Politik braucht Konturen

Plädoyer Warum wir neben einer neuen Sozialpolitik auch eine neue „konstruktive konservative Politik“ brauchen – selbst wenn wir sie persönlich ablehnen

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Ist es an der Zeit, alte Leitlinien zu entstauben?
Ist es an der Zeit, alte Leitlinien zu entstauben?

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Rechts von der Union darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben, sagte einst sinngemäß CSU-Chef Franz Josef Strauß. Über diesen Satz wurde auch Jahre danach viel diskutiert, dessen Einordnung war über die parteipolitische Einordnung hinaus tonangebend, was die Entwicklung der Parteienlandschaft in Deutschland anbetraf. In den jüngsten Jahren der Regierungszeit Angela Merkels glaubt man, dieser Satz sei schon lange verschwommen, gar überholt, zu sehr sei die Partei in der linken Mitte angekommen. Und natürlich lässt sich darüber streiten, ob die CDU (mit Widerwillen ihrer Schwesterpartei CSU) den offensichtlichen Richtungswechsel hätte besser nicht einschlagen dürfen, genauso wie man die Politik Merkels, um ihre Verdienste und ihres Versagens wegen, verschiedenartig deuten kann. Außerdem, so der Tenor, sei die Zeit doch heute eine ganz andere, mit ganz verschiedenen, noch nie da gewesenen Herausforderungen, obgleich dem immer wieder verlautbaren Stammtisch-Jargon aus Bayern.

Die Dynamik der Veränderungen und die Schnelllebigkeit neu gesetzter Themen sei heute eine ganz andere – Digitaliserung, Klimaschutz, Fluchtbewegungen etc. – schlicht: die Akkumulation des Prekären bestimme unsere Gegenwart.

Und dennoch: Diesen Ausspruch gilt es heute in seiner Bedeutung nochmal neu zu bewerten, besitzt er sogar möglicherweise die Fähigkeit einer möglichen Umkehr, gar eines Heilmittels hin zu einem Gleichgewicht der politischen Landschaft Deutschlands.

In Zeiten, in der eine große Volkspartei wie die SPD eine permanente, fast schon suizidale Selbstdemontage betreibt und schon lange keine Konturen aufweist, in der die Partei der Grünen den Puls der Zeit zwar erkannt und umweltpolitisch veranwortungsbewusst agiert, aber zunehmend die indivualisierte gesellschaftliche Elite anspricht, und in der vor allem das Rechte-Rand-Gebaren der AfD mit allen Mitteln der Ungeheuerlichkeit die aktuelle Tagespolitik bestimmt, ein mehrheitsfähiger, gemäßigter und zeitgemäßer Konservatismus unumgänglich ist, um die Spaltung der Politik in die Extreme nicht noch weiter voranzutreiben. (Dasselbe trifft natürlich auch auf die Selbstfindung und die Rückbesinnung der SPD auf ihre Werte zu, von der man aber nicht mehr weiß, ob sie das überhaupt noch schafft.)

Sodann finden sich auch wieder kleinere, sich mehr oder weniger der Demoktrie verpflichtende Parteien ein, die in einer offenen, pluralen Gesellschaft wichtig sind, jedoch nicht von solchem Gewicht, wie jüngst durch die FDP demonstriert, als dass sie auf demokratischem Wege und mit fragwürdigem politischen Verantwortungsbewusstsein, große politische Umwälzungen hervorbringen könnte. Diese Schieflage, die wohlbemerkt in einer Demokratie durchaus entstehen kann, legitimiert sich eben genau durch dieses System.

Schadensbegrenzungen und Läuterungen sowie Rufe nach Rehabilitierung und Neuwahlen können dann mitunter hohl klingen, wenn das Wort "ilegitim" nicht greift.

Ein Blick zurück: Angela Merkel wurde ihrerzeit zur Kanzlerin gewählt, weil sie sich in der politisch konservativen Nachfolge Helmut Kohls verstand, der mit der Schwesterpartei CSU das Gezerre um die vermeintliche Richtung innerhalb der Union notgedrungen als Teil des Selbstverständlisses dieser Partei verstand. Diese Auseinandersetzung war und ist nicht immer nachvollziehbar, bedient(e) sie sich doch oft populistischer und extremer Mittel, aber sie vermochte durchaus ein Kompass in der politischen Landschaft zu sein. Ein verortender Richtungsweiser also, nämlich die des möglichen maximalen Konservatismus. Dieser bot seine eigenen Grenzen immer wieder zum Diskurs an und verteidigte gemäß dem Strauß‘schen Anspruch seine Position, um sich aber parallel überwiegend von politischen Extremen wie Personen und Parteien zu distanzieren. Am Ende funktionierte die selbstauferlegte Demokratiekontrolle innerhalb der Union mehr oder weniger zufriedenstellend.

