Furor bei GuttenPlag und Co.

Kommentar Wer vom kleinbürgerlichen Ressentiment nicht reden will, soll vom Plagiat schweigen: Über die Ähnlichkeit von Jäger und Fälscher

Die Jagd nach unausgewiesenen Zitaten in den Dissertationen Prominenter hat längst die Grenze von der Aufklärung zur Denunziation überschritten. Wer, außer Betriebswirtschaftlern und intellektuellen Masochisten, liest freiwillig ein Buch mit dem Titel Prozessorganisation und Prozesskooperation in der öffentlichen Verwaltung? So heißt die Doktorarbeit des niedersächsischen Kultusministers und Präsidenten der Kultusministerkonferenz, Bernd Althusmann (CDU), und zumindest ein paar Menschen müssen sie gelesen haben, weil sie andernfalls nicht als „Plagiat“ hätte entlarvt werden können. Nach Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), Silvana Koch-Mehrin (FDP) und deren Parteikollegen im Europaparlament, Jorge Chatzimarkakis, ist Althusmann der vierte prominente Politiker, der innerhalb weniger Monate des geistigen Diebstahls bezichtigt worden ist. Guttenberg und Koch-Mehrin wurden durch die Plagiatsaffären entmachtet, Chatzimarkakis und Althusmann haben Ungenauigkeiten beim Zitieren eingestanden, den Vorwurf der Urheberrechtsverletzung aber zurückgewiesen. Chatzimarkakis hat es nichts genützt, dieses Woche wurde ihm der Doktortitel aberkannt.

Freiheit des Gedankens

Indessen wird die Plagiatsdiskussion zu einer Grundsatzdebatte über den Mangel „wissenschaftlicher Redlichkeit“ an den Universitäten aufgebläht. Jeder Pausenaufsatz, so wird insinuiert, tauge zur Erlangung eines akademischen Grades, und windige Karrieristen nutzten die Mechanismen der Institution hemmungslos aus, während die ehrlichen Geistesarbeiter das Nachsehen hätten. Abgesehen davon, dass Qualifikationsarbeiten schon immer die Funktion hatten, betriebsgerechten Konformismus zu demonstrieren, zeugt das Pochen auf „Redlichkeit“ von einem kleinbürgerlichen Ressentiment, das der Sphäre des Geistes ebenso feindlich gegenübersteht wie Guttenbergs und Koch-Mehrins Textrecycling. Wer denkt, ist nicht redlich. Jeder Gedanke, der so genannt zu werden verdient, kündigt der Verantwortungsethik, die ihm im Namen von Fleiß und Redlichkeit verordnet werden soll, zugunsten seiner eigenen Konsequenz den Dienst. Doch gerade um solche Freiheit des Gedankens geht es den selbsternannten Plagiatsjägern nicht.

Es ist kein Zufall, dass der bevorzugte Ort für die Anprangerung „geistigen Diebstahls“ ausgerechnet das Internet ist, dessen intellektuelle Avantgarde dem Begriff des geistigen Eigentums sonst eher kritisch gegenübersteht. Plattformen wie GuttenPlag oder VroniPlag bieten allen, die sich beteiligen wollen, unter dem Schutz der Anonymität die Möglichkeit, beliebige Qualifikationsarbeiten nach vermeintlich unausgewiesenen Zitaten zu durchsuchen. Damit der „Fall“ ins Netz gestellt werden kann, genügt es, dass zehn Prozent des Textes auf diese Weise als „Plagiat“ identifiziert worden sind. Die Plagiatsjäger dagegen müssen in nichts anderem qualifiziert sein als in der Nutzung des Internet. Sie müssen nicht einschätzen können, welchen Stellenwert Zitate in den unterschiedlichen akademischen Disziplinen haben. Sie müssen den Text, den sie durchsuchen, nicht geistig durchdringen, um die Bruchstücke zu finden, auf die allein es ihnen ankommt. Sie suchen nicht auf Grundlage der Sache, sondern auf gut Glück. Gerade in dieser Beliebigkeit ähneln sie den Plagiatoren, die sie anprangern. Beide gemeinsam sind Symptom einer Welt, in der die Denunziation die Erkenntnis und die Willkür die Wahrheit ersetzt hat.

Magnus Klaues Dissertation Poetischer Enthusiasmus. Else Lasker-Schülers Ästhetik der Kolportage liegt seit Anfang Juli im Böhlau Verlag zur Plagiatsprüfung bereit

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