Leon Bridges wurde am 13.07.1989 in Atlanta geboren. Nach der High School begann er ein Studium am Tarrant County College in Fort Worth. „Ich hatte HipHop getanzt seit ich elf Jahre alt war“, erklärt er. „Ich wusste, dass es dort ein Dance-Programm gab und habe mich mit Ballett, Jazz und modernen Techniken beschäftigt und Choreographie gelernt. Ich dachte, das ist es, was ich machen will.“
Die ursprüngliche Inspiration brachte ihn allerdings schon bald wieder von diesem Weg ab. „Ein Freund von mir hatte jeden Tag sein Keyboard mit in der Schule dabei und wir machten kleine Jam Sessions. Wir improvisierten und ich fing damit an, meine Stimme zu finden“. Eines schönen Tages bat ihn eine Freundin, ein Auge auf ihre Gitarre zu werfen, während sie eine Unterrichtsstunde besuchte. „Ich fragte sie, ob sie mir einige Akkorde zeigen könnte. Und das machte sie: A Moll und E Moll. Ich verliebte mich in den Sound und so fing ich an, Songs zu schreiben: mit diesen beiden Akkorden.“
Dass sein musikalisches Fundament auf Moll-Tonarten gründet, ist bezeichnend. In einer Zeit, in der die Popmusik unter dem Joch von Mitsing-Melodien in Dur ächzt, offenbaren Bridges sehnsuchtsvoll-melancholische Kompositionen eine subtile Raffinesse, die mehr als erfrischend ist. „Angesichts meiner Naivität im Umgang mit der Gitarre und meinem nicht vorhandenen technischen Wissen, musste das Songwriting, die Melodie und die Interpretation auf den Punkt perfekt sein, damit etwas dabei herauskommt, das glänzt und erstrahlt“, erklärt er.
Als er einige Stücke fertig hatte, wurde ein vermeintlicher Gegensatz deutlich: die Songs klangen überhaupt nicht nach dem aktuellen R&B, mit dem er aufgewachsen war, sondern wie ein Musikstil, in dem er sich eigentlich kaum auskannte: klassischer Soul. Auch sein feines und wählerisches Gespür für Mode fügte sich mit Songs, die er schrieb, in ein homogenes Gesamtbild. Die ersten Schritte als Azubi im Live-Musikbusiness unternahm er mit Auftritten in Cafés in und um Fort Worth. In dieser Zeit entwickelte er langsam ein Gefühl für seine Stimme und die Möglichkeiten, sie zu verfeinern.
Einen frühen Wendepunkt in seiner Musikkarriere verdankte er schließlich einem Paar Hosen. In einer Bar in Austin sprach ihn eines Abends eine junge Frau an, die ihm ein Kompliment für seine schicken Wrangler‘s machte und Leon bat, doch ihren Freund Austin Jenkins, Gitarrist der Indierockband White Denim, kennen zu lernen. „Ich hatte damals noch nie etwas von White Denim gehört“, erinnert sich Bridges, „aber ich machte mich schlau und fand, dass sie interessante Musik machten.“
Nachdem Jenkins und seine Bandkollege Joshua Block einen Low-Key-Auftritt von Bridges besucht hatten, bestanden sie darauf, dass er in ihr Studio kommen sollte und ein paar Tracks mit Hilfe ihres Vintage Studio-Equipment aufnehmen sollte. Die ursprüngliche, dreitägige Session, die Jenkins und Block produzierten, hatte jene Aufnahmen zum Ergebnis, die Bridges große Aufmerksamkeit einbringen sollte, sowohl bei Musik-Aficionados als auch bei Labels. Mit dem butterweichen, verführerischen „Coming Home“ und dem Doo-Wop-esken „Better Man“ stellte Bridges von Beginn an seine Vielseitigkeit unter Beweis.
