Steine und Sterben

"Deutsche Archäologie" Kaum eine andere Wissenschaft war so nationalsozialistisch wie die Archäologie. Ihre Stunde der "Bewährung" schlug im Zweiten Weltkrieg. Und in der Zeit danach

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Sind Scherben stumm?
Sind Scherben stumm?

Bild: Patrik Stollarz/AFP/Getty Images

J'ai joué sur la pierre

De mes regards et de mes doigts

Et mêlées à la mer

Revenant par la mer

J'ai cru à des réponses de la pierre

(Eugène Guillevic, Carnac. 1961)

Ich spielte auf dem Stein

Mit meinen Blicken, meinen Fingern

Und vermischt mit dem Meer

Sich entfernend auf dem Meer

Zurückkehrend über das Meer

Glaubte ich an Antworten des Steins

Es ist überwältigend. Fast dreitausend Menhire auf vier Kilometern, in Ost-West-Richtung aufgestellt. Hinzu kommen Tumulusgräber und granitene Wälle. Das bretonische Carnac ist ein magischer, ein rätselhafter Ort. Wenn des Morgens die Sonnenstrahlen den Nebel durchbrechen, glaubt man sich in eine andere Zeit versetzt. Fehlen noch die weiße Pferde, die keltische Harfe. Wer stellte die Steine auf? Warum? Wie? Das typische Geheimnis der Geschichte also. Wir wissen es nicht. Die Steine sind stumm. Vor 75 Jahren glaubten bestimmte Wissenschaftler sie zum Sprechen zu bringen, und zwar in germanischen Urlauten.

Lange war es eine Art Familiengeheimnis: Fast 86 Prozent der deutschen Archäologen gehörten der NSDAP oder einer Untergruppierung an. Eine ganze Generation von Prähistorikern trug aktiven Anteil an der ideologischen „Germanisierung“ Europas. Archäologie war die ideale „Legitimationswissenschaft“ (Peter Schöttler). Ihre Mission: die materiale Konstitution des „historischen Rechts“ der Deutschen auf ihren „Lebensraum“.

Goebbels hatte es „stählerne Romantik“ genannt, dieses Amalgam von technisch-industrieller Rationalität und antimoderner Weltanschauung. Die '“Deutsche Archäologie“ war einerseits „völkisch“, andererseits aber ungemein innovativ. Man war stolz auf diese „deutsche Objektivität“. Schon in den zwanziger Jahren wandte einer späteren NS-Stararchäologen, Hans Reinerth, naturwissenschaftliche Verfahren an (Botanik, Zoologie, Sedimentologie). Interdisziplinarität war eine Selbstverständlichkeit. Die französische Ausgrabungswissenschaft, so der Autor Laurent Oliver, war dagegen eher eine „archéologie de papa“(1).

Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatte der Nestor der deutschen Frühgeschichte und Vertreter der „Siedlungsarchäologie“, Gustav Kossinna, dekretiert, dass das „indogermanische Urvolk“ im heutigen Norddeutschland und in Dänemark entstanden sei und sich von dort im 3. Jahrtausend v.Chr, ausgebreitet habe. Zu den „Erben“ dieser überlegenen Rasse gehörten für ihn außer den Germanen die Kelten, die Balten und die Griechen.

Der schon erwähnte Hans Reinerth war der Meisterschüler Kossinnas, einer der „Generation Sachlichkeit“. Als Schützling Alfrred Rosenbergs trat er schon 1931 in die NSDAP ein und wurde schnell zum führenden Archäologen des Rosenbergschen Reichsbundes für Deutsche Vorgeschichte. Er positionierte sich als Vorkämpfer der“Deutschen Archäologie“ gegen die Vorherrschaft der auf die Römer fokussierten Ausgrabungswissenschaft.

