Éric der Eroberer

Präsidentschaftswahlen "Reconquête" (Rückeroberung) heißt die Bewegung des Eric Zemmour. Der nicht chancenlose Kandidat schöpft aus einem Bild- und Diskursreservoir, das viele Menschen anspricht - und sie gegen ihre eigenen Interessen wählen lässt.

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Diese jungen Menschen zeigen Haltung. Mit entschlossenem Blick auf die Kamera und mit fester Überzeugung äußern sie Sätze wie diese:

Wir haben unsere Geschichtsbücher geschlossen, um unsere Erinnerung wieder zu finden.

Wir sind die Generation des ethnischen Bruchs.

Wir sind die Opfer des Mai 68.

Das Lambda auf dem Schild der Spartiaten ist unser Symbol.

Unser Erbe ist die Erde, unser Blut, unsere Identität. Wir sind die Erben unseres Schicksals.

Wir verweigern uns keiner Schlacht.

Unser Leben ist der Kampf.

Wir sind das Heute. Ihr seid das Gestern.

Wir sind ...die Génération identitaire.

Diese 2012 aufgenommene „Kriegserklärung“ diente als Impulsvideo der -nach einem Verbot - neu gegründeten Gruppe „Génération identitaire“. In gewisser Weise hielt sie Wort: Immer wieder unternahm die "GI“ spektakuläre Aktionen, wie illegale „Grenzkontrollen“ in den Alpen und in den Pyrenäen oder die Besetzung einer Moschee-Baustelle mit der anspielungsreichen Banderole „732“. Verurteilungen wegen „Hass“ und „Rassismus“ erhöhten ihren Märtyrerstatus. 2021 wurde die ca. 800 Aktivisten zählende "GI" auf Betreiben des Innenministers Darmanin verboten, aber sie existiert natürlich in diversen Kleingruppen weiter. Das Verbot sei „nicht aus juristischen, sondern aus politischen Gründen erfolgt“, urteilte - nicht ganz zu Unrecht - Marine Le Pen. Eric Zemmour, damals noch „Èditorialiste" beim Privatsender CNEWS, bezeichnete die Identitären als „Helden, die man früher einen Orden gegeben hätte“. Die affektive Bindung zwischen den identitären Heroen und dem Erfolgskandidaten der extremen Rechten hat sich seitdem verstärkt: bekannte GIs wie der einstige FN-Krawaller und heutige Regionalpolitiker Damien Rieu haben sich von der „zu weichen“ Le Pen getrennt und Zemmour angeschlossen. Es wird einsamer um Marine. Mittlerweile dirigiert Rieu die Internettrolls Zemmours. Es wächst halt zusammen, was zusammengehört.

Im Heerlager

Zum Zusammenwachsen gehören auch im 21. Jahrhundert immer noch gemeinsame intergenerationelle Literaturerlebnisse. Auch Faschisten lesen. Ein Jahr vor der Neugründung der GI war „Das Heerlager der Heiligen“ („Le Camp des Saints) neu aufgelegt worden. Der Roman des monarchistischen Autors Jean Raspail hatte schon bei seinem Erscheinen 1973 einen gewissen Erfolg im rechten „Heerlager“. Die Neuauflage des Jahres 2011 wurde ein Bestseller und - bei den extremen Rechten - ein Kultbuch. Marine Le Pen, Renaud Camus, der „Erfinder“ der „Theorie des Großen Austausches“, aber eben auch die – oft zerstrittenen – Aktivisten der rechtsextremen Gruppierungen fanden in der gemeinsamen Lektüre zusammen. Zur Fangemeinde gehörte auch der Journalist Eric Zemmour. Er wurde sogar in „Big Other“, dem Vorwort Raspails zur Ausgabe 2011, als einer der wenigen aufrechten Mahner und Warner geadelt. Im Interview mit der „Jungen Freiheit“ (18.11.2011) gab der gegenwärtige Präsidentschaftsprätendent das Kompliment zurück:

Raspail hat mit „Heerlager“ eine prophetische Vision zu Papier gebracht. Er hat vor 30 Jahren all das gesagt, was jetzt eingetreten ist.

