Against me!: »White crosses«

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Die US-Punkband »Against me!« attackiert in ihrem Song »White Crosses« die christlich-konservativen Abtreibungsgegner und schafft damit der »Pro Choice«-Bewegung eine neue Hymne

Wie jeden Sonntag geht Georg Tiller auch am 21. Mai 2009 zum Gottesdienst. Dass es das Letzte sein wird, was er in seinem Leben macht, ahnt er noch nicht. Als sein Mörder naht, verteilt er gerade den Gemeinderundbrief am Eingang der lutherischen Kirche seines Heimatorts Wichita im US-Bundesstaat Kansas. Dann fallen die Schüsse. Sie treffen den landesweit bekannten Abtreibungsarzt tödlich. Als die Polizei den Mörder stellt, sitzt der in einem blauen Ford. Dieser trägt einen Aufkleber mit der roten Rose der Abtreibungsgegner. Gleich daneben klebt das christliche Fischsymbol mit dem Schriftzug Jesus.


Der Mord an dem Abtreibungsarzt Tiller ist kein Einzelfall. Nach Angaben der National Abortion Federation (Nationale Abtreibungsvereinigung) töteten militante Abtreibungsgegner seit Mitte der 1970er Jahre acht Menschen. Es gab 17 Mordversuche, 41 Bombenattentate und 175 Brandstiftungen gegen Abtreibungskliniken und ihre Mitarbeiter. Einschüchterung, Psychoterror, Gewalt – nichts wovor die »Pro Life«-Bewegung zurückschreckt. Mit hunderttausenden Unterstützern und einem Millionenbudget versuchen die selbsternannten »Lebensschützer« das Selbstbestimmungsrecht der Frau zu bekämpfen. Sie lehnen Sexualkundeunterricht und die Pille ab, verteidigen jedoch die Todesstrafe.
Einflussreiche konservative Politiker unterstützen die Bewegung. Unter der Regierung von George W. Bush wurden mit staatlichen Geldern die landesweit rund 700 »Abstinenz-Programme« und die sogenannten Virginity Rules (Anleitungen zur Jungfräulichkeit) gefördert. Mittels dieser Programme werden Schülerinnen und Schüler statt in Sexualkunde in Enthaltsamkeit unterrichtet. Teenager sollen davon überzeugt werden, dass Verhütung mit Kondomen oder der Pille schlecht sei. Stattdessen wird gelehrt, dass die einzige sichere und akzeptable sexuelle Verbindung die eines heterosexuellen, verheirateten Paares sei. Fast eine Milliarde Dollar haben die US-Bundesregierung und die Bundesstaaten seit 1998 für solche Unterrichtsprogramme aufgewendet – jedes Jahr fließen weitere staatliche Gelder in Höhe von 87,5 Millionen Dollar. Das Resultat ist eine der höchsten Schwangerschaftsraten unter Teenagern in der westlichen Welt.
Abtreibung ist in den USA seit 1973 legal. Aber Frauen, die ungewollt schwanger werden, stoßen auf immer mehr Schwierigkeiten. In verschiedenen Bundesstaaten wurden in den letzten Jahren diverse Gesetzesänderungen beschlossen, die die Möglichkeiten zum Schwangerschaftsabbruch deutlich einschränken. Beispielsweise wurden späte Abtreibungen verboten, die Wartezeiten verlängert, Frauen müssen sich einer Zwangsberatung unterziehen oder Minderjährige müssen das Einverständnis der Eltern vorlegen. Auch bei der kürzlich von Präsident Barack Obama verabschiedeten Gesundheitsreform erzielten die Abtreibungsgegner einen Etappensieg. Staatliche Krankenversicherungen sind nun nicht mehr verpflichtet, Schwangerschaftsabbrüche zu bezahlen. Das trifft besonders arme Frauen und Familien .

Dass die »Pro Life«-Bewegung und ihre fundamentalistischen Gotteskrieger auf dem Vormarsch sind, nervt Tom Gabel. Er ist Sänger und Songwriter der Punkband Against Me!. Mit dem Song »White Crosses« (Weiße Kreuze) drückt er seine Abscheu aus. »Ich schrieb diesen Song, während ich in St. Augustine, Florida lebte. Bei mir um die Ecke gab es eine Kirche, in deren Vorgarten 4000 weiße Kreuze standen, jedes so um die 30 Zentimeter hoch. Hinter den Kreuzen befand sich eine riesige Plakatwand mit den Gesichtern von Kindern. Das war eine Aktion militanter Abtreibungsgegner. Die Kreuze sollen die Anzahl der Abtreibungen, die täglich in den USA stattfinden, repräsentierten. Sie nannten es ›den Friedhof der Unschuldigen‹.«.
Das Lied »White Crosses« ist eine Anklage dagegen. Es beginnt mit einem wuchtigen Beat. Die verzerrte Gitarre schlägt die Titelmelodie an. Die Band signalisiert: Achtung, hier kommt eine Hymne! Ein Weckruf, nicht nur an die Einwohner in St. Augustin. Die Strophe überrascht. Kein Wort verliert der Sänger über das Thema Abtreibung. Stattdessen schildert er seine Eindrücke in der Kleinstadt:

