Im Roman Elementarteilchen lässt Michel Houellebecq seinen Helden Bruno sagen: „Ich hätte dem Front National beitreten können. Aber was bringt es, mit irgendwelchen dummen Ärschen Sauerkraut zu essen. Und überhaupt, rechte Frauen gibt es nicht. Und wenn, dann schlafen sie mit Fallschirmjägern.“ 20 Jahre später sind die Damen Le Pen gesellschaftsfähig. Nicht nur smarte Juristen und Ökonomen, auch feinsinnige Intellektuelle werden, wenn nicht „heimliche Vordenker“ des Front National wie der Philosoph und Schriftsteller Renaud Camus, so doch ideologische „Compagnons de route“.
Da wäre Alain Finkielkraut, 1949 geborener Sohn jüdischer Einwanderer. Sein Vater überlebte das KZ in Auschwitz. 2014 wurde er immerhin (zwar mit viel Streit) in die ehrwürdige Académie franςaise gewählt. Finkielkrauts Trauer um den Verfall von Nation und Republik ist im klassischen Sinn konservativ. Sein ständiger Vorwurf, der „edle Antirassismus“ sei eine Art umgekehrter Rassismus, so etwas wie eine Obsession. Ebenso wie der Topos des Fremdwerdens im eigenen Land. Und sein Jammern über die Bildungskatastrophe. Andererseits: Finkielkrauts Satz, „wir verlassen die Syntax der nationalen Erzählung für die Parataxe der permanenten Aktualität“, ist auf Französisch noch schöner. Finkielkraut ist letztlich ein unerschütterlicher Republikaner, ein Kritiker des linken und des rechten Antisemitismus, des linken und des rechten Populismus, ein darüber Verzweifelnder, einer, der sich allerdings in seinen Büchern immer stärker auf die klassischen Intellektuellen der Rechten wie Barrès oder Péguy bezieht, kurzum, ein Enfant terrible.
Komplizierter stellt sich der enorme Bucherfolg des (mittlerweile entlassenen) Fernsehmoderators und Journalisten Eric Zemmour dar. Die Zeit nennt ihn einen der „wirkungsmächtigsten Intellektuellen“, die taz bezeichnet sein Werk als „rassistischen Bestseller“. Es gibt schon das Verb „se zemmouriser“ (nach rechts rücken). Die Lektüre des Suicide franςais (2014), das interessanterweise bei Amazon mit Houllebecqs Unterwerfung angeboten wird, zeigt einen hochgebildeten Autor, der seine These der freudigen, wissentlichen und obstinaten Zerstörung der feinen Räderwerke des alten Frankreich und deren Auflösung im neoliberalen „Eiswasser“ des Individualismus an zahlreichen Episoden konsequent durchdekliniert. Zemmour radikalisiert die Finkielkraut’schen Topoi und erweitert sie. Begonnen habe alles mit dem Tod de Gaulles, ein emblematischer „Patrizid“ durch die 68er (natürlich!). Der Politik wurden die großen Männer ausgetrieben, den Familien die Väter, der Gesellschaft die Vorbilder.
Der „Droit-de-l’hommisme“, der „Menschenrechtismus“ ist für Zemmour der zentrale Diskurs des französischen Suizids. Er verdecke nur die Herrschaft der Oligarchen über das Volk, des Internationalismus über die Nationen, der neuen Feudalherren über den Staat, der Girondisten über die Jakobiner, der Richter über das Gesetz, der Feminität über die Virilität.
Der edle Antirassismus
Aber auch Zemmour ist kein dumpfer Rechter. Nicht wenige seiner Aperςus sind treffend, vor allem wenn es um Film, Chansons und Fußball geht. Nicht selten sind seine Referenzautoren Linke: Clouscard, Julliard, Marx. Es gibt aber manches Unhaltbare in seinen Äußerungen. Vichy, so Zemmour, habe die „ausländischen Juden“ den deutschen Besatzern geopfert, um die französischen zu schonen. Der Journalist Fréderic Haziza nennt ihn deshalb „den guten jüdischen Freund des Antisemiten“. Den Front National begreift Zemmour als Symptom für den allgemeinen Niedergang. Andererseits: Der alte Le Pen mag sein Buch. Seine Tochter kann sich Zemmour sogar als Kulturminister vorstellen.