Ebenso war eine restriktive Migrationspolitik, eine Nuklearenergie-Politik, eine arbeitgeberfreundliche liberale Wirtschaftspolitik Teil des Merkel’schen wertkonservativen Politverständnisses, der ihr aber gerade deswegen mehrere Male zum Wahlsieg verhalf. Diese Haltung wurde aber mit den Jahren immer mehr und mehr aufgeweicht und stellenweise ganz aufgegeben, der mit Stimmverlusten auf Landes- und Bundesebene abgestraft wurde. Mit dem parallelen Absterben der SPD und der Verortung der Merkel‘schen Regierung in der linken Mitte, verschwommen auch die Stimmen, die sowohl von den Unions-Stammwählern kamen als auch von den Wechselwählern, vor allem von der SPD.

Und so manch konservative, klassische CDU-Wähler fühlte sich in seiner Partei nicht mehr zu Hause, und war gewillt, die aufkommende Schieflage zu tragen: Die einst postulierte Distanz zum rechten Rand wurde und wird mit der Weiteretablierung der AfD auf Landes- und Bundesebene immer kürzer, mancherorts ist sie sogar so verschwommen, dass die geistige Spaltung der Unionspartei auf den verschiedensten Ebenen droht und Bündnisse mit der AfD plötzlich doch kein Tabu mehr zu sein scheint.

Wir dürfen den Blick also nicht davor abwenden, dass gute konservative Politik durchaus zur Wahrung der Demokratie und einer heterogenen Wählerschaft dazugehören muss, und dass eine links-liberale Politik nicht notwendigerweise das einzige Mittel ist, das Aufkommen von mehrheitsfähigen Rechten aufzuhalten.

Ein Blick ins übrige Europa genügt, um zu verstehen, wie schnell ein politischer Umbruch mit krassen Folgen für die Gesellschaft vonstattengehen kann – Thüringen war ein Vorgeschmack und eine riesen Warnung für Deutschland, in einem noch kleinen Rahmen.

Daher ist es durchaus vernünftig, wenn die Union einen zeitgemäßen konservativen Kurs mit der neuen Vorsitzenden / dem neuen Vorsitzenden und der möglichen Kanzlerkandidatin / dem Kanzlerkandidaten einschlägt, der imstande ist, Wähler, Protestwähler und frustrierte Stammwähler wieder als Volkspartei in Kompromissen zu vereinen.

Natürlich sollte sie dabei durchaus Fragen des eigenen Selbstverständnisses in der heutigen Zeit stellen dürfen, aber klare Linien verfolgen, um nicht an Glaubwürdigkeit zu verlieren.

Vernunft und Einsicht also darin, dass der CDU moderater Konservatismus gut tut, um gefährlichere, populistische Politik von anderer Seite zu vermeiden. Oder anders ausgedrückt: Politrealismus in Zeiten des Rechtsdrucks, um größere, irreparable Schäden abzuwehren.

Konstruktive konservative Politik ist gegenwärtig in der Gellschaft durchaus erwünscht und gefordert, auch wenn viele Nicht-CDU Anhänger, die teilweise begeisterte Merkel-Politik-Liebhaber sind, das nicht so sehen wollen. Gerade in wirtschaftlich und gesellschaftlich prekären Zeiten scheint der Konservatismus Sicherheit und Entschleunigung zu bieten.

Den Weg, den die CDU in den letzten Jahren eingeschlagen hat, sich also immer mehr als schwammige Alternative zur SPD verstehen, kann man stellenweise nachvollziehen, birgt aber für sie die Gefahr, als Partei ebenfalls unterzugehen. Wenn sie es schafft, ihrem Kern wieder näherzukommen, ist die Chance gegeben, dem rechten Rand, namentlich der AfD, die Wähler-Grundlage zu entziehen.

Eine wahrhafte Opposition, vornehmlich die SPD, die nach den Wahlen aller Voraussicht nach nicht mehr in der Regierung sein wird, kann sich auch nur dann wieder glaubhaft regenerieren und positionieren, wenn sie sich klar abgrenzen und für vielseitigen, ausgewogenen Diskurs in der Politik sorgen kann.

Vielleicht ist gerade heute der Mut gefragt mit Vernunft und Kompromissbereitschaft einen Weg einzuschlagen, der auf den ersten Blick unbequem und gegen die eigene Haltung spricht, aber der längerfristig zu Stabilität, Demokratieerhalt und Besonnenheit führt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
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