Der Terror rückt Europa näher, Analyse der Vorgänge In Kasachstan

Wer organisierte den Aufstand? Analyse der Korrespondenz zwischen dem Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte der OSZE und den Offiziellen Stellen aus Kasachstan betreffend die Unruhen die Anfang des Jahres in der zentralsasiatischen Republik ausbrachen.

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Besorgnis der ODIHR

Der Direktor der ODIHR (dem „Office for Democratic Institutions and Human Rights” der OSZE) Matteo Mecacci, ein Italiener mit großer Expertise im Bereich der Menschenrechte hatte sich in einem offiziellen Schreiben an das Land Kasachstan besorgt über die Lage während und nach der Konflikte gezeigt.

Das ODIHR, das Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte ist die wichtigste Institution der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die sich mit der "menschlichen Dimension" der Sicherheit befasst.

Matteo Mecacci ist seit Dezember 2020 der Direktor dieser Organisation und Angehöriger der italienischen Partei „Radicali Italiani“, einer Gruppierung Radikal Liberaler Ausrichtung.

Mecacci begehrte unter anderem über die folgenden Punkte und Themen eine Stellungnahme: Aufgrund welcher Rechtsnormen der Ausnahmezustand verhängt wurde, wie die Aussage der Republik Kasachstan zu verstehen sei, dass es zu „Aggressionshandlungen terroristischer Gruppen“ kam und wie hoch die Zahl der Opfer der Unruhen und wie deren Stand war, also ob Zivilist oder Soldat oder „bewaffneter Kämpfer“ und unter welchen Umständen sie zu Tode kamen. Weiters ersuchte er auch um Auskunft wer die Ermittlungen über die Hintergründe der Ereignisse leiten würde, wie viele Personen inhaftiert seien und ob all denen der Zugang zu einem Rechtsbeistand gewährt wurde und ob der ungehinderte und unangekündigte Zugang für den Nationalen Präventionsmechanismus gemäß dem Fakultativprotokoll zum UN-Übereinkommen gegen Folter bestehe.

Die Antwort der Republik Kasachstan

In der Stellungnahme der Republik Kasachstan wird die Hoffnung zum Ausdruck gebracht dass alle Fragen und Bedenken durch die Beantwortung ausgeräumt werden können und gleich zu Beginn darauf verwiesen dass am Anfang der Ereignisse friedliche Demonstrationen standen die von radikalisierten Personen in vorgeplanter Weise benutzt wurden um die staatliche Ordnung zu untergraben und zu zerstören.

„Der Ausnahmezustand wurde in Übereinstimmung mit der Verfassung und dem Gesetz „Über den Ausnahmezustand“ erklärt, um die Umstände zu beseitigen, die als Grundlage für seine Einführung dienten, um die Sicherheit zu gewährleisten, die Rechte und Freiheiten des Menschen und Bürgers zu schützen und den Schutz der Verfassungsordnung der Republik Kasachstan zu garantieren.“

Der Ausnahmezustand setzte eine Reihe von Einschränkungen voraus, insbesondere die Stärkung des Schutzes der öffentlichen Ordnung, den Schutz besonders wichtiger staatlicher und strategischer Einrichtungen sowie Einrichtungen, die die lebenswichtige Tätigkeit der Bevölkerung und den Betrieb des Verkehrs sicherstellen. Einschränkungen werden der Bewegungsfreiheit, der Organisation und Durchführung von friedlichen Versammlungen, Unterhaltungs-, Sport- und anderen öffentlichen Veranstaltungen sowie Familienfeiern im Zusammenhang mit Geburt, Hochzeit oder Tod auferlegt. Streiks sind verboten. Darüber hinaus haben autorisierte staatliche Stellen mit Ausnahme der Regierung das Recht, den Betrieb von Netzwerken und Kommunikationsmitteln auszusetzen.

Ein Teil dieser Maßnahmen konnte nach der Wiederherstellung der Ruhe und der Stabilisierung der staatlichen Stellen bereits wieder aufgehoben werden.

Der Terror

Bemerkenswert sind Details der Stellungnahme der Republik Kasachstans betreffend der Teilnahmen terroristischer Gruppen bei den Aggressionshandlungen. Eine Reihe von Faktoren weist auf den terroristischen Charakter der Angriffe auf staatliche Behörden und Zivilisten in Kasachstan vom 5. bis 7. Januar 2022 hin.

Erstens die großangelegte Gewaltanwendung mit Waffen: zunächst in Form von Stöcken, Stahlstäben, Hämmern und später - Schusswaffen, die gezielt von Provokateuren verteilt wurden.

