Vorwort
Männlichkeit in Amerika am Ende einer Ära
Auf die Frage nach dem Thema meines neuen Buches brauche ich nur die drei Wörter des Titels nennen, und schon bekomme ich zu hören, dass meine Gesprächspartner blindwütigen Angriffen ausgesetzt waren, dass sie täglich Zeugen von Unhöflichkeit sind oder selbst unhöflich behandelt werden, dass sie mit Empörung konfrontiert sind, dass sie sich selbst empören und das auch zum Ausdruck bringen. Ich höre unzählige Geschichten über brüllende Kongressabgeordnete, wütende Fernsehmoderatoren und tobende Radiosprecher. Die Leute erzählen mir von wutentbrannten Demonstranten und ebenso wütenden Gegendemonstranten. Sie berichten von mörderischem Fahrverhalten auf der Autobahn und dass sie Angst haben, auf der Tribüne zu sitzen oder am Spielfeldrand zu stehen, wenn ihre Kinder Hockey oder Fußball spielen. Auch beschweren sie sich fast alle über die Trolle im Internet, die auf Nachrichtenwebsites oder in Blogs lauern und über jeden herfallen, der nicht ihrer Meinung ist.
Und sie sagen, dass sie heute zorniger sind als früher. Einige sind darüber beunruhigt, dass sie viel zorniger sind, als es ihre Eltern ihrer Erinnerung nach waren. Andere versuchen, zwischen politischem Zorn und Zorn auf die eigene Familie zu unterscheiden, wenngleich diese Grenze einigen verschwommen vorkommt. »Die Nation leidet unter erhöhtem Blutdruck«, sagt mein Freund Dan, ein Arzt, der zu physiologischen Metaphern neigt. »Er ist beängstigend hoch. Man sollte kulturelle Betablocker verabreichen.«
Der wachsende Zorn in Amerika wird bereits allgemein (und zornig) diagnostiziert. Experten geben die Schuld gierigen Konzernen, blockierten Parlamenten, gefühllosen und ungehaltenen Landes- und Kommunalregierungen, einem demografischen Wandel, der die alteingesessenen Amerikaner zur Weißglut bringt, und diversen Gruppen, die sich nur für ihre eigenen Interessen einsetzen. Meistens werden »die anderen« verantwortlich gemacht: irgendwelche Gruppen, Organisationen, Institutionen, die sich so ungeheuerlich verhalten, dass sich völlig im Recht fühlt, wer sich über sie empört. Die betroffenen Gruppen oder Personen wechseln; aber die Suche nach Sündenböcken ist zum Volkssport geworden.
Ich gebe zu, dass auch ich zornig bin. Ich bin zornig über die Scheinheiligkeit, mit der die Kirchen Pädophile schützen. Ich werde zornig, wenn ich mich am Telefon wieder einmal durch ein Menü von Optionen quälen muss. Ich bekomme einen gerechten Zorn, wenn verrückte Autofahrer drei Mal die Spur wechseln, um eine Wagenlänge zu gewinnen, und empöre mich über politische Blockaden und schmierige Politiker. Ich werde leicht wütend, wenn ich den Pförtner in einem Amt nach einer Zimmernummer frage oder den Wirt in einem Restaurant um einen Tisch bitte und sie auf mein harmloses Ansinnen mit einem vernehmlichen Seufzer reagieren, anstatt einfach ihren Job zu tun. Ich bin kein griesgrämiger Mensch, aber manchmal habe ich das Gefühl, jeder zweite Mensch sei eingebildet, arrogant, eine Nervensäge oder politisch ahnungslos und manchmal auch all das zusammen.
Politik macht mich oft zornig, und das ist wirklich kein Wunder. Ich war empört über die unnachgiebigen republikanischen Obstruktionspolitiker im Kongress, die nicht zugeben wollten, dass der Präsident durch seinen triumphalen Wahlsieg über Mitt Romney einen Regierungsauftrag bekommen hatte. Und ich war verärgert über die windelweiche, rückgratlose demokratische Mehrheit, die ihrem Regierungsauftrag offenbar nicht gerecht wurde. Ich schäume vor Wut über den übermäßigen politischen Einfluss, den eine gut organisierte Horde von Waffennarren in diesem Land immer noch hat, obwohl eine Mehrheit der Bevölkerung inzwischen anderer Meinung ist als sie.
