Technik durch Fortschritt

Lauschangriff Der Jazz hat seine Wurzeln in Amerika. Doch längst ist er eine Weltmusik. Diesen Januar treffen sich junge Musiker aus allen Winkeln des Globus zum "Winterjazz" in Köln

Niemand wird bestreiten, dass die Wurzeln des Jazz schwarz sind. Niemand stellt in Abrede, dass seine Geschichte von schwarzen Musikern geprägt worden ist. Doch der Schwarz-Weiß-Gegensatz ist längst aus dem Zentrum der Entwicklung dieser Kunstform herausgerückt und hat Platz gemacht für andere Dichotomien, die das Bild des Jazz der Gegenwart zu einem weit vielfältigeren, widersprüchlicheren Gebilde machen, als in seiner Kindheit.

Da ist der Gegensatz zwischen den bewahrenden Kräften, die das Erbe des Jazz zu konservieren trachten, auf der einen und den Grundlagenforschern auf der anderen Seite, denen keine Gewissheit endgültig ist und die jeden einzelnen Parameter des Musizierens auf den Prüfstand stellen – das Klangbild, die rhythmische Qualität des Swing, die formalen Rahmen der Blues- oder der Liedform, die tonalen Konventionen, die blaue Abfärbung einzelner Töne oder die Integrität des improvisierten Chorus.

Da ist weiterhin die Frage nach der richtigen Bewegungsweise, ternär schwingend oder mit binärer Wucht? Zudem ist der Jazz längst eine globalisierte Musik: Im Mutterland selbst treten in den letzten Jahren vermehrt Musiker auf, deren Eltern in den Sechzigern und Siebzigern aus Südasien in die USA eingewandert sind und die Improvisationskultur des Jazz mit musikalischen Elementen aus den Herkunftskulturen ihrer Vorfahren verknüpfen.

Und Amerika hat Konkurrenz bekommen, was die führende Rolle in Sachen Jazz angeht. Der Übertritt der Kunstform in die heiligen Hallen des „Schönen, Guten, Wahren“ und deren gleichzeitige Nobilitierung durch die Gründung von akademischen Ausbildungsstätten haben eine veränderte Jazzlandschaft geschaffen. Während Wynton Marsalis mit dem finanzkräftigen Lincoln Center im Rücken im Alleingang das Erbe in die Vitrinen packt und die museale Traditionspflege auf dem erforderlich hohen künstlerischen Niveau betreibt, ist Amerika zurückgefallen im Wettbewerb der neuralgischen Orte, an denen der Jazz seine Impulse erhält. Natürlich ist aufgrund der einzigartigen Häufung von Musikern noch immer New York die Stadt der Städte, aber in Übersee, in Europa etwa in Norwegen, Italien und Frankreich, haben sich längst Zentren gebildet, die den aktuellen Jazz zu einer Weltmusik im eigentlichen Sinne machen.

Eine Geschichte, die länger dauert, gestattet größere Freiheiten: Potenziell ist jetzt viel mehr möglich. Potenziell hat der Jazz die Schranken der Segregation übersprungen, und das Material, aus dem sich die Musiker bedienen, ist vielfältiger geworden. In allen Teilen der Welt arbeiten Musiker an neuen, aufregenden Spielweisen des Jazz.

Bisher geschieht das weitgehend unter Ausschluss der großen Öffentlichkeit, doch wird sich das ändern in dem Maß, wie junge Musiker in den verschiedenen Brennpunkten der Musik, in Berlin oder Oslo, in Paris oder Chicago, in Tokyo oder New York, auch daran arbeiten, ihre Ausstrahlung zu bündeln – und Events zu schaffen wie das neue „Winterjazz Köln“ an einem Abend im Januar. Wo solch eine kollektive Konzentration gelingt, wo auch über musikalische Ideen gestritten wird, da ist der Jazz möglicherweise lebendiger als je zuvor.

Winterjazz Köln am 13. Januar 2012 im Stadtgarten Köln zum ersten Mal mit: Christian Thomé Trio, Christina Fuchs No Tango, Jens Düppe Trio, Florian Weber Trio, Angelika Niescier Quartett sublim, Laia Genc Laison Tonique, Clemens Orth Trio, André Nendza Quintett, Tobias Christl Wildern, Anne Hartkamp Quintett, Ulla Oster anime, Peter Kahlenborn Trio

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