Joachim Gaucks totalitäre Aufklärung

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Als Freund von Recht und Freiheit wurde er Antikommunist,
schreibt die NZZ im Vorspann des Interviews mit Joachim Gauck, das gerade erschienen ist. Ich dachte an Thomas Mann und seinen Ausspruch über den Antikommunismus, aber der ist gegenwärtig nicht opportun.

Joachim Güntner spricht in diesem langen Interview mit Gauck über den Verein www.gegen-vergessen.de/ "Gegen das Vergessen - für Demokratie", der Aufgabe, der er sich als Vorsitzender nach der Pensionierung als Chef der Stasi-Unterlagen-Behörte zugewandt hat. Gegen das Vergessen, gleich ob es mit dem Hitlerfaschismus zu tun hat oder mit dem DDR-Unrecht. Ganz im Sinne der "Totalitarismusdoktrin" werden die beiden deutschen Diktaturen in einen Anti-Vergessens-Sack gepackt. Die eine Diktatur guckt noch oben raus, die andere ist darunter noch vorhanden, sonst kriegt man den Sack nicht voll finanziert, aber oben ist das DDR-Unrecht.

Was die DDR betrifft, so scheint es hin und wieder, als ginge es weniger ums Vergessen, als darum, ordentlich einzuteilen, was vergessen werden soll und was nicht, damit man das gültige politische Glaubensbekenntnis unfallfrei aufsagen kann.

Vor allem aber ist Gauck ein anschaulicher Beweis dafür, dass die beiden Diktaturen nicht mit dem behaupteten gleichen Abstand betrachtet werden, sondern das ihre Gleichsetzung, der scheinbar objektive Umgang mit ihnen, immer eine merkwürdige Favorisierung und „Entschuldung“ der NS-Diktatur mit sich zu bringen scheint. So findet sich in Gaucks Parteinahme für ein deutsches Zentrum für Vertreibung auch der Satz von den Deutschen, die neurotisch auf der Größe ihrer Schuld beharren. Da hat er keinen Abstand, da ist er auch mehr für Vergessen. Hilfreich waren seine Worte einmal für einen CDU-Rechtsaußen namens Hohmann, der sich mit der angeblichen Verstrickung von Juden in kommunistische Machtausübung beschäftigt hat. Es war eine wirre Rede, aber in aller Wirrnis dann doch eindeutig.

Das - auch für den Interviewer - "befremdliche" Verhalten der Ostdeutschen erklärt Gauck so: "Eine Folge dessen, was die historische Wissenschaft als Phänomen der longue durée kennt. Im Westen währte die braune Diktatur 12 Jahre, im Osten aber kamen noch 44 rote Jahre dazu. Die Länge der Dauer von Ohnmacht spielt eine Rolle."
Aha, viel schlimmer als die braunen waren die roten Jahre danach. Sie haben verheerende Folgen in den Mentalitäten der Ostdeutschen gezeitigt. Diese Jahre haben die Ossis zivilgesellschaftsfremd gemacht, den Diskursen der Zeit ferm und überhaupt - verformt. Das war bitter, denn bis heute ist ihre Sicht auf die Vergangenheit - zivilitätsfern "verklärt". Sie vergessen falsch, sie erinnern falsch.

Dass man auch anders sein konnte in der DDR, das hat Joachim Gauck - wie es scheint - als Einziger vorgelebt, obwohl auch er nicht zum Helden geboren war. Er wählte die Kirche als Wirkungsbereich, weniger weil er ein frommer Mensch war, sondern, weil sie Schutz bot: "Aber es stimmt, der Entschluss zum Beispiel, Theologie zu studieren, basiert letztlich darauf, dass ich Kirche als einen Raum größerer Freiheit erfahren habe - und Christen als vertrauenswürdiger als die, die in meinem Land das Sagen hatten."

Die Kompromisse machten andere
Dass unter dem Dach der Kirche allerlei möglich war, ist sicher richtig, aber auch das hatte seinen Preis, den andere zu zahlen hatten durch Verhandlungen mit den "Mächtigen". Manfred Stolpe war so einer. Von denen aber hält sich Gauck fern, er will schon immer ganz in der Gegnerschaft der widerwärtigen Roten Macht gewesen sein.

Heute ist er dafür anderen "Mächten" recht nahe. So hat sich die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten in NRW im Jahre 2005 gegen Gauck als Redner auf einer Gedenkveranstaltung in Dortmund-Bittermark gewandt. Unter anderen aus folgendem Grund:

Im April 1945 wurden in der Nähe von Gardelegen (Sachsen-Anhalt) von den NSDAP-Aktivisten Walter Biermann und Arno Brake gemeinsam mit weiteren Tätern über 1000 KZ-Häftlinge ermordet. Sie stammten aus den KZs Hannover -Stöcken und Mittelbau Dora.

