Deutsche Überschüsse: Die Schulden der anderen

Wachstum Das BIP in Deutschland ist überraschend stark gewachsen – dabei sind die Reallöhne weiter gefallen. Und die Exporte schaden den anderen Euro-Ländern

Die Euro-Krise spitzt sich weiter zu und hat diese Woche das Stadium der Hoffnungslosigkeit erreicht. Die ganz schlechte Nachricht kommt nicht aus Spanien, wo die regierende Spar-Partei in den Regionalwahlen eine Abfuhr erlitten hat und vor der Abwahl steht. Sie stammt auch nicht aus Italien, dessen Staatsschulden unter Abwertungsverdacht gestellt wurden. Nein, der Tiefschlag für den Euro steckt in den Zahlen, die das Statistische Bundesamt in Wiesbaden am Dienstag veröffentlicht hat.

Diese bestätigen zwar die Vorabmeldung vom 11. Mai, wonach Deutschland in den vergangenen vier Quartalen ein reales BIP-Wachstum von 5,2 Prozent erreicht hat. Das wäre an sich eine gute Meldung. Doch vor dem Hintergrund der Eurokrise sind die Details, welche das Bundesamt jetzt nachgeliefert hat, die reinste Katastrophe.
Das sind die entscheidenden Zahlen. Das BIP pro Arbeitsstunde ist um beachtliche 2,3 Prozent gestiegen. Der durchschnittliche reale Stundenlohn hingegen ist um 0,7 Prozent gesunken. Der deutsche Arbeitnehmer produziert somit zwar pro Stunde 2,1 Prozent mehr, musste aber einen realen Rückgang des Stundenlohnes um 0,7 Prozent hinnehmen. Diese beiden Zahlen spiegeln das aktuelle Kräfteverhältnis auf dem deutschen Arbeitsmarkt wider. Die Differenz kann langfristig nur durch (im aktuellen Fall um 2,8 BIP-Prozent) steigende Exportüberschüsse aufgefangen werden.

Kurzfristig gibt es zwar noch ein paar andere Möglichkeiten: Die Sparquote der deutschen Haushalte kann sinken. Das ist im abgelaufenen Jahr tatsächlich geschehen, was den Konsum um 0,5 BIP-Punkte erhöht hat. Ferner muss die Exportindustrie ab und an einen kleinen Zwischenspurt bei den Investitionen einlegen. Auch das ist geschehen, was die inländische Verwendung um rund 0,8 Prozentpunkte erhöht hat. Statt 2,8 hat deshalb der Exportüberschuss 1,5 BIP-Prozente zum BIP-Wachstum beigetragen.

Doch ob 2,8 oder 1,5 BIP-Prozente – entscheidend ist, dass Deutschlands Wirtschaft weiterhin auf Exportüberschüsse getrimmt ist. Das Land produziert entschieden mehr, als es an Konsum zulässt. Sogar ein Aufschwung von immerhin 5,2 Prozent hat die Kräfteverhältnisse um keinen Deut verändert beziehungsweise zugunsten der potentiellen Konsumnachfrage verbessert. Die deutschen Arbeitnehmer können zwar dank den Exporten und dank den Investitionen der Exportindustrie mehr und länger arbeiten. Aber die Lohnstückkosten gehen weiter zurück, die Kaufkraft pro Arbeitsstunde sinkt.

Und es gibt noch eine sehr schlechte Nachricht: Die Märkte haben auf die negativen Meldungen aus Wiesbaden nicht oder gar positiv reagiert. Das bedeutet, dass sie das realwirtschaftliche Einmaleins der Euro-Krise bis heute nicht begriffen haben: Solange Deutschland Leistungsbilanzüberschüsse (gegenüber den Euroländern) erzielt, können die übrigen Euroländer ihre Schulden nicht abbauen. Wenn Deutschlands Überschüsse sogar noch steigen, wird eine Rückzahlung der Schulden vollends illusorisch.
Wer das nicht merkt, kann nur noch auf Zeit spielen, den Kopf in den Sand stecken und so tun, als könnten Sparprogramme der Schulderländer die Gesetze des Marktes und die Regeln der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung außer Kraft setzen.

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