Querfrontgeschichten

West oder Ost? Rechts und Links gemeinsam für den Frieden? Die Fusion der alten und der neuen Friedensbewegung und die Diskussionen in den sozialen Medien wecken historische Déjà-vus.

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Und wieder: eine neue Unübersichtlichkeit

Im Vorfeld des "Friedenswinters", der demonstrativen Fusion der alten mit der neuen Friedensbewegung, verkündeten viele Teilnehmer unter zunehmendem Applaus, sie seien weder "rechts" noch "links". Andere sprechen von "rechten Leuten von links" respektive "linken Leuten von rechts". Gerne wird politgastronomisch von "Crossover" geredet. Besonders beliebt sind auch die Begriffe "Querfront" oder "Nationalbolschewismus". Historisch Gebildete verweisen auf die "konservativen Revolutionäre" der Weimarer Republik. Auf Ernst Jünger sowieso. Der geht immer. Auf allen Seiten.

Kategorienkater allerorten. Schließlich sind mit "rechts" und "links" konträre Ziele (und Wege) verbunden. Einigen wir uns doch auf den Begriff "Mensch". Ken Jebsens "Zielgruppe Mensch" war markenpolitisch so erfolgreich, dass er sein Alleinstellungsmerkmal schnell verlor. Elsässers "Zielgruppe Volk" hat in einem anderen Sement des politischen Marktes Success. Beide verdanken ihre Publizität den sozialen Medien, wie Wolfgang Storz gezeigt hat. Da sind richtige Fanclubs entstanden. Wir bekommen sie alle zu spüren.

Die begriffliche Verwirrung hat eminent politische Konsequenzen. "Linke" erleben sich plötzlich als Säulen des Establishment. Ausgerechnet den Pazifisten wird der Schmittsche Begriff "Bellizismus"angeklebt. Die Roten von gestern sehen grau aus. "Rechte" gelten plötzlich nicht mehr als Parias, Lumpenproletarier, ewig Gestrige, wild oder zahm gewordene Kleinbürger. Sind die Braunen nicht die wirklichen Roten von heute? Ist Marine Le Pen nicht eine radikale Alternative in Europa? Gegen den westlich-liberalen Kosmopolitismus des FED-gesteuerten Finanzkapitals? Sogar Putin scheint dies erkannt zu haben und finanziert den Front National.

Dieser plötzliche Wirbel wird von vielen "traditionellen" Linken als ideologische Katastrophe empfunden (auch vom Autor). Andere kümmert dies nicht. Sie sehen es als eine Befreiung. Schließlich ist die Nazizeit vergangen. Der Krieg ist 70 Jahre her. Böse gesprochen: das Leiden unserer Vorfahren in den Schützengräben 1914-1918 berührt uns mehr als die Verbrechen unserer (Ur-)-Großväter. Lasst uns Lichterketten gegen den Krieg bilden! Schulter an Schulter mit den bisherigen Gegnern. Natürlich ohne Fackeln!

Allerdings ist nicht zu übersehen: einige ständig wiederholte Aussagen der neuen Friedensbewegten und Nachdenker verweisen auf bestimmte Argumentationmuster vergangen geglaubter Zeiten. Plötzlich ist "Der Westen" wieder im Fokus der Kritik. Selbst ein Jakob Augstein bezeichnet den Universalismus des Westens als "totalitäre Ideologie", eine "fatale Verkennung des Westens als Projekt", widerspricht Albrecht von Lucke in den "Blättern" (6/14). Rechtsextreme Verschwörungsideologen werden salon-, besser: facebook-fähig. Wörter wie "Systemmedien", "Plutokratie", und "Zinsherrschaft" kommen so locker über die friedensbewegten Lippen wie rabiate Israelkritik (die schnell in Antisemitismus umschlagen kann). "Der Andere plegt anders zu sein", schreibt der Historiker Kosellek in Bezug auf "Feindbegriffe". Manchmal ist aber auch genau so, wie man ihn sich vorstellt.

Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit Rechts-Links-Kontakten in der Weimarer Republik, mit dem also, was man Querfront nennt. Er ist alles andere als vollständig und trotzdem recht lang geworden .

