Maike Hank: Ich muss erst mal in Vorweihnachtsstimmung kommen.
kay.kloetzer: Ja, es ist jedes Jahr aufs Neue schwer, da rein zu finden. Schmücken hilft! Also nicht sich, sondern die Wohnung. Hast Du so etwas? Einen Nussknacker? Oder sogar Schwibbogen?
Maike Hank: Nein, ich habe nichts davon. Allerdings steht neben mir eine Kerze mit Lebkuchenduft. Die war am Sonntag im Adventskalender, den mir eine Freundin geschenkt hat. Sie ist sozusagen meine Einstiegsdroge für die diesjährige Adventszeit. Hast du denn schon dekoriert?
kay.kloetzer: Ein bisschen. Lasse es dieses Jahr langsam angehen. Bis jetzt stehen Schwibbogen und Räuchermännchen, hängen ein paar Sterne herum. In der heißen Phase kommt noch eine Pyramide dazu, zwei weitere Schwibbögen, Nussknacker, Glockenpiel, Engelskappelle, Kurrende, Bergmann und Engel (mit Kerzen) ... Wir stammen aus dem Erzgebirge. Dort ist das so.
Maike Hank: Wow! Ich finde ja die Geschichte zum Schwibbogen total schön. Hast du die damals von jemandem aus deiner Familie erzählt bekommen?
kay.kloetzer: O nein, die kenne ich nicht. Hast Du eine Kurzfassung?
Im Fenster
Maike Hank: Früher waren wohl viele Familienmitglieder Arbeiter im Bergwerk. Man stellte für sie diese Bögen auf. Für jeden Arbeiter stand eine Kerze, die angezündet wurde, wenn er wieder heil zuhause angekommen ist.
kay.kloetzer: Ah. So ähnlich ist es wohl mit Bergmann und Engel, die wurden für die Kinder (Mädchen und Junge) ins Fenster gestellt. Erstaunlich eigentlich, dass da nicht ständig die Gardinen gebrannt haben. Wahrscheinlich hatten sie keine.
Hast Du eine Tradition Deiner Eltern übernommen?
Maike Hank: Nein, ich verweigere mich ja ein wenig dem Advent und Weihnachten, seit ich nicht mehr zuhause wohne. Vielleicht, weil ich keine eigene Familie habe, um das fortzusetzen. Für mich alleine kommt mir das albern vor.
kay.kloetzer: Ach, das ist schade. Andererseits natürlich Weihnachten wahnsinnig gefährlich für den Familienfrieden. Jedes Jahr warnen Experten vor übersteigerten Erwartungen an Harmonie und Zufriedenheit. Irre: das angeblich schönste Fest des Jahres ein emotionales Fiasko. Das hängt bestimmt auch mit dem Stress vorher zusammen. Wenn ich im Kaufhaus in die Gesichter schaue – freudvolles Geschenke-Kaufen ist das nicht.
Erst auf dem Weihnachtsmarkt wird die Stimmung wieder besser, weil die meisten schon beim vierten Glühwein sind. Nimmt das in Berlin auch so zu?
Maike Hank: Ja, ich finde die meisten Weihnachtsmärkte hier ganz schlimm. Da ich täglich am Alexanderplatz vorbeikomme, ist der dort natürlich das furchtbarste Aushängeschild. Dabei verspüre ich ja eine seltsame Zuneigung zu diesem hässlichen Platz.
Mit dem Weihnachtskaufstress gebe ich dir recht und ich kenne den dank vieler Jobs auch von der anderen Seite: Es ist im Einzelhandel irrsinnig anstrengend, die Vorweihnachtswochen durchzustehen.
kay.kloetzer: Früher war mehr Lametta! Nein, es war entspannter. Die Geschenke hatte man oft schon im Oktober zusammen, weil die gekauft wurden, wenn es sie gab. Und das war in der DDR eben nicht immer. Dafür waren es aber die richtigen, kein Trödel.