In Deutschland erschien das prophetische Werk im Jahre 2015 in der Übersetzung des „Identitären“ Martin Lichtmesz, für den Verleger Götz Kubitschek einer seiner Bestseller. Bei der Beerdigung des 95jährigen Raspail im Jahre 2021 waren alle Filialen der Neuen und Alten Rechten anwesend, inklusive junger Scouts, pensionierter Offiziere in Uniform und Mitgliedern des "Yacht Club de France". Sie alle kommunizierten ihre Bewunderung für den "Propheten" und den "Visionär".

Welche Vorgaben liefert ihnen das "Heerlager"? Welche Bilder des "Wir" und des "Feindes" erleben sie im Akt des Lesens?

Es ist ein Endzeitroman. 1 Million hungernder Inder, Junge und Alte, Frauen und Männer, brechen spontan vom Ganges in Richtung Westen auf. Die Überfahrt zu ihrem Paradies auf hundert abgetakelten Schiffen aus der Kolonialzeit endet unaufhaltbar m Untergang des Abendlandes.

Die Welt scheint keinem identifizierbaren Dirigenten unterworfen zu sein, sondern einem neuen apokalyptischen Tier. einem Monstrum ohne Namen, das überall zu sein scheint und das sich geschworen hat, den Okkzident zu zerstören. Es ergreift die sich bietenden Gelegenheiten. Die Menschenmassen am Ganges waren die erste Gelegenheit.

Auch das massenhafte Sterben auf den Schiffen kann die Inder nicht aufhalten. Es lässt sie indifferent. Sie werfen ihre Toten ins Meer. Der „Hungerarmada“ geht ein „bestialischer Gestank“ voraus. Und sie lässt sich nicht aufhalten. Die Menschen sind "anders", sie haben nicht "unsere" okzidentale Reationalität. Der Einzelne zählt nicht, so die "Erklärung" des Autors. Die Regierungen der westlichen Welt sind ratlos. Jahrzehnte des politischen Liberalismus, der „Ideologie“ der Menschenrechte, des Egalitarismus, der Büßerhaltung gegenüber der Dritten Welt, all die "verpassten Gelegenheiten", Stärke zu beweisen, haben sie buchstäblich wehrlos gemacht. Vor der einzig möglichen Entscheidung schrecken sie zurück: die Vernichtung der Flotte. Als der französische Präsident sich schließlich doch dazu durchringt, ist es zu spät. Die Armada ist an der Côte d'Azur gelandet (zu Ostern!). Als erstes werden Tausende von Leichen auf den Strand geworfen.

Dann leerten sich die Schiffe wie eine überfließende Badewanne. Die Dritte Welt hatte ein Leck, und der Okzident war ihr Gulli.

Die Franzosen fliehen vor der riesigen Menschenflut in den Norden. Die Armee löst sich auf. Ausgebrochene Häftlinge ziehen marodierend und vergewaltigend durch die Lande. Die in Frankreich arbeitenden Migranten vertreiben die Wohlhabenden aus ihren Vierteln. Die Menschenmassen zieht nach Norden. In den Städten werden Bordelle mit weißen Frauen eingerichtet. In Paris gründet sich eine neue Regierung, die "multirassische Commune de Paris“. In einem provenzalischen Dorf, hoch über dem Meer, in einem Haus aus dem Jahre 1673, verschanzen sich die 20 letzten Verteidiger des traditionellen christlichen Frankreich und der "weißen Rasse". Das Jahr 1673 steht für den Eintritt Frankreichs in den Sklavenhandel. Die neue Regierung befiehlt die Bombadierung des Hauses. In der Dritten Welt bereiten sich Millionen Menschen auf die Reise nach Australien, Amerika und Europa vor.

