Schottenrock mit Kanten

Emanzipation Denise Mina zeigt in „Der letzte Wille“ den Kampf einer alleinerziehenden Heldin gegen eine unerbittliche Männerwelt
Ausgabe 21/2013

Glasgow 1990. Die junge Journalistin Paddy Meehan bekommt Besuch von der Polizei und weiß sofort, dass man ihr eine Todesnachricht überbringen wird. Doch anders als befürchtet, handelt es sich nicht um einen nahen Verwandten sondern um ihren Exfreund, den Auslandskorrespondenten Terry Hewitt. Terry wurde erschossen an einer einsamen Straße außerhalb der Stadt gefunden.

Steckt die IRA hinter dem Mord? Paddy Meehan, beliebt-berüchtigte Kolumnistin einer Zeitung, wittert eine Story. Auf schottischem Boden wurden nie Anschläge verübt. Viele Sympathisanten leben dort, besonders in Glasgow. Eine Hinrichtung der IRA in Schottland wäre politischer Zündstoff und die Art echter journalistischer Arbeit, die sie eigentlich interessiert. Denn Paddy will auf keinen Fall in eine „Frauenecke“ abrutschen, womöglich als Kummerkastentante enden. Und irgendwie ist sie es dem Exfreund schuldig, seinen Tod aufzuklären.

Eine Überdosis Kokain?

Die Polizei verhält sich seltsam während der Ermittlungen, besonders DCI Knox, den Paddy schon seit Jahren für korrupt hält, es aber nicht beweisen kann, und die offizielle Version heißt dann auch: Raubmord. Die Journalistin recherchiert. Befragt einen Fotografen, mit dem Terry zusammen ein Buch veröffentlichen wollte. Gab es eine Geschichte, die ihm Feinde eingebracht haben könnte? Der Fotograf weiß von nichts. Wenig später ist er tot und angeblich eine Überdosis Kokain die Ursache. Wieder glaubt Paddy der Polizei nicht, und wieder stößt sie auf Ungereimtheiten. Warum hat kein Glasgower Krankenhaus Unterlagen vom Toten, obwohl er beim Eintreffen der Polizei noch lebte? Was steckt hinter dem vermeintlich harmlosen Buchprojekt der beiden? Als Paddy schließlich zu Hause von einem Unbekannten bedroht wird, ist klar, sie ist die Nächste auf der Todesliste.

Der letzte Wille ist der dritte Band der Serie um die Journalistin Paddy Meehan, Denise Mina erzählt in dieser Trilogie, wie die Heldin eine beachtliche Karriere nicht nur in ihrem Job, sondern auch in Sachen persönlicher Unabhängigkeit hinlegt. Die 1966 in Glasgow geborene Autorin Denise Mina sagt von sich, dass sie sich mehr als politische und feministische weniger als klassische Krimiautorin sieht.

Es sind neun harte Jahre für Paddy Meehan. Sie befreit sich aus der Enge ihrer irisch-katholischen Familie, sie zieht alleine ein Kind groß, sie verweigert feste Beziehungen. Paddy ist aber alles andere als eine strahlende Heldin. Sie quält sich durch den männerdominierten Journalistenalltag, steckt unterbrochen Häme und dumme Sprüche weg. Diese Frau muss immer um Längen besser sein als ihre Kollegen. Ihrer Familie gegenüber hat Paddy ein permanent schlechtes Gewissen, als Atheistin geht sie daher brav jeden Sonntag mit in die Messe. Und was ihr restliches Privatleben betrifft: den Alltag einer voll berufstätigen, allein erziehenden Mutter bewältigt sie nur, weil sie die Familie zum Babysitten einspannt und zähneknirschend, hier vielleicht ein bisschen zu stolz, den Unterhalt des Kindsvaters akzeptiert.

Denise Mina will eine weibliche Ermittlerin zeigen, die realistisch ist. Ihre Heldin hat Stress, Probleme privat wie beruflich, sie muss hart arbeiten, eine normale Frau in normalen Zeiten eben. Und Paddy kämpft für ihre Chance, mindestens aber für Chancengleichheit. Paddy ist feministisch, wenn man so will, ohne das in jedem Satz zu sagen und mit allen Widersprüchen: Trotz Erfolg im Beruf und bei den Männern nagen an ihr immer noch alte Komplexe, weil sie zum Beispiel aus armen Verhältnissen kommt oder weil sie sich hässlich findet, zu fett.

Dort, wo es weh tut

Denise Mina zeichnet diese Figur der unangepassten Frau unaufgeregt und ohne Schminke: Paddy ist keine perfekte Wonderwoman, keine angstfreie Kämpferin. Die Milieuschilderungen vermitteln nicht nur ein unmittelbares Lebensgefühl, sondern ein gutes Stück schottischer Zeitgeschichte. Ähnlich wie Ian Rankin Edinburgh von der dunkelsten, dreckigsten und kaputtesten Seite zeigt, geht auch Mina da hin, wo es weh tut. Sie erzählt, wie weit Menschen gehen, wenn sie wenige Optionen haben.

Der letzte Wille mag sich anfangs etwas in die Länge ziehen, weil das Figurentableau etabliert werden muss. Doch bald schon wird der Roman rasant spannend, nicht zuletzt auch durch den Nebenstrang um den jungen Callum, einem jugendlichen Kindsmörder, der aus dem Gefängnis entlassen wird und sich wie eine tickende Zeitbombe durch den ihm vollkommen fremden Alltag bewegt. Paddy ist eine enge Freundin von Callums Familie, und ausgerechnet sie soll dafür sorgen, dass er von der Presse verschont bleibt.

Denise-Mina-Neulinge brauchen keine Berührungsängste zu haben, weil der Roman bereits der dritte Teil der Reihe ist. Im Gegenteil, Der letzte Wille lässt sich ohne Vorkenntnisse lesen und macht höchst neugierig auf die Vorgeschichte von Paddy Meehan und ihre Kriminalfälle. Besondere Erwähnung verdient die Übersetzerin Conny Lösch, sie trifft Minas eigenen Sound.

Der letzte Wille Denise Mina Conny Lösch (Übers.) Heyne Verlag 2013, 480 S., 9,99€

Zoë Beck ist Krimiautorin. 2012 erschien ihr Roman Das zerbrochene Fenster

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