Volk Wahn Wichtel

Rezension Die gegenwärtige Situation lässt gerade in Deutschland eine Renaissance des rechten Volksbegriffs befürchten. Ein Sammelband erscheint zur rechten Zeit

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Pegida Demonstration in Dresden
Pegida Demonstration in Dresden

Foto: Jens Schlueter/AFP/Getty Images

Wer mit wachem Sinn durch die deutschen Bewusstseinslandschaften geht, hat es längst begriffen: das „Volk“ hat Konjunktur. Es tauchte in den Mahnwachen auf, vermehrte sich kurz im Friedenswinter, in Pegida sowieso, schien sich dann aber etwas zu evaporieren, um im Kontext der Flüchtlingssituation erneut sein oft hässliches Gesicht zu zeigen. Da steht uns wohl noch viel bevor.

Begrüßenswert ist daher jedes Bemühen um Aufklärung. Allein die genaue Information über die Personen, Ideen und Strukturen in diesem „volklichen“ (um „völkisch zu vermeiden) Beziehungsdschungel ist von immensem politischen Wert, entlastet uns vom ermüdenden Lesen und vor allem dem Sehen und Hören der fast immer gleichen Statements der fast immer gleichen Protagonisten. Betretener Quark ist subkomplex, aber im Internet halt sehr breit.

Im Verbrecher Verlag ist jetzt ein Sammelband zu diesen neuen (?) Volksbewegungen erschienen. Der Titel „Vorsicht Volk“ löst bei mir sofort den AIDA-Effekt aus: die Autoren stehen zudem (für mich) auf der „richtigen Seite“ der Barrikade. Sie sind zum Teil renommierte Journalisten. Ihre Informationen sind in der Regel überprüft und ihre Interpretationen reflektiert.Einige Beiträge seien hervorgehoben (ohne den Wert nicht weniger anderer zu mindern).

Patrick Gensings Aufsatz über die Rolle der „Forentrolle“ steht zurecht am Anfang des Bandes. Welcher seriöse Blogger und Kommentator würde nicht die Diagnose „Landplage des 21. Jahrhunderts“ teilen. Und in der Tat hinterlassen sie oft eine „verwüstete Diskussionskultur“ (phasenweise auch in des Freitags Community). Wichtig erscheint mir der Hinweis auf den effektiven „flexiblen Einsatz“ von Glaubwürdigkeit der Verschwörungstheorie-Affinen, proportional zum Vertrauensverlust der politischen Klasse.

Mit dem Erfolg der Verschwörungstheorien beschäftigt sich Harald Dipper, der als ehemaliger Pirat die Szene kennt.. Interessant ist sein Hinweis auf den „hedonistischen Anti-Intellektualismus“ vieler, der bewirke, dass man sich nur noch mit Quellen beschäftigt, die Spaß machen (also extrem kurz, lustig oder als bunte Videos aufbereitet sind). Er geht nicht darauf ein, dass der Erfolg der überlangen Gespräche alter Herren mit Ken Jebsen dem zu widersprechen scheint. Für mich greift hier die Sehnsucht nach finaler Welterklärung – und so kompliziert sind die Statements der „Diskutierenden“ nun wirklich nicht. Das Setting kennt man ja von anderen Talkshows. Also: alles wie gehabt, nur mit anderen Inhalten. Lesenswert sind auch Dippers Ausführungen zu den „Antimperialisten“ und den „Antideutschen“.

Wichtig erscheint mir der informative Text Jan Rathjes zu den scheinbar skurilen „Reichsbürgern“. Schlüssig wird die ideologische Arbeit aufgezeigt. Um die Idee des Fortbestehens des Deutschen Reiches rankt sich ein geschlossene Ideologie, an die die linke und rechte Mahnwächter, aber auch Pegidabürger andocken können.

Klaus Lederer, Landesvorsitzender der LINKEN in Berlin, ist aufgrund seiner klaren Haltung im Parteistreit um den Umgang mit den Mahnwachen scharf kritisiert worden (unter anderem als „Transatlantiker“ in McCarthytradition). Er geht in seinem Aufsatz auf den Ukrainekonflikt als Auslöser der neuen Friedensbewegung ein und kritisiert ausdrücklich die (bürgerlichen) Medien: Nüchterne, faktenbasierte Nachrichtenarbeit war selten. Es dominierte die schlachtenbummlerische Frontberichterstattung. Allerdings mute das in antifaschistischer Tradition sich wähnende Marschieren unter Russlandfahnen doch "bizarr" an. Er stellt noch einmal seine Kritik an Dehm, Rainer Braun und anderen Friedensaktivisten dar und reflektiert die Akzeptanz "volklichen" Denkens: An die Stelle von Kapitalismusanalyse tritt „Kapitalistenkritik“, aus der Kritik an den kapitalistischen Verhältnissen … wird die Kritik an den „Bankern, die das Volk aussagen". Das Volk, das mantraartig beschworene Wir, wird völkischinterpretiert. So ist es. Wenn es nur in des Volkes Ohr gelänge – und von dort zwecks Speicherung ins Gehirn! Übrigens ist Lederers Behauptung, Jebsen schreibe regelmäßig für Compact überholt, die beiden sind ja angeblich zerstritten. Auf solche eigentlich unwesentlichen Fehler werden sich die Mahnwächter natürlich stürzen.

Zwei Beiträge fallen etwas aus dem Rahmen. Julia Schramm versucht den „Critical Whiteness“-Ansatz zur „Critical Deutschness“ gegen das „Volkskörper“-Konzept (Deutscher ist, wer deutschen Blutes ist) zu transformieren. Dieses als noch immer allgemeingültig darzustellen, ist sicherlich überzogen , auch wenn es historische Kontinuitätslinien gibt. Ziemlich störend empfinde ich zudem die scheinbar nicht zu erschütternde Unbedingtheit von Sätzen wie: Antirassismus in Deutschland heißt nicht, grundlegende Prinzipien durchzusetzen, sondern die grundlegenden Prinzipien des deutschen Volksglaubens zu zerstören. Es würde schon helfen, wenn sie nicht mehr wirken.

Positiv, weil anregend ist hingegen der kleine Aufsatz des Germanisten Willi Jasper zu „Faust und Mephisto – ein deutsches Problem". Für mich ist demnächst wieder einmal Thomas Manns "Doktor Faustus" angesagt. Auch und gerade in der gegenwärtigen politischen Situation.

Ich mag Sammelbände. Sie haben den Vorteil, möglichst viele Facetten eines Themas aus unterschiedlichen Perspektiven abzubilden. So auch dieser, dem ich weite Verbreitung wünsche. Albrecht Müller wohl weniger. Er hat auf der letzten Ramsteindemo voller Zorn auf den Titel des Buchs verwiesen.

Gleichzeitig mag ich keine Sammelbände. Selbst diesen nicht immer. Nicht alles interessiert mich wirklich. Manches hat man schon gelesen. Und manches ist gut gemeint, aber zu schnell oder zu subjektiv geschrieben. Es fehlt die Auseinandersetzung mit dem so genannten Linkspopulismus. Aber das soll mein (kleines) Problem sein. Das Buch klärt auf, und darum geht's.

Markus Liske/Manja Präkels (Hrsg.), Vorsicht Volk! Oder: Bewegungen im Wahn, Berlin 2015 (Verbrecher Verlag)

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