Der Preis der Kooperation

Kulturkommentar Geltungsdrang oder 12.555 Euro für eine Anzeige. Es gibt viele Gründe, weshalb "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann glauben kann, an seiner Zeitung komme keiner vorbei

Wenn Udo Lindenberg, Alice Schwarzer, Bushido und Marius Müller-Westernhagen auch nicht viel gemeinsam haben mögen, so verbindet sie doch ihr öffentliches Engagement für die Bild-Zeitung: Sie alle haben in der einen oder anderen Form für ein Medium geworben, dem wir die Enthüllung verdanken, dass die Braut des englischen Thronfolgers bei ihrer Entjungferung nach Erbrochenem gerochen habe – beziehungsweise, um Bild zu zitieren, „nach Kotze“. Was soll man davon halten?"

"Rotzbüberei ist ein publizistisches Amt geworden"

„Wir stehen der Tatsache gegenüber, dass mit einer noch nie, seit es Lügner und Lumpen gibt, erlebten Schamlosigkeit der Selbstbehauptung aller Nihilität Dinge in die Welt gesetzt werden, die vordem nur das Zimmer verunreinigt hätten, und man kann mit einer Deutlichkeit, die annähernd an diese Mission hinanreicht, sagen: die Rotz­büberei ist ein publizistisches Amt geworden“, schrieb Karl Kraus 1925. Seine Kritik, die einem damals in Wien verlegten Revolverblatt galt, trifft auch auf die Bild-Zeitung zu. Mit ihrer Pöbelhaftigkeit hat sie sich durchgesetzt, so dass ihr Chefredakteur im aktuellen Spiegel triumphierend verkünden kann: „Heute sind wir nicht mehr nur Leitmedium in Sachen Sport und Unterhaltung, sondern auch im Bereich Politik und Wirtschaft. Wer gehört werden will, der kommt an ‚Bild’ nicht mehr vorbei (...).“

Doch es geht auch anders. Die Band Wir sind Helden ist von der Werbeagentur Jung von Matt eingeladen worden, Reklame für die Bild-Zeitung zu betreiben. Darauf hat Judith Holofernes, die Sängerin der Band, mit einem offenen Brief reagiert, der mit den erfrischend deutlichen Worten beginnt: „Ich glaub, es hackt.“ Man kann ihn nachlesen, auf der Website der Band, und wenn man nicht zu den zwölf Millionen Genießern gehört, die das Erbrochene vorziehen, das Kai Diekmann ihnen täglich serviert, dann kann man sich auch an der klaren Sprache dieser Absage erfreuen. Die Bild-Zeitung, schreibt Judith Holofernes, sei „kein augenzwinkernd zu betrachtendes Trash-Kulturgut und kein harmloses ‚Guilty Pleasure’ für wohlfrisierte Aufstreber, keine witzige soziale Referenz und kein Lifestyle-Zitat“, sondern „ein bösartiges Wesen“.

Dagegen ist inzwischen der recht klägliche Einwand erhoben worden, dass Judith Holofernes sich nur wichtigmachen wolle. Aber weshalb gibt es dann nicht ein paar Prominente mehr in Deutschland, die den Mut zu solcher Wichtigmacherei besitzen? Jedermann weiß, mit welchen Mitteln sich die Bild-Redaktion ihre Zuträger aus Sport, Unterhaltung, Politik und Wirtschaft gefügig zu machen pflegt, und es kommt selten vor, dass jemand ausschert und sich öffentlich distanziert. Die meisten kuschen; ob sie nun Angela Merkel, Benedikt XVI., Josef Ackermann, Wolfgang Huber, Margot Käßmann oder Franz Beckenbauer heißen.

Mit der gewohnten Weltoffenheit eines Organs, an dem auch die schärfste Kritik abprallt, hat Bild den offenen Brief sogleich in eine Werbeseite montiert und damit für sich Reklame gemacht, in der taz, die den Abdruck wiederum damit begründet hat, dass er ihr 12.555 Euro beschere. Am selben Tag hat Judith Holofernes in der taz erklärt: „Ich weiß, dass die Bild-Zeitung sehr gnadenlos umgeht mit Leuten, die nicht kooperieren.“ Wie gut, dass man jetzt auch weiß, zu welchem Preis die taz für eine Kooperation zu haben ist.

Von Gerhard Henschel stammt Der Gossenreport. Betriebsgeheimnisse der Bild-Zeitung (edition tiamat)

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