Nneka »Soul is Heavy«

Protestsong Die Geschichte hinter dem Song »Soul is Heavy« von Nneka

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Mit ihrem Song »Soul is Heavy« holt die Sängerin Nneka die Soul-Musik aus den Luftschlössern des Pop zurück zu ihren politischen Wurzeln. Das Lied ist eine energische Kritik an den herrschenden Verhältnissen in ihrem Heimatland Nigeria und zugleich eine Erinnerung an den traditionsreichen Widerstand gegen Unterdrückung, Korruption, Umweltzerstörung und die Ausbeutung des Landes durch internationale Ölkonzerne.

Es ist der 30. Oktober 1995. Die nigerianische Militärjunta will sich mit aller Gewalt der wachsenden Opposition im Land entledigen. Diese richtet sich gegen den Ölmulti Shell und die Diktatur der Generäle. »Tod durch Erhängen« lautet das Urteil der Richter des Sondertribunals, das sich gegen die politischen Aktivisten Ken Saro-Wiwa und acht seiner Mitkämpfer richtet. Der Schriftsteller und Träger des alternativen Nobelpreises Saro-Wiwa ist Angehöriger des Volkes der Ogoni, die im Nigerdelta leben, wo Shell im Jahr 1956 die ersten Erdölvorkommen in Nigeria entdeckte.

Seitdem steht die Bevölkerung unter der Fuchtel der transnationalen Ölgesellschaften, die das Land mit Bohrtürmen, Pipelines und Ölförderstationen überziehen. Für das Geschäft mit dem »schwarzen Gold« gehen die Ölgiganten Shell, Chevron, ExxonMobil und Total über Leichen. Im Nigerdelta werden aus 5000 Bohrquellen und über 7000 Kilometer Rohrleitungen mehr als zwei Millionen Fass Öl pro Tag gefördert. Während in anderen Ländern die Pipelines unter der Erde vergraben sind, liegen sie in Nigeria wie eine Narbe offen in der Landschaft – das spart Kosten. Im Zickzack durchkreuzen die bleiernen Rohre die Dörfer, landwirtschaftlichen Flächen und die Mangrovensümpfe.

Für die Menschen und die Umwelt ist die Ölförderung zum Super-Gau geworden. In den vergangenen 50 Jahren sind nach UN-Angaben mehr als zwei Milliarden Liter in das sensible Ökosystem des Deltas geflossen. Die Folgen: Schmutziges Trinkwasser, verseuchte Böden und steigende Krebsgefahr für die Bevölkerung. Die Lebenserwartung der 30 Millionen Menschen, die im Nigerdelta leben, sank im Vergleich zum Rest des Landes um zehn Jahre auf 40 bis 45 Jahre. Eine Tochterfirma von Shell betreibt die meisten Anlagen in der Region und hat seit 1960 mit dem Öl geschätzte 600 Milliarden Dollar verdient. Doch die Mehrheit der Ogoni profitiert davon nicht – wie die meisten Menschen in Nigeria. Obwohl das Land die größten Erdölvorkommen Afrikas besitzt und heute der sechstgrößte Erdölexporteur der Welt ist, leben 70 Prozent der Bevölkerung in Armut und müssen mit weniger als einem US-Dollar am Tag auskommen. 60 Prozent haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, 38 Prozent keinen Zugang zu sanitären Einrichtungen wie Toiletten und Abwassernetzen.

Um dem verheerenden Agieren der Konzerne, insbesondere dem von Shell, ein Ende zu setzen, gründen Ken Saro-Wiwa und weitere Aktivisten 1989 die »Bewegung für das Überleben des Ogoni-Volkes« (MOSOP). Sie fordern politische und kulturelle Autonomie, die Sanierung der verschmutzten Gebiete sowie eine Beteiligung an den Erdöleinnahmen. Schnell werden sie zum Kristallisationspunkt der Opposition. Der Widerstand erreicht im Januar 1993 einen Höhepunkt, als MOSOP friedliche Demonstrationszüge durch Ogoniland organisiert, an denen 300.000 Menschen – also die Hälfte der gesamten Ogoni-Bevölkerung – teilnehmen. Shell gerät so unter Druck, dass es vorübergehend die Ölförderung in dem Gebiet einstellt. Doch stattdessen besetzt das nigerianische Militär das Ogoniland und die Militärjunta leitet die Gegenoffensive ein. Die Bilanz der Militäroperation ist düster: 2000 Tote und 80.000 Vertriebene. Ken Saro-Wiwa spricht aus, was viele denken: »Sie werden uns alle verhaften und hinrichten. Alles für Shell«. Er soll recht behalten. Im Mai 1994 wird er verhaftet und ein Schauprozess gegen die Aktivisten beginnt. Elf Tage nach der Urteilsverkündung im Oktober 1995 werden die »Ogoni Nine« in der Millionenstadt Port Harcourt öffentlich gehängt. Mit ihrem Song »Soul is heavy« (Meine Seele ist voller Schwermut) erinnert die nigerianische Sängerin Nneka daran und zeigt, dass sich auch unter dem neuen Präsidenten Goodluck Jonathan die Situation wenig geändert hat.


