Erste stachelige Pflänzchen!

Ziviler Ungehorsam Es ist mal wieder an der Zeit, eine andere Perspektive anzubieten.

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Weil eine Debatte über zivilen Ungehorsam, welche aktuelle Entwicklungen ausblendet, zur geistigen Sitzblockade zu verkommen droht. Angestoßen wurde diese Debatte durch einen Kommentar meines Lehrers Peter Grottian in der taz. Die Kernbotschaft, wir bräuchten mehr zivilen Ungehorsam; die zentrale Frage, an der er sich – letztlich ohne eine wegweisende Antwort zu liefern – abarbeitet, wieso es so schwierig ist, schlagkräftige Bewegungen (dort auf das Aktionsmoment ‚Ziviler Ungehorsam’ reduziert) zur ‚Sozialen Frage’ zu etablieren. Grottian argumentiert anhand von vergangenen und aktuellen Kampagnen, Aktionen und Organisierungsansätzen, nicht ohne mehr oder weniger (un)berechtigte Seitenhiebe gegen Ziele, Strategien oder Akteure dieser auszuteilen. Wenn auch solidarisch provozierend gemeint, eine wenig hilfreiche Methode. Aber immerhin, das besonders hervorgehobene Attac bellt in Form seiner ewigen Funktionärselite zurück. Die Debatte ist da. Das ist gut.

Leider ist die weitere Richtung, naja, eben auch wenig hilfreich. Weder die formalistische, organisationsverteidigende Antwort von Jutta Sundermann und Roland Süß, noch der demokratie- und organisationstheoretische Offene Brief von Werner Rätz. Es ist insgesamt eine eher bürokratisch ringende Auseinandersetzung, noch sehr verfangen in ziemlich bürgerlichen Vorstellungen eines ‚sauberen’ zivilen Ungehorsams. Und mehr will ich dazu auch gar nicht sagen, kann mensch sich ja selbst durchlesen. Muss aber nicht, um das hier Folgende aufzunehmen.

Die andere Perspektive. Die nimmt sich den Platz. Zum Beispiel den O-Platz, zuvorderst sind an dieser Stelle nämlich die Flüchtlingsproteste zu würdigen. Das nun bald ein Jahr andauernde Aufbegehren, der 'refugee strike', verbindet drei Forderungen (Abschiebungen stoppen, Residenzpflicht abschaffen, Flüchtlingslager schließen) mit anhaltenden Regelverletzungen (Residenz- &Lagerpflicht, Zerstörung der Ausweise), Akten politischer Selbstermächtigung (Platz- & Botschaftsbesetzungen), bis hin zu Mitteln, welche die Gefährdung der eigenen körperlichen Unversehrtheit in Kauf nehmen (Lippen vernähen, Hungerstreiks, Suizid als Auslöser).

Es ist unmöglich, hier auch nur annähernd diese Bewegung mit seiner Vielzahl an Aktionen, Veranstaltungen, Selbstorganisierungsprozessen und menschlichen Schicksalen abzubilden, die vor allem auch jenseits der oben angedeuteten, faustgeballt ungehorsamen Ebene stattfinden.

Aber einen Punkt möchte ich dennoch besonders betonen, weil er sowohl für das Konstrukt Ziviler Ungehorsam, wie auch als Impulsgeber für andere Bewegungen (zumindest in Berlin), eine bislang unterschätze Rolle spielt. Und weil er auch bei einem aufmerksamen Weiterklicken durch die links allenfalls indirekt vermittelt wird.

Es ist die Haltung, der Wille, die Entschlossenheit dieser Menschen, in dem was sie tun. Welche Energie diese Bewegung seit Herbst in Berlin versprüht, ist objektiv kaum fassbar. Für mich persönlich war es die Infusion, auf die ich, nach dem ‚postblockupyschen (in einem nicht enden wollendem Sommerloch versunkenem) Burnout’ sehnlichst gewartet hatte. Und ich habe einige gesehen, die durch das Auftreten der Flüchtlinge ermuntert und ermutigt wurden. Sei es auch nur, mal wieder das - unseren Kreisen oft anhaftende – BedenkenträgerInnentum oder die Neigung zur theoretischen Überhöhung etwas hinten anzustellen.

Ziviler Ungehorsam braucht entschiedene Menschen, das ist der Schlüssel, es gilt: vor- und nicht Werbung machen.

Die ganzen organisationsstrategischen oder aktivistInnen-küchenpsychologischen Überlegungen hingegen bringen für eine tatsächliche Mobilisierungsfähigkeit fast gar nichts. Der einzig vorstellbare Qualitätssprung diesbezüglich, wäre wohl ein Phrasenschwein zugunsten der Rechtshilfefonds und Ermittlungsausschüsse.