Die von apokalyptischen Szenen durchzogene Story hat damit alles, um die Albträume – und nicht nur die – eines tapferen Kämpfers zu stimulieren. Auf knapp 400 Seiten bringt Raspail eine Imagerie in Bewegung, die an uns allen präsenten Vorstellungen über den Untergang Roms anknüpfen kann: die politische und kulturelle Dekadenz einer einst herrschenden Zivilisation, besonders der Elite, die im Clash der Kulturen aufgrund der generellen Verweichlichung den barbarischen Massen nichts entgegenzusetzen hat, außer den tapferen Happy Few, die aus Ehr- und Pflichtgefühl den aussichtslosen Kampf gegen die "Barbaren" aufnehmen und verlieren. Das gemahnt Militante wie die "GI" natürlich an ihren Kultfilm „300“ und evoziert gleichzeitig einen Karl Martel, der 732 angeblich die drohende muslimische Invasion Europas verhindert hat, die Kreuzzüge des christlichen Abendlandes, die iberische „Reconquista“ oder den Elitenverrat 1962 beim Verzicht auf Algerien. Das "Herrlager der Heiligen" ist übervoll an Motiven des reaktionären Antimodernismus. Der Okzident hat die Transzendenz verloren und sich für Liberalismus, Hedonismus, Materialismus und Kosmopolitismus entschieden. Es gibt keine Helden mehr. Der Roman ist aber vor allem eins: abgrundtief rassistisch.

Muslime werden nur am Rande erwähnt. Im Vorwort von 2011 wird Raspail jedoch deutlich. Der Islam, dieses „Ensemble der islamischen Völker und ihrer Zivilisation“ sei am Ende gleichbedeutend mit den religiösen Vorstellungen der Inder seines Romans:

Die religiöse Dimension der Invasion ist konstant...Der Islam ist nur ein Bauelement der Überflutung, das am besten organisierte, die entschlossenste... Was unsere eigenen Nachkommen angeht, die in der Schule des „Big Other“ formatiert und seit der frühesten Kindheit durch die kulturelle „Mestizierung“ konditioniert sind, ihnen wird nichts anderes übrig bleiben, als in der neuen „staatsbürgerlichen“ Welt des Franzosen von 2050 zu verschmelzen.

Aber, so Raspail, seinen Romanfaden aufnehmend:

Die letzten „Isolate“ könnten widerstehen und sich in einer „Reconquista“ engagieren, ohne Zweifel von der spanischen unterschieden, aber sich aus denselben Motiven inspirierend.

Sicher hat Houellebecq Raspail gelesen. Sein vieldeutiger Roman "Soumission" (2015) zeigt die Machtergreifung des Islam auf demokratische Weise. Die Ursache ist jedoch dieselbe wie bei Raspail: das Fehlen der Spiritualität. Interessant ist, dass der "Bloc identitaire" darauf ansprang und mit einem offenen Brief an Houellebecq reagierte: Im Jargon der alten K-Gruppen (ja, die Rechten haben "uns" auch unsere Dummheiten genommen) sagen die Identitären einen "historischen Sieg" über die Islamisierung durch den Widerstand der "Avantgarde" (sie selbst) und dem "Volk" voraus. Steht hier "bourgeoise" Resignation eines Houellebecq vor dem angeblich Unausweichlichen dem "populären" Kampfwillen der Identitären gegenüber? Und wie positioniert sich ein Eric Zemmour?

Reconquista

"Reconquête" hat der Raspail-Leser Eric Zemmour seine Bewegung „Reconquête“ genannt. Und die ist innerhalb von 2 Monaten auf über 100.000 „Re-Conquistadoren“ angewachsen, junge Männer aus dem "Lager" der Républicains (die "Génération Zemmour") Frontisten, Identitäre, "ganz normale" Menschen. Viele von ihnen sind perfekte Netzworker. Das ist kein „Isolat“ mehr. Die Islamophobie hat Frankreich die Hegemonie errungen. Der „Große Austausch“ erscheint der Hälfte der in Bevölkerung tatsächlich glaubhaft. Der investigative Journalist Paul Conge konstatiert:

48% der Bevölkerung stimmen der Idee zu, dass „die gegenwärtige Einwanderung ein politisches Projekt des Austausches einer Zivilisation durch eine andere ist, das bewusst von unseren Eliten organisiert wird“. Aus einem Delirium Eingeweihter ist in weniger als zehn Jahren ein Massenphänomen geworden.

