Muslimische Muttermilch

Islamophobie Die Milch meiner Mutter wurde die Wurzel aller Probleme in Deutschland

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Gefühlte Wahrheiten und Klischees bestimmen den Diskurs
Gefühlte Wahrheiten und Klischees bestimmen den Diskurs

Foto: Sean Gallup/Getty Images

„So traurig wie ein Muslim in Europa“, so beschrieb Gabriel García Márquez einen seiner Romancharaktere. Woher hatte er dieses falsche Bild über die Lage der Muslime in Europa? Es ist wirklich sehr schön, in dieser Zeit ein Muslim in Deutschland zu sein. Eine schnell wachsende Partei beschäftigt sich fast ausschließlich mit uns, wir sind ein beliebtes Dauerthema in den Medien sowie auf Demonstrationen gegen die „Islamisierung Europas“, und Politiker ermahnen uns stets, eine andere (Version der) Religion zu entwickeln. Immerhin, wir sind immer im Zentrum der Öffentlichkeit, die anderen sollten uns darum beneiden.

Jetzt heißt es auch, dass wir alle Antisemiten sind, und dass wir Antisemitismus in ein nahezu antisemitismusfreies Deutschland mitbringen. Eine weitere Front, um Muslime anzugreifen und ihnen Vorwürfe zu machen. Eine Kolumnistin dieser Zeitung behauptete sogar, dass wir nicht nur ein „anderes“ Bild von Frauen und der Welt hätten, sondern auch allen Juden den Tod wünschen und Hitler verehren! (siehe: Geht es um Mobbing? Ausgabe 44/2018)

Ich will über diese unsinnige Behauptung der Kolumnistin nicht weiter diskutieren. Nicht nur, weil ich den Vorwurf absurd finde, sondern weil die Autorin das zauberhafte Wort "Fakt" verwendet. Obwohl sie diese Vorwürfe komplett ohne jeden Beleg erhebt, muss ich ihr Wort respektieren. Aber was ich bemerkenswert finde, ist die Verwendung von „Muttermilch“ in diesem Kontext. Ihre Aussage, dass wir Muslime den Hass auf Juden mit der Muttermilch aufgesogen haben, kann ich so einfach nicht stehen lassen.

Literarisch finde ich die Metapher abgedroschen. Ich meine, ich habe sie schon in drei verschiedenen Sprachen dutzende Male gelesen. Der Artikel war in gehobener Sprache geschrieben und hätte daher, trotz dessen Stimmungsmache, eine bessere Metaphorik verdient.

Ich habe mich inzwischen an die „kulturelle Abgrenzung bzw. Abwertung“ gewöhnt, die viele Europäer bevorzugt verwenden, um nicht allzu rassistisch zu klingen. Die Kulturen der anderen sind Schuld, nicht ihre „Rassen“. Selbst die Identitäre Bewegung adaptiert zurzeit diese sprachliche Methodik. Aber diese Hetze mit Muttermilch zu verbinden? Das hat doch einen biologistischen Stempel.

Diese Abgrenzung konnte „die Kosmopolitin“ nicht klarer machen: Das jüdische Kind besucht den katholischen Religionsunterricht. Diese Info hat sie im ersten und im letzten Satz des Textes gegeben und prägt damit das Bild vom „wir“ – nämlich Juden und Christen mit dem gesunden Frauen- und Weltbild, und den anderen, den „sie“, bestehend aus Muslimen, deren Weltbild „sich an vielen Stellen von dem hierzulande gelebten unterscheidet“. „Sie“ hassen angeblich die Juden und verehren Hitler (Entschuldigung, aber dieser Vorwurf ist echt unglaublich absurd). Aber „wir“ sind so gut, wir teilen trotz allem mit diesen hasserfüllten Menschen unsere Demokratie und unseren Wohlstand.

Die ohne Belege erhobenen Vorwürfe, wir würden Hitler verehren und allen Juden den Tod wünschen, könnte ich schon an Hand meiner eigenen Erfahrungen und Familiengeschichte Lügen strafen. Ich könnte mich auch einfach auf die Werke des israelisch-deutschen Professors David Rannan beziehen, um diese unsäglichen Unterstellungen zu widerlegen. Aber es ist immer schwierig über „gefühlte Wahrheiten“ zu diskutieren.

Zurück zur Muttermilch: Ihr, die vorbildlichen Europäer, könnt uns Muslime abwerten, wie ihr wollt. Entweder mit dem klaren Hass derjenigen, die uns ausweisen wollen, oder mit der Arroganz und der hinter anscheinend guten Intentionen versteckten Verachtung derjenigen, die meinen, uns umerziehen zu müssen. Aber die Muttermilch muss ein Symbol für die Liebe – für die bedienungslose Liebe und Großzügigkeit einer Mutter – bleiben. Sie kann keinen Hass enthalten. Können wir bitte jede Art von Hass von der Muttermilch fernhalten? Das wäre nett. Danke!

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