Eine Kernthese im Gründungsaufruf der neuen SPD-Parteilinken – neoliberale Denkmuster wirkten bis tief in die SPD hinein – stieß sofort auf prominenten Widerspruch: Das sei Unfug, so SPD-Fraktionschef Oppermann in einem Interview mit der WELT im November 2014. In der SPD gebe es keine Neoliberalen. Ähnlich äußerte sich SPD-Bundesvize Schäfer-Gümbel auf dem 2014er Gründungskongress der „Magdeburger Plattform“. Dabei scheint in der SPD bis heute nicht geklärt, wie sich sozialdemokratische und neoliberale Politik zueinander verhalten. In diesem Beitrag wollen wir Merkmale des Neoliberalismus benennen und stichprobenartig in Programmatik und politischem Handeln der SPD aufzeigen.
Das neoliberale Programm
Der Begriff des Neoliberalismus lässt sich auf den Soziologen und Wirtschaftswissenschaftler Alexander Rüstow zurückführen. Angesichts des Versagens des klassischen Wirtschaftsliberalismus in der Weltwirtschaftskrise 1930 sollte ein neuer Liberalismus den Laissez-faire-Liberalismus überwinden und mit Hilfe einer aktiven Wettbewerbspolitik eines „starken Staates“ dessen Negativfolgen beheben. Rüstow und unter anderem auch sein Kollege Walter Eucken sahen eine Gefahr vor allem in der Monopolisierungstendenz, die nicht nur zu einer Konzentration ökonomischer Macht führte, sondern auch mit politischer Machtkonzentration einherging. Wettbewerb würde hingegen Monopolbildung abwenden. Dazu solle der Staat aktiv werden und die Wettbewerbssituation stetig aufrechterhalten, was Machtkonzentration verhindere. Der Marktmechanismus garantiere die optimale Zuordnung und Verteilung von Gütern und Arbeitskraft, sodass weder Unterversorgung noch Unterbeschäftigung einträten.
In den USA entwickelte sich in jener Zeit die Chicagoer Schule, die sich gegen den keynesianischen Interventionismus des New Deal positionierte. Insbesondere für den Ökonomen Friedrich August von Hayek nahm der ungehinderte Wettbewerb als eine Art Entdeckungsverfahren eine Schlüsselrolle ein. Auf der Suche nach unausgeschöpften Möglichkeiten würden diejenigen belohnt, die es wagten, diese Möglichkeiten auszuschöpfen. Wer hingegen am Bestehenden festhielte, würde durch eine „Art unpersönlichen Zwang“ dazu veranlasst, das Verhalten an die Erneuerung anzupassen. Jegliche Eingriffe in das Marktgeschehen durch eine noch so legitimierte Macht würden den Wettbewerb als evolutionäres Entdeckungsverfahren hemmen und optimale Ergebnisse verhindern. Der US-Ökonom Gary Becker ging noch weiter und postulierte, mit mikroökonomischen Modellen alles menschliche Handeln beschreiben zu können. Sein „ökonomischer Imperialismus“ weitete Wettbewerbspolitik auf alle Bereiche menschlichen Lebens aus.
Als mit der Ölkrise Anfang der 1970er Jahre der fordistische Kapitalakkumulationsprozess durch eine Erschöpfung des sich wechselseitig bedingenden Kreislaufes aus Massenproduktion und -konsumption stockte und die keynesianische Nachfragepolitik an ihre Grenzen gelangte, schlug die Stunde der Neoliberalen. Mit Hilfe eines breiten wissenschaftlichen und kommunikativen Netzwerks um die von Hayek ins Leben gerufene Mont Pelerin Society nahmen sie eine hegemoniale Stellung im öffentlichen Diskurs ein und entwickelten und unterstützten später auch die Politik Thatchers und Reagans.
Das heute global etablierte neoliberale Programm sieht vor, Konkurrenzverhältnisse in allen Bereichen menschlichen Lebens, vor allem durch die Selbstdomestizierung des Staates, durchzusetzen. Dabei werden verschiedene Zielsetzungen verfolgt, wie sie bspw. von Ralf Ptak, Wirtschaftswissenschaftler und Mitglieder der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, zusammengefasst werden:
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Liberalisierung von Märkten (bspw. Abbau von Schutzrechten, Schaffung neuer Märkte, Kommodifizierung [Warenwerdung] von Gemeingütern, Deregulierung der Finanzmärkte);
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Freihandel (Abbau von Zöllen und nichttarifären Handelshemmnissen, vertragliche Absicherung der Verpflichtungen zur Liberalisierung auch unter Einschränkung demokratischer Grundprinzipien);
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Privatisierung (bspw. natürlicher Monopole wie Energie- und Wasserversorgung; Kommodifizierung des Sicherheits-, Bildungs-, und Gesundheitssystems);
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Flexibilisierung (erzwungene Anpassung der Individuen an den Marktmechanismus, Abbau des Sozialstaates und Aktivierung der Eigenverantwortlichkeit, Senkung des Steuer- und Sozialabgabenniveaus, Arbeitsmarktflexibilisierung).
