Kultur der globalen Hackordnung

DER FEINE UNTERSCHIED Wie Sprache und Ideologie den Nord-Süd-Gegensatz erhärten

Yash Tandon, der Autor dieses Artikels, ist Direktor des International South Group Network (ISGN) - ein Netz von Organisationen, Initiativen und wissenschaftlichen Einrichtungen des Südens. 1994 an der University of Fort Hare (Südafrika) gegründet, unterhält ISGN inzwischen Vertretungen in Simbabwe, Burkina Faso, den Philippinen, in Nikaragua und Südafrika. Als Schwerpunkt betrachtet das Netzwerk derzeit die Auseinandersetzung mit der Liberalisierungspolitik der Welthandelsorganisation (WTO). Yash Tandon stammt aus Uganda und lebt augenblicklich in Simbabwe. Er arbeitet außerdem als Direktor des Southern and Eastern African Trade Information and Negotiations Initiative.

Der Gegensatz zwischen "Nord" und "Süd" klafft immer weiter auseinander. Behauptungen, die diese Annahme von einer allgemeinen Teilung der Welt zu relativieren suchen - wie zum Beispiel die These vom "Norden" im "Süden" und vom "Süden" im "Norden" - schwächen diese Annahme nicht ab, sondern bekräftigen sie. "Nord" und "Süd" sind mehr als geographische Konstruktionen. Der dominante Norden hat historisch einen kleinen Ableger der eigenen Klasse im Süden herangezogen und tut dies weiterhin - es sind jene, die dort herrschen und am Überkonsum teilhaben. Gleichzeitig erzeugt der Norden im Norden selbst einen verarmten und marginalisierten "Süden", der nicht herrscht und an Unterkonsum leidet.

Die Modernisierungstheorien der fünfziger/sechziger Jahre gingen von der Annahme aus, dass die Gesellschaften des Südens dann zum Norden aufschließen würden, wenn sie nur endlich ihre Ökonomie für westliche Technologie und Wissenschaft öffnen und den demokratischen Institutionen des Norden nacheifern würden. Diese Theorien waren nichts anderes als ideologischer Ausdruck des westlichen Bestrebens, den "Rest" der Welt zu beherrschen und zu erobern - dieses Bestreben besteht unvermindert fort. Nur wird es jetzt nicht mehr "Modernisierung", sondern "Globalisierung" genannt. Wie das frühere Konzept der Modernisierung wird auch die Globalisierung durch ihre Ideologen als ein Prozess dargestellt, der durch technologische und wirtschaftliche Kräfte vorangetrieben werde, die nicht gestoppt werden könnten - ein "natürlicher" Prozess, der Geschichte selbst inhärent.

Dämonisierung des schwarzen Führers

Sprache kann die Wirklichkeit verschleiern, oft wird sie bewusst so projektiert, dass sie die Herausbildung einer bestimmten Weltanschauung stimuliert. So hatten Menschen in der einst kolonialisierten Welt keine individuelle Identität - sie waren Araber, Asiaten oder Afrikaner. Ihre Persönlichkeiten wurden generalisiert, ihre Individualität aufgelöst. Die rassistische Polarisierung zwischen "uns" und "ihnen" beförderte während des Kolonialismus die globale Kontrolle. Nichts beschreibt besser den gekonnten Gebrauch der Sprache, um Weltanschauungen hervorzubringen, als die westlichen Definitionen dessen, was "Barbarei" in unserer Zeit ausmache. Niemand, der irgendwie normal ist, würde die Attentate auf die US-Botschaften in Nairobi oder Daressalam im August 1998 rechtfertigen. Ob dies das Werk des "Terroristen" Osama bin Laden war, ist bis heute nicht geklärt. Doch die US-Regierung betrachtete ihn als den Schuldigen und ließ eine Arzneimittelfabrik im Sudan bombardieren, von der behauptet wurde, sie versorge "den Terroristen" mit chemischen Waffen. Kein einziges Land - nicht einmal Großbritannien - unterstützte die USA. Wäre man objektiv, dann müsste das US-Bombardement in gleicher Weise als "Akt der Barbarei" qualifiziert werden wie die Anschläge von Nairobi und Daressalam. In der Sprache des Westens ist nur letzteres "barbarisch".

