Noch wankt Erdoğan nur

Türkei Der Wahlsieg von Ekrem İmamoğlu in Istanbul ist kein Anlass für vorschnellen Optimismus
Ausgabe 26/2019
In Istanbul können Erdoğan-Anhänger erst mal einpacken. Eine wirkliche Niederlage sieht aber anders aus
In Istanbul können Erdoğan-Anhänger erst mal einpacken. Eine wirkliche Niederlage sieht aber anders aus

Foto: Imago Images/Lundi13

Ekrem İmamoğlu hat mit seinem erneuten Wahlsieg in Istanbul dem System Erdoğan einen Schlag versetzt. Das bleibt nicht aus, wenn ein Hoffnungsträger wie dieser einen Vorsprung von 800.000 statt 20.000 Stimmen gegenüber dem AKP-Rivalen Binali Yıldırım verbucht. Wie konnte es dazu kommen?

Hat Präsident Erdoğan das Land nicht mehr im Griff? Ließ er der Türkei etwa kein autoritäres Präsidialsystem überhelfen? Gingen die Medien nicht in den Besitz regierungsnaher Unternehmen und damit in seine Kontrolle über? Dass Erdoğan trotzdem eine herbe Niederlage einfuhr, hat etliche Gründe.

İmamoğlu konnte mit seiner versöhnenden Rhetorik unter moderaten Linken, Anhängern Atatürks und säkular urbanen Milieus überzeugen. Weil er religiös-konservativen Türken mit Respekt begegnete, fand er auch unter ihnen Zuspruch. Versuche des Regierungsblocks, ihn als Anwalt eines autoritären Laizismus zu verleumden, liefen ins Leere. Von Gewicht war zudem das Votum kurdischer Wähler, die Erdoğans nationalistische Rhetorik seit jeher abstößt. Selahattin Demirtaş, der inhaftierte Parteichef der prokurdischen Partei der Völker (HDP), rief dazu auf, den CHP-Kandidaten zu unterstützen. Und der kannte weder Vorbehalte noch Angst, diese Hilfe anzunehmen. Erdoğans Versuch, den seit Jahrzehnten internierten PKK-Chef Öcalan über seine Anwälte aufzufordern, er solle die HDP-Wähler zur Neutralität ermahnen, schlug fehl. Schließlich war die kurdische Bewegung bisher stets attackiert und der Opposition Komplizenschaft mit der PKK unterstellt worden. Auch fiel der AKP bei dieser Kommunalwahl zur Last, den Wirtschaftsabschwung nicht aufhalten zu können.

Ist mit dem Votum von Istanbul nun der Niedergang des Systems Erdoğan eingeläutet? Immerhin leben in dieser Metropole knapp 20 Prozent der türkischen Bevölkerung. Vor falschen Erwartungen sei gewarnt. Es hängt von İmamoğlu ab, ob die Legitimation der Autoritäten wirklich erodiert. Das smarte Istanbuler Stadtoberhaupt müsste die 16-Millionen-Stadt innovativ verwalten und dabei sowohl die Kurden wie auch Konservativen erreichen. Erst wenn CHP wie HDP sich erneuern und auf eine politische Agenda verständigen, hat eine Allianz um İmamoğlu bei der Wahl 2023 reale Chancen, Erdoğan abzulösen.

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