„Eine neue Aufbruchsstimmung“
Während andere Staaten in den 80er Jahren anfingen, ihre Volkswirtschaften im beginnenden globalen Wettbewerb in der Standortkonkurrenz der Nationalstaaten zu positionieren, indem sie auf eine politisch gewollte Umsetzung neoliberaler Ziele flankiert durch verschiedene Abkommen auf internationaler Ebene setzten, verlor Deutschland, wo dies zunächst unterblieb, als Ort der Verwertung von Kapital an Attraktivität. Es galt in den 1990er Jahren als „kranker Mann Europas“.
Der öffentliche, hierzulande in seiner Bedeutung für die Wegbereitung des Neoliberalismus nicht zu unterschätzende, Diskurs über die „Schwäche Deutschlands“ war von der Betonung der Rückschrittlichkeit geprägt. Staat und Wirtschaft galten als unmodern und überfordert. Damalige Unwörter des Jahres zeichnen dieses Klima nach: „sozialverträglicher Stellenabbau“ (1995), „Rentnerschwemme“ (1996), „Wohlstandsmüll“ (1997).
In dieser Situation übernahm die SPD 1998 die Regierung. Mit den Wahlversprechen Modernisierung, Erneuerung und Aufbruch setzte sie einerseits auf das Bedürfnis der WählerInnen, den Muff der Ära Kohl hinter sich zu lassen, und andererseits auf ein dezidiert neoliberales Programm. Wobei der Sozialstaat noch im klassisch fordistischen Sinne über die Prosperität der Ökonomie und resultierende Mehreinnahmen gesichert werden sollte: „Der Abbau der Arbeitslosigkeit ist der Schlüssel zur Lösung der ökonomischen, finanziellen und sozialen Probleme unseres Landes“, so das Wahlprogramm der SPD für die Bundestagswahl 1998.
Wurden im Wahlprogramm bereits „Eigenverantwortung und Eigeninitiative“ der Individuen betont, so erfolgte die endgültige Aufkündigung des Sozialstaates alter Prägung mit dem neuen Motto des „Förderns und Forderns“, der Individualisierung der Verantwortung für gesellschaftliche Probleme und der Favorisierung von Konkurrenzverhältnissen und Steuerung der Gesellschaft durch Märkte im sogenannten Schröder-Blair-Papier: „Der Weg nach vorne für Europas Sozialdemokraten“ sollte nicht nur eine neoliberale Agenda in der deutschen Sozialdemokratie verankern, sondern den „Dritten Weg“ auch zum Modell für andere sozialdemokratische Parteien in Europa machen. Ein innerparteilicher Diskurs war nicht vorgesehen.
Nach einer kurzen Phase traditioneller sozialdemokratischer Wirtschafts- und Finanzpolitik im Sinne neokeynesianischer Investitionspolitik galten als neue Ziele:
- der Abbau der Staatsverschuldung bei sinkenden staatlichen Investitionen,
- eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik bei massiven steuerlichen Entlastungen der Unternehmen und
- die Reform der Sozialversicherungssysteme unter anderem durch Teilprivatisierung.
Bereits einige Stichproben aus dem Schröder-Blair-Papier machen deutlich, wohin der Wind des "Dritten Weges" wehen sollte:
Liberalisierung und Flexibilisierung
Während die traditionelle Sozialdemokratie noch von Skepsis bis Ablehnung gegenüber Märkten und deren Steuerungsfunktion geprägt war, verkehren sich die Verhältnisse bei Schröder-Blair: „Die Steuerungsfunktion von Märkten muß durch die Politik ergänzt und verbessert, nicht aber behindert werden.“ und „Die Schwächen der Märkte wurden über-, ihre Stärken unterschätzt.” können als Kernsätze bezeichnet werden. Auch die Idealisierung der Märkte findet sich wieder: „Flexible Märkte sind ein modernes sozialdemokratisches Ziel.“„Die Produkt-, Kapital- und Arbeitsmärkte müssen allesamt flexibel sein […]“. „Europas Kapitalmärkte sollten geöffnet werden [...]“. Damit schwenkt die Sozialdemokratie auf eine starke Deregulierung aller zentralen ökonomischen Märkte ein und unterwirft sich so dem neoliberalen Dogma des schwachen Staates als Voraussetzung für eine funktionierende Wirtschaft.
