Friss und stirb

US-Nahostplan Die Palästinenser haben nichts mehr zu verlieren und erwägen, die Autonomiebehörde aufzulösen
Ausgabe 06/2020

Zum mutmaßlichen Friedensprozess werden von israelischer Seite seit Jahren zwei vorgefertigte Meinungen bemüht: „Die Palästinenser lassen keine Gelegenheit aus, eine Gelegenheit auszulassen.“ Und: „Dies ist wahrlich das beste Angebot, das die Palästinenser je bekommen haben.“ Versatzstückhafte Parolen, nichts sonst, schließlich haben palästinensische Politiker das Friedensabkommen von Oslo ebenso unterzeichnet wie den Nachfolgevertrag Oslo II.

Seit Donald Trump seinen „Deal des Jahrhunderts“ präsentiert hat, wird erneut die gewohnte Rhetorik bemüht. Das sei für die Palästinenser „eine ausgezeichnete Lösung“, gab sich der US-Präsident überzeugt, den nicht im Geringsten störte, dass die Palästinenser nicht einmal gefragt wurden, geschweige denn mitwirken durften. Trump scheint ernsthaft zu glauben, dass die Palästinenser seinen Plan akzeptieren und „die Chance nicht vorüberziehen lassen“, die sich ihnen bietet. Schließlich verspricht er einen wie auch immer gearteten Staat.

Hamas und Fatah

Die Antwort der Palästinenser ließ nicht lange auf sich warten, ihre Autonomiebehörde (PA) drohte damit, sich selbst aufzulösen und die Oslo-Abkommen aufzukündigen. Während frühere Pläne (s. Übersicht) einen Palästinenserstaat in den Grenzen, wie sie vor dem Sechs-Tage-Krieg vom Juni 1967 bestanden, mit einigen Enklaven für jüdische Siedlungen vorsahen, schlägt Trump nun eine Ansammlung von palästinensischen Enklaven in einem israelischen Staat vor (s. Karte). Die Palästinenser könnten über kein zusammenhängendes Territorium verfügen. Sie würden von der israelischen Armee in Schach gehalten, sie wären ökonomisch von Israel abhängig und müsste ihre nationale Vision von einem souveränen Staat endgültig aufgeben. Theoretisch verbindet Trumps Plan den Gazastreifen und die Westbank, gleichzeitig aber reißt er Teile der arabischen Bevölkerung des Westjordanlandes heraus und unterstellt sie israelischer Hoheit. Trump bietet Milliarden Dollar für wirtschaftliche Prosperität, doch ist in seinem Maßnahmenkatalog weder festgelegt, wann die Gelder gezahlt werden, noch wer die Geldgeber sind. Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate? Geht man von den Palästina-Gesprächen in Bahrain Anfang Juni 2019 aus, ist schnell klar, dass die USA möglichst keinen einzigen Dollar geben wollen.

Bemerkenswerterweise waren die Botschafter Saudi-Arabiens, Ägyptens und Jordaniens nicht anwesend, als Trump in Washington seinen Plan verkündet hat, auch dankte der US-Präsident keinem dieser Staaten. Offenbar rechnete er mit Widerspruch aus Amman und Riad, den es auf einer Sondertagung der Arabischen Liga prompt gab. Er fiel deshalb besonders heftig aus, weil Trump keinen Zweifel ließ, dass für die heiligen muslimischen Stätten alles so bleibt, wie es ist. Er brachte es fertig, von der „Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem“ zu reden, das nach seinem Weltbild zu Israel gehört und Saudi-Arabien gern seiner Patronage unterstellen würde.

Letztlich ist dieses einseitige Konzept ein Deal zwischen den USA, Israel und den rechten Siedlern, die standhaft gegen einen Palästinenserstaat sind, egal, ob der in vier Jahren oder irgendwann einmal entstehen sollte. Die Wahlallianz Kachol Lavan von Benny Gantz beeilte sich zu erklären, sie werde ihr Möglichstes tun, dem Plan zu folgen. Notfalls ohne palästinensische Partner?

Es ist nicht auszuschließen, dass sich nun eine Versöhnung zwischen der Fatah von Mahmud Abbas und der Hamas von Chalid Maschal als unumgänglich erweist. Sie ist einfach eine Bedingung, um die einheimische und internationale Ablehnung des Plans zu koordinieren. Klar ist, dass sich die Bedingungen, die Trump für die Gründung eines palästinensischen Staates auflistet, direkt an die Hamas richten. Sie soll nicht nur den Staat Israel anerkennen, sondern für einen komplett entmilitarisierten Gazastreifen sorgen. Jede Form des bewaffneten und unbewaffneten Widerstandes, wie er sich zuletzt als Protest entlang des Grenzzauns zwischen Gaza und Israel gezeigt hat, müsse beendet werden, so Trump. Für die Hamas wie die Autonomiebehörde sind das keine Bedingungen, sondern Zumutungen. So ist eine – sicher extrem kleine – Plattform denkbar, die es für eine gegen Israel gerichtete Front aus Hamas und Fatah geben kann.

