Literatur Dem britischen Pop-Autor zeichnet in seinem Roman "Juliet, Naked" wieder einmal das exakte Bild eines Fans, diesmal eines Internet-Junkies. Und doch fehlt etwas.
Die Ausgangssituation in Nick Hornbys mittlerweile sechstem Roman scheint in vielerlei Hinsicht verführerisch. In einer heruntergekommenen britischen Hafenstadt mit dem passend toten Namen Gooleness, schmoren Annie und Duncan seit 15 Jahren in einer Beziehung, die sie gleichermaßen als leblos empfinden, was teilweise auch daran liegt, dass da noch eine dritte Person eine Rolle spielt...
Duncan ist schon seit langem von dem amerikanischen Singer-Songwriter Tucker Crowe fasziniert, der nach seinem legendären Debütalbum Juliet von 1986 mysteriöserweise von der Bildfläche verschwand und nie wieder etwas veröffentlicht hat. Dies steigerte allerdings lediglich die Bewunderung, die ihm durch seine hauptsächlich aus Männern in den Vierzigern bestehende F
zigern bestehende Fangemeinde zuteil wurde. Doch obwohl die Website, die Duncan für sich und andere „Crowologen“ betreibt, über eine Rubrik „Aktuelles“ verfügt, gab es hier seit 20 Jahren keine neuen Einträge mehr. Es ist also leicht verständlich, dass Duncan im siebten Crow-Himmel schwebt, als er eine Vorab-CD von Juliet, Naked in die Hände bekommt: eine angeblich zur Veröffentlichung vorgesehene CD mit von Crowe mit der Akustik-Gitarre allein eingespielten Demo-Versionen aller auf dem Album enthaltenen Songs sowie zweier zusätzlicher, derselben Session entstammender und bislang unveröffentlichter Lieder.Die PointeStinksauer über Annie, weil sie sich das Album vor ihm angehört hat, beeilt er sich, eine erste ekstatische Besprechung auf seiner Website zu posten. Annie, deren Bewunderung für Crow wesentlich nüchterner ausfällt, charakterisiert Juliet, Naked" target="_blank">Juliet, Naked als „Juliet ohne das, was gut daran ist“ und veröffentlicht, irritiert von Duncans völlig unkritischer Verehrung und in wachsendem Bewusstsein, dass sie die vergangenen 15 Jahre mit diesem verbohrten Typen verschwendet hat, ihre eigene, wesentlich weniger schmeichelnde Besprechung. Als sie unverzüglich eine E-Mail von Tucker Crowe erhält, in der dieser sie in ihrer Meinung bestärkt, ist nicht nur sie geschockt.Zugegebenermaßen hatte ich zunächst gehofft, die Pointe von Hornbys Roman bestünde darin, dass Tucker Crowe niemals wirklich in Erscheinung treten würde. Sein rauer Humor speist sich hauptsächlich aus Hornbys perfekter Beobachtung und Beschreibung des männlichen Fantums und die beinahe schon unheimliche Art und Weise, mit der der Siegeszug des Internet diesem neue Ausdrucksmöglichkeiten verliehen hat. Horny gelingt es auf großartige Weise, die verrückte Dynamik, die die sich auf dem Messageboard der Fan-Seite entwickelt, sowie die Art und Weise zu beschreiben, wie das Netz Fans zu Stalkern werden und sie aus der geschützten Dunkelheit ihrer Schlafzimmer sogar Besitz von ihren Idolen ergreifen lässt. Es ist kein Witz, wenn Annie sagt, Duncan wisse mehr über Crowe als dieser selbst. Und Hornby weiß, wie eine derartige Besessenheit eine Beziehung belasten kann: Wenn Annie feststellt, dass sie die Sache mit Crowe schon lange akzeptiert habe, wie man eine Behinderung akzeptiert, dann weiß man alles über ihr Leben mit Duncan.Der Tucker Crowe, der Duncans Vorstellungswelt beherrscht, ist allerdings so überzeugend, dass es recht ernüchternd ist, schließlich den echten Tucker Crowe zu treffen, der irgendwo in den USA zusammen mit seinem sechsjährigen Sohn einen Einkaufswagen durch einen Supermarkt schiebt. Hierin besteht Hornbys Pointe: Idole sind immer nur so groß, wie die Fantasien, die wir auf sie projizieren. Aber leider kommt der Erzählfluss der Geschichte ins Stocken, als Tucker selbst als dritter Erzähler das Staffelholz übernimmt. Es ist wenig überraschend, dass Tucker selbst nicht an seinen Status glaubt und wie Annie der Ansicht ist, sein halbes Leben vergeudet zu haben. Und eigentlich könnte es ja durchaus spannend sein, welches dunkle Geheimnis 1986 wirklich zu seinem Untertauchen führte – aber irgendwie ist es nicht interessant genug.Der Anne Tyler-FanDas heißt aber nicht, dass es an dem Roman nichts zu bewundern gäbe. Keiner schreibt über Musik und die Gefühle, die sie freisetzt, wie Hornby. Und jedes Mal, wenn man denkt, er mache nun gleich etwas völlig Vorhersehbares, kriegt er gerade rechtzeitig noch einmal die Kurve. Die Begegnung zwischen Annie und Crowe gerät nicht schnulzig-romantisch, sondern schmerzhaft-real. Und die Köstlichkeit des Augenblicks, in dem Duncan klar wird, dass seine Ex-Freundin gerade mit seinem Idol zusammen ist, ist wohlverdient.Hornby hat in der Vergangenheit kein Geheimnis aus seiner Verehrung für die Schlichtheit und Seele des Werks von Anne Tyler gemacht. Beim Lesen von Hornbys Roman hätte ich mir ein bisschen von Tylers Doppeldeutigkeit gewünscht – von ihrer Fähigkeit, einen dazu zu bringen, sich Sorgen zu machen, zu hoffen, mitzufühlen. Wenn Hornby uns erzählt, was im Kopf seiner Figuren vor sich geht, ist es nicht so, dass man ihm nicht glauben würde, es lässt einem nur sehr wenig zu tun. Ich hätte mir Lücken gewünscht, Subtext und Ungewissheit. Das Gefühl, dass ein Roman zumindest zum Teil geschrieben wurde, weil sein Autor etwas für sich selbst herausfinden musste, wird für die Entstehung der Atmosphäre und der Spannung eines Textes oft unterschätzt. Hornby ist ein ausgesprochen versierter Schriftsteller, aber das nächste Mal würde ich gerne weniger über das lesen, was er schon für sich geklärt hat, als darüber, was er noch herausfinden muss.
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