Privatisierung und Kommodifizierung
Zwar wird die Privatisierung bspw. von Staatseigentum nicht direkt propagiert. Dennoch gibt es verschiedene Hinweise: Erstens versteckt sich die spätere Teilprivatisierung von Renten- und Krankenversicherung hinter der Modernisierungs-Floskel: „Alle sozialpolitischen Instrumente müssen Lebenschancen verbessern, Selbsthilfe anregen, Eigenverantwortung fördern. Mit diesem Ziel wird in Deutschland das Gesundheitssystem ebenso wie das System der Alterssicherung umfassend modernisiert“. Kommodifizierung wird, zweitens, in jenem Sinne forciert, dass gesellschaftliche Verhältnisse der privaten Verwertung unterworfen und die öffentliche Verwaltung nach unternehmerischen Maßstäben geführt werden sollen: „Die notwendige Kürzung der staatlichen Ausgaben erfordert eine radikale Modernisierung des öffentlichen Sektors und eine Leistungssteigerung und Strukturreform der öffentlichen Verwaltung.” Und drittens wird mit dem Propagieren der Human-Kapital-These die ökonomische Verwertung von Wissen und Bildung befürwortet: „Erste Priorität muß die Investition in menschliches und soziales Kapital sein.“ Damit wird unter anderem auch die Ökonomisierung der Hochschulen vorbereitet.
„Moderne Sozialdemokraten wollen das Sicherheitsnetz aus Ansprüchen in ein Sprungbrett in die Eigenverantwortung umwandeln“
Gekennzeichnet ist diese Politik der „Neuen Mitte“ durch eine Abkehr von grundlegenden Rechten und Ansprüchen – bspw. auf Bildung, staatliche Unterstützung und Schutz – hin zu einer Kapitalisierung und Kommodifizierung aller Lebensbereiche. Bildung wird kapitalisiert, der Sozialstaat als Schutz vor totaler Verwertung wird zu einem Akteur, der die Menschen durch „Aktivieren“ und „Fördern“ der völligen Verwertung zuführt und bei Verweigerung mit Sanktionen droht.
Der Stil des Textes selbst zeugt von seiner neoliberalen Prägung: Im Marketingsprech werden leere Formeln und Nominalstrukturen aneinander gereiht. Es bleibt vage, was oder wer sich in Zukunft anpassen bzw. flexibel zeigen muss. Gesellschaftliche Verhältnisse und Widersprüche werden systematisch ausgeblendet oder negiert und angebliche Notwendigkeiten postuliert. Stattdessen wird eine „neue“ Politik propagiert, welche „nah am Menschen“ ist und „pragmatische“ Lösungen sucht: „In dieser neu entstehenden Welt wollen die Menschen Politiker, die Fragen ohne ideologische Vorbedingungen angehen und unter Anwendung ihrer Werte und Prinzipien nach praktischen Lösungen für ihre Probleme suchen, mit Hilfe aufrichtiger, wohl konstruierter und pragmatischer Politik.”
Das Papier steckte damit gewissermaßen den ideologischen Rahmen ab, der schließlich mit Schröders 2003er Regierungserklärung in praktische Politik überführt wurde: „Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen“.
Neoliberale Denkmuster in der heutigen SPD
Mit dem Regierungsprogramm für die Bundestagswahl 2013 schien die SPD eine politische Wende einleiten zu wollen: „Das Zeitalter des egoistischen Neoliberalismus muss endlich zu Ende sein“, so Parteichef Gabriels Kampfansage auf dem Parteitag im April 2013. Mit Mindestlohn, Spitzensteuersatzanhebung, Vermögens- und Finanztransaktionssteuer, BürgerInnenversicherung und Mietpreisbremse wollte die SPD wieder spürbar nach links rücken.