1923 - strategische Annäherung im "nationalen Freiheitskampf"

Das führende Komintern-Mitglied Karl Radek war durch und durch Parteitaktiker. Mit dem "revolutionären Nationalismus" hatte er sich schon 1919 in deutscher Schutzhaft beschäftigt. Ablehnend: die Forderung der führenden Hamburger "Nationalkommunisten" Laufenberg und Wolffheimer nach einer Roten Armee, welche die soziale Revolution nach Frankreich und England "tragen sollte," hielt er mit Lenin für "kleinbürgerlichen Revolutionarismus". Es handele sich um

himmelschreiende Absurditäten des Nationalbolschewismus, der sich bis zu einem Block mit der deutschen Bourgeoisie zum Krieg gegen die Entente verstiegen hat.

Knapp vier Jahre später Jahre später sah Radek dies jedoch völlig anders. Am 9. Januar 1923 hatte der französische Ministerpräsident Poincaré fünf Divisionen ins Ruhrgebiet einmarschieren lassen und Belgien sich mit einer Division angeschlossen. Die deutsche Regierung verkündete den passiven Widerstand. Das Gesamtrussische Zentral-Exekutiv-Komitee wiederum warf der französischen Regierung "unersättliche Eroberungsgier" vor:

Fremde Eroberer bemächtigen sich des industriellen Zentrums Deutschlands... Die Souveränität, das Recht des deutschen Volkes auf Unabhängigkei, ist mit Füßen getreten worden...

Radek erkannte in der Ruhrbesetzung die große Chance einer revolutionären Situation (alle Parteien lebten damals in der Naherwartung der Revolution, teils freudig, teils ängstlich). Die Parole hieß nun: "Schlagt Poincaré an der Ruhr und Cuno an der Spree!"

Militante Nationalisten gingen mit Waffengewalt gegen die Besatzer vor, unter ihnen der Freikorpsmann Leo Schlageter. Er wurde im Mai 1923 von den französischen Besatzern hingerichtet - und prompt zum Märtyrer der Nationalsozialisten stilisiert. Nicht nur der Natuonalsozialisten. Auch Karl Radek nahm die Gelegenheit am Schopfe. In einer programmatischen Rede am 20. Juni 1923 verkündete er, Schlageter sei

ein mutigerSoldat der Konterrevolution, der es verdient, von uns, den Soldaten der Revolution, männlich ehrlich gewürdigt zu werden.

Rhetorisch fragte er:

Gegen wen wollen die Deutschvölkischen kämpfen: gegen das Ententekapital oder das russische Volk. Mit wem wollen sie sich verbinden? Mit den russischen Arbeitern und Bauern zur gemeinsamen Abschüttelung des Jochs des Ententekapitals, oder mit dem Ententekapital zur Versklavung des russischen Volkes?

Radek vergaß auch nicht, auf die preußische Tradition der Scharnhorst und Gneisenau hinzuweisen, damit an den "gemeinsamen" Kampf von Deutschen und Russen gegen Napoleon erinnernd.

Die Rede war nicht nur aus heutiger Sicht eine Zumutung. Radek benutzte bewusst die Ehrbegriffe der männerbündischen Freikorps. Schlageter war ein Vertreter des "Weißen Terrors" gewesen, dem zahlreiche Kommunisten zum Opfer gefallen waren. Trotzdem verzeichnet das Redeprotokoll "allgemeinen Beifall der Erweiterten Exekutive". Einmal mehr heiligte der Zweck die Mittel, es ging schließlich um "die Sache" . Unbemerkt im Hintergrund standen jedoch die außenpolitischen Motive der Sowjetunion, die durch eine deutsch-russische Annäherung ein Gegengewicht gegen die britisch-türkische Verständigung erreichen wollte.