Vision und Apokalypse

Die Flüchtlingsfrage vermag Trumps Tableau erst recht nicht zu lösen. Wie Israels Premier Netanjahu deutlich gemacht hat, darf kein einziger palästinensischer Flüchtling in das Gebiet zurückkehren, das unter israelischer Hoheit steht. Das gilt für das 1948 mit der Staatsgründung festgelegte israelische Hoheitsgebiet wie für die seither annektierten Territorien. Mit anderen Worten: Wollen die Palästinenser eine Heimstatt finden, dann nur im Westjordanland, im Gazastreifen oder in anderen arabischen Ländern. Genau das schreckt Jordanien, das gezwungen sein könnte, Hunderttausende von palästinensischen Flüchtlingen aufzunehmen, sehr viel mehr als bisher. Es geriete ein fragiles Gleichgewicht aus der Balance, das schon jetzt die nationale Identität Jordaniens bedroht. Solange die israelische Armee den Grenzübergang zwischen Jordanien und der Westbank kontrolliert, ist völlig offen, ob je wieder Palästinenser dorthin zurückkehren können.

Trumps Friedensplan spricht von der territorialen Integrität eines Palästinenserstaates, während Netanjahu auf einige „Neuerungen“ verweist, durch die das zu erreichen sei. Nur lassen beide nicht im Geringsten erkennen, wie der Widerspruch zwischen israelischer Souveränität über sämtliche Siedlungen, in denen laut Trump „keine Israelis entwurzelt werden dürfen“, und einer territorialen Einheit für die palästinensischen Enklaven zu lösen ist.

Hebt ein solcher Friedensplan die Gültigkeit internationalen Rechts in den palästinensischen Gebieten auf? Schließlich können sich die Palästinenser mit dem Völkerrecht und etlichen UN-Resolutionen im Rücken immer noch am besten Geltung verschaffen. Israel gerät bereits bei der Empfehlung des Internationalen Strafgerichtshofs ICC in Panik, es solle Kriegsverbrechen untersuchen, zu denen es im Gazastreifen gekommen sein könnte. Irgendwann dürfte das zur Forderung nach Wirtschaftssanktionen führen. Eine Kennzeichnung von Produkten, die aus den Siedlungsgebieten stammen, wird dann erst der Anfang gewesen sein.

Gegenwärtig drohen die Palästinenser nicht nur damit, die Autonomiebehörde (PA) aufzulösen, sondern auch mit einem endgültigen Rückzug aus den Oslo-Abkommen. Damit wäre nicht zuletzt die Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen aufgekündigt und Israel die Verantwortung für die alltägliche Verwaltung der Palästinensergebiete übertragen. Das in einer solchen Reaktion auf Trump steckende Dilemma ist freilich gravierend. Immerhin hat Palästinenserpräsident Abbas die Gründung der PA bislang stets als eine der größten Errungenschaften bezeichnet. Ganz abgesehen davon gilt die Behörde als anerkannte Institution, der Gebernationen und Hilfsorganisationen weltweit finanzielle Mittel anvertrauen. Sie ist ein legitimer Partner der Vereinten Nationen und unterhält Botschaften in zahlreichen Ländern weltweit.

Zieht sie sich zurück, würde das bedeuten, ein Netzwerk der Kontakte und ein bestehendes Regierungssystem aufzugeben. Israel würde sich dadurch berechtigt fühlen, die palästinensische Ökonomie komplett zu übernehmen. Zugleich wären die israelischen Autoritäten gezwungen, in den Autonomiegebieten neue Verwaltungssysteme aufzubauen und zu einer direkten Besatzung auf Mikroebene zurückzukehren.

Die realistischste Aussage, die Trump zu seinem Plan traf, war zu hören, als er einräumte, es handele sich um eine Vision. Sie sei der Vision von der Apokalypse am Ende aller Tage oder der des Propheten Hesekiel vom Tal der trockenen Knochen ähnlich. Die 181 Seiten des Dokuments scheinen tatsächlich einer Vision gewidmet zu sein. Sie mögen einige originelle Details enthalten, aber als „Deal“ oder gar als „Plan“ kann man diese Vorstellungen nun wirklich nicht bezeichnen.

Zvi Bar’el ist Nahost-Kolumnist der israelischen Tageszeitung Ha’Aretz

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