Nach vielen Konsultationen und Beratungen unterschrieb Leon Bridges schließlich beim Sony Music-Label Columbia Records, u.a. Heimat eines seiner großen Helden, Bob Dylan. „Bei Columbia stehen Künstler unter Vertag, zu denen ich aufschaue, wie Adele und Pharrell, aber auch Raphael Saadiq and John Legend“, erläutert er. „Die Kunst genießt dort einen sehr hohen Stellenwert, man fühlt sich wie zu Hause“, sagt Bridges.
Anfang 2015 erschien mit „Lisa Sawyer“ ein neuer Song, der Bridges Ruf, ein viel versprechender Musiker mit großer Zukunft zu sein, weiter aufpolierte. Das Stück, mit seinen Besen gespielten Snares und den schimmernden Bläsern, war fraglos eine beeindruckend selbstsichere Veröffentlichung für ein so junges Talent. „Lisa Sawyer“ ist ein Lied über seine Mutter, einer Frau „mit dem Teint eines süßen Pralinés“ und könnte aus Allen Toussaints Produktionen-Zeit für den großen Lee Dorsey stammen.
„Lisa Sawyer“ verbindet das Heilige und das Säkulare – angesichts seiner Tage als aktiver Kirchgänger sicherlich keine allzu große Überraschung. Und indem er mit großer Präzision Songs über seine eigene Familie schreibt, erzählt sein Werk auch von den Erfahrungen der Afro-Amerikaner in den Vereinigten Staaten. „Ich fühle mich oft unsicher, weil ich nicht eine dieser großen, kraftvollen Stimmen habe“, gibt er zu. „Ich bin auch kein ‚Shouter‘. Ich verlasse mich darauf, dass es mir durch die Phrasierung geling, meine Gefühle zu vermitteln.“
Bridges setzt auf Behutsamkeit anstatt Kraft. „Das ist wohl der Grund, warum ich mit Sam Cooke verglichen werde.“ Der Name Sam Cooke tauchte von Anfang an regelmäßig in seinen Presse-Reviews auf. Der Vergleich mag durchaus passend sein, aber beruht nicht auf Vorsätzlichkeit. „Als ich ‚Lisa Sawyer‘ schrieb, wusste ich überhaupt nichts über alte Soulmusik“, sagt Leon. „Ich wurde gefragt, ob Sam Cooke eine meiner Inspirationen war, und ich musste ‚Nein‘ sagen, weil ich nur Sam Cookes ‚A Change Is Gonna Come‘ aus dem Film ‚Malcolm X‘ kannte, den ich mit meinem Vater gesehen hatte. Doch aufgrund der Fragen nach Sam Cooke und Otis Redding begann ich damit, mich intensiv mit Soulmusik der Fünfziger und Sechziger zu beschäftigen. Und mir wurde klar, dass es tatsächlich die Roots von dem sind, was ich mache.“
Doch lässt sich das Phänomen erklären, dass Bridges instinktiv eine Tradition fortführte, deren Existenz ihm lediglich vage bekannt war? „Es spricht für das Talent, das Gott mir zu Teil werden ließ”, erklärt Leon und wählt seine Worte dabei mit Bedacht. „Es macht mich demütig und beeindruckt mich zugleich, dass ich mich an etwas bediente, von dem ich nicht wirklich etwas wusste.“ Unter den bemerkenswerten Schwarz-weiß-Aufnahmen, die Leons öffentlichen Auftritt illustrieren, sticht eine Fotografie heraus. Sie zeigt Bridges, wie er einen sonnenbeschienenen Bürgersteig hinunter schlendert, doch sein Schatten fällt nicht hinter ihm auf Wand und Boden, sondern in die Richtung, in die er schreitet. Man könnte die Aufnahme nun dahin gehend interpretieren, dass Bridges nicht von der Vergangenheit davon läuft, sondern vorwärts, seine eigene Familiengeschichte und die die Tradition des Soul aber stets im Blick. Seine Vorfahren und seine Vorgeschichte gehen immer mit ihm. „Sie sind immer bei mir“, bestätigt er.