Auf dieses Kollaborations-Angebot reagierte nun kein Geringerer als der konservative Revolutionär Moeller van den Bruck, dessen bekanntes Werk "Das Dritte Reich" gerade erschienen war. Moeller war wichtigster Ideengeber der damaligen Neuen Rechten und führender Kopf des "Juni-Klubs", einer Art politischer Salon, in dem linke Nationalsozialisten wie die Strassers, aber auch Intellektuelle wie Thomas Mann und Oswald Spengler verkehrten. Er meldete sich nun in der Roten Fahne (!) zu Wort:

Wie, wenn Arbeiter und Unternehmer erkennen, dass sie eine gemeinsame Sache verteidigen.

Die "deutsche Revolution" müsse einen "dritten Standpunkt" einnehmen. Und auch er machte den proletarischen Roten Komplimente:

Zwischen Revolutionärstum und Konservativismus gab es in Deutschland immer große geistige Verbindungsmöglichkeiten.

Moeller war nicht der einzige Nationalist, der reagierte. Ernst Graf zu Reventlow fragte besorgt in der Roten Fahne,

ob die von Radek eingeleitete neue Aktion der kommunistischen Propaganda nur bezwecke, Verwirrung bei den Völkischen anzurichten und sie so "sturmreif" zu schießen.

Der Genosse Redakteur versuchte zu beruhigen: die KPD sei nie "antideutsch" gewesen. Ruth Fischer trieb die Taktik so weit, in einer Rede vor der deutschnationalen Studentenschaft auszurufen:

Sie rufen gegen das Judenkapital meine Herren? Wer gegen das Judenkapital aufruft ist schon Klassenkämpfer, auch wenn er es nicht weiß.

Dann entgleiste sie vollends:

Tretet die Judenkapitalisten nieder, hängt sie an die Laternen, zertrampelt sie!... Der französische Imperialismus ist jetzt die größte Gefahr der Welt. Frankreich ist das Land der Reaktion...

Dass die Annäherungsversuche aber wohl doch eher taktischer Art waren, zeigte ihr sofortiger Abbruch nach dem peinlichen Scheitern des "deutschen Oktobers". Die Weimarer Republik mit großer Koalition und dem neuen Kanzler Stresemann begann ihre stabile Phase. Die sozialistische und/oder die deutsche Revolution waren erst einmal vertagt. Es blieb bei den "geistigen Verbindungsmöglichkeiten".

Konservative Revolutionäre

1929 - kurz vor dem politischen Durchbruch der NSDAP - stellte der italienische Jurist Guido Bortolotto der deutschen Öffentlichkeit den italienischen Faschismus vor:

Wir sagen, "links und rechts in einer vereinten Nation - das ist der Faschismus". Der Faschismus hat die Staatskrise durch eine doppelte Entscheidung überwunden. Mit dem Nationalismus entscheidet er sich für die Rechte, mit dem Syndikalismus für die Linke. So konnte er den einheitlichen und totalen Staat schaffen.

Bortolotto bezeichnet den Faschismus als "konservative Revolution". Mit diesem Oxymoron trifft er auf ein zeitgeistiges Bedürfnis. In seiner Analyse von Heideggers "politischer Ontologie" konstatiert Pierre Bourdieu:

Dieser wirre synkretistische Diskurs, diese bloß flüchtige, verschwommene Wiedergabe einer kollektiven Stimmung und Gestimmtheit, deren Wortführer Spengler, Moeller van den Bruck, Jünger oder Diederichs ... selbst nur wechselseitige Echos bilden, herrscht faktisch während der ganzen Krisenperiode.

Auch wenn jeder dieser "Vorformer des Dritten Reichs" seine "je eigene Serie" (Bourdieu) bildete, geschah dies innerhalb eines kohärenten ideologischen Diskurses. Deutlich wird dies am Beispiel der einflussreichen konservativ-revolutionären Zeitschrift "Die Tat", die Ossietzky 1932 wie folgt charakterisierte:

http://img.zvab.com/member/97246a/496254.jpgNeben Otto Strasser und Ernst Jünger repräsentiert der Mitarbeiterkreis der "Tat" heute am deutlichsten die Verwirrung liberalistischer Bürger, die sich vor dem drohenden ökonomischen Untergang laut schreiend und mit ekstatischen Gebärden dem Rechtsradikalismus in die Arme werfen.