Der Historiker Reinhart Koselleck hat diesen Prozess luzide beschrieben:

Einmal eingespeichert in den Sprachhaushalt, öffnen und begrenzen die Oppositionsstrukturen die Wahrnehmung. Die Feindbegriffe bleiben, ob reflektiert oder unreflektiert, abrufbar, werden gleichsam zu Netzen, in denen sich die Sprechenden selbst verfangen...

Vorläufer

Der Begriff „Reconquête“ zeigt dies exemplarisch. Er ermöglicht einen Blick auf das Gedankennetz der extremen Rechten.Der Begriff bezog sich zunächst auf die „Rückeroberung“ der iberischen Halbinsel, ein jahrhundertelanger Kreuzzug. Ubi nunc paganismus est, christianitas fiat . "Wo das Heidentum ist, soll die Christenheit sein". Legendär war (und ist dank Charlton Heston) der Ritter Rodrigo (westgotisch, also "Roderich", was für Identitäre tatsächlich wichtig ist), von den Mauren El Cid genannt. Die "Christianitas" obsiegte. 1492 hörte "Al-Andalous“ auf zu existieren. Das Jahr ist Emblem für die Ausweitung der „weißen“ Welt, aber auch für die brutale Vertreibung der nicht konvertierten Juden und – später – der Mauren. Beide "Völker" waren für die Christen keine gewöhnlichen, sondern essentielle Feinde. Sie "wussten": Juden und Muslime haben sich verschworen, um die Christenheit zu vernichten. Nach dieser damals nicht zu falsifizierenden Logik musste die iberische Halbinsel von ihnen „gereinigt“ werden. Das bedeutete konkret: die blutige Unterdrückung des geringsten Widerstands, die Ersetzung der Moscheen durch Kirchen, Zwangskonversionen und Verbote religiöser Praxis (Gebete, Lieder, Speisetabus, Vornamen, Sprache etc.). Die Schuld an dieser Repression trugen praktischerweise die Unterdrückten selbst. Die Tötung von Heiden und Ketzern hingegen war rechtens, weil gottgewollt.

Die Zwangskonvertierten standen unter dem Generalverdacht, "falsche" Christen zu sein. Ab 1535 musste jeder, der im frühabsolutistischen Spanien einen bezahlten Posten erhalten wollte, nachweisen, dass es in seiner Familie seit mindestens vier Generationen keine jüdischen oder muslimischen Vorfahren gab. Dieses berühmt-berüchtigte Prinzip der „Limpieza de sangre“ (Reinheit des Blutes) wurde in bestimmten Universitäten und städtischen Bruderschaften schon seit einem Jahrhundert angewandt. Der Begriff stammt aus der Viehzucht („la raza“). Das „moriskische Volk“ (die Nachfahren der Mauren) und die „Marranen“ (Nachfahren der Juden) galten den politischen und religiösen Entscheidern als nicht „assimilierbar“. Sie wurden bio-logisch rassisiert. Der Dominikaner Fray Jaime Bleda aus Valencia, Inquisitor, bezeichnete die Ausschaltung der Morisken als eine „unabdingbare Notwendigkeit“. 1609 wurden hunderttausende Morisken ausgewiesen.

Im Konstrukt der „äußeren“ und „inneren“ Feinde der Weißen, der Christenheit, des spanischen Volkes kreuzen sich Islamophobie und Antisemitismus. Für den Londoner Ideenhistoriker Reza Zia-Ebrahimi sind beide Rassismen in und seit ihrer Entstehungsphase „organisch verbunden“ (trotz partikular auftretender Antagonismen). Sie bilden ein „kohärentes Ideensystem mit gemeinsamer Geschichte“. Dieses ist übrigens auch auf die Kolonien anzuwenden, in denen die „Limpieza de sangre“ Herrschaftsmaxime wurde.

