Das Organ für talentlose Hochstapler

Theater Vulva-Kunst ist das Äquivalent zum Primark-BH. Trotzdem taucht sie auf deutschen Bühnen immer wieder auf. Abrechnung mit einem neoliberal-feministischen Symbol
Ausgabe 39/2020
Meine Organe und ich, wir sind genervt
Meine Organe und ich, wir sind genervt

Foto: Christian Spicker/Imago Images

Meiner Wahrnehmung nach wurde in den vergangenen Jahren die Vulva zur Vortänzerin des neuen, progressiven Feminismus. Überall war sie auf einmal: auf Stickern, auf T-Shirts, auf Bannern, in Musikvideos und so weiter. Wer sich mit der Vulva sehen lässt, markiert sich als einer speziellen Subkategorie des gegenwärtigen Feminismus angehörig: jung, woke und bereit, dieses wunderschöne Organ aus den Klauen patriarchaler Pathologisierung zu befreien.

Erst mal dachte ich: cool. Whatever. Aber ich arbeite (leider) im Theaterbetrieb. Wenn ich für jede halb gare, halb intelligente Inszenierungsidee, die eine überdimensionale Vulva als Bühnenbild oder die weibliche Lust als Thema beinhaltet, einen Euro bekäme, dann hätte ich ... etwa 14 Euro. Klingt wenig, aber in Anbetracht der kleinen und inzestuösen Szene ist der Markt mit dem Thema übersättigt. Diese Art massenproduzierter feministischer Kunst ist das Theateräquivalent zu Primark-BHs. Künstlerische Integrität braucht es nicht, wenn man auf der nächstbesten identitätspolitischen Hype-Welle reiten kann. Wer behauptet, Kapitalismus schaffe Innovation, muss sich die heutige Theaterlandschaft anschauen: Kopien von Kopien von Kopien. Wenn du schlau und gewitzt bist, machst du schlaue, gewitzte Kunst. Wenn du talentlos bist, machst du Vulva-Kunst.

Aber: Alle Theaterhäuser in Deutschland wollen auf Teufel komm raus woke sein. Und tatsächlich hat der deutsche Theaterbetrieb gerade richtig Glück: Zufälligerweise gibt es nämlich viele Regisseur*innen und Autor*innen deren gesamter Katalog aus verschiedenen Variationen immer gleicher, neoliberal-feministischer Gedanken besteht: Vulva gut, weißer Mann böse, Frauenpower, Beyonce ist Queen, selbst wenn sie in Sri Lanka Sklavenarbeit betreibt (sie ist halt ein #girlboss). Queere Kultur ist super trendy und wird ausgebeutet, wo es nur geht, alles pink, alles mega popkulturelle Bildsprache, bla bla bla. Aber natürlich nur für die übergebildete Großstädter*in. Arbeitende Frauen sind von der Girlpower ausgeklammert, das versteht sich von alleine. Die Prolls würden das eh nicht verstehen.

Das Prinzip des Angebots und der Nachfrage gilt hier. Es ist kein Zufall, dass sich so viele junge Regisseur*innen auf hippen, links-intellektuellen Feminismus spezialisieren. Es ist nämlich easy peasy auf etwas eine Vulva raufzuklatschen und die wiedergekäuten Worthülsen von anderen abzupausen. Es ist easy peasy Förderungen zu kriegen und die süßen, süßen Klopfer auf die Schulter von den Kollegen und dem Feuilleton dafür einzuheimsen. Innerhalb dieser Blubberblasen nicken sich alle gegenseitig selbstgefällig zu und sind super stolz darauf, dass sie die Guten sind.

Nicht nur Frauen im Theater geißeln sich, indem sie sich auf ihre Marginalisierung reduzieren. Nur weil ich eine Frau bin, heißt das nicht, dass ich Kunst über weibliche Lust machen will. Mein Geist ist nicht die Summe meiner Diskriminierungsflächen. Meine Erfahrungen mit Sexismus und Rassismus fließen in meine Kunst ein, auch wenn ich sie nicht adressiere. Zudem ist die Vulva langweilig. Der Penis sowieso. Es ist typisch für den neoliberalen Großstadtfeminismus, dieses mondäne Thema an sich zu reißen und gnadenlos für den eigenen Gebrauch zu pathologisieren. Meine Vermutung ist, dass sich wirklich niemand eigentlich für die Vulva interessiert – vielleicht die Leute in der Kunst-Bubble, aber selbst da bin ich mir nicht sicher. Und ich habe ein Problem mit ihr als Symbol für Femininität. Nicht alle Frauen haben Vulven und nicht alle Menschen mit Vulven sind Frauen. Die Vulva ist ein Reproduktionsorgan, dessen Verhalten und Gesundheit normalisiert werden sollten. Punkt.

Die Vulva tut mir leid. Sie will normal behandelt werden, wird aber ins Rampenlicht gezogen, damit sich andere progressiv fühlen können. Als Mensch mit Migrationsgeschichte weiß ich, wie sich das anfühlt. Auch meine Präsenz wird benutzt, um den Arbeitsplatz augenscheinlich von Bigotterie bereinigen zu können. Aber die Vulva und ich wissen beide, dass das nur Optik ist. Und wir sind genervt.

Zelal Yesilyurt ist Regisseurin und Autorin. Instagram: @zelalzelalzelal

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