Salve Caesar!

Rom und Europa Der Althistoriker David Engels wandelt in Oswald Spenglers Stiefeln und sagt ein gemäßigt caesaristisches Europa voraus. Schöne Aussichten!

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Es gibt kaum Schöneres als Römervergleiche. Seit Jahrhunderten regen sie die Phantasie an. Da kann ein Paul Veyne noch so warnen: Les Romains sont prodigieusement différents de nous. Die Römer und wir sind grundverschieden. Offensichtlich gibt es Ähnlichkeiten. Parteien in der römischen Republik zum Beispiel. Jedoch urteilt der Althistoriker Christian Meier:

Schon Mommsen hat diese Erfahrung naiv auf die Römische Republik übertragen. Genaueres Zusehen hat inzwischen erwiesen, dass man mit diesen Vorstellungen von Politik an den antiken Gemeinwesen scheitert.

http://static.panoramio.com/photos/large/49266947.jpgDies gilt natürlich umgekehrt auch für die Übertragung römischer Verhältnisse auf unsere Gegenwart. Größte Vorsicht ist also bei historischen Analogien geboten. Das "Schon die ollen Römer..." verdeckt oft mehr, als es erhellt. Selbstbild und Fremdbilder sind bei historischen Urteilen unsere ständigen Begleiter. Angemessene Interpretation der Quellen ist eine hohe, oft vergebliche Kunst. "Ars longa, vita brevis", wie schon der Römer sagte.

Eine hochkarätige Jury hat nun im Auftrag von SZ und NDRKultur David Engels "Weg zum Imperium" zum Sachbuch des Monats September bestimmt. Der 1979 geborene Engels ist Althistoriker an der Freien Universität Brüssel. Ungewöhnlich für seine Generation ist, dass er zu seinen Lehrmeistern Nietzsche, C.G. Jung und vor allem Oswald Spengler zählt. Der Titel des Buches erinnert an letzteren: Le Déclin (der Untergang).

Engels Thesen wurden in Frankreich insgesamt mit wohlwollendem Interesse aufgenommen. Spenglers steile Analogien und seine begeisterte Rezeption in der rechten Intelligenz der Weimarer Republik sind im Nachbarland kein großes Thema (mehr). Die recht positive Resonanz in Deutschland überrascht jedoch, so wie auch Engels selbst sich vor einigen Jahren überrascht zeigte, dass er einem deutschen Publikum ohne jeden Widerspruch die "Aktualität" Spenglers nahebringen konnte. Schließlich zählt der Autor des "Untergangs des Abendlands" zu den "Vorformern des deutschen Faschismus, auch wenn ihm der Hitler nicht fein genug war" (Adorno). Schauen wir also näher hin.

Für einen heutigen Althistoriker ungewöhnlich, gibt Engels ein aktuelles politisches Gebrauchswertversprechen:

Unsere Absicht ist aufzuzeigen, dass die Gegenüberstellung der Mittelmeerwelt des 1. Jahrhunderts v. Chr. und des aktuellen Europa den Schlüssel zum Verstehen unserer gegenwärtigen Situation birgt - und vielleicht das Lösungsparadigma für die zahlreichen Probleme der heutigen Krise (zitiert nach der frz. Ausgabe).

Materiale Grundlage der historischen Analogisierung sind Umfrageergebnisse von Eurostat auf der einen und klassische literarische sowie historische Quellen der Römerzeit auf der anderen Seite. Ob Engels die mit den extrem unterschiedlichen Quellensorten verbundenen Erkenntnisprobleme löst, sei im folgenden kurz diskutiert.

Insgesamt ist die Lektüre des Buches etwas mühsam, was nicht am Inhalt und der flotten Sprache liegt, sondern an der Präsentation. Zwölf "Identitätselemente" der Europäer und der Römer werden in eigenen Kapiteln mit zwei entsprechenden Unterkapiteln konfrontiert. Das Ergebnis ist - wie zu erwarten - stets dasselbe: Wir Europäer erleben heute die gleiche Identitätskrise wie die Römer am Ende ihrer republikanischen Phase.

Engels postuliert ein "historisches Unbewusstes", in welchem bestimmte Identitätselemente "tief verankert" sind. Dazu zählt er das "ethnische Zugehörigkeitsgefühl", welches durch den Universalismus und Multikulturalismus im Kontext verstärkter Einwanderung erschüttert werde, wie die Umfragen zu zeigen scheinen (es fehlt eine kritische Diskussion der demoskopischen Daten). Dazu, so der Autor, gehöre auch die größere Kriminalitätsrate der Einwanderer. Natürlich bestätigen die römischen Autoren seine These. Engels wählt hier unter anderem den sehr konservativen Satiriker Iuvenal, der im zweiten Jahrhundert n. Chr. (die zeitliche Distanz scheint den Autor nicht zu stören) lamentiert, ein "griechisches Rom" ertragen zu müssen.

http://www.comedix.de/lexikon/special/gudrun_penndorf/grafik/orgien.jpgDie folgenden Kapitel sind ähnlich gestrickt: die wenigen, aber ausführlich zitierten römischen Quellen verifizieren die aktuellen europäischen "Befunde": Individalismus mit Anspruch der Frauen, auf Selbstentfaltung, entsprechend sinkende Fertilitätsrate, Entwertung von Tradition und Religion ("gegenüber der christlichen Religion ist alles erlaubt"), zunehmende Kriminalität, Arbeitslosigkeit, Entwertung der Institutionen. Die europäische und die römische Politik liege in den Händen von kalten Technokraten der Macht und der Manipulation. Angesichts der identitären Krise ziehen europäische und römische Bürger die Gleichheit der Freiheit und die Sicherheit der Demokratie vor. Zustimmend zitiert Engels Münkler, der auf Europa bezogen von der "Erschöpfung der demokratischen Institutionen" spricht.