Ab 1935 baute Himmler sein Konkurrenzunternehmen Ahnenerbe auf. Auch er schmückte sich mit bekannten Archäologen wie Hans Schleif (Grabungen in Olympia) und – vor allem – Herbert Jankuhn. Letzterer hatte sich mit seinen Ausgrabungen in Haithabu (Wikinger) einen Namen gemacht. Jankuhn war nicht in die NSDAP aufgenommen worden, betrieb dafür aber zielstrebig seine Karriere in der SS. Die Rivalität zwischen Himmler und Rosenberg um die weltanschauliche Hegemonie fand ihre „natürliche“ Fortsetzung im „wissenschaftlichen“ Dauerkonflikt zwischen Reinerth und Jankuhn.

Mit der Besetzung Frankreichs 1940 wurde das Elsass Teil des Gaus Baden-Elsass, und Lothringen wurde dem neuen Gau „Westmark“ zugeschlagen. Beide Regionen unterlagen einer gewaltsamen „Entwelschung“. Mit der Besatzung schlug die Stunde der Experten, so der Historiker Peter Schöttler (2). Die „deutsche Archäologie“ wollte ihren Gebrauchswert als „Einmarschhistorie“ beweisen. Hans Reinerth forschte im Elsass am so berühmten wie rätselhaften Wall des Mont Saint-Odile bei Obernai. Angesichts der zyklopischen Steinquader, so die These, könne es sich nur um eine uralte germanische Befestigung handeln. Die Ergebnisse waren wohl spärlich, zumindest wurden sie nie veröffentlicht. In Lothringen wurden – unter Mithilfe von Wehrmachtsoldaten – merowingische Gräber exploriert. Erwartbarer Befund: die 92 menschlichen Überreste waren freie fränkische Bauernkrieger.

Naturgemäß waren die Großsteine und die als „Führergräber“ bezeichneten Tumuli der Bretagne für die Parteiarchäologen besonders attraktiv. Wir haben nicht den Fortschrittsglauben, sondern den Ursprungsglauben, so der Historiker Wilhelm Pinder 1937. Waren die Großsteinreihen Geschöpfe der „Nordleute der Großsteingräber“ (Reinerth)? Darauf wiesen für ihn die Tumuli hin. Waren nicht die Bretonen Kelten, also wie die Germanen aus den „Nordleuten“ hervorgegangen? Und waren sie nicht „reinrassiger“ als die latinisierten Gallier Mittel- und Südfrankreichs?

Allerdings hatte das Keltenbild der deutschen Bildungsbürger immer auch aktuellen politischen Imperativen gehorcht. Aus den romantisierten „Celten“ waren 187o die Feinde Germaniens, geworden, die im Ersten Weltkrieg mit den Iren wieder zu „natürlichen“ Cousins, pardon Vettern mutierten. Entsprechend involviert war vor allem die Deutsche Gesellschaft für keltische Studien. Zwei ihrer hervorragenden Vertreter, Gerhard von Tevenar und Léo Weisberger wurden auf die Separatisten des Parti National Breton angesetzt.Von Tevenar war seit den frühen dreißiger Jahren Freund des PNB-Führers Olier Modrel, einem begeisterten Anhänger der „deutschen Revolution“. Noch 40 Jahre später schrieb Modrel von diesem

Idealisten, der uns von einem mystischen Nordreich erzählte, welches die alte barbarische Bruderschaft gegen die lateinische und angelsächsische Welt erneuern würde.

Es war ein kompliziertes, aber politisch gewolltes Beziehungsgeflecht. Tevenar war 1939 aus der Partei ausgeschlossen worden, angeblich wegen Homosexualität, wohl aber auch wegen seiner Verbindungen zu Reinerth und Rosenberg. 1942 war er „umgedreht“. Als Vertreter des Himmlerschen Ahnenerbes hatte er die Aufgabe, das Institut celtique in Rennes dem Einfluss der Rosenbergleute zu entziehen. Der Philologe Léo Weisberger war im Rahmen des „Kriegseinsatzes der Geisteswissenschaft“ vom Militärverwaltungschef und Großraumtheoretiker der SS Werner Best auf die bretonischen Separatisten angesetzt worden. Es ging Best um nichts anderes als einen bretonischen Staat, der sein völkisches Eigenleben führen soll, während das deutsche Außenministerium und der Militärbefehlshaber Stülpnagel Unruhen im Westen unbedingt vermeiden wollten. Best wurde nach Dänemark versetzt. Die PNB-Führer erfüllten jedoch ihren Auftrag und verbreiteten mit deutscher Hilfe über ihre Zeitschriften antifranzösische und antisemitische NS-Propaganda. Unter Leitung Weisbergers wurde ein Radio Breiz (Bretagne) eingerichtet, das in von französischen Sprachelementen „bereinigtem“ Bretonisch sendete. Hauptaufgabe der Autonomisten war jedoch die Bekämpfung der Résistance durch Infiltration. Ihre Milizen nahmen aber auch an Festnahmen, Folterungen und Exekutionen teil (3).