Zweitens die enge Koordination bei den Attacken, die sich insbesondere in synchronisierten Angriffen in mehreren Regionen äußerte, was zur „Zerstreuung“ der staatlichen Sicherheitskräfte führte und diese daher unter Druck gerieten. Die Angreifer benutzen dafür laut Augenzeugen und Geheimdienste auch ihre eigenen Kommunikationsmittel.

Drittens kam es zu systematischen Übergriffen auf Polizisten und Soldaten, um an ihre Waffen und Spezialmittel zu kommen, so wie Versuche die Gebäude zu stürmen in denen Schusswaffen gelagert werden.

Viertens, die gezielte Zerstörung von Überwachungskameras sowie massive Angriffe auf filmende Journalisten, anscheinend um die weitere Identifizierung der Teilnehmer der Gewalttaten zu erschweren. Gleichzeitig zeichneten die Terroristen aber ihre Aktionen mit der Kamera auf, um sie anschließend an ihre „Leitung“ im Hintergrund zu senden.

Fünftens kam es auch zu Angriffen auf Feuerwehrfahrzeuge, um sie am Löschen von Bränden zu hindern und das Chaos und die Schäden zu vergrößern, aber auch auf Krankenhäuser, um die Behandlung von Polizeibeamten zu verhindern und die „ihrer Leute“ sicherzustellen.

Sechstens wurde zumindest ein Fall von Enthauptung registriert, was charakteristisch für extremistische Gruppen ist, die für ihren Radikalismus bekannt sind und was bisher eine in dieser Region völlig unübliche Vorgangsweise darstellt.

Es kam außerdem zu Angriffen auf Leichenschauhäuser, was zum Diebstahl von 41 Leichen führte, was als Versuch gewertet werden kann, Beweise für die Identität der Täter zu verschleiern.

Im Allgemeinen verfügen die nationalen Sicherheitsbehörden Kasachstans über gesicherte operative Informationen über die Anwesenheit religiöser Radikaler unter den Teilnehmern bei Angriffen auf die Strafverfolgungsbehörden.

Leider gab es aber in den Gefängnissen Kasachstans in den letzten Jahren einen Trend der Annäherung und allmählichen Verschmelzung von Kriminalität und religiösen Radikalen.

Wie mittlerweile bekannt ist, haben autorisierte staatliche Stellen am Vorabend der Ereignisse im Januar eine bedeutende Gruppe von Bürgern festgenommen, die versucht haben, das Land am 7. und 8. Januar zu verlassen.

Die Tatsache, dass es unter den Aufrührern eine Reihe von Ausländer gab, wird durch Zeugenaussagen, insbesondere von Ärzten, belegt, so dass einige der Kämpfer kein Kasachisch oder Russisch verstanden oder Kasachisch mit starkem Akzent sprachen, was darauf hindeutet, dass sie erst vor relativ kurzer Zeit begonnen haben, es zu erlernen oder erst seit kurzer Zeit im Land waren.

Die Folgen

Während die vom Präsidenten von Kasachstan angekündigte lückenlose Untersuchung voranschreitet, werden alle Beweise und Fakten der kasachischen und internationalen Öffentlichkeit zugänglich gemacht, um alle Zweifel am Ablauf der Ereignisse ausräumen zu können.

Nach Angaben des Generalstaatsanwalts wurden bei den Ereignissen im Januar soweit bisher bekannt, mehr als 225 Menschen getötet, darunter 19 Angehörige der Strafverfolgungsbehörden, weitere 4500 Personen wurden verletzt.

Es ist auch wichtig festzuhalten, dass Kasachstan keine Waffengewalt gegen friedliche Demonstranten eingesetzt hat, dies in keiner Weise geplant war und auch für die Zukunft nicht angedacht ist.

Im Gegenteil, Polizei und Nationalgarde schützten Zivilisten und stellten die Ordnung wieder her, indem sie bewaffneten Kriminellen und Terroristen gegenüberstanden, nicht friedlichen Demonstranten.

Die Worte des Präsidenten, „ohne Vorwarnung zu schießen“, seien kein schriftlicher Befehl, bezögen sich nicht auf friedliche Demonstranten oder einen weit verbreiteten Einsatz, sondern bezögen sich auf die unmittelbare Bedrohung des Lebens von Regierungsbeamten, Polizeibeamten, die Abteilungen für innere Angelegenheiten vor bewaffneten Angriffen schützen , und die Öffentlichkeit von bewaffneten Banden.

Bisher werden rund 700 Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Begehung schwerer und besonders schwerer Straftaten geführt, darunter 44 wegen Vergehens im Zusammenhang mit Terrorismus und fünfzehn wegen Tötungsdelikten.

Angesichts der Anordnung von Präsident Kassym-Jomart Tokayev, strafmildernde Maßnahmen zu ergreifen, wenn keine erschwerenden Umstände vorliegen, wurden mittlerweile rund 3.330 Straftäter nur verwarnt, ohne ihnen Strafen in Form von Haft oder Geldstrafe aufzuerlegen.