»I wake up in the morning and I drink from the fountain / I wake up in the morning with the same unanswered questions / I don‘t know what‘s going to cure my unsettled stomach / Street kids collect spare change in a conch shell on the side walk / their teeth are yellow, their hair is tangled / Their minds are vapid and they laugh wild in their depravity.«

(»Ich wache morgens auf und trinke aus dem Brunnen / Ich wache morgens auf mit denselben unbeantworteten Fragen / Ich weiß nicht, wie ich das ungute Gefühl in meinem Magen loswerden kann / Auf dem Bürgersteig sammeln Straßenkinder Kleingeld in einer Muschelschale / ihre Zähne sind gelb, ihr Haar ist zerzaust / Ihr Geist ist leer und sie lachen wild in ihrer Verkommenheit«)

Die Band arbeitet mit Kontrasten. In der Strophe wird einen Gang herunter geschaltet, die Akustikgitarre klingt mehr nach Bruce Springsteen als nach Ramones. Der Chorus kommt aber in bester Punktradition. Verzerrte Gitarren hämmern das Songthema durch die Boxen. Über die treibenden Drums stimmt Tom Gabel den »Sing a long« an:

»I‘ll make my way back home to you / head north on San Marco Avenue / White crosses on the church lawn / I want to smash them all / I want to smash them all.«

(»Ich mache mich auf den Weg zu dir nach Hause / in Richtung Norden über die San Marco Avenue / Weiße Kreuze auf dem Rasen der Kirche / Ich möchte sie alle zerstören / Ich möchte sie alle zerstören.«)

Die Antwort darauf wie er das ungute Gefühl in seinem Magen los wird, ist klar: »Der Song ist ein ›Pro Choice‹ Song«, erklärt der Sänger der Band. »Ich empfand den selbsternannten ›Friedhof der Unschuldigen‹ als einen wirklichen Schandfleck und wollte diese Kreuze einfach nur zerstören«.
Der Song »White Crosses« ist der namensgebende Eröffnungssong des sechsten Studioalbums der Band. Against Me! gehören zu den umjubeltsten und umstrittensten Bands der letzten Jahre. Sie wurde vor mehr als 17 Jahren als »One Man Show« in allerbester Do-it-yourself-Manier gegründet. Damals, Mitte der Neunziger, machte Tom Gabel als Guerilla Gitarrist von sich reden. Als Punkrockversion von Billy Bragg spielte er in besetzten Häusern, auf kleinen Bühnen, bei Demonstrationen und eroberte sich die Herzen vieler Fans. Im Jahr 2001 schließlich konsolidierte sich Against Me! als Band bei dem kleinen Label No Idea Records. Nach nie enden wollenden Touren und zwei weiteren Alben kam 2007 der Durchbruch ins globale Punkrock-Rampenlicht. Das Major-Label-Debüt »New Wave« wurde vom Spin Magazin zum Album des Jahres 2007 gewählt, verkaufte sich in den Staaten 127.000 mal und landete auf Platz 57 der Billboard-Charts.

Das Video:





Against me! sind nicht die einzigen Künstler, die sich für das Recht auf Abtreibung stark machen. Auch die Schauspielerin Whoopi Goldberg ist aktiv. Sie erklärt: »Wenn die Regierung den Frauen die Möglichkeit für sichere, legale Abtreibungen nimmt, obwohl sie weiß, dass eine Frau, die eine Abtreibung braucht, vermutlich auch eine bekommt – dann ruft sie Frauen zum Selbstmord auf«. Tatsächlich bezahlen Frauen, die den Schwangerschaftsabbruch heimlich durchführen müssen, häufig mit dem Leben. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezifferte im Jahr 2004 die Zahl der jährlichen Todesfälle infolge unsachgemäss durchgeführter Abtreibungen auf etwa 70.000.
Deshalb unterstützen auch andere Schauspielerinnen wie Demi Moore, Salma Hayek und Uma Thurman, sowie die Sängerinnen Christina Aguilera und Pink die Aktionen der »Pro Choice«-Bewegung. Das ist notwendiger denn je. Erstmals seit der Legalisierung der Abtreibung 1973 ist eine Mehrheit der US-Amerikaner gegen den Schwangerschaftsabbruch. Der Song »White Crosses« kommt also genau zur richtigen Zeit.

Against Me! auf Deutschland-Tour:
09.11. Köln
Live Music Hall
14.11. Hamburg
Markthalle
15.11. Hannover
Longhorn
16.11. Saarbrücken
Garage
18.11. Berlin
Huxleys

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Geschrieben von

YPA

äh wie jetzt...

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