Im archäologischen Feld wurde der Reichsbund für deutsche Vorgeschichte gleich nach dem Einmarsch aktiv. Ein enger Kollege Reinerths, Werner Hülle, später Autor der viel gelesenen „Steine von Carnac“ , arbeitete schon ab August 1940 in Carnac, logistisch unterstützt von Soldaten und Fliegern (Luftfotographie). Bretonische Museumssammlungen wurden, auch dies eine deutsche Spezialität, systematisch fotografiert und dokumentiert.

Doch die Konkurrenz schlief nicht. Am 10. Oktober 1940 schickte Himmler persönlich den gerade aus Norwegen zurückkommenden Jankuhn (er hatte sich übrigens über die „antideutschen" norwegischen Kollegen geärgert) als Mitglied des Einsatzkommandos des Sicherheitsdienstes in Paris nach Carnac. Sein Auftrag: Sicherung der Megalithendokumentierung noch vor den Herbststürmen.zu sichern. Jankuhn rapportierte so pflichtbewusst wie maliziös nach Berlin:

Wahrscheinlich wird es auch hier, wie überall, wo Reinerth seine Hand im Spiel hat, so werden, dass unter günstigen Verhältnissen mit ungenügenden Kräften große Aufgaben angegriffen und unzureichend gelöst werden.

In einem anderen Schreiben teilte er mit:

Die Feststellung der Reinerthleute hier lässt mich noch einmal die Frage nach dem Denkmalschutz stellen... Hier in Frankreich ist das nun schon zhu spät, aber für England kann das ja vermieden werden.

„Denkmalschutz“ gehörte zu den großen Anliegen Jankuhns. Dazu später.

Auf einer zweiten Reise traf Jankuhn Werner Hülle. Er erklärte dem Kollegen seine Anwesenheit in Carnac mit einer vielsagenden Andeutung: „Sipo-Befehl“. Die Reichsbundforscher beschwerten sich bei Rosenberg, und dieser bei Himmler. Eine Antwort des SS-Führers liegt nicht vor. Jedenfalls gingen Hülles Grabungen weiter, obwohl Jankuhn nicht locker ließ. Noch im April 1942 schlug er dem Militärkommando vor,

die Anwesenheit des Herrn Hülle durch junge Forscher zu ersetzen.

Erst mit dem Befehl zum Bau des „Atlantikwalls“ änderte sich die Situation in der Bretagne. Die „Organisation Todt“ kam zum Einsatz. Arbeitsdienste und Kriegsgefangene waren mit der Zermahlung von Kies und Mauersteinen zu Bunkern beschäftigt. Die Vor- und Frühgeschichte hatte ausgedient. In ein „Fürstengrab“ wurde sogar ein kompletter Bunker gebaut. Dolmen wurden zum Teil zerstört. Die Spuren sind noch heute sichtbar, werden aber kaum bemerkt. Man ist schließlich im Urlaub.

