Unbemannt, moralisch, human

Drohnen-Theorie Automatisierte Tötungsdrohnen möchte Ursula von der Leyen bisher noch nicht kaufen. Die Lektüre des Philosophen Grégoire Chamayou könnte ihr helfen standhaft zu bleiben

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Unbemannt, moralisch, human

Foto: SAUL LOEB/AFP/Getty Images

Nein, die automatisierten Tötungsdrohnen sieht Ursula von der Leyen "skeptisch", anders als die "existenziell wichtigen" Aufklärungsdrohnen". Zudem: "Wir Deutschen sind sehr sensibel bei der Frage, mit welchen Mitteln die Bundeswehr vorgeht."

Bei der Einarbeitung in die komplizierte Materie könnte ihr ein Essay des französischen Philosophen Grégoire Chamayou helfen (1). Allerdings wird ihr dessen Intention weniger gefallen: Auch die Philosophie ist mehr denn je ein Schlachtfeld. Es ist mein Ziel, dem Widerstand gegen die Drohnen verwendende Politik das diskursive Werkzeug zu liefern. Chamayou knüpft hierbei an seine viel beachteten Studien zur "Menschenjagd" an (2). Schließlich handelt es sich bei dem "Unmanned Combat Air Vehicle" (UCAV) um ein Jagdinstrument ... im Krieg.

Beutegreifer als Jäger im Krieg

Zunächst beschreibt der Autor kurz die Genealogie der Kampfdrohne im rüstungspolitischen "Problemlösungsprozess". Schon 1964 imaginieren Ingenieure "telechirische Maschinen", die anstelle von Soldaten aus Fleisch und Blut in "feindlicher Umwelt" agieren. Gesteuert werden sie mittels Fernbedienung - wie die heutigen Drohnen - aus der "safe area". Im Vietnamkrieg werden zwecks Aufklärung "Lightning Bugs" eingesetzt, von denen einige später der israelischen Luftwaffen als "Köder" zur Identifizierung ägyptischer Stellungen dienen.

Der qualitative Sprung zur Tötungsdrohne erfolgt zwischen dem Kosovokrieg und der Intervention in Afghanistan. Im ersteren bezeichnen die Drohnen mittels Laser die feindlichen Ziele. Am 16. Februar 2001 beschießt der "Predator" erfolgreich sein Übungsziel mit einer "Hellfire"-Rakete. "Höllenfeuer" - "Beutegreifer": die Namen spiegeln den Übergang. Der "cynogetische Krieg" bricht mit den Konventionen der bisherigen Kriegsführung. Die militärische Front mit ihrer Face-to-face-Situation wird obsolet. Im Jagdkrieg muss die Beute identifiziert, lokalisiert und vernichtet werden. Die Drohne wird damit das "Auge Gottes", welches zu jeder Zeit an jedem Ort alles sieht. Das mechanische Auge hat kein Augenlid, wie der Autor formuliert.

Das Gesehene und (potentiell) Geschehene wird sofort archiviert. Die Folge ist auch hier ein Data-Overload. Anschaulich beschreibt Chamayou die pseudowissenschaftlichen Evaluationskriterien: Verdächtig macht sich, wer sich nicht "normal" verhält. Nicht "normal" verhält sich, wer nicht den von den Social Sciences schematisierten Lebensformen, den "patterns of life" entspricht. Verdächtig macht sich ebenfalls, wer mit Verdächtigen Umgang hat etc. etc.

Im neuen Paradigma wird die ganze Erde zum Jagdgebiet. Die durch den Einsatz von Menschenmaterial notwendige Inbesitznahme durch Okkupation wird zunehmend überflüssig. Es reicht die ferngesteuerte Kontrolle von oben. Imperiale Macht, so Chamayou, ist heute "stratosphärisch". Die konventionelle Bekämpfung des "tellurischen" Partisanen (C. Schmitt) - auch durch Sozialreformen - wird durch das ungeheure Potential der Tötungsdrohnen ersetzt. Dreidimensionale "Kill-boxes" von modulierbarer Größe werden geschaffen. Bald, so der Autor, kann Ihr Zimmer oder Ihr Büro zur Kriegszone werden. Den "Kill-boxes" entsprechen die "Kill-lists", Erfolgsstatistiken. Je höher diese sind (bei zero Verlusten auf "unserer" Seite), desto erfolgreicher ist der Krieg gegen den Terror. Chamayou verweist in diesem Kontext auf die immensen Todeszahlen der Aufständischen in den asymetrischen Kolonialkriegen des 19. und 20. Jahrhunderts.

Naturgemäß sehen traditionelle Militärs die Killerautomaten durchaus kritisch. Das alte allerdings sehr brüchige Ethos mit seinen Tugenden Mut, Opferbereitschaft und Heldenmut kann den Drohneneinsatz nur mit Feigheit assoziieren. Im "Unmanned" steckt auch das Unmännliche, allerdings auch das Unmenschliche. Der Verstoß gegen die Clausewitzsche prinzipielle Gleichheit der Kombattanten widerspricht (noch) unserem Gerechtigkeitssinn. Eine PR-Politikerin wie von der Leyen weiß dies und spricht nicht umsonst von der Sensibilität der Bevölkerung bezüglich des "Vorgehens" der Bundeswehr.