Damit kommen wir zu El Zemmour, dem Führer der gegenwärtigen „Reconquête“ zurück. Dass er die Muslime in Frankreich (und der Welt) essanzialisiert und rassisisert, steht außer Frage. Ganz in der Tradition der echten „Reconquistadoren“ amalgiert er seiner Islamophobie auch antisemitische Motive. Der Sozialhistoriker Gérard Noiriel hat dies akribisch herausgearbeitet. Er vergleicht Aussagen Zemmours mit denen Édouard Drumonts, dem Autor des Bestsellers „La France juive“ (1886) und geistigen Vater des französischen Antisemitismus. Auch Drumont war Journalist, Herausgeber der „La Libre Parole" , deren enorme Auflage im Zeitalter dder Massenpresse von der Panamakrise und der Dreyfusaffäre profitierte. Zemmour seinerseits verdankt seinen Aufstieg als „Polémiste“ der Privatisierung der Medien seit den 1980ern (die mittlerweile alle in der Hand von Milliardären sind). Deren Business besteht in der Quoten und Werbeinnahmen sichernden Skandalisierung der „Faits divers“, die Methode der „Fait-Diversion“ (Bourdieu) und in anxiogenen TV-Expeditionen in die fremde Welt der „Banlieues“. Aus den „eingewanderten Arbeitern“ wurden "die Einwanderer“. Aus diesen wurden "die "Muslime“. Und daraus schließlich "der Islam“.

Zemmour erwarb seine Position im journalistischen Feld als einer der Reaktionäre „vom Dienst“, als Sprecher der '“Identité française“. Seine permanenten Provokationen des „linken Establishment“ zeigten ihn als Meister der Inversion: die „wahren“ Rassisten sind die Antirassisten, die „wahren“ Geschichtsfälscher sind die progressiven Historiker, die „wahren“ Frauenfeinde sind die Feministinnen etc. etc. Geradezu obsessiv muss sein negatives Verhältnis zu den Muslimen. Nicht umsonst zählte ihn Raspail 2011 zu einen der wenigen Aufrechten. Wie der Romancier beklagt auch er den Verfall, für die er nicht, wie Drumont, die „jüdische Lobby“ verantwortlich macht, sondern – mit ähnlichen Worten - die „homosexuelle Lobby", die Linke und deren Nachgiebigkeit gegenüber dem Islam.

In seiner Welt „natürlicher“in nerer und äußerer Feinde ist Geschichte die Geschichte von „Eroberungen“:

Der Eroberer von gestern ist der Eroberte von heute und wird der Eroberer von morgen sein.

Ein Zusammenleben der rassistisch imaginierten „Nationen“ kann es im Universum Zemmours nicht geben. Darum habe De Gaulle Algerien aufgegeben. Er stellte damals fest, „dass man Essig nicht mit Öl“ mischen könne, ein klassisches Bild der Rassisten. „Aus einem Dornenstrauch wird keine Rose“, dekretierte Ernst Arndt schon 1812. Er meinte die Franzosen. Allein die Gesetze der Demographie, so Zemmour, werde irgendwann aus „Colombay-les-Deux-Eglises“ ein „Colombey-les-Deux-Mosquées“machen. Es sind diese Wortspiele, die die Islamophoben lieben und die sie an Zemmour schätzen.

Die jungen Muslime von morgen werden ihre Frauen in den Ursprungsdörfern ihrer Eltern suchen, um nicht die endogame Kette zu unterbrechen... Die Immigration wird sich selbst erzeugen, wird massiv sein, wird sich festsetzen wird Volk. Ein Volk, das sich immer mehr vom Ursprungsvolk entfernt, ein „afrikanisches Lager.“.., immer feindseliger gegenüber unserem „lieben alten Frankreich,“ das angesichts der Flut zum Rückzug gezwungen wird (Le Suicide français).

