Erdoğan und die Medien

Pressefreiheit Die Verhaftung des Journalisten Can Dündar war womöglich nur der Auftakt zu einer noch größeren Repressionswelle gegenüber regierungskritischen Redaktionen
Ausgabe 49/2015
Kritischer Journalismus wie von „Cumhuriyet“ wird in der Türkei schnell bestraft
Kritischer Journalismus wie von „Cumhuriyet“ wird in der Türkei schnell bestraft

Foto: Ozan Kose/AFP/Getty Images

In der Türkei reißt die Serie von Repressionen gegen Medien und Journalisten nicht ab. Zuletzt wurden Can Dündar, Chefredakteur der Tageszeitung Cumhuriyet, und sein Büroleiter Erdem Gül in der Hauptstadt Ankara verhaftet. Die regierungskritische Cumhuriyet gehört zu den wenigen unabhängigen Blättern, die sich für linke und liberale Leser öffnen.

Ihnen werden – wie zuvor vielen anderen kritischen Journalisten – Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Spionage vorgeworfen. Den Vorwand für die Anschuldigungen liefert ein von Dündar und Gül verfasster Bericht über angebliche Waffenlieferungen an die Dschihadisten in Syrien und Fotos, die das belegen sollen. Staatspräsident Erdoğan reagierte mit einer persönlichen Strafanzeige und kündigte an, Can Dündar werde „einen hohen Preis“ zahlen.

Seit Wochen werden oppositionelle Medien und Journalisten durch Razzien, Anzeigen und Ermittlungen massiv unter Druck gesetzt. In Istanbul wurden die Redaktionsbüros der Tageszeitung Zaman, der englischsprachigen Today’s Zaman und des Politmagazins Aksiyon durchsucht. Alle drei Printmedien stehen dem im US-amerikanischen Exil lebenden islamischen Gelehrten Fethullah Gülen nahe. Einst ein enger Verbündeter von Erdoğan, gilt Gülen inzwischen als sein Erzfeind und sieht sich der Beschuldigung der terroristischen Verschwörung gegen Staat und Regierung ausgesetzt.

Wenige Tage vor der Parlamentswahl am 1. November 2015 wurden ein Fernsehsender und die Tageszeitung Bugün der Gülen-nahen Mediengruppe Koza-İpek von staatlichen Treuhändern übernommen und über Nacht in regierungsfreundliche Medien verwandelt. Das linksliberale Wochenmagazin Nokta und regierungskritische Journalisten wie Cengiz Çandar, Ahmet Altan oder Ertuğrul Özkök waren ebenfalls Repressalien ausgesetzt. Ohne jede Zurückhaltung versucht die Staatsführung, unabhängige Medien und kritischen Journalismus zu beseitigen.

Druck auf die Medien und Einschüchterungsversuche hat es in der Türkei schon immer gegeben. Das Militär und die Regierungen nutzen ihre klientelistischen Beziehungen zu den Medienunternehmern und deren Investitionstätigkeiten im Bau-, Transport- und Industriesektor, um sie von ihren Kontrollfunktionen abzuhalten, wie sie in etablierten Demokratien üblich sind. In den 1990ern kam es auch vor, dass labile Koalitionsregierungen sich dem Druck der Medien beugen mussten.

Die AKP-Regierung war von Anbeginn in einer starken Position gegenüber den Medien. Im Zuge der Wirtschaftkrise von 2000 und 2001 gingen viele Privatbanken in Konkurs, womit viele Medien in Staatsbesitz wechselten und an AKP-nahe Unternehmen übertra-gen wurden. So sicherte sich die AKP-Regierung die Kontrolle über einen großen Teil der veröffentlichten Meinung und baute mit der Zurückdrängung der Macht der Generäle ihren Einfluss weiter aus.

Einst fungierten die Mainstream-Medien als Stoßtruppen, um kommerzielle Interessen ihrer Konzerne durchzusetzen. Heute werden sie oft von der AKP-Regierung kontrolliert und als machtpolitisches Vehikel eingesetzt, um Oppositionelle einzuschüchtern. Pressefreiheit und kritischer Journalismus sind für die AKP reine Störfaktoren. Es ist zu befürchten, dass die Verhaftung von Can Dündar nur der Auftakt zu einer noch größeren Repressionswelle gegenüber regierungskritischen Medien ist.

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