Nekroethik - die humanitäre Drohne

Wenn aber in unserem moralischem Bewusstsein die potentielle Reziprozität als Bedingung militärischen Tötens verankert ist, ist die Aufgabe der zahlreichen Militärpsychologen- und philosophen keine leichte. Sie werden darum auch nicht müde, auf die stressige Situation der Playstation-Täter hinzuweisen. Schließlich ist die letale Bildschirmarbeit ermüdend. Die Psychologin Rachel McNair bietet den Terminus "Perpetration-Induced Traumatic Stress" (PITS) an. Der könnte doch in einer Killer-Klinik behandelt werden, um die Armen von ihrem Unwohlsein zu befreien, schlägt Chamayou sarkastisch vor.

Ein ethisches Problem anderer Art stellen die Kollateralschäden dar. Der Tötungsradius beträgt im Moment ca. 15 Meter und mangels deutlich diskriminierender Signale wie Uniform und Waffen, gibt es immer eine große Wahrscheinlichkeit, die "Falschen" zu treffen. Für Michael Walzer ist dies der Grund, diese Waffen abzulehnen. Die Befürworter unter den Kriegsphilosophen sehen darin weniger Probleme: Asa Kasher und Daniel Reisner etwa argumentieren, die Drohne sei eine humanitäre Waffe. Sie erlaube, "unser" Land zu verteidigen, ohne dass "unsere" Soldaten dafür ihr Leben lassen müssen. Und zum Schutz des Lebens "unserer" Staatsbürger sei der Staat verpflichtet. Walzer und andere entgegnen, dies bedeute: "unsere" Soldaten sind wichtiger als "ihre" Zivilisten. "Ich gut, du böse,"kommentiert der Autor die Essenz dieser "puerilen Logik", die zudem in der alten kolonialen Tradition stehe.

Die "Causa iusta" taucht wieder auf, mit der Pflicht des PUR (Principle of unnecessary risk). Der Ethiker Bradley J. Strawser leitet daraus ab, die Killerdrohnen seien moralisch geboten, wenn sie nicht ein zusätzliches Risiko für Nonkombattanten darstellen. Dieses, so glaubt er allen Ernstes, werde durch die Perfektionierung der Drohnen gewährleistet. Ein Theorem des kleineren Übels, urteilt Chamayou, Arendt zitierend, wonach die Vertreter des kleineren Übels irgendwann vergessen, dass sie das Übel gewählt haben.

And the stupid economy?

Chamayous Überlegungen zeigen, dass die automatisierten Tötungsapparate perfekt in die Entwicklung von der Wehrpflichtarmee zur hochtechnisierten Berufsarmee passen. Auch die Ernennung von der Leyens verweist übrigens auf eine Bundeswehr im Stadium eines staatlichen Dienstleistungsunternehmens der Branche internationale Repression. Die Kampfdrohnen, so der Autor, sind die emblematische Waffe der Obama-Ära. Sie sind kapitalintensiv, da der militärisch-industrielle Komplex seine Waffen permanent perfektionieren muss. Die Affaire um de Maizière zeigt die kapitalen Dimensionen dieses Business.

Chamayou behauptet sicher zu Recht, dass auch die politische Klasse von der relativen Sicherheit "unserer" Jungs profitiere. Allerdings bedeuten auch beeindruckende Gesten und Reden der Erschütterung vor dem Sarg eines unserer "Mädels" oder "Jungs" einen Zuwachs an symbolischem Kapital. Die Traditionen fordern auch im Drohnenzeitalter ihre Rituale - ab und an.

Insgesamt kommt die Analyse des ökonomischen Feldes etwas zu kurz. Das konkrete Zusammenspiel von EADS ("globale Sicherheitslösungen und -systeme") , Rheinmetall, general Atomics mit Militär, Politik und Kulturindustrie hätte ein eigenes Kapitel verdient, aber wohl auch den philosophischen Rahmen des Buches überschritten.

Das maschinelle Über-Ich

Was kommt nun auf uns Erdenbewohner zu? Besser: was kommt über uns? Es wird ein "autonomer letaler Roboter" sein. Er ist moralisch programmiert und wird die vorgegebenen Regeln "wörtlich" anwenden, ohne menschliche Affekte. Gerade deswegen ist er zu fürchten. Ein "kaltblütiger Killer", dem nichts entgeht und der auf alles "seine" Antwort hat.

Chamayou stellt gegen Ende eine interessante Frage für philosophische Seminare (vielleicht auf der Suche nach militärischen Drittmitteln): Wer ist verantwortlich, wenn solch ein autonomer Tötungsapparat ein Kriegsverbrechen begeht? Der General? Der Staat? Der Produzent? Der Informatiker? Der Militärethiker? Die bittere Antwort: ein ganzes Kollektiv nicht verantwortlicher Verantwortlicher. Noch nicht einmal der berühmte Knopf wurde von Menschenhand betätigt. Identifizierbar ist nur das Opfer.

Damit sind wir bei unserer eigenen politischen Verantwortung. Chamayou zitiert einen klugen Satz La Boéties:

"Woher nimmt der Herrscher alle die Hände, die euch schlagen, wenn nicht von euch."

Diese Demütigung bleibt uns in Kürze erspart. Der Staatsapparat wird wirklich ein Apparat sein, der kalte Körper eines kalten Monsters. Man sollte ihn zum alten Eisen werfen, schlägt der Autor vor. Allerdings disqualifiziert er sich damit endgültig als Referenzautor für von der Leyen

Man könnte aber auch das noble Hightech-Material zu Kita-Spielzeug veredeln. Es muss ja nicht für eine Bundeswehr-Kita sein.

(1) Grégoire Chamayou, Théorie du drone, Paris 2013 (La fabrique)

(2) Grégoire Chamayou, Les chasses à l'homme, Paris 2010 (La fabrique)

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