Aktuell gibt es eine (heftigen Repressionen ausgesetzte) Bus-Tour zu Flüchtlingslagern in ganz Deutschland. Und am 23. März gibt es zum einjährigen Bestehen der Proteste eine große Demonstration. Die Refugees' Revolution Demo (alleine der Name:-) ist ein wunderbarer Anlass, diese junge deutsche Bürgerrechtsbewegung zu unterstützen, ihr Anerkennung zu zollen und von ihr zu lernen:

Ziviler Ungehorsam braucht Attitüde nicht Plattitüden!

Im übrigen haben die Flüchtlingsproteste auch eine sich gegenseitig befruchtende, europäische Dimension (Wien, Lille), was vielleicht passend zu einer anderen, dezidiert ungehorsamen Bewegung überleiten kann.

Kampagnen gegen Zwangsräumungen entstehen überall, wo im autoritären Kapitalismus Eigentumsrechte zu Ungunsten des Rechts auf Wohnraum durchgesetzt werden. Und ein wenig erscheinen sie, wie AusläuferInnen der Landlosen- und LandbesetzerInnen-Bewegungen in die urbanen Räume der westlichen Welt. In den USA ist das schon länger ein Handlungsfeld des ‚Occupy-Movements’. In Spanien reagieren erste BürgermeisterInnen auf Suizide von Räumung bedrohter Menschen und den ungehorsamen ‚Häuserkampf’, indem sie zwangsräumenden Banken Mittel entziehen oder die Polizei nicht mehr zur Unterstützung einsetzen. Auch in Berlin hat sich ein Bündnis gegen Zwangsräumungen gebildet. In einem Umfeld zahlreicher lebendiger Initiativen zu Mieten/Wohnen/Verdrängung und sich wieder dynamisierenden (stetig ungehorsamen aber traditionell kaum beachteten) Kämpfen um Freiräume. Und schon wenige Aktionen reichten aus, das Thema prominent im öffentlichen Problembewusstsein zu verankern. Alleine die Mobilisierung zur Blockade einer Zwangsräumung hat die Herrschenden veranlasst, für einen Vormittag Teile Kreuzbergs mit einem Bürgerkriegsszenario zu überziehen. Was hierbei ‚Erfolg’ bedeutet, kann wohl jedeR nur für sich selbst definieren.

Diese Bewegungen näher zu betrachten, lohnt aber nicht nur, weil sie so eindrücklich eine eklatant klaffende Lücke zwischen Recht und Gerechtigkeit zu Tage fördern. Zumindest die wechselseitigen Querverweise bei facebook deuten darauf hin, dass diese Bewegungen ein wunderbares Beispiel für transnationales Bewegungslernen abgeben. Jedenfalls werden die Bedingungen im Trial-&-Error-Verfahren, welches für die Entwicklung tatsächlicher Wirkungsmacht von Bewegungen weitaus zielführender ist, als alle noch so elaborierten Kopfgeburten, durch den globalen, virtuellen Austausch von bzw. über Aktionsformen enorm verbessert, bei sinkender Fehlerquoten. Ein Quantensprung für Strategie und Kreativität.

Eine Kombination von solidarisch-ungehorsamen Aktionen zur Verhinderung von Unrecht gegen Einzelpersonen und einem offensiven, öffentlichen Angriff auf die Reputation der ProfiteurInnen, scheint jedenfalls ein Rezept zu sein, das sich grenzenloser Beliebtheit erfreut. Und auch wenn das Unrecht oft nicht abgewendet werden kann, es entstehen zumindest nachbarschaftliche Selbstorganisierungsprozesse unter antikapitalistischen Vorzeichen.

Und auch Blockupy Frankfurt hat in diesem Sinne einen interessanten Strategiewechsel vollzogen, hin zu einem mindestens mittelfristigen Organisierungsansatz. Sicher, als Kampagne für Aktionen massenhaften zivilen Ungehorsams gestartet, haben sich im letzten Jahr massive Probleme offenbart. Weder Platzbesetzungen, noch Blockaden haben wirklich funktioniert. Die Huldigung des Grundgesetz’ auf dem Römer oder den polizeistaatlichen Ausnahmezustand als Erfolgsgeschichte zu verklären, wie es Verlautbarungen aus dem Bündnis teils versuchten, ist wenig erkenntnisfördernd. Aber deswegen gleich von Strategien oder Zielen abzulassen, wäre ein echter Schiss in die Hose. Weil Blockupy stellt wahrhaftig die Demokratiefrage im Bankenviertel, indem es gezielt die Europäische Zentralbank angreift, als wesentlichen Akteur in der Krisenpolitik der Troika - verantwortlich für noch effizienteres Wachstum der Verteilungsungleichheiten. Die Machtfülle dieser Institution, beispielsweise auf die Innenpolitik in Griechenland, bei gleichzeitig kaum nennenswerter, demokratischer Legitimation, stinkt doch so dermaßen zur autoritär-kapitalistischen Hölle, dass es allerhöchster Tiefbahnhof ist, ernsthaft zu intervenieren.