Maike Hank: Gab es bei euch Lametta? Das war bei uns total verpönt. Der Baum war immer mit roten Äpfeln, Strohsternen, kleinen Holzanhängern und durchsichtigen Glaskugeln und -glöckchen geschmückt. Wenn wir irgendwo hinkamen, wo Lametta am Baum hing, hat meine Mutter immer die Augen verdreht.
kay.kloetzer: Das war nur ein Loriot-Zitat. Wir hatten immer Glaskugeln, auch rote Kugeln. Dazu ein paar Strohsterne, zwei drei Figuren. Nach der Wende wurde es jedes Jahr mehr, musste ja alles ausprobiert werden. Inzwischen sind wir wieder bei den roten Kugeln und denen aus Glas, den Sternen ... Der Baum ist auch nicht besonders groß.
Essen, das Glück bringt
Maike Hank: Ich hätte gerne einen schulterhohen. Aber ich habe noch keine Deko. Es könnte sein, dass die trashig ausfällt. Vielleicht mit bunten Sachen, Glitzer und Comicfiguren. Ohje, vermutlich eine Art Hipster-Weihnachtsbaum! Aber ich will dieses Jahr mal ausprobieren, dieses Albernheitsgefühl über Bord zu werfen und mich dem Advent hinzugeben.
Eine Feundin und ich werden an Heiligabend zusammen kochen, vielleicht kommen noch mehr Freunde. Es gibt Gänsebraten, Rotkraut und Klöße. Bei meiner Familie aßen wir immer Fleischfondue. Letztes Jahr war das schwierig, da war ich ja Vegetarierin. Was ist denn euer traditionelles Essen?
kay.klotzer: Heiligabend gibt es Neunerlei, das bringt irgendwie Glück, oder das Geld geht nicht aus oder sowas. Wir mogeln aber: Es müssen nicht neun verschiedene Gerichte sein, die Zutaten im Kartoffelsalat zählen mit. Auch Würstchen natürlich. Und ein paar weitere Salate: Sellerie, Roter Bete, Linsen ...
Das Eigentliche kommt am ersten Feiertag: Die Gans. Daran führt nichts vorbei. Experimente mit Maronen wurden wieder eingestellt. Sie kommt nur mit Rotkraut und Klößen auf den Tisch, natürlich selbstgemachten. Danach gibt's Lauterbacher.
Wichtig ist auch, dass der Stollen erst Heilignachmittag angeschnitten wird – und nicht im September. Da drehe ich ja durch, wenn Leute bei bestem Biergartenwetter schon Stollen essen und dann im Dezember jammern, dass sie das Zeug nicht mehr sehen können. Is ja klar.
Das finde ich schade, dass das die Besinnung im Rückzug, die Vorfreude, oft überlagert werden von diesem Rausch, der ins Gegenteil führt.
Maike Hank: Ich kannte mal einen, der war totaler Stollenfan. Der hat dann für die stollenlose Zeit welchen in der Tiefkühltruhe gelagert und sich so durchs Jahr gerettet.
Ich glaube, das mit dem Rückzug klappt dieses Jahr ganz gut und zwar auf eine positive Art. Ich bin manchmal zum Jahresende traurig und melancholisch, aber dieses Mal fühlt es sich eher konstruktiv und vorausblickend an. Wie ist das bei dir? Bist du im Dezember guter Dinge?
kay.kloetzer: Vielleicht wurde dieser ganze Zauber mit Lichtern und Gemütlichkeit wegen der Melancholie und der Dunkelheit erfunden. Vielleicht war ja ursprünglich in den Räucherkerzen etwas ganz anderes drin? Darum finde ich den Januar schlimmer. Da ist es immer noch dunkel und kalt – aber ohne Lichter und alles. Darum steht mein Schwibbogen länger, als das wohl vorgesehen ist. Das kann schon mal Februar werden.
Besonders schön sind die letzten Tage vor Weihnachten in der Stammkneipe. Da sind alle milder, es setzen sich Leute zusammen, die sonst nie zusammensitzen. Wenn dann Schnee liegt draußen vor den großen Scheiben – das ist unschlagbar. Könnte Schnee Deiner Adventsstimmung auf die Sprünge helfen?