Das UN-Kinderhilfswerk UNICEF berichtete 1999, dass fast 600.000 Kinder unter fünf Jahren aufgrund der westlichen Sanktionen gegen den Irak umkamen. Die Kindersterblichkeit erhöhte sich von 56 je 1.000 Geburten auf 131. Keine "Barbarei"? In der Sprache des Westens ist das Sterben der Kinder nicht mehr als ein "Kollateralschaden". Es ist unglaublich und grotesk, wie Sprache Wirklichkeit karikiert, von allem Bösen "reinigt" und die Verbrecher von aller Schuld freispricht - allein Saddam Hussein trägt die Verantwortung! Dieses "Sündenbock-Syndrom" ist tief in Kultur und Geschichte des Westens verwurzelt. Man schiebt die Verantwortung für "Kollateralschäden", die das jugoslawische Volk trafen, Slobodan MilosŠevic´ zu. Man machte Fidel Castro für die Sanktionen der USA gegen Kuba verantwortlich, isolierte ihn und versuchte, ihn zu töten.

Beschuldige Nasser und bombardiere den Suez-Kanal! Klage Lumumba für das Chaos im Kongo an und ermorde ihn! Beschuldige Ghaddafi und beschieße sein Haus! Beschuldige Mugabe - er ist Marxist! Die Dämonisierung des "rebellischen" Führers entfremdet ihn von seinem Volk, seiner Geschichte, stellt ihn als irrational oder einfach als jemanden außerhalb des "zivilisierten" Diskurses hin. Das ist ein wiederkehrendes Merkmal der "Rechtfertigung" des Westens für seine barbarischen Akte gegen den "Rest". Sprache macht "akzeptabel", was inhuman und ungerecht ist.

Bürde des weißen Mannes

Während Sprache einzelne Ereignisse beschreibt, ist Ideologie ein komplexes Gemisch aus Werten, Vorurteilen, Annahmen. Sprache wie Ideologie dienen dem gleichen Zweck - der Verschleierung der Wirklichkeit und der Durchsetzung von "Akzeptanz" dessen, was inhuman und ungerecht ist. Die anthropozentrische Ideologie stellt den Menschen in das Zentrum des Universums und "rechtfertigt" die Unterwerfung aller "niederen" Lebensformen unter seine Kontrolle.

Die Ideologie von der "Bürde des weißen Mannes" stellt diesen in das Zentrum des Universums und bestimmt alle anderen menschlichen Arten, kontrolliert und missbraucht zu werden. In diesem immer enger gezogenen Kreis der Definition des "Überlegenen" ist es letztlich der angelsächsische Mann, dessen Geschlechterideologie ihn in das Zentrum des Universums stellt, wodurch sogar die angelsächsischen Frauen um einen Schritt gegenüber der Krönung der Schöpfung zurückversetzt werden. Rassistische und sexistische Ideologien bestimmen die Hackordnung in der menschlichen Gesellschaft. Während Sprache beschreibend ist, ist Ideologie vorschreibend. Sie weist die Richtung, in die sich das Universum auf Geheiß der "überlegenen" Wesen zu bewegen habe. Die kommunistische Ideologie war teleologisch; sie versprach, auf Geheiß der Avantgarde des Proletariats zu einer klassenlosen Gesellschaft zu führen. Die kapitalistische Ideologie hingegen ist ökonomistisch; sie verspricht auf Geheiß der Kapitaleigentümer ein nicht endendes "Wachstum". Beide sind reduktionistisch und anmaßend, beide missachten die Rolle des menschlichen Geistes für die Beförderung von Menschlichkeit.

Der Autor wird Gast des Forums der Rosa Luxemburg Stiftung sein.

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