Die Juden (Drumont) oder die Muslime (Zemmour) verweigern sich der „Assimilation“. Beide sind „ein Volk im Volk“. Denn der Islam, so der Kandidat, „ist gleichermaßen eine Identität, eine Religion und ein rechtspolitisches System“. Für die Mehrheit der Muslime stünden die Gebote des Islam vor denen der Republik. Zemmour bezieht sich auf eine (sehr diskutable) Umfrage, nach der 65% der muslimischen Schüler ihre Religion für wichtiger halten als die Gesetze der Republik. Er verschweigt, dass immerhin 27% der katholischen Schüler, also seine künftigen Mitkämpfer, derselben Meinung sind. Für Drumont

umfasst die Religion bei den Juden alles, was die Gesellschaft begründet und regiert. Darum bilden sie überall eine Nation in der Nation. Sie sind weder Franzosen, noch Deutsche, noch Engländer, noch Preußen. Sie sind Juden...Dieses Volk existiert in allen Nationen , ohne sich mit ihnen zu verschmelzen. Es glaubt stets, in einem fremden Land zu leben (La France juive)

Noiriel stellt zahlreiche identische Argumentationsfiguren bei Drumont und Zemmour fest: „Sie“ machen das Gesetz in „unserem“ Land. Sie „kreolisieren“ unsere Sprache. Sie bestehen auf „ihren“ Vornamen.. Sie belästigen uns mit ihren überholten Gebräuchen und Riten. Sie sind keine authentischen Franzosen,, sondern nur „Français de papier“. Und „wir“ sind zu gut zu „ihnen“. Wohin dies führt, hat Raspail, der „Visionär“ "uns" schon 1973 gezeigt.

Das Argument der "Weichheit"zeigt seine Wirksamkeit im gegenwärtigen Wahlkampf. Valéry Pécresse, die Kandidatin der Républicains, die sich selbst als „zur Hälfte Merkel, zur Hälfte Thatcher“ bezeichnet und sogar vom „Großen Austausch“ redet, wird wegen ihres angeblich zu „weichen“ Wahlkampfteams als „Islamodroitiste“ bezeichnet. Gegen die Front der „Islamodroitistes“ und „Islamogauchistes“ (dazwischen Macron und – man glaubt es kaum – Marine Le Pen) kann es also nur den einen aufrechten Karl Martel unserer Zeit geben: Eric Zemmour. So die verquere Logik, die trotzdem von vielen akzeptiert wird. Im Moment würden- den "Sondages" zufolge - Pécresse, Le Pen und Zemmour um die 16% der Wahlstimmen bekommen, Zemmour quasi aus dem Stand. Das zeigt, über welche Mobilisierungkraft sein antimuslimischer Rassismus verfügt.

Arbeit-Familie-Vaterland

Das Programm an sich ist mager. Der demonstrative Rassismus verbirgt jedoch, dass auch Zemmour ein Präsident der Reichen wäre. Wenn der "Rückeroberer" die Unternehmenssteuer senken will, ist das jedoch für viele „in Ordnung“, denn er schafft damit Arbeitsplätze für die Stammfranzosen. Wenn Zemmour das alte Prinzip Sarkozys des „Mehr arbeiten, um mehr zu verdienen“ aufwärmt, statt für die drastische Arbeitszeitverkürzung einzutreten, ist dies doch „gut“, will er dochgleichzeitig die Besteuerung der Überstunden abschaffen. Auch die Prämien, die "uns" der Unternehmer gewähren wird, werden nicht versteuert. Merci patron! Dass Zemmour das Renteneintrittsalter drastisch erhöhen will, ist verständlich. Wir müssendie Ärmel hochkrempeln. Wir werden doch alle älter, und wir wollen "unseren" Nachkommen doch keine Schulden hinterlassen. Was die Streichung des Arbeitslosengelds angeht, so trifft diese doch fast „nur“ die „Ausländer und die"Schmarotzer", das "Assistanat". Aber doch nicht uns!

