Wie Mustafa Shokay zu Unrecht zum Verräter gestempelt wurde

Eine historische Betrachtung Am 27.12.1941 verstarb der bedeutende Politiker, eine Würdigung anlässlich der Wiederkehr seines Todestages

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Wie konnte es kommen, dass Mustafa Shokay, der sich selbst opferte, weil er sich weigerte, mit den Nazis zusammenzuarbeiten, in den Augen vieler zum Verräter wurde?

Vieles hat dabei eine Rolle gespielt, all die Umbrüche und Wendepunkte des 20.Jahrhunderts, Ideologien, die unterschiedlichen Zugänge und Mentalitäten und Vorstellungen der Völker Russlands und Zentralasiens. Aber auch die Intoleranz gegenüber abweichenden Meinungen, die Zerstörung des sozioökonomischen Systems, begleitet von tragischen Ereignissen im Leben der einfachen Bevölkerung des zaristischen Russlands und der Führer der nationalen Regionen.

Es ist kein Geheimnis, dass die Sowjetregierung seit Beginn der Oktoberrevolution von 1917 Propagandaarbeit leistete, um diejenigen zu diskreditieren, die sich dem neuen Regime widersetzten. Eines dieser Opfer der Propagandamaschinerie der Sowjets war der Führer der Turkestanischen Autonomie, Mustafa Shokai, der später nach Paris emigrieren musste, von wo aus er weiterhin die Interessen des kasachischen Volkes verteidigte.

Die neue Regierung der Bolschewiki reagierte scharf auf Shokais öffentliche Aktivitäten in europäischen Ländern. Artikel, Bücher und Zeitschriften der hochgeachteten kasachischen Persönlichkeit, die in russischer, französischer, deutscher und englischer Ausgabe erschienen, wurden wahllos seitens der Sowjets kritisiert.

Auch nach dem Tod von Mustafa Shokai im Dezember 1941, hat die sowjetische Regierung ihre Diskreditierungsarbeit nicht eingestellt. Die ideologische Maschinerie bezeichnete ihn weiterhin als "Verräter", "

Die tatsächliche Realität, die mit Mustafa Shokai verbunden ist, war jedoch eine völlig andere.

In den letzten Jahren haben Historiker, die die Archive Deutschlands, Frankreichs und Polens studiert haben, festgestellt, dass die Idee zur Gründung der Turkestan-Legion nicht von Shokai, sondern von ganz anderen Personen in dieser tragischen Epoche der Nationalsozialistischen Zeit kam.

Insbesondere der Ost-Reichsminister Alfred Rosenberg legte Hitler Anfang Dezember 1941 sein Projekt zur Bildung von Hilfstruppen aus muslimischen und türkischen Häftlingen vor. Gleichzeitig wurde das nach diesem Projekt geschaffene Kommando der Turkestan-Legion in Wahrheit zunächst Shokai angeboten, der zu dieser Zeit ja selbst quasi ein Gefangener in den Händen der Nazis war. Es ist klar, dass es als Reaktion auf dieses Angebot der Zusammenarbeit mit dem NS-Regime damals nur zwei Optionen als Antwort seitens Mustafa Shokai geben konnte: Entweder die volle Zustimmung zur Zusammenarbeit oder seinen sicheren Tod.

In einem an seine Frau gerichteten Brief aus dem Gefangenenlager schreibt er: "Ich interessiere mich nicht für diese Arbeit, sondern nur für das Zählen von Gefangenen. Wir müssen hier dringend weg und dürfen hier nicht eingesperrt bleiben."

Sein Brief an Takhir Chagatai, der sich damals in Istanbul aufhielt, enthielt ebenfalls Worte mit der gleichen Bedeutung: "Meine Treffen hier endeten. Ich beschloss, nach Paris zurückzukehren ...".

Nach der endgültigen Ablehnung des Angebots der Nationalsozialisten am 19. Dezember 1941 in Berlin, erkrankte Shokai schwer und seine Temperatur stieg stark auf 40 Grad an, woraufhin er mit Typhusverdacht in das Auguste-Viktoria-Krankenhaus eingeliefert wurde.

