Abgehende Winde

Film Willem Dafoe und Robert Pattinson werden immer verschrobener, mit ihnen „Der Leuchtturm“. Das ist oft ziemlich lustig
Ausgabe 48/2019

Ist es eine perfide Foltermethode, Ausdruck von Machtgehabe oder einfach eine witzige Situation zwischen zwei Fremden, die gezwungen sind, auf engstem Raum zusammenzuleben? In Robert Eggers’ Der Leuchtturm erlangen sogar die Darmwinde der Figur Thomas Wake (Willem Dafoe) mehrfache Bedeutung. Das ist möglich in einem Filmkosmos, der Elemente aus Horror, Psychothriller, Surrealismus, Drama und Komödie in sich vereinigt.

Wakes Flatulenzen sind so hervorstechend, weil sie das erste Kennenlernen zwischen ihm und seinem neuen Leuchtturmwärter-Gehilfen Ephraim Winslow (Robert Pattinson) wortwörtlich markieren. Zuvor wird minutenlang kein Wort gesprochen. Die Kamera fängt die verhärmten Gesichter der beiden Männer ein. Dazu lässt ein ohrenbetäubendes Nebelhorn die Nackenhaare sträuben, während zwischendurch die engen, kargen Räume des Leuchtturms präsentiert werden. Alles keine guten Vorzeichen.

Bereits in seinem Erstlingswerk The Witch (2015) lehrte Robert Eggers sein Publikum das Fürchten, weniger über Schockmomente als über den schleichenden Horror eines wachsenden Misstrauens innerhalb einer Familie. Diese unterschwellige Art des Grusels gibt es auch in Der Leuchtturm, hier jedoch mehr als ein gewisses Unwohlsein denn als Angst. Es gibt einige Parallelen zwischen den beiden Filmen. Ort der Handlung ist wieder Neuengland. Statt eines Bauernhofs der 1630er Jahre ist es eine verlassene Insel vor der Küste von Maine zu Ende des 19. Jahrhunderts. Aber auch Der Leuchtturm ist ein Historienfilm mit übernatürlichen Vorkommnissen, wobei sich allzu klare Genrezuordnungen mit der Zeit auflösen. Eggers liebt das Spiel mit den Erwartungshaltungen.

So lässt der schwarz-weiße, quadratische Bildausschnitt an Klassiker von Fritz Lang oder F. W. Murnau denken. Die Figur des Seemans Thomas Wake mit seinem nautischen Sprachgebrauch könnte auch aus Moby Dick stammen. Statt einer Einführung in eine bestimmte Zeit oder Welt wird der Zuschauer unmittelbar in die Hölle eines Bediensteten hineingeworfen: Winslow muss sich nicht nur mit Wakes Fürzen herumschlagen; der Dienstältere lässt ihn nur niedere Arbeiten verrichten, ans Leuchtturmlicht etwa darf er nicht heran. Den ganzen Film über buhlt Winslow um Wakes Anerkennung, doch nicht einmal sein Trinkverhalten passt ihm. „Ein Mann, der keinen Alkohol trinkt, sollte gute Gründe haben!“ Die Szene markiert einen Bruch: Aus Tristesse wird plötzlich Slapstick. Die Figuren schwadronieren über Alkohol; der abstinente Winslow wählt Wasser, muss es aber sofort wieder ausspucken, weil es ungenießbar ist.

Die Situationskomik wirkt an manchen Stellen geradezu kindlich-unschuldig, etwa wenn Winslow wegen des starken Sturms draußen der Inhalt der Bettpfannen um die Ohren fliegt. Überhaupt bekommen die harten, undurchschaubaren Männerfiguren durch den Humor etwas Weiches. Was wiederum im Kontrast steht zu ihren sichtlich kranken Psychen, die von Alkoholismus und posttraumatischer Belastungsstörung geplagt sind. In der surrealen Komik zeichnet sich ihr Kollaps ab.

Der Charme der Repetition

Auffällig sind in Der Leuchtturm dabei die Parallelen zu Luis Buñuels Arbeit, im Speziellen zum Film Der Würgeengel (1962) und dessen surrealistischer Komik, die ihren Effekt aus Absurdität und unlogischem Geschehen zieht. Im Würgeengel findet sich bekanntlich eine vornehme Gesellschaft durch nicht erklärte Gründe in einem Zimmer eingeschlossen. Buñuel setzt gezielt das Element der Wiederholung ein. So zeigt er etwa die Tischrede eines Mannes direkt zweimal hintereinander. Einmal bekommt er Aufmerksamkeit und Zustimmung, das andere Mal hört ihm niemand zu. In der Küche stehen wie aus dem Nichts zwei Schafe und ein Bär; die feine Dame des Hauses wundert sich nicht lange, sondern beginnt die Tiere bedächtig zu streicheln. Gegen Ende tauchen wieder Schafe auf, dieses Mal eine ganze Schar, die zielstrebig zu einer Kirche läuft. Dort sind wieder Menschen eingesperrt.

Solche merkwürdigen Wiederholungen gibt es auch in Der Leuchtturm. Winslow etwa hat immer wieder Begegnungen mit Möwen, die ihn offenbar nicht leiden können. Anfangs noch verhältnismäßig ruhig, steigert er sich von Mal zu Mal in eine verstörende Aggression hinein – die wegen ihrer Übertriebenheit wieder eine gewisse Komik in sich trägt. Und auch hier gibt es eine Tischszene, die sich wiederholt: Winslow und Wake essen, trinken und unterhalten sich. Die Dynamik ändert sich drastisch. Wo anfangs Winslow kaum ein Wort äußerte, kommt es schließlich zu einem Exzess der Wortwiederholungen. „Tanze Winslow, tanze“, schreit Wake, während der Gehilfe schwitzt, tanzt und Worte gleichsam ausspuckt. Wenn sich die beiden Männer schließlich in Dauerschleife mit „Was!“ anbrüllen, entsteht ein Irrwitz, dem jeder Sinn abhandengekommen ist.

Die surreale Komik bringt zusammen, was nicht zusammenpasst. Je unwahrscheinlicher die Situation, desto lustiger. Sie dient konträren Aufgaben, sorgt einerseits für eine trickfilmhafte Leichtigkeit und zeigt andererseits eine tiefe Verzweiflung auf. Trotzdem wirkt das Ganze nie überladen oder mechanisch, was vor allem an Robert Pattinson und Willem Dafoe liegt. Mit ihrem herausragenden, nuancenreichen Schauspiel sorgen sie dafür, dass die unhandliche Geschichte dem Publikum zugänglich bleibt.

Info

Der Leuchtturm Robert Eggers Kanada/USA 2019, 109 Minuten

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