Natürlich habe ich auch andere Gefühle als Zorn. Ich empfinde Trauer, wenn ich lese, dass schwarze Jugendliche von der Polizei erschossen werden; Mitleid, wenn Schwule und Lesben immer noch gewaltsamen Angriffen hasserfüllter Nachbarn ausgesetzt sind, nur weil sie lieben, wen sie lieben. Es zerreißt mir das Herz, wenn ich höre, dass Frauen vergewaltigt, geschlagen und ermordet werden, und das oft von den Männern, die behaupten, sie zu lieben. Ich bin entsetzt, wenn Menschen in die Luft gesprengt werden, die einfach nur an einem Marathonlauf teilnehmen, oder Kinder massakriert, nur weil sie gerade in der Schule sind.
Dennoch bin ich mir bewusst, dass es für Nichtweiße, Frauen, Schwule, Bisexuelle oder Transsexuelle (LGBT) vermutlich niemals leichter war, in den Vereinigten Staaten zu leben. Ja, es stimmt: Alte Gewohnheiten lassen sich schwer überwinden und alte Vorurteile vielleicht noch schwerer. Doch es ist ziemlich leicht zu beweisen, dass in den USA in Bezug auf Rasse, Geschlecht oder sexuelle Orientierung noch nie größere Gleichberechtigung herrschte. (Die Klassenzugehörigkeit steht auf einem anderen Blatt und von ihr wird in diesem Buch auch die Rede sein.) Ich bin also nicht nur zornig, sondern auch froh, froh, in einer Zeit zu leben, in der ein Schwarzer im Weißen Haus sitzt, in der Frauen Regierungs- und Konzernchefinnen sind und in der sich lesbische Frauen und schwule Männer offen zu ihrer Liebe bekennen.
Das heißt keineswegs, dass wir in einem postrassistischen, postfeministischen, Bürgerrechts-Utopia »angekommen« wären; und es heißt noch weniger, dass jemand einen mysteriösen Schalter umgelegt hätte und nun plötzlich Weiße oder Heterosexuelle die neuen Opfer einer »Agenda« wären, die die Welt auf den Kopf stellen würde. Ich sage nur, dass Frauen in unserer Gesellschaft heute mehr Sicherheit haben, als sie je hatten, dass LGBT mit mehr Akzeptanz begegnet wird und sie mehr Freiheit haben, ihre Liebe zu leben. Und ich sage, dass rassische und ethnische Minderheiten in ihrem Bestreben, sich voll in die amerikanische Gesellschaft zu integrieren, auf weniger Hindernisse stoßen als je zuvor.
Freilich bin ich von Natur aus Optimist. Und ich habe als Hochschullehrer wie als Aktivist oft das Gefühl, dass Optimismus zu meiner Jobbeschreibung gehört. Als Aktivist bin ich der Ansicht, dass die US-amerikanische Gesellschaft durch beharrlichen Kampf so verändert werden kann, dass sie ihrem Versprechen von Freiheit und Gerechtigkeit für alle besser gerecht wird. Und als Hochschullehrer glaube ich, dass ich meine Studenten zu einer kritischeren Auseinandersetzung mit der Welt inspirieren und ihnen das notwendige geistige Werkzeug mitgeben kann. Das wird ihnen guttun, ganz gleich, für welches Leben sie sich entscheiden und was für eine politische und ethische Orientierung sie haben mögen.
Es besteht kein Zweifel, dass der Lauf der Geschichte zu mehr Gleichberechtigung führt, langsam und sprunghaft zwar, aber letztlich unvermeidlich.
Womit wir beim Untertitel dieses Buches wären, das von der amerikanischen Männlichkeit »am Ende einer Ära« handelt. Was für eine Ära ist es, die da zu Ende geht? Warum geht sie zu Ende? Und ist es gut oder schlecht, dass sie zu Ende geht?
In gewisser Hinsicht kommen diese Fragen zu spät. Ich spreche von keinem Wandel, der noch bevorsteht, sondern von einem, der schon fast gänzlich eingetreten ist. Er ist eine vollendete Tatsache. Die Ära des unhinterfragten, bedingungslosen männlichen Anspruchs auf Vorzugsbehandlung ist vorbei. Dieses Buch handelt von den Männern, die das entweder noch nicht wissen oder spüren, dass sich der Wind gedreht hat und sich der Flut entgegenstemmen wollen.
Das Ende der genannten Ära stellt alle weißen heterosexuellen Männer, die von der extremen sozialen Ungleichheit profitiert haben, die die amerikanische Gesellschaft so lange geprägt hat, vor eine Wahl. Sie wissen, wie die Zukunft in 20 Jahren aussehen wird: Die gleichgeschlechtliche Ehe wird Bundesgesetz sein (aber weder die heterosexuelle Ehe noch die traditionelle Kernfamilie werden verschwinden), mindestens ein Viertel aller Verwaltungsratsmitglieder werden Frauen sein, die Universitäten und sogar das Militär werden Verfahren zur juristischen Verfolgung sexueller Übergriffe entwickelt haben, ehemals illegale Einwanderer werden die Möglichkeit haben, amerikanische Staatsbürger zu werden, und alle rassischen, ethnischen und religiösen Minderheiten werden besser integriert sein (vielleicht mit Ausnahme der Muslime, die leider vielleicht auch in 20 Jahren noch mit ungehemmtem Hass konfrontiert sein könnten).