Das Video:

Der Song startet entsprechend düster: Ein Glockenspiel erklingt traurig über dem langsam nachhallenden Beat, der Bass ist so reduziert wie Nnekas Klagelaute. Pause. Dann beginnt Nneka zu rappen, eine Gitarre zupft die Melodie des Glockenspiels mit. Der Strophentext verdichtet lyrisch die dramatische Geschichte Nigerias: Der Kampf für die Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Großbritanniens, die zehntausenden Hungertoten, das Hauen und Stechen um das »schwarze Gold« und der unüberhörbare Wunsch nach einem Leben in Würde. Im letzten Vers reimt sie:

Wie ein Geist / fühle ich das Leid der Zahllosen, noch weiß ich nicht, wie viel Qualen es noch braucht / Naija (Nigeria), ich wandere auf der Insel, ich laufe auf dem Festland, ich sehe die Vielfalt, ich sehe die Möglichkeiten, aber immer noch leiden wir, warum?

Der Chorus trumpft mit Dynamik auf. Bass und Gitarre erhöhen die Taktzahl, eine Hammondorgel brummt zielstrebig, die Band signalisiert: Ey! Zuhören! Und Nneka haut die Message des Songs durch die Boxen. Kämpferisch stellt sie sich in die Tradition von nigerianischen Widerstandskämpfern wie dem antikolonialen Held Jojo of Opovo (1821–1891), dem militanten Bürgerrechtler Isaac Boro (1938–1968) und eben Ken-Saro Wiwa (1941–1995). Zugleich attackiert sie die Öl-Bosse, die korrupten Eliten und das Militär. Und das geht so:

I am, the voice of Isaac Boro, I speak Ken Saro Wiwa / I am, the spirit of Jaja of Opobo, fight for right, for our freedom / You? A power hungry class of army arrangements, stealing money in my country’s plight / A soldier pretending to be a politician, you teacher who know nothing, do not teach me lies.

(Ich bin die Stimme von Isaac Boro, ich spreche wie Ken Saro-Wiwa / Ich bin der Geist von Jaja of Opobo, kämpfe für Recht, für unsere Freiheit / Und ihr? Eine machthungrige Klasse im Pakt mit dem Militär, stehlt Geld in meinem notleidenden Land / Ein Soldat, der vorgibt, ein Politiker zu sein, du bist ein Lehrer der nichts weiß, also bring mir keine Lügen bei.)

Nneka agitiert, als sei sie auf einer Kundgebung mitten in London vor der Konzernzentrale von Shell. Obwohl der Gegner übermächtig erscheint, strahlt sie Optimismus aus. Das kommt an. Mit ihrer Musik erobert die 1980 geborene Sängerin die Herzen nicht nur ihrer Generation. In Nigeria ist sie ein Star, im September 2009 gewinnt sie bei den Mobo Awards den Preis als beste afrikanische Künstlerin. Die internationale Presse feiert sie wahlweise als die neue Lauryn Hill, Erykah Badu oder Neneh Cherry.

Wie auch immer – ihre Musik ist für alle da: Abwechslungsreich, erfrischend und intelligent. Sie vereint dicke Beats und zarte Streicher-Parts, Vintage Soul und Reggae-Rhythmen, Disco-Bass und Afro-Pop, Flamenco und Desert Blues.

Und wer nicht glaubt, dass neben Jesus auch Gandhi und Malcom X ihre Vorbilder sind, dem sei dieses Zitat von ihr ans Herz gelegt: »Alle, die in kolonialen und postkolonialen Zeiten nur dafür gekämpft haben, um an die Macht zu kommen und noch heute diese Macht ohne Rücksicht auf das Volk festhalten, diese alten Männer müssen verstehen, dass es endlich Zeit ist, zu gehen.« In diesem Sinne: Irhal Mubarak, Ciao Berlusconi und Ọ dàbọ Jonathan!

  • Wer Nneka live sehen möchte:
    Samstag, 10.12.2011, 20:00 Uhr.
    Zakk Halle (Düsseldorf)
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

YPA

äh wie jetzt...

YPA

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