Antisemitische Ausfälle
2014 wurde Alain Soral verurteilt, weil er den Koran als „muslimischen Code civil“ bezeichnete, 10.000 Euro kostete ihn die „Quenelle“, der sogenannte parodistische Hitlergruß, vor dem Shoa-Mahnmal in Berlin. „Wie wird man Alain Soral?“ Die Frage der Journalistin des Nouvel Observateur spiegelt Ratlosigkeit wider. Alain Soralkönnte eine Balzac’sche Figur sein, besessen von der Idee, Paris aufzurollen. Er ist ohne Zweifel sehr charmant und eloquent, belesen, ein Selfmade-Intellektueller.
Aufgewachsen in einer bürgerlich-provinziellen Familie, als Sohn eines Schweizer Rechtsberaters und einer Notarschreiberin, zog er 1976 mit 18 Jahren nach Paris, hielt sich mit Jobs über Wasser und studierte schließlich an der nationalen Kunstschule (wo das Abitur nicht vorausgesetzt wird). Politisch, so Soral selbst, war er damals „sehr links“, gleichzeitig aber ein „glühender Patriot“. Seine Schwester ist die Schauspielerin Agnès Soral, die sich von ihrem Bruder 2014 öffentlich distanzierte.
Ende der 1980er Jahre trat er für einige Jahre der kommunistischen Partei bei. Soral schrieb Bücher über Jugendmoden und drehte gar einen autobiografischen Film (2001). Die Gründe für dessen Flop liegen für Soral bis heute auf der Hand: „Ich bin von den zwei Cliquen, die das Milieu beherrschen, massakriert worden: den Schwulen und den Juden.“ 2005 wurde er Jean-Marie Le Pen vorgestellt, dem das alerte Multitalent gefiel. Er hatte das richtige „linke“ Profil für die „soziale Wende“ und sagte Sachen wie: „Wenn Marx heute lebte, würde er zur Wahl Le Pens aufrufen. Das kann ich Ihnen dialektisch beweisen.“ 2009 erfolgte dann der Bruch. Die antisemitischen Ausfälle der beiden schadeten dem neuen Image des FN. Bekannt ist seine enge Freundschaft mit dem Skandal-Komiker Dieudonné, dem Erfinder der „Quenelle“.
Für das lesende Bürgertum
Sorals politisches Hauptwerk Comprendre l‘Empire (2011) hat mittlerweile eine Auflage von 100.000 Stück erreicht. Es besteht aus bekannten Versatzstücken der Verschwörungsliteratur. Im neuen lexikalischen Gewand, so der Politikwissenschaftler Pierre Taguieff, bleibt die Rhetorik der Aufdeckung des großen Komplotts doch dieselbe. Allerdings unterscheidet Soral sich von anderen Extremrechten durch seine muslimfreundlichen Aussagen. Der Islam ist für ihn eine „männliche, einfache und egalitäre Religion, die Antwort auf ein Bedürfnis der Transzendenz, der Hoffnung, der Würde“. Seiner Muslimfreundlichkeit liegt allerdings ein antisemitisches Motiv zugrunde: „In Wahrheit habe ich die jüdische Herrschaft entdeckt, als ich die Klassenkämpfe studierte.“ Israel, so findet er, gehe es für ein genozidiertes Volk doch gut. Ersparen wir uns die noch ekligeren Zitate.