Kurz: Engels ziemlich redundante Analyse der europäischen Identität erinnert mehr als deutlich an rechtskonservative Bestsellerautoren wie Erik Semmour oder Thilo Sarrazin (um nur zwei zu nennen). Auch er beklagt immer wieder die Diktatur des "politisch Korrekten". Nun mag das Beschriebene wirklich die vox populi der Gegenwart sein, ob er aber wirklich des römischen Volkes Stimme im 1. Jahrhundert analysiert, dürfte fraglich sein - zumindest wäre in beiden Fällen akribische Quellenkritik zu erwarten.

"Eindrucksvolle Analogien", kein "zufälliger Parallelismus", erklärt der Autor dem angesichts des schon so oft Gelesenen erschöpften Leser:

Die Konstruktion Europas, die erst an ihren Anfängen steht und dank welcher die europäischen Staatsnationen ihre tausendjährigen Konflikte aufgegeben haben, wäre also das Ergebnis eines unwiederbringlichen Verlustes der individuellen Identifizierung mit dem traditionellen Staat... Die kollektive Identitätskrise hat die Konstruktion Europas erleichtert.

Im Grunde reformuliert Engels Spenglers alte Dichotomien: Seele vs. Intellekt, Metaphysiker vs. Tatsachenmenschen, "mit der Erde Verwachsene" vs. Grosstadtnomaden, Kinderreichtum vs. Rückgang der Fruchtbarkeit, Religiosität vs. Materialismus, Führer- und Gefolgschaft vs. Parlamentarismus. Die Methode der (scheinbar) historischen Analogisierung bewirkt bem Leser eine Art reziproker Verdopplung: die 2000 Jahre alten römischen Texte verstärken die Aussagen zur Gegenwart - und umgekehrt. Die "Jeremiaden der römischen Machteliten" (so der Rezensent der FAZ) werden dadurch zu aktuellen Krisenbefunden. Die antike Hellenisierung erscheint dem Leser plötzlich als Amerikanisierung, der Epikurismus als Liberalismus, Lukrez wird zum (gottlosen) Vertreter der universalistischen Aufklärung und Alexandria/Rom identisch mit den heutigen Metropolen (inklusive Banlieues). Wie bei Meister Spengler ist es nicht unbedingt leicht, sich der Faszination durch die Texte und der Scheinplausibilität der Analogien zu entziehen.

Im Postscriptum versucht Engels eine "historische Spekulation": Aus der Krise der späten römischen Republik ging bekanntlich das Imperium der Caesaren hervor. Wenn die Analogien stimmig sind (und davon geht Engels aus), steht uns Europäern eine Art augusteisches Prinzipat bevor. Wenn Europa nicht in seine nationalen und regionalen Einzelteile zurückfallen soll (was er für unwahrscheinlich hält), wird es eine starke Zentralmacht geben müssen. Engels prognostiziert ein "gemäßigt imperiales Europa", mit eigener nationenunabhängiger Innen- und Außenpolitik. Erfolgsbedingung sei jedoch die Abkehr vom universalistischen Ideal und die Rückkehr zu den traditonellen Werten, die bekanntlich in unserem historischen Unterbewusstsein unruhig schlummern. Dieser Autoritarismus schmeckt Engels auch nicht gerade, aber er ist nun einmal geschichtsphilosophischer Pessimist. Heroisch erklärt er:

Es gibt Epochen in der menschlichen Geschichte, wo jeder Optimismus nur Feigheit und unverantwortliche Blindheit ist, während es der Pessimismus erlaubt, sich ehrenhaft dem Unvermeidlichen zu stellen.

So wie die ollen Römer halt. Cato dixit.

Die Wirkung des gut promoteten Buches ist noch nicht klar abzusehen. Der Nestor der Neuen Rechten, Alain de Benoist, gewährte Engels ein langes Gespräch in seiner Zeitschrift. Die französischen Identitären finden sich bestätigt - nur die Epoche macht ihnen Probleme: sollte man nicht doch das späte Kaiserreich oder die Zeit Karls des Großen heranziehen? Schließlich gab es damals schon die Franken.

In Deutschland bemäkelt die sehr rechte Sezession, das Buch sei interessant, aber "geschichtsphilosophisch unterbegründet". Engels selbst gab der sehr sehr rechten Blauen Narzisse ein langes Interview, in dem er gegen Gleichmacherei wettert und der Political Correctness vorwirft, die gesellschaftliche Ausnahme zur gleichberechtigten Regel neben die mehrheitliche Norm zu stellen. Seine Teilname an der rechtsextremen Verlegermesse "zwischentag" sagte er jedoch ab. Auch die Ablehnung einer Re-Nationalisierung dürfte nicht allen neuen und alten Rechten gefallen. Schließlich war auch Spengler den Nazis zu elitär und uneindeutig.

Bei aller Kritik darf natürlich nicht vergessen werden, dass Europa politisch, sozial und ökonomisch wirklich in einer tiefen Krise ist. Und tatsächlich besteht die Gefahr eines wie auch immer geformten "Caesarismus" (eine milde Form erleben wir in Russland). Je lauer die Antworten der Linken (im weiten Sinne) auf diese Krise ausfallen, desto plausibler erscheinen die historischen Thesen der Rechten. Aber gibt es überhaupt Antworten der Linken?

"Motum in re publica non tantum ego impendere video" (Cicero).

David Engels, Le déclin, Paris 2013 (Editions du Toucan), deutsche erweiterte Ausgabe: Der Weg ins Imperium. Berlin 2014 (Europa Verlag Berlin)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden