Affront und Aggression

Türkei Gegen energischen Protest aus Bagdad schickt Präsident Erdoğan ebenfalls Soldaten in den Nordirak
Ausgabe 43/2016
Keine Erdoğan-Fans: Bewohner der Stadt Basra im Nordirak
Keine Erdoğan-Fans: Bewohner der Stadt Basra im Nordirak

Foto: Haider Mohammed Ali/AFP/Getty Images

Ein türkisches Militärkorps beteiligt sich auf seine Weise an der Mossul-Offensive. Man kämpft gegen Milizen des IS wie der Kurden, von denen die Regierung in Ankara behauptet, es seien Filialen der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK). Die irakische Regierung empfindet das als Affront und Aggression. Sie will, dass türkische Einheiten die Stadt Baschika in der Nähe von Mossul sofort verlassen. Deren dortige Präsenz hat zu einem heftigen Schlagabtausch zwischen Präsident Erdoğan und Irak-Premier al-Abadi geführt. Was nicht erstaunt. Worauf zielt das türkische Vorgehen? Mindestens auf mehr regionalen Einfluss, sehr wahrscheinlich auf territoriale Expansion, mit der ein geschlossenes kurdisches Autonomiegebiet im Nordirak verhindert werden soll.

Kritiker werfen Erdoğan vor, er wolle durch sein Eingreifen den Nationalisten im eigenen Land gefallen, die als AKP-Gefolgschaft erwünscht sind. Derzeit wird in Ankara gern auf den vom osmanischen Parlament 1920 angenommenen Nationalpakt verwiesen, der die Stadt Mossul zum Territorium eines türkischen Nationalstaates erklärte. Leider, so die Regierung Erdoğan, habe sich Republikgründer Atatürk danach wegen mangelnder Entschlossenheit mit den heutigen Grenzen abgefunden. Allerdings dürfte jedem Regierungspolitiker in Ankara klar sein, dass eine Übernahme Mossuls durch die Türkei ausgeschlossen ist. Auch wenn es Erdoğan schaffen sollte, für den Fall einer weiteren Erosion des irakischen Staates ein Referendum über den Status von Mossul durchzusetzen, ist ein Pro-Türkei-Votum von Arabern, Kurden und schiitischen Turkmenen undenkbar. Zudem ließe sich Mossul nur eingemeinden, wäre die Türkei ein föderales System, was unter den gegebenen Umständen ebenfalls ausgeschlossen ist.

Der türkische Geltungsanspruch im Nordirak gründet neben sicherheitspolitischen und ökonomischen (Ölgebiete) auch auf religiösen Motiven. AKP-Politiker, mehrheitlich Sunniten, befürchten Massaker an den sunnitischen Bewohnern von Mossul durch schiitische Milizen, wozu Äußerungen radikaler Schiitenführer Anlass geben. Kays al-Gazali predigt etwa, die Sunniten von Mossul seien die „Enkelkinder der Mörder von Imam Hüseyin“, eines schiitischen Märtyrers und Enkels von Mohammed, der 680 in der Schlacht von Kerbala durch Soldaten des Damaszener Kalifen Yazid I. getötet wurde. Hüseyin werde durch die Befreiung von Mossul gerächt, so Kays al-Gazali.

Insofern exponiert sich Ankara auch deshalb, um Gräueltaten und eine Massenflucht von Sunniten wie Turkmenen in die Türkei zu verhindern. Sich als Schutzmacht zu gerieren, kann hilfreich sein, um dem entscheidenden strategischen Ziel im Irak wie in Syrien zu genügen: hier wie dort keine zusammenhängenden Herrschaftsgebiete der Kurden hinzunehmen, die der PKK Basis und Refugium sein können. Diese soll nicht – wie nach den Irak-Kriegen von 1991 und 2003 wie der IS-Offensive vom Sommer 2014 – aus der Mossul-Schlacht gestärkt hervorgehen. Ankara ist davon überzeugt, dass eine veränderte Machtbalance im Nordirak wie in Nordsyrien destabilisierend auf die Türkei wirkt. Dem soll unbedingt vorgebeugt werden.

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