Die Behandlung, die er eine Woche lang erhielt, brachte keine ermutigenden Verbesserungen.

Am 27. Dezember 1941 starb der kasachische Führer. Doch enge Freunde, darunter auch seine Frau Maria, reagierten mit großen Zweifeln auf die Umstände seines Todes.

Nach Shokais Tod begann das Reichsministerium Ost und das dem (nationalsozialistischem) Auswärtigen Amt unterstellte Russische Komitee im April 1942 mit der Suche unter einflussreichen politischen Persönlichkeiten nach einen anderen Kandidaten für das Amt des Kommandeurs der Turkestan-Legion und lud dazu Flüchtlingsführer aus Frankreich, Italien, den Balkanstaaten, der Türkei und der Schweiz ein.

Unter den Eingeladenen waren Personen wie Haydar Bammat (der Führer der Nordkaukasischen Union), Avar Said Shamil, Spiridon Kedia (der Führer der georgischen Nationaldemokraten), Leo Kerezelidze (einer der Gründer der Tetri-Georgi-Bewegung), der georgische Prinz Datkha Vachnadze, Iraki Bagration und der aserbaidschanische Führer Mehmet Emin Resulzade.

Die türkische Regierung verbot dem Führer der baschkirischen Bewegung, dem berühmten Wissenschaftler Zaki Uali, das Land zu verlassen, weshalb dieser nicht nach Berlin kommen konnte.

Bei einem Treffen in einem der Berliner Nobelhotels, dem Adlon, erkannten die Nationalsozialisten keinen der Anwesenden als befehlswürdig an, weshalb sie sich entschieden, Wali Kayum zu ernennen, der zuvor in einigen Lagern Mustafa Shokai als Assistent und Übersetzer gedient hatte. Dieses Ereignis wurde später "Adlonaid" genannt.

Folglich konnte also Mustaf Shokay, der fünf Monate vor der Bildung der Turkestan-Legion starb, in keiner Weise mit der Schaffung dieser Formation zu tun haben. Daher kann man Shokai auch nicht des „Verrats“ beschuldigen, indem man sagt, er habe eine Legion befehligt, die es eben aber zu seinen Lebzeiten noch gar nicht gab.

Im Gegenteil, es wäre gerechter, ihn einen aufopferungsvollen Volkshelden zu nennen. Deshalb wird heute in Kasachstan posthum daran gearbeitet, die historische Gerechtigkeit wiederherzustellen und es werden Maßnahmen ergriffen, um die Taten von Mustafa Shokai vollständig zu beschreiben.

Um die historische Rolle des herausragenden Sohnes des kasachischen Volkes, und seinen Mut in der französischen Hauptstadt zu verstehen, wurde 2010 im Park vor seinem Haus, in dem er zwanzig Jahre lang, von 1921 bis 1941) lebte, ein Denkmal errichtet.

Man sollte auch noch darauf eingehen, wie Shokai in der Sowjetunion zum „Verräter" wurde. Die Anschuldigungen beruhten von Beginn an nicht auf wissenschaftlicher Forschung oder die Analyse historischer Fakten, sondern rein auf den Schilderungen eines literarischen Werkes, das aus der blanken Fantasie des Autors dieser Geschichte "Der Untergang Großturkestans", des KGB-Offizier Serik Shakibaev, entsprang.

Das angegebene Werk wurde 1968 in Almaty veröffentlicht. Darin wird Mustafa Shokai als Verräter dargestellt, der sein Land wegen seines erstrebten Ranges und seiner Stellung an die Nazis verkaufte.

Es ist erwähnenswert, dass dieses Buch zu Sowjetzeiten die einzige nicht verbotene Veröffentlichung über Shokai war.

Anschließend wurde das Buch 1972 ins Russische und 1976 ins Kirgisische unter dem Titel "Chok Turkestannyk kirashy" übersetzt.