Leise rieselt
Maike Hank: Ja. Schnee könnte helfen. Ich mag es so, dass er die Geräusche verschluckt und tagsüber im besten Fall alles ein wenig heller macht. Und dann ist da noch das wundervolle Geräusch, wenn man durch den Schnee geht: es knirscht. Ich wäre über Weihnachten gerne einmal auf einer Hütte in den Bergen. Ich habe ja eine Schwäche für die Schweiz. Kannst du dir vorstellen, über Weihnachten gar nicht hier zu sein, womöglich sogar irgendwo, wo es warm ist?
kay.kloetzer: Woanders ja (wenn alle mitkommen), sehr gern an der Ostsee zum Beispiel. Aber weiter weg – nee, das geht nicht. Schon gar nicht im Warmen, Hellen. Da kommt doch der ganze Psychorhythmus durcheinander! Warst Du nicht dieses Jahr in Japan? Würdest Du dort feiern wollen?
Maike Hank: In Japan war ich letztes Jahr im November. Die haben ja gar kein Weihnachten. Eigentlich. Aber da die Japaner so gerne kaufrauschen, feiern sie es einfach doch. In Tokio sah es bezüglich der Deko eigentlich noch schlimmer aus als bei uns, und überall lief amerikanische Weihnachtsmusik.
Hast du eigentlich Lieblingsweihnachtsmusik? Ich war ja mal katholisch und ging bis zur elften Klasse auf eine katholische Schule. Anfang der achtziger Jahre hatte ich sogar das Schulfach "Kirchengesang". Ich bin als Kind gerne in die Kirche gegangen, vor allem an Weihnachten.
Ich verstehe nicht, wie Menschen das ganze Jahr über nicht in die Kirche gehen können, aber dann plötzlich an Weihnachten. Ich denke nicht, dass sie da Jesu Geburt feiern. Sie tun das nur, weil es dazu gehört, so wie es eben die Gans gibt.
Aber zurück zur Musik: Macht hoch die Tür, die Tor macht weit mag ich sehr gerne. Das habe ich früher auch unterm Baum mit der Blockflöte gespielt. Der Klang dieses Instruments ist so schlimm! Habt ihr auch Musik gemacht?
kay.kloetzer: Das gibt es also wirklich, dass Kinder unterm Baum Blockflöte spielen?! Bestimmt wurde früher bei uns gesungen, aber so genau weiß ich das nicht mehr. Wir hören CDs mit Weihnachts-Klassikern versoult oder verjazzt, und immer auch etwas Richtiges wie das Weihnachtsoratorium (natürlich nie ganz).
Neulich habe ich gehört, dass jeder Deutsche durchschnittlich fast 300 Euro für Geschenke ausgibt. Das kommt mir viel vor. Und wenn du siehst, was Eltern so an Spielzeug aus den Kaufhäusern schleppen, kann man nur hoffen, dass sie damit ein ganzes Haus beschenken. Ich mag Selbstgemachtes. Was natürlich schwierig ist, wenn man nicht so viel kann. Aber Foto-Kalender kann ich. Und Schals stricken. Und einmal ist sogar ein Ölgemälde gelungen.
Wunschlos
Maike Hank: Selbstgemacht gibt es von mir nur Kleinigkeiten. Karten und so was. Ich kaufe aber auch nie so viel. Hauptsächlich Bücher, außergewöhnliche Schokoladen oder andere Sachen zum Essen oder Trinken. Letztes Jahr habe ich allen japanischen Tee geschenkt. Ich fürchte, da hatte keiner Lust drauf, weil sie Angst hatten, er sei verstrahlt.
Wünschst du dir denn dieses Jahr etwas zu Weihnachten?
kay.kloetzer: Mit Wünschen bin ich schlecht, ich lasse mich gern überraschen und freue mich dann eigentlich über alles. Andere bitte ich natürlich schon um ihre Wünsche und finde es komisch, wenn sie keine haben. Es macht Spaß, etwas zu entdecken, was perfekt zum anderen passt. Und was bekommst Du (vielleicht)?
Maike Hank: Ich weiß es nicht. Aber ich bin ich auch nicht gut im Wünschen, und die Dinge, die mir gerade wirklich wichtig sind, sind nicht käuflich. Die kann mir niemand schenken außer der Zufall und ich mir selbst.
kay.kloetzer: Schönes Schlusswort.
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