Nach dem Einmarsch der US-Truppen floh der Haupttäter, NSDAP-Kreisleiter Gerhard Thiele, in die Bundesrepublik, wo er unter falschem Namen lebte. Erst nach seinem Tod gelang es einem Kriminalbeamten, Thieles Identität aufzudecken.

Walter Biermann und Arno Brake wurden im sächsischen Torgau zum Tode verurteilt, das Urteil wurde vollstreckt und sie sind anonym beerdigt worden.

Sie gehören zu jenen "Opfern", die Joachim Gauck im Jahre 2004 in einer Gedenkveranstaltung würdigte. Nachdem Anfang der neunziger Jahre in Torgau eine Gedenkstätte für die Opfer der Nazi-Militärjustiz geschaffen wurde, entstand eine Gedenkstätte auch für die nach 1945 eingesessenen Nazis, von denen eine Reihe wegen ihrer Verbrechen zum Tode verurteilt worden war. Das folgte der Logik des außerhalb Sachsens allgemein abgelehnten sächsischen Gedenkstättengesetzes und der Faschismus und Kommunismus gleichmachenden "Totalitarismustheorie". Er wurde eine Ausstellung für die Täter geschaffen, während die Ausstellung über die Opfer eingeschränkt wurde.

Der Vorsitzende der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz, Ludwig Baumann, schrieb aus diesem Anlass an Joachim Gauck, den vorgesehenen Redner für die Eröffnung. "Diese Ausstellung ist für unsere Opfer eine Beleidigung,

Gauck ließ es sich jedoch nicht nehmen, dabei mitzuwirken, aus der Gedenkstätte für die Opfer der Wehrmachtsjustiz in Torgau eine Gedenkstätte auch für die NS-Täter zu machen. Er ehrte also damit auch Täter, die an Massenverbrechen kurz vor Kriegsende beteiligt waren, an sog. Kriegsendphasenmorden. An Untaten, die dem Massaker der Gestapo kurz vor Kriegsende in der Dortmunder Bittermark und im Rombergpark vergleichbar waren, so die Kritik der VVN/BdA Nordrhein-Westfalen.

Gaucks Abstand zur DDR-Macht war seiner Persönlichkeit sehr von Nutzen. Er findet dafür Worte, die was von dem Weihrauch haben, der jene umweht, die das Fass immer in die eigene Richtung schwenken.

Es dampft ordentlich: "Menschen können mehr, als sie selber denken. In der Distanz zum System entsteht eine Kraft. Du spürst plötzlich, dass du auch etwas bist, wenn du deinen Werten treu bleibst. Mag sein, dass du damit nicht aufsteigst in der Gesellschaft. Aber du bist in einer Weise bei dir, dass die anderen dich anschauen mit dem Gefühl: "Oh, der hat etwas." Und dann sind sie dankbar dafür, denn sie träumen davon, auch ein Ich zu sein."
Rumms, Mensch der Joachim Gauck. Mit anderen Worten: Eigentlich war er schon immer ein mündiger Bürger ohne Staat, eigentlich ein Wessi. Der war schon ein Ich, als wir noch nachgemurmelt haben "Vom Ich zum Wir". Das hat ihn so kompatibel gemacht mit der westlich-diskursfreudigen, ständig auf Autonomie achtenden Zivilgesellschaft. Für ihn ist das "Ende der Geschichte" erreicht, die Freiheit errungen. Jetzt kann man nur noch Aufarbeiten.
Dass seine Eltern beide Mitglieder der NSDAP waren, las ich in der NZZ zum ersten Mal. Sicher, sicher, das war nicht so gemeint, sie waren Mitläufer. Das konzediert er ihnen. Den Menschen in der DDR hält er ihr Mittun andauernd mahnend vor.

Aber auch für die Hartnäckigen im Osten wird es bald soweit sein, meint er. Seinen historischen Optimismus - die Entwicklung der Ossis betreffend - hat er gekonnt mit einer Prise Gift versetzt.: "Wir werden über ein anderes Ostdeutschland sprechen, wenn alle, die hier im Osten leben, durch eine Schule gelaufen sind, in der man Klassensprecherinnen wählte und nicht mehr FDJ-Sekretärinnen. Hat sich das rausgelebt, wird es anders sein."
Na, das war doch ein zierlicher Florett-Hieb. Wie, was? Mag er Merkel nicht oder will er ihr persönliches Erinnerungsvermögen ein bisschen auffrischen? Hat sie die falschen Dinge vergessen? Ich finde ja auch, Merkel sollte endlich mal ein öffentliches Schuldbekenntnis ablegen. Große Geister machen das. Albert Speer zum Beispiel, der hat da schon was vorgelegt oder die Hitler-Sekretärin. Das sollte sie auch machen und dann wird er sie in einer Festrede "Gegen das Vergessen" - ganz gleich was - mit warmen Worten bedenken.

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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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