Die beiden Kämpfer um die Vorherrschaft in der „Deutschen Archäologie“ setzten ihre Karrieren und Konflikte fort. Beide „bewiesen“ deutsche Gebietsansprüche im jeweils neu besetzten Land. Archäologie als Fortsetzung des Krieges. Reinerth leitete 1941 Ausgrabungen im besetzten Thessalien, und „stellte fest“, dass die Germanen, von Norden kommend, tatsächlich Griechenland besiedelt hatten. Noch im selben Jahr – der Überfall auf die SU hatte gerade begonnen – wird er in die Ukraine beordert, zwecks Feststellung, Sicherung und Erforschung der germanischen und slawischen Funde in den besetzten Ostgebieten. Im Februar 1945 allerdings verliert er wegen vorgeblicher Begünstigung von Juden alle Parteiämter. Der lange Arm des Himmlerschen Ahnenerbes hatte ihn doch noch erreicht.

Reinerths Konkurrent Jankuhn wurde von der Wehrmacht freigestellt und von der Waffen-SS einberufen. Das Sonderkommando Jankuhn bekam in Südrussland und der Ukraine „kulturpolitische 'Sonderaufgaben“, dieselben wie Reinerth,. Der „Denkmalschützer“ war damit Chef einer Kunstraubbande, der gleichzeitig Ausgrabungen in gotischen Gräberfeldern leitete (mit Kriegsgefangenen als Helfer). Die „sichergestellten Werke“ wurden zunächst an Jankuhns Insitut in Rostock aufbewahrt, um später nach Berlin gebracht zu werden. Noch 1943 leitete er ein zweites Sonderkommando, mittlerweile als Obersturmbannführer.

Auch bei den meisten der „willing archaeologists“ war das Kriegsende nicht das Karriereende. Jankuhn überstand die Entnazifizierungsverfahren ziemlich schnell. Schließlich war er kein Parteimitglied und in die Waffen-SS habe man ihn quasi gezwungen. 1948 leitete er wieder Grabungen in Haithabu, wurde dann Professor in Kiel und 1973 - von seinen Schülern hochgeehrt – emeritiert. Aus der Festschrift hatte er schnell noch einige kompromittierende Aufsätze entfernen lassen.

Reinerth hingegen wurde das schwarze Schaf. In einer „Regensburger Erklärung“ aus dem Jahre 1949 distanzierten sich die anwesenden süd- und westdeutschen Vorgeschichtsforscher inklusive Jankuhn

in aller Form von einer Forschungsrichtung, wie sie vom ehemaligen Führer des Reichsbundes für deutsche Vorgeschichte der NSDAP, Prof. Dr. Reinerth propagiert worden ist.

Reinerth musste sich von nun an mit dem Posten des Museumsleiters Unteruhlingen begnügen. Er brachte es aber zum Vorsitzenden des Verbandes deutscher Sporttaucher.

Die Konklusion des lesenswertes Buches Oliviers ist beunruhigend:

Natürlich ist die akute rassistische Phase der Archäologie passée, trotzdem sind wir noch heute ungewollte Komplizen der Nazis. Da sind zunächst die akribisch mit modernsten Methoden erforschten Fundstellen: die Großsteinfelder, die Fürstengräber. Der ungeheure Materialfundus bestimmt unser Bild der prähistorischen Gesellschaften als unegalitäre Ethnien, Stämme und „Völker“, die von einer Kriegerelite geführt wurden. Nach dem Krieg prägten die "erfolgreichen" Methoden der Nazi-Ausgräber weiterhin die europäischen Archäologie. Methoden gelten als unschuldig. Olivier will sie nicht von den Inhalten getrennt sehen. Er zitiert den Romanisten Hans Robert Jauss, der mit 17 Jahren in die Waffen-SS gegangen war und am Ende seines Lebens auf die Frage, was ihn geprägt habe, mit Benjamin antwortete: Dass es so weiter geht, das ist die Katastrophe.

Bewundern wir sie also, die Steine von Carnac. Wenn sie zu uns von ihrer Vergangenheit erzählen, sollten wir allerdings auf ihren Akzent achten.

(1) Laurent Olivier, Nos ancêtres les Germains. Paris 2015 (Editions Talandier)

(2) Peter Schöttler (Hrsg.), Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918 - 1945. Frankfurt 1997 (Suhrkamp)

(3) Georges Cadiou, L'hermine et la croix gammée. Le mouvement breton et la collaboration. Rennes 2006 (Editions Apogée)

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