerten mich eher an historische Ereignisse in Deutschland. Es ging ja auch die Rede, dass der II. Weltkrieg durch diese Demütigungen auch begründet wurde. Wenn Sie sich Russland anschauen und dessen nationalistische Agenda, dann kommt manches wieder in den Sinn, das mit faschistoiden Beimengungen beschrieben werden könnte.
++ Was bitte ist daran "komplex"? Wer beim Krieg mit "Komplexität" argumentiert, der will nichts aus der Geschichte lernen, der will die Vergangenheit einfach nur ausblenden und verdrängen. ++
Warum, bitte, wollen Sie denn mit mir streiten? Ich habe bei wwalkie kritisiert, dass er zu sehr - aus meiner Sicht - diesen einen SPD-Aspekt jetzt analysiert, der für das heute nicht so sehr viel hergibt. Alles, was Sie über den Krieg sagen, stimmt, aber Sie sagen mir damit nichts Neues.
Aber, auch der Blick auf vergangene Interventionen und Kriege - es gab ja auch sowjetische, aber egal - ändert nichts daran, dass jetzt gerade Russland die Ukraine überfallen hat.
++ Entweder gehören Sie, werte Frau, zu den Bürgerinnen/Bürgern, die ihre einseitige Argumentation nicht sehen können, weil Sie auf einem Auge blind sind, oder Sie sehen es, es fehlt Ihnen aber das Rückgrat, das offen zuzugeben. ++
Mir scheint, Sie brauchen mich dringend als "blind", "rückgratlos" - früher auch als "Merkelgroopie". Das Bild sollten Sie konservieren und mich in Frieden lassen. Wie wärs denn damit?
Ich denke, die Gemeinsamkeit von 1914 und 2022 besteht darin, dass die Wende der Sozialdemokraten die Öffentlichkeit überraschte. Ansonsten ist (fast) alles anders. Vor allem: damals die Zustimmung zur Finanzierung eines Kriegs, der Deutschland zur Weltmacht führen sollte – heute der problematische (aber, wie ich meine) notwendige Versuch, mit der Lieferung schwerer Waffen im Bündnis mit anderen ein souveränes Land vor der Vernichtung durch eine aggressive, kriselnde Weltmacht zu bewahren.
Herrn Brecht ignoriere ich nicht mal. Füttern schadet nur.
Ich habe soeben die parlamentarische Rede des nicht sehr beliebten, aber doch sachkundigen Politikers A. G. gehört. Der erinnerte an die Besiegten vergangener Kriege und deren Entwicklung ins Extreme, wie es in Deutschland nach 1919 geschah. Dann erinnerte er an die Jelzin Ära der 1990er Jahre mit dem neoliberalen Ausverkauf unter "westlicher" Hilfe und an die Osterweiterung mit ihrem aus der Sicht Russland bedrohlichen und demütigenden Szenarium.
Das ist eine Sicht, die durchaus Konsens hätte sein könnte, aber sie weckt auch neue Besorgnisse. Heute warnte der Parlamentarier davor, dass aus solcher Demütigung, der Aussicht auf eine Niederlage, auch eine Atombombe möglich wäre. Ich ringe mit mir, ob es dann nicht doch das neue "Rezept" auch anderer atomwaffenbesitzender Staaten werden könnte, alle naselang mit der Bombe zu drohen, wie es ja Kim Jong Il andauernd betreibt. Sich da zu beugen könnte genau so ein Gang von Niederlage zu Niederlage für die Staaten sein, die diese Drohung nicht andauernd ausstoßen können.
Nun wurde von Sicherheitsexperten die Befürchtung geäußert, dass der Ausbau von als klimafreundlich geadelten AKWs zu neuen Sicherheitsrisiken führt, da diese zu potentiellen Angriffszielen werden. Der Angreifer braucht dann gar nicht mehr selbst Atomwaffen zu besitzen.
Diese Demütigung hat Putin niemals vergessen
Hier ist ein ganz interessantes Interview mit Baberowski, der u. a. auf das Thema Demütigung- auch durch westliche Berater - eingeht.
Nun ja. "Manches lässt sich aus seinem Lebenslauf herauslesen" hat ebenfalls Ähnlichkeit mit "wer-steht-neben-wem". Aber dass er im KGB einen Sinn fürs Timing entwickelt hat, dürfte außer Frage stehen.
Aber dass endlich mal jemand von Ethik spricht, um die Politik der Bundesregierung zu beschreiben, finde ich erfreulich. Das Lobogelaber von links bis rechts ist ziemlich stumpf.
