Wer sich in Berliner Szenevierteln herumtreibt, wird sie dort nicht finden. Denn Jessica Gall, eine junge Frau von knapp 30 Jahren, geboren in einer Musikerfamilie, hat einen anderen Weg gewählt. Sie ist Mutter zweier Kinder und dennoch professionelle Sängerin. Ihr Alltag ist facettenreich, bodenständig und modern.
Sie ist eigentlich die echte Berlinerin. Geboren 1980 in Berlin-Friedrichshain. Ihre Großmutter gibt ihr mit 6 Jahren ersten Klavierunterricht. Es folgen kleine Engagements in Bühnenshows des Vaters. Jessica Gall blickt in der Familienchronik zurück: "Ich habe meine ersten Vokalaufnahmen für den familieninternen (Gospel)Chor im Studio meines Vaters im Alter von 7 oder 8 eingesungen."
1992 bekommt sie ein Saxophon geschenkt und lernt bei einem der RIAS Big Band Workshops Jiggs Whigham kennen, der sie auffordert ihr Spiel zu professionalisieren. Diese Anregung bleibt im Kopf verhaftet, doch es sollte die Stimme werden. 2001, just nach ersten eigenen musikalischen Bandgründungen und einem hingeschmissenen Abitur, nimmt Jessica Gall ihr Studium an der Hochschule für Musik Hanns Eisler auf, eben jenem Ort, an welchem ihre Großmutter in den 50er Jahren und später auch ihr Vater Musik studierten.
Noch heute erinnert sich Jessica Gall gerne an die Worte ihrer verstorbenen Großmutter, den eigenen musikalischen Weg im Auge zu behalten. "Irgendwie kam ich da auch nicht drum herum, denn meine Eltern, die ja beide Sänger sind, haben zum Frühstück gerne Marvin Gaye oder auch Aretha gehört. Ich wurde da förmlich geimpft und habe in der Folge meine eigenen Klänge gesucht."
Während ihr Debüt Just like you noch von Coversongs geprägt war, hat sie sich mit ihrem zweiten Album Little Big Soul gedanklich von solchen Konzepten verabschiedet und mit dem Produzenten Robert Matt und ihrem Pianisten Bene Aperdannier einen neuen Klangkosmos geschaffen.
Anders als bei ihren letzten beiden Alben schöpfte sie die Musik für Riviera nicht mit einem größeren Team aus verschiedenen Musikern, sondern vertraute im Teamwork ausschließlich auf den Pianisten und Produzenten Robert Matt, mit dem sie auch einige neue Studiofinessen auslotete: "Wir haben oft mit akustischen Sounds experimentiert, etwa mit Loops, die wir aus dem Klang von Tellern oder den angeschlagenen Saiten des Flügels gebaut haben." Gerade in der intensiven Produktionsarbeit ist zu spüren, dass die Sängerin im letzten Jahr durch eine nachdenkliche Zeit gegangen ist.
Nach wie vor steht im Zentrum natürlich die Vokalkunst. Jessica Gall hat zwar Jazz studiert, doch von Beginn legte sie Wert darauf, sich auch Freiheiten in Richtung Pop herauszunehmen und so zu einer ganz individuellen, vielschichtigen Sprache zu finden, von der auch Riviera in jedem einzelnen Song lebt. Ihr innerliches, delikates Timbre spiegelt ein reiches Spektrum von Gefühlszuständen. "Shouten oder Belten liegt mir nicht, am Echtesten komme ich rüber, wenn ich mit meiner Stimme Geschichten transportieren kann", gibt sie zu.