Vorwort
von Angela Davis
Als ich Patrisse Khan-Cullors das erste Mal begegnete, ahnte ich nicht, dass sie innerhalb kurzer Zeit zusammen mit Alicia Garza und Opal Tometi zum Gesicht einer Bewegung werden würde, die unter dem Namen #BlackLivesMatter rasch in aller Welt von sich reden machen sollte. Ich konnte damals aber schon klar erkennen, dass Patrisse und ihre Mitstreiterinnen die schwarze und die linke Bewegung, inklusive der feministischen und queeren, auf eine neue, spannendere Ebene hoben. Denn sie setzten sich ernsthaft mit den Widersprüchen auseinander, die diese Bewegungen seit Generationen plagen.
In diesem Buch teilt Patrisse freimütig die privaten Details ihres Lebens und des Lebens derer, die ihr am Herzen liegen. Sie bezeugt ihre ungebrochene Hingabe für die Sache der Freiheit. Die Geschichten, die sie mit Asha Bandele erzählt, lassen verstehen, warum sie mit ihrer Art bei Organisation und Aufbau einer Menschenrechtsbewegung bereits so viele Unterstützer gewinnen konnte. Sie schildert, was passieren kann, wenn persönliche Erlebnisse und politischer Widerstand zusammenkommen. Die sie prägenden wiederholten Konfrontationen ihres Bruders mit gewaltbereiten Polizisten ermöglichen uns unter anderem, besser zu verstehen, wie staatliche Gewalt entsteht, wenn man beispielsweise schwarz und psychisch krank ist. Dass Patrisses Bruder Monte erst von Gummigeschossen getroffen und dann nach einer manischen Episode von der Polizei routinemäßig des Terrorismus bezichtigt wird, zeigt, wie leichtfertig Terrorverdacht von den Institutionen der weißen Vorherrschaft ausgesprochen wird. Wir lernen nicht nur die alltägliche staatliche Gewalt kennen, sondern erfahren auch, dass Kunst und Aktivismus solche tragischen Konfrontationen verwandeln können. In Katalysatoren für ein wachsendes kollektives Bewusstsein und in effektiveren Widerstand.
#BlackLivesMatter beleuchtet ein Leben, das zutiefst geprägt ist von Rasse, Gesellschaftsklasse, Gender, Sexualität, Behinderung und religiöser Anschauung. Und gleichzeitig unterstreicht das Buch die Kunst, die Poesie und auch die Kämpfe, die solch ein Leben hervorbringen kann. Denn nicht nur Patrisses Bruder wird als Terrorist bezeichnet.
Auch sie selbst, ihre Mitstreiter und Gefährten – darunter Alicia, Opal und die anderen Organisatoren und Aktivisten des Netzwerks und der Bewegung Black Lives Matter – werden für ihr Engagement und ihre Erfolge als Terroristen verunglimpft. Meines Wissens wurde noch nie ein rechtsextremer Gewalttäter von staatlicher seite als Terrorist bezeichnet. Weder die Schlächter, die Emmett Till auf dem Gewissen haben, noch die Bombenleger des Ku-Klux-Klan, die die Leben der jungen Mädchen Carole Robertson, Cynthia Wesley, Denise McNair und Addie Mae Collins auslöschten, wurden jemals als Terroristen angeklagt oder offiziell des Terrorismus bezichtigt. Stattdessen beschimpfte in den Siebzigerjahren Präsident Richard Nixon mich spontan als Terroristin und Assata Shakur wurde noch 2013 vom FBI zu den zehn gefährlichsten Terroristen weltweit gezählt.
Es gibt viele Lektionen, die man aus Patrisses Buch lernen kann, nicht zuletzt über politische Rhetorik. Schon der amerikanische Originaltitel, When They Call You a Terrorist, fordert die Leserschaft zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Begriff Terrorismus auf. Und dabei geht es nicht nur darum, wie diese Rhetorik zum Beispiel eine weltweite Welle der Islamophobie hervorgerufen und gerechtfertigt hat oder dass eine ausgewogene Betrachtung der anhaltenden Besatzung Palästinas verhindert wurde. Es geht auch darum, wie man versucht, die Anti-Rassismus-Bewegung in den USA zu diskreditieren. Gleichzeitig tut man rassistische, frauenfeindliche und transphobische Gewaltausbrüche als normal ab. Der scheinbar schlichte Satz »Black lives matter« hat die vermeintlich unumstrittene Grundhaltung zum logischen Zusammenhang von Gleichheit, Gerechtigkeit und Freiheit infrage gestellt – in den Vereinigten Staaten und überall auf der Welt.
Black Lives Matter ermutigt uns, die Qualität dieser vor allem westlich geprägten Logik zu hinterfragen, um historische Zwänge, im Rückblick auf Kolonialismus und Sklaverei, zu beseitigen. Diese Logik schlägt sich nieder in unseren philosophischen Gewissheiten und ideologischen Voraussetzungen wie auch in unserem gesamten Rechtssystem. So erlaubt Letzteres beispielsweise die Inhaftierung unverhältnismäßig vieler Schwarzer, Migranten von der Südhalbkugel und Menschen, deren Vorfahren erst vor relativ kurzer Zeit ins Land gekommen sind. Gerechtfertigt wird der strukturelle Rassismus solcher Praktiken mit Verweisen auf faire Gerichtsverfahren und andere vermeintlich gesetzlich festgeschriebene und garantierte Gleichheit.
Patrisse Khan-Cullors und ihre Mitstreiter bei Movement for Black Lives, einer Bewegung, die noch viele weitere Organisationen umfasst – darunter das Black Youth Project 100 und die Dream Defenders in Florida –, helfen dabei, Ziele zum Besten unseres Planeten zu entwickeln. Sie rufen zu einer Inklusion auf, die individuelle Eigenarten nicht übergeht. Sie wissen, dass universelle Freiheit ein ideal ist, das nicht ausgerechnet jene am besten vertreten, die bereits an der Spitze der rassischen, geschlechterspezifischen und gesellschaftlichen Hierarchien stehen, sondern jene, deren Leben am schärfsten von Unfreiheit und dem Kampf für die Befreiung aus diesem Zustand gezeichnet ist. Diese Erkenntnis und die gewaltige Kraft der Liebe bilden den Kern von Patrisses machtvollem Memoir.