Die Geschichte selbst beginnt mit einem Brief von Shokai aus einem Nazi-Gefängnis an den Ostminister von Reichsdeutschland, Alfred Rosenberg, in dem der kasachische Führer angeblich schrieb, er glaube, dass "nur Deutschland Turkestan retten kann, deshalb will er Hilfstruppen aus Türkei bilden", Gefangene ansprechen und der Wehrmacht helfen."

So entfaltet sich in Folge eine ganze Kette von Pseudo-Ereignissen und regelrechten Lügen, die darauf abzielt, das Bild eines Verräters zu schaffen, der angeblich versuchte, die Völker Zentralasiens den Faschisten zu unterwerfen, um sein eigenes Ziel zu erreichen - Turkestan zu führen.

Dieses Buch vertritt die These, dass Mustafa Shokai in Form einer Vergiftung „bestraft“ wurde, die ihm von Uali Kayum, dem späteren Kommandeur der Turkestanischen Legion, gegeben worden sein soll.

Alle Teile dieser Geschichte, die nur das Ziel hatte, Shokai zu diskreditieren, wurden aus fiktiven Dingen fabriziert und zielten darauf ab, seinen Namen in der Sowjetunion zu verunglimpfen.

Es ist sinnvoll, auf jede der vom Autor erfundenen Thesen einzugehen:

1. Shokai, der einen Brief an den Ostminister Rosenberg schreibt, sitzt zu Beginn des fiktiven Buches seit einem Jahr im Gefängnis. Tatsächlich war Shokai jedoch noch nie wirklich im Gefängnis. Wir wissen, dass Shokay in seinem Leben nur drei Wochen im Lager Compiègne bei Paris in Gefangenschaft blieb.

Außerdem man sich das Lager eher aus wie ein Bootcamp vorstellen, als wie ein Gefängnis. Mustafa Shokai verbrachte diese Zeit soweit möglich sinnvoll und widmete sich den Gesprächen mit russischen Emigranten und anderen Persönlichkeiten.

2. Die Geschichte besagt, dass Shokai zusammen mit Alexander Fedorovich Kerensky an der juristischen Fakultät der Universität St. Petersburg studiert hat. Tatsächlich konnten sie nicht gleichzeitig Geschichte studieren. Shokai kam 1910 in St. Petersburg an, während A. Kerensky bereits 1904 sein Studium beendet hatte.

3. Das Buch behauptet auch, dass Shokai angeblich Verbindungen zum britischen Geheimdienst hatte. Historische Daten stützen diese These jedoch nicht. Darüber hinaus ist bekannt, dass diese Art von These von der sowjetischen Regierung normalerweise verwendet wurde, um die Gegner der bolschewistischen Bewegung zu verunglimpfen. Shokai wiederum war aber ein Unterstützer des zaristischen Regimes.

4. Der Autor der Geschichte stellt fest, dass Shokai auf Geheiß seiner Frau Maria nach Europa kam. Wie Shokai aus freien Stücken für den politischen Kampf nach Europa kam, wird in vielen Studien offen diskutiert. Diese Tatsache ist in den Memoiren von Mustafa Shokais Frau Maria hinlänglich und klar genug beschrieben.

5. Im Buch heißt es, dass Wali Kayum Shokai geholfen hat, die Zeitschrift "Yash Turkestan" zu veröffentlichen. Auch dies ist nicht wahr. Denn Shokay kannte Kayum in den Jahren, in denen das Magazin "Yash Turkestan" herausgegeben wurde (1929-1939) noch nicht. Sie treffen sich erst nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, als die Veröffentlichung der Zeitschrift eingestellt wurde.

Shokais Frau Maria schreibt in ihren Memoiren, dass Shokais erste Begegnung mit Kayum im Herbst 1940 in ihrem Haus in Paris stattfand. Kayum selbst schreibt, dass er Shokai angeblich erst 1941 zum ersten Mal traf.

6. Angeblich war Shokai der erste, der seine Meinung zur Gründung der Turkestan-Legion äußerte. Es gibt keine Informationen und Fakten, dass Shokai eine solche Idee zum Ausdruck brachte. Im Gegenteil, es gibt Informationen, dass Shokai Vorschläge gemacht hat, Kriegsgefangene von der Front zurückzubringen und sie zum Studium zu schicken, von einer Legions Gründung war dabei keine Rede.

