Einseitige Expertise

Rat in der Krise Wenn sich der Bock als Gärtner empfiehlt: Die Politik lässt sich in der Krise einseitig von wirtschaftsnahen Fachleuten beraten, kritisieren lobbykritische Organisationen

Schon im vergangenen Herbst sprach die Organisation Lobby Control mit Blick auf die Bemühungen zur Krisenbewältigung von „massiver Einflussnahme der Finanzbranche“. Gemeint war unter anderem der – später gescheiterte – Versuch von Angela Merkel, ausgerechnet den früheren Bundesbankpräsidenten Hans Tietmeyer an die Spitze einer Expertengruppe zu berufen, die Reformvorschläge für die internationalen Finanzmärkte formulieren sollte. Tietmeyer ist nicht nur Aufsichtsratsmitglied bei mehreren Finanzdienstleistern, er saß bis November 2008 auch im Kontrollgremium der schwer angeschlagenen Hypo Real Estate, die inzwischen über 100 Milliarden Euro staatliche Garantien und Beihilfen aus dem so genannten Rettungspaket der Bundesregierung benötigte.

Lobby-Kritik im Internet:
Lobbywatch-Europe.org
LobbyControl
Transparency International
Corporate Europa Observatory


Statt Tietmeyer leitet inzwischen Otmar Issing die Expertengruppe „Neue Finanzarchitektur“ – wie Tietmeyer ein Mann mit Bundesbank-Vergangenheit und dem Ruf, eingefleischter Monetarist zu sein. Issing berät seit einiger Zeit die Investmentbank Goldman Sachs und ist Präsident des Center für Financial Studies an der Goethe-Universität in Frankfurt, einem Institut, das von der Gesellschaft für Kapitalmarktforschung finanziert, der wiederum mehr als 80 Banken angehören. Neben Issing werkelten Jörg Asmussen, Jens Weidmann, William R. White, Jan Pieter Krahnen und Klaus Regling in Merkels Expertengruppe. Die Frankfurter Rundschau sprach angesichts der Namen von einer „wirtschaftsliberalen Truppe“ und nannte das Gremium einen „Deregulierungsrat“. Ein Hintergrundbericht von Thorsten Stegemann findet sich hier auf Telepolis.

Nicht anders sieht es auf europäischer Ebene aus. Die EU-Kommission verlässt sich nach Angaben mehrerer lobby-kritischer Gruppen zu einseitig auf Experten aus der Finanzindustrie. Einer Kurzstudie von Corporate Europe Observatory, Friends of the Earth Europe, LobbyControl und Spinwatch zufolge ist die achtköpfige Gruppe, die vor dem G20-Gipfel in London Anfang April Reformvorschläge für die Finanzmärkte entwickeln soll, „extrem einseitig besetzt“. In der so genannten Larosière-Kommission würden „kritische Perspektiven fehlen“, so die Studie – hier in Englisch als PDF.

Kritik wurde auch mit Blick auf den so genannten Deutschlandfonds laut, der kriselnden Unternehmen mit Krediten und Bürgschaften helfen soll. Die Besetzung des Lenkungsrates (hier ein Bericht der Financial Times) mit Altbekannten von Industrieverbänden und Politik war in der Presse zwar als einigermaßen ausgewogen dargestellt worden, diesem Urteil wollte sich Lobby Control allerdings nicht anschließen. „Großkonzerninteressen überwiegen deutlich“, so die Organisation, „kritische Stimmen bleiben auch hier außen vor“.


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