Die Wahl, die wir als weiße heterosexuelle Männer zu treffen haben, ist deshalb einfach: Wir können uns gegen unseren Willen schreiend und strampelnd in diese Zukunft mit größerer Gleichberechtigung und größerer Freiheit für alle tragen, ziehen und zerren lassen, oder wir schwimmen mit dem Strom und finden heraus, dass die Zukunft in Wirklichkeit auch für uns besser ist. (Wie eine Fülle von Daten belegt, ist ein höheres Niveau an geschlechtlicher Gleichberechtigung in der Ehe wie auch in anderen Beziehungsarten mit weniger Depressionen und mehr Glück verbunden.)
Dieses Buch handelt von den weißen Männern, die sich nicht einmal strampelnd und schreiend in die unvermeidliche Zukunft ziehen und zerren lassen wollen. Sie sind entsetzt, weil sich der Wind gedreht hat, und halten ein paar Wellen für einen Tsunami, der sie hinwegfegen wird.
Dieses Buch handelt davon, wie Rechtsansprüche aufgrund von Rasse oder Geschlecht den Blick verzerren können.
Rassische und geschlechtsspezifische Privilegien sind klassenunabhängig: Weiße Männer aus der Arbeiterschicht erleben sie vielleicht anders als weiße Männer aus der Oberschicht, doch es gibt zahlreiche Gemeinsamkeiten und Berührungspunkte. Weiße Männer aus allen Schichten profitieren von einem System, das auf der Ungleichheit der Rassen und Geschlechter beruht. Egal ob wir als weiße Männer Klempner oder Investmentbanker sind, wir sind mit der Erwartung aufgewachsen, dass die Welt gerecht ist, dass wir es durch harte Arbeit und Disziplin zu Wohlstand und Sicherheit bringen können. Es fällt uns schwer einzusehen, dass wir in Wirklichkeit von dramatischer Ungleichheit profitieren.
Stellen Sie sich vor, dass Sie bei einem Wettlauf mitmachen. Man sollte annehmen, dass für alle die gleichen Regeln gelten: Alle starten auf einer Linie und rennen, so schnell sie können, und die schnellsten Läufer gewinnen das Rennen. Sie wären empört, wenn manche Gruppen an einem anderen Punkt starten und ihn sogar selbst bestimmen dürften, wenn manchen Läufern die Füße zusammengebunden würden oder wenn ein Teil der Läufer mit Rückenwind und ein anderer mit starkem Gegenwind laufen müsste.
Es ist vielleicht schwer für uns weiße Männer einzusehen, dass wir, unabhängig von anderen Faktoren, die ganze Zeit mit Rückenwind gelaufen sind, und das, was wir für »fair« halten, in Wirklichkeit auf der Benachteiligung anderer beruht. Diese anderen machen sich über »Leistungsgerechtigkeit« und »Fairness« von Geburt an keine Illusionen. Sie wissen von Anfang an, dass das System zu ihrem Nachteil ausgelegt ist. Die Rennbahn ist zu ihren Ungunsten geneigt, wir weißen Männer sind immer bergab und mit Rückenwind gelaufen.
Anstrengungen, das Rennen gerechter zu gestalten, können sich für uns wie Gegenwind anfühlen, als ob plötzlich wir diskriminiert würden. Leistungsgerechtigkeit fühlt sich beschissen an, wenn man plötzlich zu den Verlierern gehört. Tatsächlich kommt sie einem dann gar nicht mehr wie Leistungsgerechtigkeit vor.
Es geht nicht so sehr darum, dass wir unsere Privilegien als ungeprüftes Geburtsrecht geerbt haben, als darum, welche Haltung wir in Bezug auf sie einnehmen. Selbst wenn wir uns gar nicht bewusst sind, dass wir Privilegien besitzen, meinen wir, ein Anrecht auf sie zu haben, fühlen uns berechtigt, die Führungspositionen zu besetzen.
Dass weiße heterosexuelle Männer privilegiert sind, bedeutet keineswegs, dass sich auch alle weißen heterosexuellen Männer privilegiert fühlen. Aber dass sich auch weiße heterosexuelle Männer ohnmächtig fühlen, steht nicht im Widerspruch zu der Tatsache, dass sie im Vergleich zu anderen Gruppen von Ungleichheit profitieren, also tatsächlich privilegiert sind.