Doch die sich damals bereits abzeichnende Wahlniederlage musste als Begründung für die anschließende Absetzbewegung führender GenossInnen von den eben noch vertretenen Zielen herhalten: So brachte Fraktionschef Oppermann im oben genannten WELT-Interview die Wahlniederlage mit dem Steuermodell der SPD in Verbindung und Gabriel rief 2014 sogar dazu auf, sich von Steuererhöhungen zu verabschieden. Allerdings war er bereits im Wahlkampf angesichts schlechter Umfragewerte eingeknickt und hatte im Zuge seiner Rede zum 150-jährigen Parteijubiläum Steuersenkungen ins Spiel gebracht. So bleibt fraglich, inwiefern das Gros der EntscheidungsträgerInnen der SPD einen echten Politikwechsel im Blick hatte oder die Vermarktung des Programms „links von der Mitte“ (Steinbrück) nur ein berechnender Versuch war, die Basis zu beruhigen und WählerInnen aus dem linken Spektrum zurückzugewinnen.
Bis heute bleibt die SPD in ihrem politischen Handeln in der Tradition der neoliberalen Agendapolitik der Schröder-Ära verhaftet:
Primat der Eigenverantwortlichkeit
Die Agenda-Reformen verankerten die Ideologie der Eigenverantwortlichkeit in zentralen Sozialbereichen: Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe auf letzterem Niveau flankiert durch Sanktionsmaßnahmen, Leistungsabsenkungen in der gesetzlichen Krankenversicherung bei gleichzeitig stärkerer Belastung der Versicherten, Absenkung des gesetzlichen Rentenniveaus bei gleichzeitiger Expansion der privaten Altersvorsorge sowie Flexibilisierung des Arbeitsmarktes zulasten der Beschäftigten. Im Grundsatz wird bis heute nicht davon abgerückt, wie bspw. die Bundesminister Gabriel und Nahles auch in diesem Jahr schwarz auf weiß darlegten: „Die Agenda hat […] gezeigt, dass unsere Sozialsysteme zukunftsfähig sind, wenn wir sie politisch aktiv gestalten, bevor sie von der kalten Hand regelloser Märkte zerstört werden“.
Auch in der Post-Agenda-Programmatik findet sich Eigenverantwortung als Schwerpunkt. So kritisierte der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge schon im Entstehungsstadium des Hamburger Programms, dass die SPD zu sehr auf den Faktor Bildung zur (Wieder-)Herstellung von Chancengleichheit setze. Damit werde nicht die Ursache von gesellschaftlichen Ungleichheiten beseitigt, schließlich basiere Bildungsarmut auf der „materiellen Unterversorgung und Benachteiligung in anderen Lebensbereichen“. Wirkliche Teilhabegerechtigkeit ließe sich nur durch „Umverteilung von Arbeit, Einkommen und Vermögen“ erreichen.
Stattdessen ist bis heute eine ungebremste Einkommens- bzw. Vermögensspreizung zu beobachten, auf welche die SPD keine adäquate Antwort hat. So konstatiert der 2013 erschienene Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, dass die reichsten zehn Prozent der Haushalte mit Stand 2008 über mehr als die Hälfte des gesamten Nettovermögens verfügten – Tendenz steigend. Die gesamte untere Hälfte der Haushalte besitzt demgegenüber nur rund ein Prozent.
Niedrige Steuern und Sozialabgaben
In einer Analyse der politischen Hintergründe des strukturellen Dilemmas der SPD resümiert der Gewerkschafter Patrick Schreiner, dass diese „wesentliche ideologische Grundüberzeugungen des derzeitigen neoliberalen Mainstreams“ akzeptiert habe. Darunter „die Überzeugung, dass die zunehmende Globalisierung es erforderlich mache, die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes zu erhalten, was Lohnzurückhaltung, niedrige Steuern und niedrige Sozialabgaben erfordere“. Die Umsetzung dieser Überzeugungen in politisches Handeln im Rahmen der Agenda 2010 wird bis heute von führenden SPD-VertreterInnen verteidigt, wie unter anderem Agenda-Coarchitekt Steinmeier 2013 auf dem Deutschen Arbeitgebertag treffend zusammenfasste:
„Die entscheidenden Steuersenkungen, und zwar in einem Volumen von mehr als 60 Milliarden Euro, [hat es] unter einer sozialdemokratischen Regierung gegeben: Mit der Senkung des Spitzensteuersatzes, mit der Senkung des Eingangssteuersatzes, mit der Senkung der Unternehmenssteuern. […] Das war damals immerhin sozialdemokratische Steuerpolitik und ich finde bis heute ist das nicht so ganz schlecht. [...] Wir wissen, was das für Mühe gekostet hat, dieses Land aus mancher Unbeweglichkeit zu befreien. Und deshalb kann ich mir auch nicht vorstellen, dass die Rückabwicklung sinnvoll und gut wäre.”
