Bundeswehr im vordersten Graben

Afghanistan Durch einen von der Bundeswehr georderten Luftangriff auf zwei Tankzüge in Kundus sind fast 100 Menschen getötet worden. Kollateralschaden oder Kriegsverbrechen?

Keine militärische Operation könnte geeigneter sein, die neue Strategie des US-Oberkommandierenden für Afghanistan zu konterkarieren. General Stanley McChrystal will mehr Rücksicht auf die Zivilbevölkerung, besonders bei Angriffen aus der Luft. Was bei der Bombardierung von zwei Tankwagen im Norden Afghanistans in der Nacht vom 3. zum 4. September geschah, bezeugt das genaue Gegenteil. Womit zwei Fragen aufgeworfen sind. Wie realistisch ist diese neue Strategie? Sind die NATO-Kommandeure davon überzeugt, mit Augenmaß handeln zu müssen, wenn sie über Militärschläge entscheiden, bei denen Zivilisten in großer Zahl unter den Opfern sein können?

Beim Tankwagen-Angriff in der Provinz Kundus jedenfalls dürften derartige Erwägungen höchst irrelevant – geradezu abwegig – gewesen sein. Denn: Ob nun Taliban und Zivilisten oder nur Taliban im Umfeld der gekaperten Tankzüge waren, ob Zivilisten von den Taliban aufgefordert oder gezwungen wurden, sich mit Treibstoff zu versorgen, erscheint vollkommen sekundär. Entscheidend ist einzig und allein – wer einen Luftangriff gegen zwei mit Treibstoff beladene Tankwagen ordert, wer ein solches Ziel bombardieren lässt, sorgt für ein Inferno. Und muss das wissen. Ein derartiges Vorgehen fällt unter die vom Kriegs- und Völkerrecht geächtete grausame Kriegführung. Dagegen wurde verstoßen. Genau genommen wurde in der Nacht vom 3. zum 4. September 2009 in Kundus ein Kriegsverbrechen verübt, in das – allen Beschwichtigungen von Verteidigungsminister Jung (CDU) zum Trotz – deutsche Militärs verstrickt sind.

Das Bundeswehrkommando in Nordafghanistan muss mehr denn je mit einem Gegenschlag rechnen (der erste ist bereits erfolgt), hat es sich doch dank des Verhaltens seiner kommandierenden Offiziere in den vordersten Graben bugsiert. Ein mutwilliger Marsch an die Front, als wollten die Frontkämpfer der Heimatfront eröffnen, dass sie Krieger auf einem Kriegsschauplatz sind, der diesen Namen verdient. Nur mit welchem Ziel werden aus Kombattanten Krieger? Der Kampf gegen den Terrorismus lässt sich militärisch nicht gewinnen. Wenn acht Jahre Besatzung in Afghanistan nicht dazu gut waren, wenigstens das zu begreiflich zu machen – wozu dann? US-Präsident Obama und General McChrystal reagieren mit einer vermeintlich strategischen Zäsur, indem sie den bisherigen Krieg zum Wiederaufbau in einen kriegerischen Aufbau umwidmen, bei dem der Schutz der Zivilbevölkerung Priorität genießt. Kundus wurde zur Feuerprobe für dieses Konzept.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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