"Wir" alle bekommen Arbeit, weil Zemmour die „Clandestins“ und die "kriminellen Ausländer" ausweisen wird. Dass es den „Classes populaires“ zunächst schlechter gehen wird, ist hinzhunehmen. Bei der Reconquête“ muss man Opfer bringen. Held sein. Es wird ja die „Fremden“ noch härter treffen. Dass er die gemeinsame weiterführende Schule für alle abschaffen möchte, dafür aber in den wieder erstandenen „Lycées“ (Gymnasien) Latein- und Altgriechischuntericht fördern möchte, interessiert "uns" nicht. Es trifft ja vor allem die Kinder der „Viertel“. Dass er das „Ius sanguis“ einführen möchte (als Vorstufe der „Limpieza de sangre“?), interessiert nicht. Man ist ja nicht betroffen (glaubt man). Die automatische Anwendung der Gefängnisstrafen ohne mildernde Umstände wird „denen“ endlich mal das Handwerk legen. Es gibt sowieso zu wenig Gefängnisse. Auch die volle Strafmündigkeit ab 16 Jahren richtet sich ja nur gegen die angeblich steigende Kriminalität in den „Vierteln“. Die eigenen "Gosses" werden ja nie straffällig. Die vorgesehenen Erziehungsinternate sind doch nur für die Kinder und Jugendlichen der „Viertel“ vorgesehen. Dass Zemmour den Eltern von Schulschwänzern Sozialleistungen nehmen will, ist doch im Interesse der Kinder. Und nein! Die Frage der Integration ist keine soziale Frage! Schon im Mittelalter .... etc. etc. Und dann rattert die Bildermaschine.

Der Kandidat Zemmour ist zunächst ein ganz ordinärer Reaktionär. Einer, der weit in die Zeit zurückgefallen ist. Seine sozialpolitischen Vorstellungen stammen aus dem Speicher (und dem Keller) der unternehmerfreundlichen Bourgeoisie der Fraktion „Herr im Haus“. Seine Referenzautoren sind nicht von ungefähr der royalistische Historiograph Jacques Bainville und der antisemitische Publizist Charles Maurras, beide Erfolgsautoren der 30er Jahre. Mit dem ersten teilt Zemmour das Geschichtsbild eines konservativ-katholischen Frankreich, mit dem zweiten die Verachtung der Demokratie und den Rassismus (allerdings in der antimuslimischen Variante). Seinen Erfolg verdankt er neben der „Talentförderung“ durch einige Superreiche (die sich wohl etwas dabei gedacht haben), der Disposition seiner zahlreichen Anhänger für seine Phrasen und und der Evokation anxiogener Bilderwelten à la Raspail. Ihr Rassismus lässt sie ihre eigenen Interessen vergessen. So wie die anfangs zitierten Mitglieder der GI, die heute, um die Dreißig, zum nicht geringen Teil zur „Reconquête“ aufrufen. Viele dieser Anhänger sehen sich als Helden einer patriotischen Kampagne, in der sie nur verlieren können. Und vielen anderen schaden. Als ob die Gouvernance des charmanten Macron nicht schon genug Schaden angerichtet hätte. Hoffen wir, das die „Reconquête“ schon im ersten Versuch scheitert, auch wenn wir wissen, dass die anderen Bewerber der Rechten nicht gerade ein vertrauenswürdiges Portfolio haben. Zitieren wir noch einmal Reinhart Kosellek:

Erst in der gesprochenen Rede gewinnt der Feindbegriff seine potentielle Wirklichkeit, die auch realisierbar ist. Wir wissen, wie.

Eric Zemmour ist seit langem ein Meister der gesprochenen Rede.







Reinhart Kosellek, Begriffsgeschichten. Frankfurt 2006

Gérard Noiriel, Le venin dans la plume. Paris 2019

Jean Raspail, Le Camp des Saints. Précédé de Big Other. Paris 2011 (dt. 2015)

Pierre Tévanian, La mécanique raciste. Paris 2017

Reza Zia-Ebrahim, Antisémitisme&Islamophobie. Une Histoire Croisée. Paris 2021

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