Warum gibt es keine große, ausführliche und quellenkritische Biographie über Philipp Scheidemann? Vielleicht darum: Auszug aus dem Kriegstagebuch des Abgeordneten Eduard David, eines maßgeblichen Vertreters des rechten Flügels in der SPD (gedruckt S. 16f.) "Sonnabend, 15. August [1914]. Zusammenkunft im Café Austria: Göhre, [Gustav] Bauer (....) Scheidemann (...). Man vertritt die Auffassung, daß die deutsche Regierung den Krieg gewollt habe als Präventivkrieg. Scheidemann ist davon überzeugt und scheint besondere Anhalte dafür zu haben. ... " Danach fanden Erörterungen darüber statt wie man die Linken (die "den alten Faden weiterspinnen wollen") von der Partei abspalten kann.
David kam darauf später anläßlich der Debtten um den Versailer Vertrag zurück und wurde von Scheidemann abgebügelt. An keiner Stelle aber hat sich Scheidemann zur Kriegsschuld offiziell geäußert, sondern dies tunlichst vermieden.
Immerhin gibt es zum Thema und zum Ersten Weltkrieg insgesamt Scheidemanns Buch, Der Zusammenbruch. Berlin 1921 in Online-Fassung. Sagt viel über die Sicht der rechten Sozialdemokraten von damals (die heute wieder eher links wären) aus.
https://www.projekt-gutenberg.org/scheidema/zusammen/titlepage.html
danke @magda,für den guten link.
danke für den guten link.
die damaligen akteure hatten keine distanz zu ihren realitäts-
konstruktionen.
sie hielten sie für un-um-stößliche entitäten,
die bedauerlicherweise ihren tribut einforderten....
naheliegend-erscheinende setzungen wurden zu imperativen...
Noske, also DER, der hieß mit Vornamen Gustav und nicht Erich.
Natürlich, danke! Wie komm' ich nur auf Erich?
Man mag dieses "Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche" ja gar nicht mehr wiederkauen. Aber zuweilen kommt es im anderen zeitadäquaten Kostüm (Anzug, offenes weißes Hemd) zurück. Wenn's um "Gemeinsamkeit" geht, ist die "SPD 2022" kaum zu toppen. "Aus der Mitte des Bundestages" attackiert der Vorsitzende Lars Klingbeil am 28.4. Friedrich Merz:
"Herr Merz, das hätte eine staatspolitische Rede werden können, es ist eine parteipolitische Rede geworden... Hier ist kein Platz für parteipolitische Profilierung!"
In der "Staatspolitik" kennen die Sozis keine Parteien mehr. Das sollten sich die Konservativen hinter die Ohren schreiben.
Ist die Ukraine ein souveränes Land. Seit spätestens 2014 haben dort doch die atlantischen Strippenzieher das Wort.
wwalkie, gehen Sie dem intriganten Scheidemann doch nicht auf den Leim. "Der Zusammenbruch" erschien im Verlag für Sozialwissenschaft eines gewissen Parvus Helphand. Dort erschien auch "Die Glocke" der von links nach rechts gewndelten Sozialdemokraten wie Paul Lensch, die den "Kriegssozialismus" marxistisch begünden wollten. Und bezeichnend: eine Zeitlang war Hugo Stinnes einer der Finanziers der Verlagspublikationen.
Mit kurzen Worten: die linken Sprüche war der innerparteilichen Stärke der linken Kriegsgegner*innen innerhalb der deutschen Arbeiterbewegung geschuldet. Mit anderen Worten: das alles diente der Rechtfertigung in den inneren Debatten der Sozialdemokratie. Da galt Tarnen und Täuschen.
Keine Angst, ich gehe Scheidemann nicht auf den Leim. Der verlinkte Text ist das Muster einer Zurechtbiegung von Zeitgeschichte. Aber er ist eine interessante Quelle darüber, wie Scheidemann zu denken vorgab und wie seine Adressaten denken und sprechen sollten. Aber ich muss den Leser des Freitag nicht mit der Nase drauf stoßen. Das merken die schon selbst.
"Auf die Wurzeln russisch-sowjetisch-russischer Politik, auf die Geschichte eines Landes, das sich aus autoritären Strukturen nicht befreien kann, das - außer militärischer Stärke - wenig Anziehung hat und das seine Chance darauf nicht genutzt hat. Das aus dem einstigen Sieg gegen den deutschen Faschismus plötzlich eine Daueraufgabe weltweit ableitet."
Ich habs zweimal lesen müssen, um dann doch einsehen zu müssen, dass du jetzt scheints auch in das Lager derjenigen gewandelt bist, die seit über 100 Jahren immer wieder alles in ihre Russophobie reinsammeln, was diese frisch zu halten geeignet ist: "Russisch-sowjetisch-russisch" - eben alles eine Soße.
Und ein "Land, das aus dem einstigen Sieg gegen den deutschen Faschismus plötzlich eine Daueraufgabe weltweit ableitet". Echt jetzt?! So ernst und wörtlich wie du, nehmen sonst nur die den Putin, die ihn rechtfertigen wollen.
Deine bemerkenswerte sprachliche Subjektivierung eines (bösen?) Landes, das nun dies und jenes tut, sich rächt an einem anderen, dem also guten - bedeutet die, dass eherne national-mentale Kontinuitäten der Grund sind für Kriege?
Dann dies noch: Mit Castros Kuba war 1962 eben doch Frieden, denn die beiden antagonistischen Großmächte von damals sind eben nicht der Kriegslogik gefolgt.
"Zu dem Zeitpunkt waren die deutschen Truppen schon in Belgien einmarschiert. (...) Während die deutschen Sozialisten im 'reaktionären Zarenreich' den Aggressor sahen, war der Feind der französischen Sozialisten der 'preußische Militarismus'."
Ja, und die deutsche intellektuelle Elite (nicht nur deutsch-nationale Professoren, auch liberale, heute würde man sie "links" nennen, Literaten und Künstler wie G. Hauptmann, Max Liebermann oder Peter Behrens oder der Namensgeber der Friedrich-Naumann-Stiftung der FDP) rechtfertigten das von deutschen Truppen verübte Massaker Ende August im belgischen Löwen als eine notwendige Tat der Verteidigung der deutschen Kultur gegen England und Frankreich, die sich mit "russischen Horden" und Serben verbündet hätten und die "Mongolen und Neger auf die weiße Rasse hetzen" würden.
++ Ich habs zweimal lesen müssen, um dann doch einsehen zu müssen, dass du jetzt scheints auch in das Lager derjenigen gewandelt bist, die seit über 100 Jahren immer wieder alles in ihre Russophobie reinsammeln, was diese frisch zu halten geeignet ist: "Russisch-sowjetisch-russisch" - eben alles eine Soße. +
Jetzt bin ich schon in einem Lager- wie sinnreich.
Und ich arbeite mit bemerkenswerten sprachlichen Subjektivierungen. Hä? Das wäre dann sowas wie: "Der Russe an sich ist schlecht". Nein. Russland und seine Menschen sind nicht in meinem bösen Blick und das weißt Du auch. Manche Dinge auszusprechen ist nicht russophob.
Unter den deutschen Schriftstellern gab es keinen einzigen Romain Rolland (Au dessus de la mêlée/Über den Gräben), der dann auch im Ton der deutschen Herren der Welt von Mann, vom Thomas versteht sich, abgekanzelt wurde (Kultur versus Zivilisation etc.).Natürlich ganz "unpolitisch".
Schwierig, der Versuchung von (natürlich etwas schiefen) Analogien zu widerstehen ("Werte" gegen "Barbarei" usw.).
>>Zum Beispiel haben bei der Beurteilung der russischen Absichten gegenüber der Ukraine der polnische Mainstream oder Beobachter wie hier in der FC Herr Jonas, Kolobok oder Mbert richtiger gelegen als ich (und vermutlich als Sie). Trotzdem glaube ich nicht, dass z. B. diese recht mittel- und osteuropakundigen Foristen ihre zutreffenden Ansichten vornehmlich aus der Historie gezogen haben (z. B. im Sinne von Universalschlüsseln wie "Appeasement funktioniert nie"). Sie waren "nur" aus verschiedenen Gründen näher dran als ich (oder vermutlich sie).<<
Ich würde noch lettischer, estnischer, litauischer Mainstream einfügen.
Nicht zu vergessen, die amerikanischen Beiträge. Wobei das eine das andere bedingt.
Ich selbst habe erst nach dieser Nachricht unserer Presse, nicht mehr geglaubt, daß Russland weiterhin stillhält.
https://www.sueddeutsche.de/politik/konflikte-putin-erkennt-donezk-und-luhansk-als-unabhaengig-an-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-220221-99-221091
Für mich war dies das letzte Signal Putins an die westliche Welt.
Was denken Sie, könnte passieren, wenn ein Amerikaner in Den Haag angeklagt werden würde?
https://www.spiegel.de/politik/ausland/internationales-strafgericht-us-kongress-droht-niederlanden-mit-invasion-a-200430.html
Ich finde es auch nicht gut, wenn sich Staaten das Recht nehmen, sich außerhalb internationaler Gerichtsbarkeit zu stellen. Ich weiß auch, daß Russland ihn nicht anerkennt.
Allerdings gibt es eben Atommächte und die anderen Staaten.
Und das wäre für mich der Punkt, wo ich vorsichtig würde. Weshalb Diplomatie nicht die schlechteste Sache ist.
Wenn die USA in einem Zustand sind wie 2002 - also kurz vor der Irakinvasion -, müssten sich die Niederlande möglicherweise Sorgen machen. Allerdings haben die Demokraten das Gesetz laut Zitat in Ihrer Quelle "zu einem reinen Akt der Rhetorik", wenngleich "in rauer Sprache", gemacht.
Wenn man bedenkt, dass die USA damals gerade die Irakinvasion vorbereiteten, ist das für einen Tiefpunkt noch ganz nett.
Davon abgesehen würde ich mir wünschen, dass die Afrikanische Union ein Auslieferungsverbot erlässt. Es stehen auffallend viele, ähm, people of color vor dem Weltgericht.