Die konservative Zeitschrift "Die Tat" wurde 1928 vom Verleger und Herausgeber Diederichs erneuert. Ihre traditionsbewusste Leserschaft war zu jener Zeit stark geschrumpft. Mit neuen jungen Redakteuren gelang nun trotz der einsetzenden ökonomischen Krise eine für die Zeit ungewöhnliche Auflagensteigerung (bis zu 28.000 Exemplare).Da war also Bedarf. Die neue Zielgruppe charakterisiert Bourdieu als

eine freie Intelligentia, die von rigideren Systemen vielleicht auf die Cafés vewiesen, hier buchstäblich zerrissen wird durch die Kontraste zwischen der sublimsten geistigen und der unwürdigsten materiellen Behandlung ... und die auf diese Weise die Voraussetzungen mitbringt, um die Rolle der Avantgarde zu übernehmen.

Die Avantgarde der extremistischen Mitte war so jung wie die Autoren. Die "neue Mittelschicht", so der federführende Redakteur Hans Zehrer, erhalte

aus der nächsten Generation bereits dermaßen viel kämpferisches und revolutionäres Blut, dass sie sich bald zu einer beträchtlichen Stoßkraft auswachsen lässt.

Wie positionieren sich die "revolutionären Konservativen" im politisch-ideologischen Feld der Weimarer Endzeit?

Antikapitalismus

Die neue "Tat" fiel durch eine kompakte antikapitalistische Radikalisierung auf. Der Wirtschaftsredakteur Ferdinand Fried schrieb 1929 von den "oberen Vierhundert" und formuliert fast marxistisch:

Der Reichtum ballt sich in immer weniger Händen zusammen, wird konzentriert..., während andererseits die wohlhabenden Schichten einem langsamen Auflösungsprozess unterworfen sind.

Er scheute sich auch nicht, eine Liste mit Namen und konkreten Vermögenswerten zu veröffentlichen. Dem ostentativen Reichtum kontrastiert er im Stil Tucholskys die Realität der kleinen Leute:

Da wohnen fünf Menschen in einer kleinen gekalkten Stube, nicht jeder hat sein eigenes Bett, und sie essen Grütze und Kartoffelsuppe.

Der erst fünfundzwanzigjährige Giselher Wirsing kritisierte scharf die damals heftig diskutierte finanzielle Sanierung des Flickkonzerns durch den Staat:

Der Tatbestand hätte gereicht, Herrn Flick als Schädiger der Interessen des deutschen Reiches zu enteignen. Selbstverständlich haben Brüning-Dietrich genau umgekehrt reagiert.

Bezeichnenderweise wurde die Frage, wie der erstarrte Kapitalismus zu überwinden sei, nicht erörtert. Die SPD ("der Marxismus") sei jedenfalls zu eng mit dem Kapitalismus verbunden, die KPD habe in Deutschland keine Chance, "aber einige Aufgaben, wie die scharfe Hervorhebung der wirtschaftlichen Dinge". Bleibt der reine Willensakt des Staates, der "ethische Sozialismus":

Die Beseitigung des Kapitalismus liegt im Interesse der Allgemeinheit, und dieses Interesse kann nur vom Staate, dem Symbol völkischer Einheit durchgesetzt werden.

Zehrer schrieb dazu im Oktober 1931:

Gegen diese (liberalistische) Vernunft kann man nur einen neuen Glauben setzen... Das Schwert ist das einzige Argument, das nicht in den Rahmen des liberalistischen Systems der Vernunft und der Diskussion passt. Das Schwert und die Faust.

Damit wird die parlamentarische Demokratie abgelehnt. Dies eint die marxistishen und die konservativen Intellektuellen. Die parlamentarische Demokratie, so Ernst Jünger in seinem einflussreichen Werk "Der Arbeiter", ist "das dialektische Prädikat des Liberalismus". Kritik am Liberalismus war für diese Kreise immer auch die Ablehnung des Weimarer "Systems". Die Überwindung des "Parteiensystems", so Zehrer 1930,

ist eine geistig schöpferische Aufgabe, die den neuen Kräften des Bürgertums gelingen muss, wenn das Land nicht ersticken soll in der Herrschaft anonymer Kollektivitäten und Interessen.