Soral ist Anchorman einer der meistbesuchten Internetseiten Frankreichs: Egalité & Réconciliation. Die Seite ist so gut gemacht, dass die deutschen Pendants im Vergleich (noch) wie Anfänger aussehen: Revue de presse, eigene Reportagen, Interviews, verschwörungsideologische Dokumentarfilme, Videos, Karikaturen, Leserpost, Rubriken für Katholiken und für Muslime. Die Renner sind die Videovorträge Sorals. Deren Setting ist auf die Zielgruppe ausgerichtet: Der drahtige Soral sitzt im T-Shirt (aus eigenem Vertrieb) auf einem roten Canapé. Nach den Novembermassakern 2015 erklärt Soral nüchtern, das Attentat habe „Bobos“ getroffen. Die islamische „Racaille“ (dt. Abschaum) wolle eben Spaß, brauche Ersatz für ihre unterdrückte Sexualität. Immer wieder weist er auf die Kosten seiner zahlreichen Prozesse hin. Aus diesem Grund werden die Videos für zwei Euro angeboten. Angeblich verdient Soral damit über 5.000 Euro pro Video. Eine Mitgliedschaft im Club E&R kostet 20 Euro, was eine jährliche Einnahme von 100.000 Euro garantiert. Hinzu kommt der Verlag Kontre Kulture, der neben den Werken Sorals vor allem antisemitische Klassiker verlegt, aber auch Bakunin, Rousseau, Gramsci und Marx. Das Business Soral ist also nach dem Geschmack des rechten Mannes.
Der Ideenhistoriker Zeev Sternhell konstatiert für das erste Drittel des vergangenen Jahrunderts dieselbe intellektuelle und moralische Krise, denselben Hunger nach moralischer Erneuerung und dieselbe Kritik der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Werte, des Liberalismus und der Demokratie. So scheint es auch heute zu sein. Nicht umsonst greifen Finkielkraut, Zemmour und Soral verstärkt auf die rechten Autoren vergangener Krisenzeiten zurück. Soral verbündet sich gar mit der monarchistischen „Action franςaise“, die wiederum ohne Scheu antikapitalistische Ideologeme aufnimmt.
Natürlich ist es falsch, eine direkte Linie von Finkielkraut zu Soral zu ziehen. Zwischen beiden ist ein Graben. Aber Finkielkraut liefert eine Rezeptionsvorgabe. Soral hat keine Skrupel, eine Prise Finkielkraut in seinen Ideenshaker zu schütten. Bei Zemmour gibt es noch größere Schnittmengen. Seine Sympathie drückt Soral so aus: Das ist der Fall des patriotischen Juden, der Frankreich alles verdankt. Und Zemmour: Ich spreche mit ihm. Wir haben denselben Standpunkt, drücken ihn aber anders aus.
Und sie haben unterschiedliches Publikum. Finkielkraut spricht die traditionellen, nostalgisch gestimmten gebildeten Schichten an. Zemmour erreicht und bestätigt mit seiner Riesenauflage das (noch) lesende Bürgertum. Er wird aber auch verstärkt von den ehemals linken Trägern des kulturellen Kapitals (Beamte, Lehrer) rezipiert. Soral führt eine ganz andere „Front“. Im Juli hat er seine neue Partei „Réconciliation nationale“ (nationale Versöhnung) gegründet. Seine (und Dieudonnés) Zielgruppe sind die „digital natives“, der von Prekarisierung bedrohte Teil, verschwörungsideologisch orientiert, antizionistisch bis antisemitisch, katholisch, rechts-laizistisch, muslimisch, vor allem aber männlich. Nur scheinbar paradox, bringt er gerade durch seine angebliche Unabhängigkeit vom FN junge Menschen in dessen Dunstkreis.
Wäre der Houellebecq’sche Bruno heute immer noch „links-humanistisch“? Man muss fürchten, er wäre es nicht.
Info
La seule exactitude Alain Finkielkraut Stock 2015, 306 S., 19,50 €
Le suicide franςais Eric Zemmour Albin Michel 2014, 544 S., 22,90 €
Comprendre l’Empire Alain Soral Édition Blanche 2011, 237 S., 15,50 €
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