Von Hirten und Lämmern

Überschätzte Kritik Die trocken vorgetragenen Herrschaftsanalysen Rainer Mausfelds erfreuen sich großer Beliebtheit in den sozialen Medien. Dabei versprechen sie mehr, als sie leisten.

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Sie hängen an seinen Lippen. Was der Kognitionspsychologe Professor Mausfeld in sauerländischer Drögheit doziert, stimmt einfach. Punkt. Wenn man sagt, die Ausführungen seien seicht und banal, man habe das woanders schon viel klarer und fundierter gelesen, erfährt man, dass man ihn nicht verstanden hat. Und wenn er sich in seinen Vorträgen und Interviews ein ums andere Mal wiederholt, bestätigt das nur, wie recht er hat. Wie sein Publikum. Das hat auch immer recht.

Warum schweigen die Lämmer?“ lautet der Titel seines bekanntesten Vortrages. Auf das Bild der Herde und des Hirten kommt Mausfeld immer wieder zurück. Eine „eigenartige Faszination“ schreibt er der Metapher zu. Sie entspreche „offensichtlich“ unserer politischen und gesellschaftlichen Situation. Dass die arkadische Hirtenidylle seit 2500 Jahren einen utopischen Überschuss von Schönheit und Liebe enthält, was uns heute noch Glanz in die Augen bringt, ist Mausfeld keine Rede wert. Ihm geht es um Anderes. Um Macht und Herrschaft. Um Manifestes.

Zwei recht bekannte Revolutionäre konstatierten einst: Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen. Freier und Sklave, Patrizier und Plebeier, Baron und Leibeigener, Zunftbürger und Gesell, kurz, Unterdrücker und Unterdrücker standen in stetem Gegensatz zueinander. Mausfeld transformiert dies zu: In allen historischen Gesellschaften lässt sich eine kleine Zahl von Herrschenden einer großen Zahl von Beherrschten gegenüberstellen. Und damit es auch jede(r) versteht, vereinfacht er weiter: die Herrschenden nennt er, nach C. Wright Mills, „Machteliten“ und die Beherrschten "Volk“. Wer konkret in welchen Zeiten diese Machteliten waren und sind, erfahren wir nicht. Immerhin ist der Bundespräsident für Mausfeld nicht von der Partie. Der gehört nur zur "Funktionselite". Spätestens hier hätte ein Verweis auf Bourdieu (grundsätzlich) oder Hartmann (aktuell) Licht auf die Lämmerweide gebracht. So bleibt es doch recht dunkel.

Wie auch immer. Die „kategoriale Unterscheidung“ von Machteliten und Volk ist für Mausfeld „das Fundament der herrschenden Vorstellungen von Demokratie“. Die Kunst der in ständiger Angst um ihre Herrschaft zitternden Eliten und der mit ihnen in Symbiose lebenden Intellektuellen besteht nun darin, dies auch den Lämmern beizubringen. Schließlich verfüge das Volk über einen „instinct of freedom“. Wer mag da widersprechen? Die Lämmer machen Bocksprünge. Und nicht nur das "Volk". Auch die Hirten und die Schäferhunde sind prinzipiell frei.

Der volkliche Freiheitstrieb ist also ein Problem für die Machteliten. Sie lösen es mit Surrogaten, Ersatzdrogen. Die "Illusion der Demokratie" sei eine solche. Das "Demokratiemanagement" ermöglicht es den Eliten, ihre „Eigeninteressen“ zu verdecken. Welche das sind, verrät er uns nicht. Dass diese nicht nur seit Marx und Engels recht bekannt sind, diskutiert er nicht. Wie überhaupt Ökonomisches bei Mausfeld kaum vorkommt. Dabei gäbe die Herdenmetapher einiges her. Ihm geht es vor allem um die „Softpower“ der Eliten, die kostengünstiger als Gewaltausübung sei. Es sei trotzdem „psychologische Kriegsführung gegen die Bevölkerung“. Die große „Rahmenerzählung“ (den Begriff Narrativ vermeidet er immerhin) sei: Volksherrschaft kann nur Elitenherrschaft bedeuten. Schon Friedrich II. habe in einem Brief an Voltaire (1766) geschrieben, dass „der Pöbel keine Aufklärung (verdiene)“. En passant: das Hopping zwischen Zitaten unterschiedlicher Provenienz und Zeit gehört zwar zum Impressionmanagement, geht aber auf Kosten der Argumentation.

Ein Kapitel widmet Mausfeld der „Mentalvergiftung“. Diese bestehe in der „Ablenkung von den eigentlichen Zentren der Macht“. Wo sich diese befinden (Wallstreet? Weißes Haus? EZB? Kreml?) schreibt er nicht, dafür liefert er ein Schaubild: von der "Veränderungsenergie im Volk" geht ein Pfeil in Richtung „Machtzentren“, wird aber vor Erreichen des Ziels abgelenkt. Das ist so simpel gestrickt, dass die edle Einfalt schon wieder beeindruckt. Das geneigte Publikum zum Beispiel.

