Ein Nachruf auf die Fassungslosigkeit

Umgang mit Katastrophen In ereignisreichen Zeiten wie diesen, ist ein verantwortungsvoller und reflektierender Umgang mit den Medien von zentraler Bedeutung

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Ein Nachruf auf die Fassungslosigkeit

Foto: John MacDougall/AFP/Getty Images

Die Welt gerät dieser Tage mancherorts, so scheint es, aus den Fugen. Man möchte innehalten, das Unbegreifbare begreifen, die Zeit verlangsamen, schweigen und reflektieren, stattdessen lernen wir die sehr kurze Halbwertszeit von Nachrichten kennen. Einmal aufgeschwungen auf der Informationsflut-Welle, ist der Absprung nicht mehr leicht. Nicht mehr die Inhalte, sondern scheinbar der Eifer nach immer neuen Nachrichten spielt eine Rolle. Sich überstürzende und stolpernde Meldungen und wir nehmen alles vermeintlich auf. Denn schließlich kann man nicht genug bekommen. Das geschriebene Wort ist schon nur noch schmückendes Beiwerk, Bilder müssen her, noch viel mehr, starre oder bewegte, das ist uns gleich. Unsere Anteilnahme gibt es nur noch im Tausch zu Bildern, je mehr das Grauen dargestellt wird, desto stärker unser Mitgefühl. Und natürlich, das Unterlegen mit Ton vervielfacht unsere Empathie zusätzlich, also auch her damit. Wir konsumieren Schreckensmeldungen, die unser Bedürfnis noch nach mehr Konsum steigern, und die Medien haben schon längst verstanden. Klar, ist ja auch nur eine Frage des Angebots und der Nachfrage. Also weiterbeliefern, noch schrecklichere Bilder, gerne auch verpixelt oder als „bereits für Sie schon gekürzt weil nicht zumutbar“. Die proportionale Bilder-Anteilnahme-Gleichung geht wunderbar auf.

Wir versprechen im Gegenzug, in drei Wochen spätestens sind wir soweit, dann wollen wir auch keine Kürzung mehr, wir ertragen und verschlingen letzenendes alles. Bis dahin freuen wir uns über jeden redseligen Zeugen, der das Unvorstellbare überlebt hat und der nun in jede Kamera spricht. Denn schließlich ist doch dieses Denken von gestern: Traumatisierte, unter Schock Menschen, die in solchen Situationen vor der Öffentlichkeit geschützt werden müssten, wie seinerzeit mit den Angehörigen der Germanwings-Katastrophe geschehen. Diese Bilderlücke in unseren Köpfen haben wir euch nicht vergessen.

Man möchte innehalten, das Unbegreifbare begreifen, die Zeit verlangsamen, schweigen und reflektieren, stattdessen ist man schon längst Teil einer Sensationsmaschinerie und einer Automatisierung: Die Künstler machen sich im Nu daran DAS Symbol dieses Ereignisses oder DEN traurigen Soundtrack zu kreieren. Es dauert nicht lange, 24 Stunden später stehen die Gewinner des Pitches fest, wir freuen uns, schließlich haben wir ja die Sieger mitgekürt, in dem wir zu Hundertausendenden diese Werke im Netz geteilt haben, anders wäre unser Mitgefühl ja nicht auszudrücken gewesen. Ach ja und natürlich interessiert uns dann auch das Interview mit den jeweiligen Künstlern, die uns selbstverständlich und gleich nach der Siegerehrung vor die Nase gehalten werden.

Man möchte innehalten, das Unbegreifbare begreifen, die Zeit verlangsamen, schweigen und reflektieren, stattdessen werden bereits Ereignisse auf ihre zuteil gewordene Aufmerksamkeit hin gemessen und verglichen. Jeder Betroffenheitskonsument muss sich die Frage stellen, ob die eigene Anteilnahme immer politisch korrekt und gerecht war. Hochgeschwindigkeit und Kontrolle, die Gebote der Stunde gelten sowohl für die Informationen als auch dem Verzehr dieser durch ihre Konsumenten.

Man möchte innehalten, das Unbegreifbare begreifen, die Zeit verlangsamen, schweigen und reflektieren, stattdessen polemisierende und polarisierende Analysen von Menschen, die einen gewissen Nutzwert in Katastrohen suchen und scheinbar finden. Stimmen, die plötzlich lauter und schriller werden und Stimmungen, die das Klima einer Gesellschaft vergiften.

Natürlich kann man sich bewusst fernhalten von all dieser diffusen, oft sinnlosen Flut an Meldungen, geht es hier nur darum, dem getriebenen Informationswillen die Augen zu öffnen und diesen zu entschleunigen. Oder einfach nur darum, für wen auch immer im Stillen zu trauern, innezuhalten, das Unbegreifbare zu begreifen und zu reflektieren.

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