Gegen den Westen, für das dritte Reich

Liberalismus, Demokratie und Imperialismus galten als die Seinsmerkmale des "Westens", also Frankreichs, Englands und der Vereinigten Staaten. Immer wieder wurde auf Versailles und die Ruhrbesetzung 1923 verwiesen, Beispiele der "Fremdherrschaft". Und an dieser Stelle kam Russland ins Spiel:

Ist es nötig zu sagen, dass wir keine Kommunisten sind? Aber die deutschen Gemeinsamkeiten sind viel zu stark, als dass wir uns um eine Stellungnahme zu Russland herumdrücken können, wie es die Republik von 1918 getan hat.

Die Position Zehrers war klar:

Deutschlands Stellung zwingt eine Entscheidung: West oder Ost!

Hier trafen sich endgültig "Die Tat" und der linke Flügel der NSDAP. Strasser schrieb schon 1926:

Unser Platz ist an der Seite des (kommenden) Russland, an der Seite der Türkei... Die Front im Kampf um die deutsche Freiheit läuft mit Russland gegen den Westen.

Ernst Niekisch dekretierte 1932 geradezu chiliastisch:

Seien wir Asien. Asien ist unser Amerika, das neue Russland ist das dritte Reich. Am Rhein, nicht an der Weichsel liegt die deutsche Bruchlinie.

Dass damit der Kampf nicht gegen das das "geographische, sondern das spirituelle Amerikanertum" (Moeller van den Bruck) einher ging, war für die Nationalrevolutionäre selbstverständlich. Referenzautoren waren natürlich wieder Spengler und Jünger. Auch bei Heidegger finden sich - wie Andrei Markovitz gezeigt hat - nicht wenige Anti-Amerikanismen, Invektiven gegen die "seelenlose, habgierige und inauthentische Macht." Der Westen war (und ist) für viele Intellektuelle bekanntlich kulturlos. Bei Spengler war zu lesen (d.h. für viele: zu lernen):

Der Übergang von der Kultur zur Zivilisation vollzieht sich in der Antike im 4. (v. Chr.), im Abendland im 19. Jahrhundert...

Damit entstehe

statt eines formvollen, mit der Erde verwachsenen Volkes ein neuer Nomade, ein Parasit, der Großstadtbewohner, der reine, traditionslose, in formlos fluktuierender Masse auftretende Tasachenmensch, irreligiös, intelligent, unfruchtbar... Frankreich und England haben diesen Schritt vollzogen , und Deutschland ist im Begriff, ihn zu tun.

Amerika galt für Linke wie für Rechte als "plutokratisch-ochlokratisch". Der Wilson-Legende zufolge war der Präsident ein angelsächsischer Heuchler. Selbst eine Clara Zetkin verkündete im Reichstag:

Nein, Industrie mit amerikanischem Kapital die deutsche Arbeiterschaft als billige Arbeitskraft in die Hand zu bekommen und auf diesem Wege Deutschland in eine Kolonie der Vereinigten Staaten zu verwandeln (sehr wahr! rechts). Keine Illusion über diese Tatsache.,

Bei den Rechtsradikalen der Zeit standen die USA für jüdische Weltherrschaft. Werner Sombart sprach gar vom "Judenstaat".

Zum Verstehen der großen Akzeptanz dieser Ideologeme ist der generationelle Aspekt relevant. Die von Bourdieu angesprochene "Kohorte" gehörte zur Kriegsgeneration der zwischen 1900 und 1910 Geborenen. Ihnen "fehlte" das Fronterlebnis; sie erinnerten aber die angeblich universelle Kriegsbegeisterung 1914, Hunger, Not, Demütigung. "Das Volk, die Nation und die bösen Feinde" - darauf war ihr Denken fokussiert. Unhinterfragt wurde das Frontkämpferideal übernommen. In "Kälte, Härte und Sachlichkeit",bestand nach Jünger ihr "Stil"..