In rund 1.650 Fällen verhängte das Gericht eine Geldbuße. Viele Personen wurden bereits wieder aus der Haft entlassen, nur bei schweren Verdachtsfällen und bei der Befürchtung, dass es zur Begehung weiterer Straftaten kommen könnte, ist weiterhin Haft angeordnet.

Die meisten davon befinden sich aktuell in den Städten Almaty, Taldykorgan und Taraz.

Garant der Demonstrationsfreiheit

Friedliche Demonstranten sind weiterhin keinerlei Verfolgung ausgesetzt. Elvira Azimova, die Kommissarin für Menschenrechte in Kasachstan, hat seit Tagen beispielsweise in Almaty und Shymkent gemeinsam mit den Mitgliedern des Nationalen Präventionsmechanismus zur Verhütung von Folter zusammengearbeitet, und ihr wurde Sicherheit und freier Zugang zu allen Orten und Institutionen geboten.

Seit der schrittweisen Wiederherstellung der Ordnung und Massenverhaftungen von Demonstranten und Randalierern gab es aber tatsächlich zunächst Probleme mit dem Zugang von Inhaftierten zu Anwälten und der Achtung des „Rechts auf Anruf“. Mittlerweile wurde die Frage des ungehinderten Zugangs von Anwälten positiv gelöst, und indessen ist auch in praktisch allen Regionen der Zugang der Gruppen des Nationalen Präventionsmechanismus zu Orten der vorübergehenden Inhaftierung von Bürgern gewährleistet.

Die Staatsanwaltschaft, der Ombudsmann für Menschenrechte der Republik Kasachstan und die Nationale Anwaltskammer reagierten auf Einzelfälle, in denen Rechtsanwälte nicht zugelassen wurden.

In den sozialen Netzwerken werden zahlreiche Berichte über Menschenrechtsverletzungen erfasst. Deshalb prüft die Staatsanwaltschaft alle in sozialen Netzwerken und Medien registrierten Missbrauchssignale, bewertet sie rechtlich und gibt die Ergebnisse bekannt.

Es besteht nach wie vor ein Problem darin, Angehörigen von Inhaftierten Informationen über deren Aufenthaltsort zu geben. In den Organen für innere Angelegenheiten werden Hotlines eingerichtet, um dieses Problem zu lösen.

Es gab auch Berichte über Folter, die von der Staatsanwaltschaft und den Abteilungen für innere Sicherheit überprüft werden, und auf der Grundlage der Ergebnisse der Überprüfung werden vorgerichtliche Ermittlungen gemäß Artikel 146 des Strafgesetzbuchs der Republik Kasachstan „Folter“ eingeleitet.

Nach den Besuchen der „Menschenrecht Teams“ dürften sich weitere Sachinformationen ergeben, die ebenfalls verifiziert werden.

Es ist auch geplant, eine einzige Informationsquelle mit Informationen über Opfer zu schaffen.

Die Republik Kasachstan bekennt sich zu den Grundsätzen eines fairen Verfahrens, in dessen Zusammenhang sie das Recht auf qualifizierten Rechtsbeistand, den Grundsatz der Unschuldsvermutung, die Gleichheit der Parteien und die Transparenz des Gerichtsverfahrens garantiert.

Der Einsatz von Gewalt, einschließlich tödlicher Waffen, durch die Sicherheitskräfte wird umfassend untersucht, um die Rechtmäßigkeit ihres Einsatzes in jedem konkreten Fall von zivilen Todesfällen oder Verletzungen zu erheben.

Frau Azimova und Vertreter der Zivilgesellschaft, einschließlich der Teams des Nationalen Präventionsmechanismus haben bereits 34 Haftanstalten in elf Regionen besucht und setzen ihre Arbeit fort.

Die Republik Kasachstan bekräftigte ihr Bekenntnis zu ihren internationalen Menschenrechtsverpflichtungen, einschließlich des Rechts auf friedliche Versammlung, auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit, auf Leben und Freiheit und Ächtung von Folter sowie auf ein faires Verfahren, und ist daran interessiert sicherzustellen, dass all diese tragischen Ereignisse ausführlich und unparteiisch untersucht werden, die Verantwortlichen bestraft werden und unschuldige und friedliche Demonstranten nicht zu Schaden kommen.

Conclusio:

Es ist zu hoffen, dass sich die Lage in diesem strategisch und wirtschaftlich so wichtigen Land wieder komplett und nachhaltig beruhigt und die friedliche Entwicklung fortgesetzt werden kann!

Ein Erstarken radikaler, insbesondere auch islamistischer Kräfte in dieser Region würde auch für Europa ein beunruhigendes und bedrohliches Szenario darstellen.

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