Auf dem Gangplatz

"Spiegel"-Prosa In keinem Beruf kann man so viel über Menschen wissen wie im Journalismus. Davon machte René Pfister Gebrauch. Ein szenischer Einstieg in die Nannen-Preis-Aberkennung

Es ist Freitagabend, Schauspielhaus Hamburg, das größte Theater nördlich der Alpen. „Henri Nannen Preis 2011“ steht im Leporello des Theaters, „Geschlossene Veranstaltung“. Ein Abendtermin wie ein Ritterschlag, Prominente aus Film, Fernsehen und Journalismus, Suzanne von Borsody, Cherno Jobatey. Wolf Schneider ist da, der Grandseigneur des Richtigschreibenkönnens, 85, sein weißes Haar leuchtet wie ein Spätsommerabend in der Toskana, so weise, so souverän, so lässig. Schneider soll für sein Lebenswerk geehrt werden.

René Pfister steht noch am Anfang, die Fotografen erkennen ihn nicht, er ist nicht einmal 40, seit sieben Jahren beim Spiegel. Pfister hat sich seinen Smoking geliehen für 150 Euro. In Müllheim, Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald, wo Pfister herkommt, gibt es noch nicht mal einen Kostümverleih, aber Smoking ist Pflicht, wenn man Kandidat für den renommiertesten deutschen Journalistenpreis ist. Pfister ist aufgeregt, er versucht sich nichts anmerken zu lassen. Sein Stück Am Stellpult ist in der Kategorie Beste Reportage nominiert. In Klammern: „Egon Erwin Kisch Preis“.

Das ist die Königsdisziplin, der Zehnkampf heute abend. Pfister könnte zum Daley Thompson werden, dem britischen Athleten, den er in seiner Kindheit bewundert hat, weil der immer gegen Jürgen Hingsen gewonnen hatte. Pfister würde selbst ins Scheinwerferlicht treten, unsterblich werden.

Er sähe ein bisschen aus wie Mathieu Amalric, sagen Journalistenkollegen bewundernd, wie der französische Filmstar, der im letzten James Bond einen fiesen Strippenzieher gespielt hat. Pfisters Text handelt auch von einem Strippenzieher, es geht um Horst Seehofer und darum, wie der CSU-Chef die Welt sieht, die er sich in seinem Hobbykeller als Modelleisenbahnwelt nachgebaut hat. Daher der Titel, Am Stellpult.

Pfister hat einen Platz am Gang zugewiesen bekommen, ein gutes Zeichen, dort sitzen die Preisträger, damit sie schneller nach vorne auf die Bühne können. „Und was, wenn sie allen Kandidaten Gangplätze gegeben haben?“, schießt es Pfister durch den Kopf.

Er ist kurz unsicher.

Dann denkt er an die Jury, die über den Preis entscheidet, zu der gehört nicht nur sein Chef, sondern auch einer, der Kister heißt, ein hohes Tier von der Süddeutschen, Kister reimt sich auf Pfister, das ist ein gutes Omen, denkt er sich. Auf der Bühne steht eine Frau, die er aus dem Fernsehen kennt, Bauernfeind oder so, Karin, die Haare etwas übertrieben gestylet, denkt sich Pfister. Dann hört er seinen Namen …

Liest sich halt besser

Geht das so? Szenischer Einstieg, dann kommt man besser rein, sagen die Richtigschreibenkönner. Ob das alles stimmt – Daley Thompson, kein Kostümverleih in Müllheim, 150 Euro? Keine Ahnung. Liest sich halt besser.

Worum es geht: René Pfister wird der Egon-Erwin-Kisch-Preis wieder aberkannt, weil die ersten drei Absätze seines Seehofer-Porträts, das zudem noch nicht mal eine Reportage ist, von einem Hobbykeller handeln, den er nie von innen gesehen hat.

Ein zulässiges Stilmittel? Spiegel-Prosa. Der Glaube, die Wirklichkeit am besten abbilden zu können, wenn man sie zum Krimi dramatisiert, ist an sich schon absurd. Liest sich halt schön. Katrin Bauerfeind hat das offenbar geglaubt, das mit dem Szenischen, deshalb hat sie auf der Bühne Pfister nach dem Besuch bei Seehofer gefragt. Jetzt haben Pfister, der Nannen-Preis und der Spiegel den Salat.

Hätte es die Aufregung auch gegeben, wenn Bauerfeind nicht gefragt hätte? Man sollte ihr den frei gewordenen Preis verleihen – für die beste investigative Leistung.

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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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