Und zumindest für die Blockupy Plattform Berlin sehe ich durchaus gute Möglichkeiten, dass sie (nach dem Event) einen offenen Raum kreiert, aus dem heraus spektrenübergreifende, nadelstichige Initiativen gestartet werden, die mit bewusst ungehorsamen Aktivitäten, soziale Konflikte zuzuspitzen versuchen.

Und auch ‚Occupy’ hier (wie die Politisierungsbewegung der Empörten oft fälschlicherweise genannt wird) ist keineswegs tot, nur weil kaum noch die Aufmerksamkeitsschwelle der bürgerlichen Medien überschritten wird und das Label lange abgelegt ist. Mit der Kampagne '#iRun - Ihr repräsentiert uns nicht!' probieren die ‚neuen’ AktivistInnen Anknüpfungspunkte an die Dynamiken aus dem Herbst 2011 zu finden. Wie ich finde beispielgebend, weil damit eine dezidiert herrschaftsablehnende Grundausrichtung einhergeht, die teilweise wesentlich stärker ausgeprägt zu sein scheint, als bei vielen traditionellen, linksradikalen AkteurInnen. Kreatives wie ungehorsames Potential sind zu genüge vorhanden. Ich jedenfalls habe eine durchaus hoffnungsfrohe Erwartungshaltung und würde mir wünschen, dass die schlaumeiernden Abkanzelungen dieser freshen Bewegung durch Menschen aus dem letzten Jahrtausend endlich aufhören mögen.

Zur Inspiration empfehlen möchte ich außerdem gerne noch ‚Idle No More’. Als Kampagne zur Verteidigung indigener Rechte in Kanada gestartet, mittlerweile eine sich wie ein Lauffeuer verbreitende Bewegung über den ganzen amerikanischen Kontinent, die längst universelle Ziele wie Gleichberechtigung und den Schutz unseres Lebensraums Natur fordert. Mit Blockaden aber auch kulturell ungehorsamen Aktionen.

Und als wirklich letzte, unglaublich schöne Wendung (noch nach dem Showdown und krönendem Abschluss), präsentiere ich hier das ‚Überraschungscomeback’ der EZLN mit seiner stillen Mobillisierung.

Welch Auftreten, Boom, mal eben den Zeitenwechsel symbolisch vollzogen. Ich glaube, ein enorm wichtiges Signal für viele Menschen auf der Welt, die von den Zapatistas inspiriert wurden und sich noch inspirieren lassen (werden). Und was für ein Prototyp von massenhaftem zivilen Ungehorsam, das sollten wir mal intensivstens reflektieren. Plus sie haben ja eigentlich schon lange jegliche Debatte über die Legitimität ungehorsamer Selbstermächtigung ad absurdum geführt, indem sie konsequenter Weise festgestellt haben, dass ‚schlechte Regierung’ keine alternativen Handlungsoptionen anbietet. Das führte hier zu weit, dort zu naheliegenden Botschaften aus dem lakandonischen Urwald.

Nun habe ich mich ebenfalls einer Methodik von selektiven Schlaglichtern auf Bewegungsmomente bedient. Ich kann und mag sie nicht als Indikatoren einer Antithese vom blühenden Ungehorsam bei Sozialprotesten, in Demokratie- und Bürgerrechtsbewegungen zusammen fassen. Aber es gibt sie, auch hier, erste stachelige Pflänzchen. Und sie selbst sollten auch in der aktuellen Debatte über zivilen Ungehorsam eine bestechendere Rolle einnehmen.

Ich habe versucht, Bewertungen von Aktionen zivilen Ungehorsams zu vermeiden, weil mir die möglichen Kriterien immer zu systemimmanent erscheinen. Echte Relevanz haben gemeinsame Erfahrungen. Die Welt verändern, beginnt damit, sich selbst zu verändern*. Und das geht nur in gemeinschaftlicher (Inter-)Aktion. Das kann mensch in diesen Momenten erleben. Aber kein noch so schlauer Text kann vermitteln, was eine gemeinsame Praxis anzubieten hat. Am liebsten persönlich möchte ich mich bei allen Menschen und Initiativen bedanken, die in Berlin gerade quasi wöchentlich Widerstandsformen üben. Mit Euch zu sein gibt mir Hoffnung und Mut, und die Energie, nicht aufzugeben. Der echte gesellschaftliche Diskurs findet also schon längst auf den Straßen statt, ziviler Ungehorsam ist alltägliches Bewusstsein, ständig Teil unserer sozialen Kämpfe, oder schöner: unseres Lebens. Kommt einfach mal dazu. Eine andere Perspektive ist möglich.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Yann Döhner

nichts als kreatives gemeingut...

Yann Döhner

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