Und wieder: eine neue Unübersichtlichkeit
Im Vorfeld des "Friedenswinters", der demonstrativen Fusion der alten mit der neuen Friedensbewegung, verkündeten viele Teilnehmer unter zunehmendem Applaus, sie seien weder "rechts" noch "links". Andere sprechen von "rechten Leuten von links" respektive "linken Leuten von rechts". Gerne wird politgastronomisch von "Crossover" geredet. Besonders beliebt sind auch die Begriffe "Querfront" oder "Nationalbolschewismus". Historisch Gebildete verweisen auf die "konservativen Revolutionäre" der Weimarer Republik. Auf Ernst Jünger sowieso. Der geht immer. Auf allen Seiten.
Kategorienkater allerorten. Schließlich sind mit "rechts" und "links" konträre Ziele (und Wege) verbunden. Einigen wir uns doch auf den Begriff "Mensch". Ken Jebsens "Zielgruppe Mensch" war markenpolitisch so erfolgreich, dass er sein Alleinstellungsmerkmal schnell verlor. Elsässers "Zielgruppe Volk" hat in einem anderen Sement des politischen Marktes Success. Beide verdanken ihre Publizität den sozialen Medien, wie Wolfgang Storz gezeigt hat. Da sind richtige Fanclubs entstanden. Wir bekommen sie alle zu spüren.
Die begriffliche Verwirrung hat eminent politische Konsequenzen. "Linke" erleben sich plötzlich als Säulen des Establishment. Ausgerechnet den Pazifisten wird der Schmittsche Begriff "Bellizismus"angeklebt. Die Roten von gestern sehen grau aus. "Rechte" gelten plötzlich nicht mehr als Parias, Lumpenproletarier, ewig Gestrige, wild oder zahm gewordene Kleinbürger. Sind die Braunen nicht die wirklichen Roten von heute? Ist Marine Le Pen nicht eine radikale Alternative in Europa? Gegen den westlich-liberalen Kosmopolitismus des FED-gesteuerten Finanzkapitals? Sogar Putin scheint dies erkannt zu haben und finanziert den Front National.
Dieser plötzliche Wirbel wird von vielen "traditionellen" Linken als ideologische Katastrophe empfunden (auch vom Autor). Andere kümmert dies nicht. Sie sehen es als eine Befreiung. Schließlich ist die Nazizeit vergangen. Der Krieg ist 70 Jahre her. Böse gesprochen: das Leiden unserer Vorfahren in den Schützengräben 1914-1918 berührt uns mehr als die Verbrechen unserer (Ur-)-Großväter. Lasst uns Lichterketten gegen den Krieg bilden! Schulter an Schulter mit den bisherigen Gegnern. Natürlich ohne Fackeln!
Allerdings ist nicht zu übersehen: einige ständig wiederholte Aussagen der neuen Friedensbewegten und Nachdenker verweisen auf bestimmte Argumentationmuster vergangen geglaubter Zeiten. Plötzlich ist "Der Westen" wieder im Fokus der Kritik. Selbst ein Jakob Augstein bezeichnet den Universalismus des Westens als "totalitäre Ideologie", eine "fatale Verkennung des Westens als Projekt", widerspricht Albrecht von Lucke in den "Blättern" (6/14). Rechtsextreme Verschwörungsideologen werden salon-, besser: facebook-fähig. Wörter wie "Systemmedien", "Plutokratie", und "Zinsherrschaft" kommen so locker über die friedensbewegten Lippen wie rabiate Israelkritik (die schnell in Antisemitismus umschlagen kann). "Der Andere plegt anders zu sein", schreibt der Historiker Kosellek in Bezug auf "Feindbegriffe". Manchmal ist aber auch genau so, wie man ihn sich vorstellt.
Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit Rechts-Links-Kontakten in der Weimarer Republik, mit dem also, was man Querfront nennt. Er ist alles andere als vollständig und trotzdem recht lang geworden .
1923 - strategische Annäherung im "nationalen Freiheitskampf"
Das führende Komintern-Mitglied Karl Radek war durch und durch Parteitaktiker. Mit dem "revolutionären Nationalismus" hatte er sich schon 1919 in deutscher Schutzhaft beschäftigt. Ablehnend: die Forderung der führenden Hamburger "Nationalkommunisten" Laufenberg und Wolffheimer nach einer Roten Armee, welche die soziale Revolution nach Frankreich und England "tragen sollte," hielt er mit Lenin für "kleinbürgerlichen Revolutionarismus". Es handele sich um
himmelschreiende Absurditäten des Nationalbolschewismus, der sich bis zu einem Block mit der deutschen Bourgeoisie zum Krieg gegen die Entente verstiegen hat.
Knapp vier Jahre später Jahre später sah Radek dies jedoch völlig anders. Am 9. Januar 1923 hatte der französische Ministerpräsident Poincaré fünf Divisionen ins Ruhrgebiet einmarschieren lassen und Belgien sich mit einer Division angeschlossen. Die deutsche Regierung verkündete den passiven Widerstand. Das Gesamtrussische Zentral-Exekutiv-Komitee wiederum warf der französischen Regierung "unersättliche Eroberungsgier" vor:
Fremde Eroberer bemächtigen sich des industriellen Zentrums Deutschlands... Die Souveränität, das Recht des deutschen Volkes auf Unabhängigkei, ist mit Füßen getreten worden...