Grundlegende Änderungen an dieser entscheidenden Schwächung des Sozialstaates zeichnen sich bis heute nicht ab. Im Gegenteil wird die Lage durch die von der SPD mit vorangetriebene Umsetzung der Schuldenbremse noch verstärkt, da angesichts der jahrzehntelangen defizitären Einnahmen- und Ausgabenpolitik jene (stetig steigenden) Ausgaben, zu denen wir uns als Gesellschaft entschlossen haben, nicht mehr gedeckt werden können. Wichtige staatliche und gesellschaftliche Investitionen werden verhindert: bspw. in die kommunale Verkehrsinfrastruktur oder den Bildungsbereich mit einer jährlichen Unterfinanzierung, so ein 2011er Papier der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, von ca. 56 Mrd. Euro.
Der auch von der SPD lange gepriesene Versuch, den Investitionsstau bei der öffentlichen Infrastruktur durch Öffentlich-Private-Partnerschaften einzudämmen, kann mittlerweile als gescheitert betrachtet werden, hat er sich doch als nachteilig für die öffentlichen Haushalte erwiesen, wie selbst der Bundesrechnungshof bereits mehrfach angemerkt hat. Nichtsdestotrotz hat SPD-Chef Gabriel in seiner Funktion als Bundeswirtschaftsminister Mitte 2014 eine ExpertInnenkommission zur „Stärkung von Investitionen“ eingesetzt, die das Ziel hat, private GeldgeberInnen für Investitionen in die deutsche Infrastruktur zu begeistern. Nicht zuletzt wird sich am weiteren Umgang mit den internationalen Handelsabkommen TTIP und TISA zeigen, inwiefern die SPD die „Kampfansage“ an den Neoliberalismus aus dem Wahlkampf 2013 wirklich ernst meinte: Die sich derzeit abzeichnende Zustimmung zu diesen Abkommen (die weiterhin u. a. eine Fortsetzung der Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen und die Einrichtung von Schiedsgerichten, die Unternehmen auf eine Ebene mit Staaten heben, befürchten lassen) würde den Neoliberalismus weiter absichern.
Zum Schluss: drei Thesen
Warum sind neoliberale Denkmuster in der SPD so tief verankert? Dazu abschließend drei Thesen:
- Erstens konnte der Neoliberalismus an in der Sozialdemokratie bereits verankerte neoliberale Annahmen anschließen.
- Zweitens ermöglichten gleiche Ziele (bspw. Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit) die Synchronisierung der Mittel zur Zielerreichung.
- Und drittens zeichnen sich beide durch einen starken Fortschrittsglauben aus, der dem Neoliberalismus als programmatisches Einfallstor diente.
So kam es schließlich zu jener historischen Ironie, dass die SPD in Deutschland das geschaffen hat, wozu die konservativ-liberale Kohl-Regierung nicht imstande oder willens war: Um den propagierten gesellschaftlichen Fortschritt umzusetzen, hat sie dem wirtschaftlichen Fortschritt im neoliberalen Sinne zum endgültigen Durchbruch verholfen. Das ist im höchsten Maße „progressiv“ gewesen – allerdings ganz anders, als sich viele zuvor vorgestellt hatten.
ein Beitrag von Magnus Neubert, Felix Peter und Clemens Wagner
Literatur:
Butterwegge, Ch. (2007). Neoliberale Sozis. Gastbeitrag bei Zeit Online vom 19. Juni 2007.
Die Welt (2014). Man sollte Schröder ein gutes Auskommen gönnen. Onlinebeitrag vom 15.11.2014.
Eucken, W. (1948). Das ordnungspolitische Problem. ORDO 1, 56-90.
Hayek, F. A. v. (1969). Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren. In F. A. von Hayek, Freiburger Studien (S. 249-265). Tübingen: Mohr Siebeck.
Ptak, R. (2007). Grundlagen des Neoliberalismus. In Ch. Butterwegge, B. Lösch & R. Ptak (Hrsg.), Kritik des Neoliberalismus (S. 13-86). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Rüstow, A. (1945, 2001) Das Versagen des Wirtschaftsliberalismus. Marburg: Metropolis.
Steinmeier, F.-W. (2013). Rede des SPD-Bundestagsfraktionsvorsitzenden Frank-Walter Steinmeier auf dem Arbeitgebertag am 19.11.2013.
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