Die "Hanswürste der Macht"

So kann es nicht überraschen, dass Jüngers "Arbeiter" (1932) gerade von der "Tat"-Generation stark rezipiert wurde. Die Faszination dieses "eiskalten Genüsslings des Barbarismus" (Thomas Mann) lag dabei weniger in der gedanklichen Stringenz (die der Leser oft vergeblich sucht, überhaupt ist die Lektüre für den heutigen Leser eine Prüfung), sondern aus dem emphatischen Ton.

Es war eine einzige Abrechung mit der bürgerlichen Welt, die abgelöst werde von der "Gestalt" des Arbeiters, wobei die Begriffe nicht marxistisch zu verstehen sind. Der "Bürger", so Jünger, habe das Streben,

den Lebensraum hermetisch gegen den Einbruch des Elementaren abzudichten... Aber der Ausbruch des Weltkrieges setzt den breiten, roten Schlussstrich unter diese Zeit.

Im Jubel der Freiwilligen 1914 sah Jünger

den revolutionären Protest gegen die alten Wertungen, deren Gültigkeit unwiderruflich abgelaufen ist. (Vorbei sei) die Zeit der listigen Fänger der Stimmen, der Krämer der Macht, der Hanswürste der Macht,. die den Sinn nur als Zweck und die Einheit nur als Zahl zu begreifen vermögen... (Im Zeitalter des Arbeiters könne es nichts geben), was nicht als Arbeit begriffen wird. Arbeit ist das Tempo der Faust, der Gedanken, des Herzens, das Leben bei Tage und Nacht, die Wissenschaft, die Liebe, die Kunst, der Glaube, der Kultus, der Krieg...

Nicht müde wird Jünger, das "Echte", das "Entschlossene" des neuen Arbeitertyps hervorzuheben, für den "Freiheit und Gehorsam identisch sind":

Die alte Masse, wie sie sich etwas im Gewühl der Sonn- und Feiertage, in der Gesellschaft, in politischen Massen zusammenrottete..., gehört der Vergangenheit an.

Der Arbeiter des "heroischen Realismus" ist Teil einer

Garde, ein neues Rückgrat der kämpfenden Organisationen..., eine Auslese, die man auch als Orden bezeichnen kann.

Das Buch wurde bei Erscheinen breit diskutiert. Interessant ist, dass einige Rezensenten es als bolschewistisch bezeichneten. Für nicht wenige schienen sich in der Endphase der Weimarer Republik die Extreme wieder einmal zu berühren.

Querfront 1932 - zweiter Versuch

In der KPD war der Einfluss der Komintern stärker denn je. In der Tagespolitik entschieden die außenpolitischen Imperative der Sowjetunion. Die Krise, so die "wissenschaftliche" Auffassung, müsse notwendig zum Aufstand der Proletarier führen - unter Führung der Partei, versteht sich. Alle anderen Parteien galten als konterrevolutionär, sozial- oder nationalfaschistisch. Der politische Hauptfeind konnte nur die SPD sein. Eine Einheitsfront der Arbeiterparteien "von oben" sei schädlich. "Von unten" seien die Anhänger der SPD zu gewinnen. Und die der NSDAP.

All dies bedeutete taktische Wendungen ohne Ende. Im August 1930 veröffentlichte das Zentralkomitee eine "Progammerklärung zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes" gegen den Young-Plan und den "Versailler Raubfrieden" und gegen den "fortgesetzten Hoch- und Landesverrat an den Lebensinteressen der arbeitenden Massen Deutschlands" durch die SPD. Der Faschismus, so eine Agitationsbroschüre au demselben Jahr "ist nicht die NSDAP, sondern eine bestimmte Herrschaftsmethode des Kapitals".

1931 kam es - auf Drängen der Komintern - zur querfrontalen Zusammenarbeit beim Volksentscheid gegen die SPD-geführte Regierung in Preußen. Anfang Juni brachten NSDAP und KPD im Landtag einen gemeinsamen Antrag auf Amnestie eines inhaftierten Nationalrevolutionärs ein. In den proletarischen Vierteln Berlins gehen SA-Männer und Kommunisten gemein- und gewaltsam gegen Gerichsvollzieher vor. Ein Jahr später, im Frühsommer 1932, wurde diese Taktik revidiert. Nun machte man der SPD und den Gewerkschaften Einheitsfrontangebote. Ossietzky reagierte in der Weltbühne beschwörend:

Ich frage euch, Sozialdemokraten und Kommunisten: - werdet ihr morgen überhaupt noch Gelegenheit zur Aussprache haben? Wird man euch das morgen noch erlauben?