Radek erkannte in der Ruhrbesetzung die große Chance einer revolutionären Situation (alle Parteien lebten damals in der Naherwartung der Revolution, teils freudig, teils ängstlich). Die Parole hieß nun: "Schlagt Poincaré an der Ruhr und Cuno an der Spree!"
Militante Nationalisten gingen mit Waffengewalt gegen die Besatzer vor, unter ihnen der Freikorpsmann Leo Schlageter. Er wurde im Mai 1923 von den französischen Besatzern hingerichtet - und prompt zum Märtyrer der Nationalsozialisten stilisiert. Nicht nur der Natuonalsozialisten. Auch Karl Radek nahm die Gelegenheit am Schopfe. In einer programmatischen Rede am 20. Juni 1923 verkündete er, Schlageter sei
ein mutigerSoldat der Konterrevolution, der es verdient, von uns, den Soldaten der Revolution, männlich ehrlich gewürdigt zu werden.
Rhetorisch fragte er:
Gegen wen wollen die Deutschvölkischen kämpfen: gegen das Ententekapital oder das russische Volk. Mit wem wollen sie sich verbinden? Mit den russischen Arbeitern und Bauern zur gemeinsamen Abschüttelung des Jochs des Ententekapitals, oder mit dem Ententekapital zur Versklavung des russischen Volkes?
Radek vergaß auch nicht, auf die preußische Tradition der Scharnhorst und Gneisenau hinzuweisen, damit an den "gemeinsamen" Kampf von Deutschen und Russen gegen Napoleon erinnernd.
Die Rede war nicht nur aus heutiger Sicht eine Zumutung. Radek benutzte bewusst die Ehrbegriffe der männerbündischen Freikorps. Schlageter war ein Vertreter des "Weißen Terrors" gewesen, dem zahlreiche Kommunisten zum Opfer gefallen waren. Trotzdem verzeichnet das Redeprotokoll "allgemeinen Beifall der Erweiterten Exekutive". Einmal mehr heiligte der Zweck die Mittel, es ging schließlich um "die Sache" . Unbemerkt im Hintergrund standen jedoch die außenpolitischen Motive der Sowjetunion, die durch eine deutsch-russische Annäherung ein Gegengewicht gegen die britisch-türkische Verständigung erreichen wollte.
Auf dieses Kollaborations-Angebot reagierte nun kein Geringerer als der konservative Revolutionär Moeller van den Bruck, dessen bekanntes Werk "Das Dritte Reich" gerade erschienen war. Moeller war wichtigster Ideengeber der damaligen Neuen Rechten und führender Kopf des "Juni-Klubs", einer Art politischer Salon, in dem linke Nationalsozialisten wie die Strassers, aber auch Intellektuelle wie Thomas Mann und Oswald Spengler verkehrten. Er meldete sich nun in der Roten Fahne (!) zu Wort:
Wie, wenn Arbeiter und Unternehmer erkennen, dass sie eine gemeinsame Sache verteidigen.
Die "deutsche Revolution" müsse einen "dritten Standpunkt" einnehmen. Und auch er machte den proletarischen Roten Komplimente:
Zwischen Revolutionärstum und Konservativismus gab es in Deutschland immer große geistige Verbindungsmöglichkeiten.
Moeller war nicht der einzige Nationalist, der reagierte. Ernst Graf zu Reventlow fragte besorgt in der Roten Fahne,
ob die von Radek eingeleitete neue Aktion der kommunistischen Propaganda nur bezwecke, Verwirrung bei den Völkischen anzurichten und sie so "sturmreif" zu schießen.
Der Genosse Redakteur versuchte zu beruhigen: die KPD sei nie "antideutsch" gewesen. Ruth Fischer trieb die Taktik so weit, in einer Rede vor der deutschnationalen Studentenschaft auszurufen:
Sie rufen gegen das Judenkapital meine Herren? Wer gegen das Judenkapital aufruft ist schon Klassenkämpfer, auch wenn er es nicht weiß.
Dann entgleiste sie vollends:
Tretet die Judenkapitalisten nieder, hängt sie an die Laternen, zertrampelt sie!... Der französische Imperialismus ist jetzt die größte Gefahr der Welt. Frankreich ist das Land der Reaktion...
Dass die Annäherungsversuche aber wohl doch eher taktischer Art waren, zeigte ihr sofortiger Abbruch nach dem peinlichen Scheitern des "deutschen Oktobers". Die Weimarer Republik mit großer Koalition und dem neuen Kanzler Stresemann begann ihre stabile Phase. Die sozialistische und/oder die deutsche Revolution waren erst einmal vertagt. Es blieb bei den "geistigen Verbindungsmöglichkeiten".
Konservative Revolutionäre
Pierre Bourdieu, Die politische Ontologie Martin Heideggers, Frankfurt 1978
Dan Diner, Feindbild Amerika. Über die Beständigkeit eines Ressentiments. München 2002
Ossip K. Flechtheim, Die KPD in der Weimarer Republik, Frankfurt 1976 (1969)
Klaus Fritzsche, Politische Romantik und Gegenrevolution. Fluchtwege in der Krise der bürgerlichen Gesellschaft am Beispiel des "Tat"-Kreises, Frankfurt 1976
Ernst Jünger, Der Arbeiter, Stuttgart 1982 (1932)
Otto-Ernst Schüdekopf, Nationalbolschewismus in Deutschland 1918-1933. Frankfurt 1972
Zeev Sternhell, Ni droite ni gauche. L'idéologie fasciste en France.Paris 2012
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