Es ist jedoch genau diese privilegierte Ära, die zu Ende geht und die im Untertitel des Buches gemeint ist. Nicht die Ära der »Männer« geht zu Ende, wie es bei der Debatte schien, die kürzlich unter der irreführenden Überschrift »Das Ende der Männer« geführt wurde, sondern die Ära der weißen männlichen Vorrechte geht zu Ende, die Ära, in der ein junger Mann davon ausgehen konnte, dass er nicht nur in einer »Welt des Mannes«, sondern in einer Welt des weißen heterosexuellen Mannes lebte. Mittlerweile ist die Welt weniger von Männern beherrscht: Die weißen Männer müssen sich einen Teil des Raumes mit anderen teilen. Vor allem jedoch ist sie nicht mehr eine Welt der unhinterfragten männlichen Privilegien. Männer mögen immer noch »an der Macht« sein und viele Männer mögen sich immer noch ohnmächtig fühlen. Doch es ist das Gefühl, ein Anrecht auf Macht zu haben, das Gefühl, die Macht zu verdienen, auch wenn man vielleicht im Augenblick keine hat, das Gefühl, dass etwas Grundlegendes nicht stimmt, wenn man ohnmächtig bleibt, das zu Ende geht. Die Welt der Zukunft ist eine Welt der geringeren Erwartungen für alle weißen Männer, die so lange von einem System der Ungleichheit profitiert haben.
In dieser Generation von Männern gibt es immer noch viele, die sich durch das Ende ihrer alten Ansprüche betrogen fühlen. Sie meinen immer noch, ein Anrecht auf die alten Privilegien zu haben und identifizieren sich sozial und politisch mit den Schichten über ihnen, obwohl sie wirtschaftlich schon in Schichten abgesunken sind, die historisch unter ihren lagen.
Dieses Buch handelt von zornigen weißen Männern, die unter etwas leiden, was ich als »kränkende Enteignung« bezeichnen möchte. Sie meinen einen Anspruch zu haben, der nicht mehr erhoben werden kann und wahrscheinlich nie erfüllt werden wird. Es geht um Nachhutgefechte, um Wut und Bitterkeit, um Löcher im Deich, die man mit dem Finger zu stopfen sucht in dem vergeblichen Versuch, die anschwellende Flut von mehr Gleichberechtigung und Gerechtigkeit aufzuhalten.
Doch das Ende einer Ära ist der Beginn einer neuen. Das Ende des unhinterfragten männlichen Anspruchs auf Privilegien ist der Anfang vom Ende des Patriarchats, vom Ende des unhinterfragten männlichen Anspruchs auf Machtpositionen, auf Eckbüros, auf Frauenkörper, das Ende der beiläufigen Annahme, dass alle Positionen mit Macht, Reichtum und Einfluss für uns Männer reserviert seien und wir uns, wenn irgend möglich, gegen die Anwesenheit von Frauen zur Wehr setzen und sie nur tolerieren sollten, wenn Widerstand aussichtslos ist.
Meiner Ansicht nach gibt es für uns weiße Männer einen Ausweg: Wir können die Lautstärke herunterdrehen, unseren Zorn auf angemessenere Ziele richten und ein gesünderes und besseres Leben finden. Die Daten sprechen dafür, dass sich die meisten amerikanischen Männer in aller Stille und ohne großes ideologisches Tamtam in ihrem Privat- und Arbeitsleben an eine historisch beispiellose Gleichberechtigung der Geschlechter angepasst haben. Und wer diese Anpassung vollzogen hat, ist tatsächlich glücklicher: glücklicher über sein Leben als Vater, Partner und Freund. Wie sich herausstellt, ist die Gleichberechtigung der Rassen und Geschlechter nicht nur gut für Nichtweiße und Frauen, sondern auch für Weiße und Männer und insbesondere für unsere Kinder.
Womöglich ist es das, was der Schriftsteller Floyd Dell dachte, als er 1916, am Vorabend einer der großen New Yorker Demonstrationen für das Frauenwahlrecht, an seinem Schreibtisch in Greenwich Village saß. Der bekannte sozialkritische Schriftsteller war einer der Gründer der Men’s League for Woman Suffrage, deren Mitglieder zusammen mit den Frauen für das Frauenwahlrecht demonstrierten. In einem Artikel in der Zeitschrift Masses mit dem Titel »Feminism for Men« steht ein Satz, der ausdrückt, was ich meine:
»Der Feminismus wird es dem Mann erstmals ermöglichen, frei zu sein.«
Vielleicht müssen wir das heute ein bisschen einschränken und »freier« sagen, aber wir können auch glücklicher und gesünder und viel weniger zornig hinzufügen.
Brooklyn, New York
Mai 2013