Nur einige Wochen später revidierte die KP-Führung die Revision und deklarierte die SPD erneut zum Hauptfeind.

Auf der Ebene der Arbeitskämpfe war es schon im Oktober 1930 beim Berliner Metallarbeiterstreik zu ersten gemeinsamen Aktionen von KPD und NSDAP gekommen. Letztere agierte aber widersprüchlich:

Ein Teil gebärdet sich radikaler als die Kommunisten und möchte am liebsten alle Maschinen zerschlagen, der andere Teil dagegen treibt Streikbrecherarbeit, ist also angeblich gelb (Vossische Zeitung).

http://www.hagalil.com/archiv/wp-content/uploads/Goebbels-mit-Ulbricht0181.jpg

Trauriger Höhepunkt dieser Zusammenarbeit war der Berliner Verkehrsbetriebestreik im November 1932. Kommunisten und SA-Männer bildeten Streikposten. Strasser forderte:

Die nationale Freiheit und die soziale Gerechtigkeit! Den deutschen Sozialismus nach innen, und nach außen den Nationalismus zur Verteidigung der Arbeit.

Diese partielle Kollaboration schadete jedoch der NSDAP mehr als der KPD: Bei den Novemberwahlen verlor sie Stimmen des bürgerlichen Lagers. Strasser selbst wurde von seinem um die Bourgeoisie buhlenden Führer noch im Dezember 1932 beurlaubt.

Die "Tat" arbeitete auf einer "höheren" Ebene. Sie positionierte sich mitlerweile auf der Linie Schleichers gegen von Papen. Im August 1932 schrieb Zehrer:

Nur durch die Beseitigung dieses Kabinetts können Reichspräsident und Reichswehr offen darlegen, dass dieses Kabinett nicht ihrem Willen entspricht, weil es dem Volkswillen nicht entspricht... Die Koalition zwischen auctoritas und potestas bleibt damit als allein handlungsfähige Macht in Deutschland am Zuge.

Damit wurde "Die Tat" zum Vertreter der "Querfront"-Strategie im ideologischen Feld. Nach dem Wahldebakel der NSDAP im November 1932 wurde Schleicher Kanzler - und der eigentliche Vertreter der "Querfront". Während seiner 57-tägigen Kanzlerschaft versuchte er den Spagat zwischen der antikapitalistischen Nazigruppierung (Angebot der Vizekanzlerschaft an Strasser) und den Gewerkschaften (Angebot von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen). Dem konnte Zehrer nur zustimmen, der schon im Juli 1932 formuliert hatte:

Aus der NSDAP, der SPD, der KPD, den ständischen Gruppen, Landwirtschaft, Angestellten und Arbeitern und einem Tel des Zentrums formt sich heute das Bild einer proletarischen Nation.

Strasser wurde allerdings vom Führer persönlich ausgebootet, der wiederum relevanten Teilen der deutschen Bourgeoisie (Schacht, Schroeder, Thyssen u.a.) als ideale Kanzlerbesetzung erschient, während Schleicher damals "nur" noch von Krupp, Wilomowsky und Wolff supportet wurde. Am 31. Januar 1933 musste Zehrer erkennen:

Dieses Kabinett ist das Werk Hugenbergs und des Herrn von Papen, und die Kräfte des Großgrundbesitzes und der Schwerindustrie haben es aus der Taufe gehoben.

Epilog 1

Das nun folgende Verhalten der Ideologen der Querfront hat Krakauer schon 1931 vorausgesehen:

Sobald die, durch die Praxis belehrt, erkannt haben werden, dass ihre Begriffe keine Wirklichkeit mit sich führen, bleibt ihnen immer noch vorbehalten, sich in die Wirklichkeit ihres Glaubens zu stürzen.

Schon im Mai 1933 forderte Zehrer, dass die NSDAP zur "staatlichen Organisation des Volkes" gemacht werde. Er bewahrte aber eine gewisse Distanz, zog sich von der "Tat" zurück. 1934 lernte er auf Sylt einen gewissen Axel Springer kennen und wirkte nach dem Krieg bis zu seinem Tod 1966 als Chefredakteur der "Welt".

Giselher Wirsing war 8 Jahre jünger und anpassungsfähriger. Mit ihm setzte die "Tat" den neuen Kurs durch, "zwischentonlos", wie der Politikwissenschaftler Klaus Fritzsche schreibt. Wirsing brachte es schließlich zum SS-Sturmbannführer und Fachmann für den arabischen Antisemitismus. 1940 erschien sein antiamerikanischer und antisemitischer Bestseller "Der maßlose Kontinent", ein Werk, in dem sich, so der Historiker Dan Diner, "Politik auf Komplott und Verschwörung reduziert". Kurz: Onkel Sam hat sich in Onkel Shylock verwandelt. Nach dem Krieg wurde Wirsing Begründer und Chefredakteur von "Christ und Welt".

Gregor Strasser wurde am 30. Juni 1934 von SS-Schergen ermordet.

Ernst Niekisch wurde 1937 zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt. Nach dem Krieg wurde er KPD-, dann SED-Mitglied, Professor für Soziologie und Abgeordneter. Nach dem 17. Juni 1953 legte er seine Ämter nieder. Er starb 1967 in Westberlin.

Karl Radek stand ein Leidensweg in der Sowjetunion bevor: Parteiausschluss, Selbstkritik, Schauprozesse, Zwangsarbeit und Ermordung.

Ernst Jünger starb hochgeachtet von einigen Linken und vielen Rechten im Jahre 1998.

Epilog 2

Ob diese Querfrontgeschichten aktualisierbar sind, mag der Leser beurteilen.

Der Autor dieser Zeilen glaubt nicht an eine Wiederholung von Geschichte, auch nicht als Farce. Versuche einer Querfront wie 1923 oder 1932 gibt es nicht. Da fehlen einfach die politischen Akteure. Es gibt (noch?) keine starke rechtsradikale Partei, eine linksradikale sowieso nicht. Auch der eiskalte Typus des "Unbedingten"ist wohl nicht angesagt.

Feststellbar sind aber bestimmte ideologische Kontinuitäten, die - betrachtet man z.B. die einzelnen Ideologeme und Assoziationen - auch heute in Konflikten schnell abrufbar sind: Antiamerikanismus und rabiate Israelkritik, verkürzter Antikapitalismus, Antiparlamentarismus, ein reduziertes Russlandbild (der "Bär" ist entweder lieb/tapsig oder böse/unberechenbar), das immer gute "Volk" (im Sinne einer Gemeinschaft, die von stets korrupten Herrschenden perfide manipuliert wird) etc. Jedes politische Ereignis wird als Bestätigung der feststehenden Diagnose genommen. Die Welt der Krise generiert Verschwörungsideologen. Sprache und Ideen sind immer noch (schon wieder?) "wirr-synkretistisch". In der Welt der Verschwörungsideologen gibt es keinen Zufall. Alles hat "System".

Die Zeit der Aufklärung ist noch lange nicht zu Ende.

Pierre Bourdieu, Die politische Ontologie Martin Heideggers, Frankfurt 1978

Dan Diner, Feindbild Amerika. Über die Beständigkeit eines Ressentiments. München 2002

Ossip K. Flechtheim, Die KPD in der Weimarer Republik, Frankfurt 1976 (1969)

Klaus Fritzsche, Politische Romantik und Gegenrevolution. Fluchtwege in der Krise der bürgerlichen Gesellschaft am Beispiel des "Tat"-Kreises, Frankfurt 1976

Ernst Jünger, Der Arbeiter, Stuttgart 1982 (1932)

Otto-Ernst Schüdekopf, Nationalbolschewismus in Deutschland 1918-1933. Frankfurt 1972

Zeev Sternhell, Ni droite ni gauche. L'idéologie fasciste en France.Paris 2012

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