Die Kontamination findet natürlich durch Begriffe statt, die in „perfider Logik“ eigentlich „unabhängige Themenbereiche miteinander verweben“. Er versucht dies an einigen "Denunziations- und Diffamierungsbegriffen" zu exemplifizieren. Und die brennen seinem Publikum buchstäblich auf den Nägeln, wie den Lämmern das Brandzeichen auf der Flanke.

Querfront“ ist solch ein Wort. Für Mausfeld ist es ein „Pathologisierungsbegriff“, der zur Sprache des Opportunismus gehöre. Dass nicht wenige heutige Positionen sich inhaltlich mit den Querfrontunternehmen der Weimarer Zeit (1923, Tatkreis, Nationalbolschewismus, Strasser u.a.m.) überschneiden, diskutiert er nicht. Ist ja auch Geschichte. „Antiamerikanismus“ immerhin wird als Ressentiment anerkannt. Auch bei Heidegger. Das initiiert jedoch kein großes Nachdenken. Mausfelds einzige wissenschaftliche Quelle ist der Historiker Max. P. Friedmann, der den Antiamerikanismus als Korollar zum „Exzeptionalismus“ sieht, der Mausfeld zufolge, amerikanischen Kernideologie. Und dies gibt ihm Gelegenheit, gegen die „moralische und intellektuelle Pathologie“ der Amerikaner ins Feld zu ziehen – in „bester“ antiamerikanischer Manier. Da wird mal eben von den „größten Blutspuren in der Zivilisationsgeschichte“ geredet. Und da produziert man mal eben folgenden Passus: Wenn es - was eine Herzensangelegenheit von Hilary Clinton und weiten Teilen der US-Machteliten sowie der deutschen Leitmedien zu sein scheint - zu einer finalen Konfrontation zwischen Russland und den USA kommen sollte, wird Europa das atomare Schlachtopfer sei, doch in ihrer Benevolenz sond die USA wohl gerne bereit, dieses Opfer zu bringen.

Dass er sich Chomskys Bemerkung, nach dem Nürnberger Urteil hätten eigentlich alle Nachkriegspräsidenten gehenkt werden müssen, zu eigen macht, passt ins Bild.­ In einer Fußnote fällt der Begriff "Siegerjustiz". Das Publikum goûtiert dies. Interessant ist, dass er auf jede Erörterung der empirisch nachgewiesenen engen Verbindung von Antiamerikanismus und Antisemitismus verzichtet. Genau dies ist aber der Vorwurf an Teile der "Querfrontler". Auch dass es echten „Populismus“ gibt, konzediert Mausfeld. Er will den Begriff aber wieder nur für die Rechten akzeptieren. Ansonsten sei er ein „politischer Kampfbegriff“, der den Populismus der Rechten gegen die Linken instrumentalisiere. Das ist nicht ganz falsch, aber auch nicht ganz richtig.

An manchen Stellen fragt sich der Leser, ob er nicht doch einer Satire aufsitzt. Ich musste jedenfalls bei der Unterscheidung von „Aktualindokrination“ und „Tiefenindoktrination“ an Antifaltencreme denken, was aber bei der Lämmermetapher nicht­ so ganz passen will. Zur Tiefenwirkung gehört jedenfalls die "Lahmlegung des Volkes" durch die Illusion von Souveränität in der "Repräsentativen Demokratie". Ihr steht die "Partizipative Demokratie" mit den Merkmalen der Zivilgesellschaft, Solidarität, Diskursivität und Volksregierung gegenüber. Überhaupt liebt Mausfeld Schwarz-Weiß. Aus simpler Gegenüberstellung (behaupteter) Prinzipien ergeben sich (in perfider Logik?) nicht wenige Gemeinsamkeiten von Neoliberalismus und Faschismus (Hass auf 1789, Sozialdarwinismus, Elitenoligarchie, Du bist nichts, der Markt resp. dein Volk ist alles). Das alles wird zwecks vertiefender Indoktrination per Bild/Schema in die Köpfe des hingerissenen Publikums transponiert.

Mausfeld verhält sich eindeutig zur Aufklärung. Das ist sympathisch. Allerdings argumentiert er wie ein Frühaufklärer des 17. Jahrhunderts, der hinter Herrschaft und Dogmen verschwörerischen Priestertrug sieht. Mag er deswegen den Begriff "Verschwörungstheorie" nicht? Auffallend unhistorisch geht er mit der Erklärung der Menschen und Bürgerrechte 1789 um. Er unterschlägt, dass auch diese das Werk von "Macht- und Funktionseliten" waren, großbourgeoise Eliten, die ihre Interessen im Menschenrecht auf Eigentum sahen (das Mausfeld nicht erwähnt) und die in ihre Verfassung von 1791 die Unterscheidung von Aktiv- und Passivbürgern einbauten, um das "Volk" außen vor zu lassen. Das kam erst einige Jahre später ins Spiel. Da hatten die Lämmer aber unangenehme blutige Krallen. Und Teile der "Funktionseliten" nicht weniger. Das wiederholte sich noch einige Male. Kann es sein, dass das historische Gewaltproblem nicht zur Metapher vom Hirten, seinen Hunden und seinen dummen braven Lämmern passt?

Rainer Mausfeld, Die Angst der Machteliten vor dem Volk. Vortrag Hamburg. 2016

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