Zum Tod Reinhard Kühnls

Radikaldemokrat Mit 77 Jahren ist Reinhard Kühnl gestorben. Fast ist vergessen, wie viel wir ihm verdanken

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Manchmal wurde bei unseren nostalgischen "Was-macht-eigentlich der...?"-Gesprächen auch über Reinhard Kühnl geredet. Lange hatte man nichts von ihm gehört oder gelesen. Schwer krank sei er, sagten die, die ihn früher persönlich kannten, bei ihm studiert hatten. Seit Jahren leide er an Alzheimer. Am 10. Februar ist er gestorben.

Reinhard Kühnl, heute fast vergessen, war einer der prägenden Faschismusforscher im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts. Als Schüler Wolfgang Abendroths stand er für eine neue an Marx orientierte, nicht orthodoxe politische und historische Wissenschaft. Seine Werke befreiten eine ganze Generation von Politik- und Geschichtsstudenten vom "hilflosen Antifaschismus" (Wolfgang F. Haug) und von den Präsuppositionen eines Ernst Nolte. Das Buch über "Formen bürgerlicher Herrschaft. Liberalismus-Faschismus"(1971), die mit den Methoden kritischer Ökonomie, aber auch von Soziologie und Sozialpsychologie zu untersuchen seien, eröffneten den Blick auf die gesellschaftliche Totalität. Der Bestseller "Der deutsche Faschismus in Quellen und Dokumenten" (1975) schaffte es - oft sogar als Klassensatz - auf die Schulbänke der BRD, zumindest in einigen Ländern. Heute ist dies undenkbar: die jungen Lehrer kennen das Buch gar nicht, und manche ältere Kollegen belächeln ihre vermeintliche politische Naivität von damals. Der "Kühnl" aber liegt nicht selten, zerlesen in der Nähe ihres Schreibtisches.

Zu erwähnen sind auch Kühnls Forschungen zum linken Flügel der NSDAP, immer noch Referenzliteratur, und zu den in den siebziger Jahren geradezu Mode gewordenen Faschismustheorien, Dabei wandte Kühnl sich gegen das "arge vulgärmaterialistische und ökonomistische Missverständnis", alles direkt aus der ökonomischen Basis ableiten zu wollen. Auch starke Moralisierung störte den Wissenschaftler: "Dass die faschistische Politik verbrecherisch ... gewesen ist, braucht in einer Kausalanalyse nicht in jedem dritten Satz erwähnt zu werden." Am Begriff der Kausalität hielt er fest - gegen die postmoderne Methode der Konnotation.

Fast nicht erwähnt werden muss, dass der auch an prominenter Stelle des BdWi engagierte Hochschulehrer nicht nur im wissenschaftlichen Feld (unter anderem von Nolte), sondern auch von Lokal- und Landespolitikern der CDU scharf und unfair attackiert wurde. Marburg galt in diesen Kreisen neben Bremen als marxistisch-leninistische Kaderschmiede. Heute heißen die Kaderschmieden Business-Schools. Und kritisiert werden sie erst recht nicht.

Am Ende seines Büchleins "Über Nation- Nationalismus-nationale Frage" (1986) geht Kühnl davon aus, dass BRD und DDR sich weiter auseinander entwickeln als die BRD und Österreich. Er sollte sich bekanntlich irren (wie alle anderen politischen Wissenschaftler). Nicht irrig ist aber seine darauf folgende Frage:

Wie können wir diese Bundesrepublik längerfristig so gestalten, dass sie für alle ihre Einwohner zu einem Land der friedlichen Arbeit und der kulturellen Erfaltung, der Freiheit von Angst und Not und der Freude am Dasein werden kann?

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