7. Laut dem Autor des Buches wurde Shokai festgenommen, weil er sich mit den Briten nicht einigen konnte. Als wirklicher Grund für seine Verhaftung wird jedoch seine Position gegenüber dem Sowjetregime sowie die Versuche der Faschisten angesehen, die Möglichkeiten und Fähigkeiten von Herrn Shokai gegen die Sowjetunion zu nutzen. Wie man weiß, hat er diese Vorschläge jedoch abgelehnt, und dafür mit seinem Leben bezahlt.

8. In seiner Geschichte betont Shakibaev, dass Shokai von ganzem Herzen die Organisation der Legionsbildung aufnahm und die volle Verantwortung für diese Angelegenheit übernahm. Gleichzeitig zeugt aber keine einzige historische Tatsache von der Beteiligung von Mustafa Shokai an der Einrichtung der Aktivitäten der Turkestan-Legion.

9. Aus diesem Buch geht auch hervor, dass Zaki Uali 1937 erstmals nach Paris kam und nach seiner Ankunft in Berlin zusammen mit Galimzhan Idrisi mit der Herausgabe der Zeitschrift "Yash Turkestan" betraut wurde. Bevor Uali nach Istanbul ging, arbeiteten er und Idrisi angeblich für das Magazin. Keine dieser Aussagen ist gültig. Ouali kam Ende 1923 erstmals in Paris an. 1925 emigrierte er in die Türkei. Außerdem haben Galimzhan Idrisi und Zaki Uali noch nie für dieses Magazin gearbeitet. "Yash Turkestan" erscheint nicht seit 1937, sondern seit 1929, wie oben erwähnt.

Der Autor der Geschichte, Shakibaev, wusste damals nicht, dass Galimzhan Idrisi Shokai immer ablehnte. Das belegen seine Berichte über den kasachischen Führer an das Russland-Komitee des deutschen Außenministeriums. In einem dieser Berichte, der in einem deutschen Archiv aufbewahrt wird, warnt Idrisi die Leitung des Ministeriums, dass Shokai eines der aktiven Mitglieder der "Union des Prometheus" war (sprich er handelte gegen die Nationalsozialisten)! In diesem Zusammenhang mahnt Idrisi zur Vorsicht mit ihm. Es ist auch dieses Material im Archiv, das zeigt, dass Shokai nicht mit den Nazis zusammengearbeitet hat.

Zusammenfassend können wir mit Sicherheit sagen, dass die Ereignisse und die dargestellten Fakten, die in dieser Arbeit dargestellt wurden, weit von der Wahrheit entfernt sind.

Eine unbestreitbare Tatsache ist, dass die Geschichte von Shakibaev nicht nur in Kasachstan, sondern in der gesamten Sowjetunion dazu beitrug, dass es zur Bildung eines weit verbreiteten Missverständnisses und einer diskriminierenden Darstellung Shokais kam.

So bekamen die sowjetischen Propagandisten zweifellos durch die Arbeit von Shakibaev, da sie in Shokais politischem Leben keine einzige nachgewiesene Tatsache eines Verrats fanden, die Möglichkeit ihre Ziele durch das Erzählen falscher Daten zu erreichen.

Man sollte nicht vergessen, dass die Wahrheit früher oder später dazu neigt, die Unwahrheit zu besiegen, insbesondere wenn sie durch historische Fakten und Forschungen sowie durch den Willen der Menschen nach der Suche nach der Wahrheit gestützt wird.

Man kann davon ausgehen, dass die moderne Forschung weitere Tatsachen über Shokais Nichtbeteiligung am Hitlerregime enthüllen und das Wissen über die Einzigartigkeit dieser Persönlichkeit ergänzen wird, die sich immer für das Schicksal der Menschen in Kasachstan und Großturkestan aufgeopfert hat.

Er war und ist ein Beispiel der Liebe zum Vaterland und zu seinem Volk, für Mut und ein Träger positiver höchster patriotischer Gefühle!

Basierend auf Überlegungen von Abduvahap Kara

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