Schon ein Jahr

Kommentar Seit einem Jahr regiert Frankreichs dynamischer Präsidentenkönig. Erfolgreich?

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Historisch gesehen pflegen Monarchen in Frankreich manchmal ein Ende zu nehmen, das nicht unbedingt vorherzusehen war
Historisch gesehen pflegen Monarchen in Frankreich manchmal ein Ende zu nehmen, das nicht unbedingt vorherzusehen war

Foto: Philippe Wojazer/AFP/Getty Images

Ein Jahr Macron. Während der Präsident in Übersee weilt, ziehen die Medien hüben und drüben Bilanz. Ein frischer Wind, so die meisten, wehe über Frankreich, ja über Europa (welches für sie bekanntlich nur die Europäische Union bedeutet). Den Wind of change lieben wir ja seit 89 besonders, also 1989, nicht 1789. Und in der Tat wurde im letzten Jahr viel Luft produziert, Bühnennebel bei den brillanten Inszenierungen des Président-Monarque: vor Schlössern und Kirchen, in prunkvollen Sälen, vor dem Eiffelturm, im Invalidendom vor dem Sarkophag Napoleons und in Parlamenten (nicht im französischen allerdings). Unvergesslich sind seine Begegnungen mit dem Volk, mit Rentnerinnen, die er entzückt, mit Arbeitern, die er entsetzt.

Ein Jahr Macron, das ist für die öffentlichen und privaten Medien, ein Jahr rasender, fast gleichzeitiger Reformen: Flexibilisierung der Arbeit, erleichterte Kündigung, stärkere Belastung der Armen, Steuerminderung für die Reichen und Superreichen, Perpetuierung des Ausnahmezustands, Verschärfung der Einwanderungsgesetze, Vertreibung friedlicher Squatter, Werben um den rechten Katholizismus und demnächst Aufhebung des Eisenbahnerstatuts, Privatisierung der SNCF, Reduzierung des öffentlichen Dienstes usw. usw. Es geht also voran.

Ein Jahr Macron, das ist die Führung der „Firma Frankreich“ durch einen autoritären neoliberalen CEO, der sich nach einer Bilderbuchkarriere als Finanzinspektor und Banker beim Wahlvolk beworben hatte und und das historische Glück hatte, dass der aussichtsreichste rechte Mitbewerber (Fillon) plötzlich und unerwartet kompromittiert dastand und die Konkurrentin im entscheidenden Auswahlverfahren Marine Le Pen hieß. Der Chef kann sich auf eine parlamentarische Mehrheit von oft unerfahrenen Ja-Sagern verlassen, zieht aber aus Effizienzgründen in Essentials die autoritäre Methode der Dekrete vor. Seine Minister stammen oft aus derselben dynamischen Bourgeoisfraktion wie er, haben eine ähnliche Bildungs- und Berufskarriere und vertreten, in oft unerträglich zynischer Selbstgewissheit, ihre neoliberalen Platitüden. Des Präsidenten Herrschaft scheint ungefährdet. Erscheint eine Wolke am blauen Himmel, wird der Blick auf die außenpolitischen Aktionen des Dynamikers gerichtet: seine Reden (also in English), seine Händedrucke und Umarmungen (die dann in den Medien kommunikationstechnisch kommentiert werden), seine Entschlossenheit im Kampf gegen den inneren und äußeren Gegner.

Ein Jahr Macron bedeutet aber für die vielen Gegner des Präsidenten (deren Zahl viel größer ist, als in den Medien, vor allem in den deutschen zumeist behauptet wird) ein Jahr Erfahrung der Machtlosigkeit. Wie viele Intellektuelle haben sich über "das Phänomen" (Emmanuel Todd), den "kleinen Jungen" (Michel Onfray) mokiert! Unzählige Wortspiele kursieren: Roi-Sommeil, le Moi-Soleil, le petit prince, Micron, Emmanuel Teflon, Macron=Midas, Jupiter... Der Präsident scheint geschmeichelt und lächelt sie einfach weg, ja spielt seinerseits mit ihnen. Selbst Macrons offensichtliche Klassenverachtung über die „Nichtstuer“ und „Nichtse“ hat ihm nicht so geschadet, wie es sich gehörte. Die France insoumise rannte unermüdlich, mit immer neuen Demonstrationen gegen Macronien an. Umsonst. Es reichte ein kurzes Bellen und Beißen der medialen „Chiens de garde“ (Wachhunde), die wissen, was ihre milliardenschweren Chefs von ihnen erwarten. Genauso wie der Präsident weiß, was von ihm erwartet wird. Zum Beispiel Wegschauen bei der „Optimierung“ von Steuern. Oder Beteiligung am Syrienkrieg und Verkauf von Rüstungsgütern von Dassault oder DEAS. Verbilligung der Ware Arbeitskraft sowieso. Reagiert er also erfolgreich? Ohne Zweifel, allerdings wäre "successful" das bessere Wort. Oder "folgenreich".

Nach einem Jahr Macron gibt es allerdings auch Anzeichen von Nervosität. Ein Mensch wie Macron möchte geliebt werden. Er hasst Widerstand. Und die „Konvergenz der Kämpfe“ (Streiks der Eisenbahner, der Beamten und Krankenhausmitarbeiter, der Studenten) nimmt (zu langsam?) Gestalt an. Die große „Fête à Macron“ am 5. Mai war eine beeindruckende kreative Demonstration in bester revolutionärer Tradition. Und dies im emblematischen Monat Mai.

Auch ein Jahr Macron ist also noch kein Grund zur Resignation. Historisch gesehen, pflegen Monarchen in Frankreich manchmal ein Ende zu nehmen, das nicht unbedingt vorherzusehen war. Immerhin sind schon jetzt viele Franzosen entschlossen, Macron nicht noch einmal zu wählen. Die vier folgenden Jahre sollten dann auch reichen. Wie sagte ein großer Monarch: On verra. Man wird sehen.

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