Pflichterfüller

Parallelen Wenn's eng wird, greift der Vorstand gerne in den Floskelsack.

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Geschichte wiederholt sich nicht, wie auch. Was sich wiederholt, sind Phrasen, Floskeln, Attituden.

Heute musste ich in meiner Lokalzeitung auf einer halben Seite die blau untermalte Werbung Schmidts, Schröders und anderer SPD-Granden lesen. In der BILD gab es wohl eine ganze Seite. Titel: "Verantwortung für Deutschland und Europa!". Darunter klein ein Brandt-Zitat ("Kompromisse mit Sozialdemokraten sind immer die besseren Kompromiss") und dann Folgendes:

Seit 150 Jahren trägt die SPD Verantwortung für Deutschland. Und seit 90 Jahren steht unsere Partei für die europäische Idee eines gleichberechtigten und friedlichen Zusammenlebens auf usnerem Kontinent. Nie in unserer Geschichte haben wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten die Verantwortung gescheut. Immer haben wir unsere Pflichten gegenüber unserem Volk erfüllt.Und immer hat es den Menschen gut getan...

Ja, die Pflichten! In der Tat. Sie spielten schon vor 100 Jahren ihre Rolle. Da mir fast die Worte fehlen angesichts der Verachtung der SPD-Basis, die in diesen Worten mitschwingt und der Selbstverständlichkeit, mit der der SPD-Vorstand auch die Nein-Sager diese teure Eigenreklame mitbezahlen lässt, beschränke ich mich auf drei Zitate.

Aufruf des Vorstandes der SPD, 25. Juli 1914:

Parteigenossen, wir fordern euch auf, sofort in Masssensversammlungen den unerschütterlichen Friedenswillen des klassenbewussten Proletariats zum Ausdruck zu bringen... Überall muss den Gewalthabern in den Ohren klingen: Wir wollen keinen Krieg! Nieder mit demn Krieg! Hoch die internationale Völkerverbrüderung!

Der Abgeordnete und Gegner der Bewilligung der Kriegskredite Haase, Reichstagssitzung, 4. August 1914:

Für unser Volk und seine friedliche Zukunft steht bei einem Siege des russischen Despotismus, der sich mit dem Blute der Besten seines Volkes befleckt hat, viel, wenn nicht alles auf dem Spiel. Es gilt, diese Gefahr abzuwehren, die Kultur und Unabhängigkeit unseres eigenen Landes sicherzustellen. Da machen wir wahr, was wir immer betont haben: Wir lassen in der Stunde der Gefahr das eigene Vaterland nicht im Stich.

Abgeordneter Haenisch, Preuß. Abgeordnetenhaus, 1916

Selbstredend ist es eine abgeschmackte Verleumdung, wenn in gewissen Zeitungen des deutschfeindlichen Auslandes zu lesen war, die deutsche Sozialdemokratie habe sich die Zustimmung zu den Kriegskrediten von Herrn bethmann-Hollweg durch Zugeständnisse auf innerpolitschem Gebiet abkaufen lassen. Davon ist natürlich keine Rede. Für einfache Pflichterfüllung lässt man sich nicht bezahlen.

Ich weiß, ich weiß: die historische Situation, die Sozialisation der Genossen, die Medien schon damals, die Angst vor blutiger Repression, das Nachwirken der Sozialistengesetze, der Gehorsam gegenüber der Parteiführung, der Fraktionszwang damals...

wie heute: Ich kenne nicht wenige SPD-Genossen, die sich von diesem dreisten Pflichtgeblubber immer noch beeinflussen lassen.

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