Subjekt und Objekt

Leseprobe "Träten morgen die französischen Muslime zum Katholizismus über oder verzichteten auf jede Ausübung ihrer Religion, würde sich nichts an der rassistischen Denkweise ändern."
Subjekt und Objekt

Foto: Anne Gelbart/AFP/Getty Images

Die Islamophobie lässt den Rassismus alt aussehen

Der Ausdruck »Islamophobie« ist nun wirklich schlecht gewählt, um den Hass einiger Verrückter auf die Muslime zu bezeichnen. Er ist nicht nur unpassend, sondern auch gefährlich. Rein etymologisch gesehen bedeutet Islamophobie eigentlich »die Angst vor dem Islam«. Aber die Erfinder, Förderer und Benutzer dieses Ausdrucks wollen damit den Hass auf die Muslime anprangern. Weder »Muslimphobie« noch der weiter gefasste Begriff »Rassismus« konnten den Ausdruck »Islamophobie« verdrängen, obwohl beide aus etymologischer Sicht ein wenig präziser sind. Das ist merkwürdig, nicht wahr? Warum hat sich also der Begriff »Islamophobie« durchgesetzt? Bei einigen Menschen aus Unwissenheit, Bequemlichkeit oder aus Versehen; aber auch deshalb, weil viele Gegner der Islamophobie in Wirklichkeit nicht die Muslime als Individuen verteidigen, sondern die Religion des Propheten Mohammed.

Seit der Erfindung des Sündenbocks existiert der Rassismus in allen Ländern, und wahrscheinlich wird es immer Rassisten geben. Die Lösung besteht nicht darin, in den Köpfen aller Bürger noch den kleinsten Funken Rassismus ausfindig zu machen. Es geht darum, die Rassisten an der Verbreitung ihrer widerlichen Gedanken zu hindern und ihrem Anspruch auf ein »Recht«, Rassist zu sein und ihren Hass auszuleben, entgegenzutreten.

Die von Sarkozy ausgelöste Debatte über nationale Identität öffnete in Frankreich der rassistischen Sprache Tür und Tor. Wenn sich der höchste Vertreter des Staates an Idioten und Dreckskerle wendet und sie ermuntert: »Tut euch keinen Zwang an«, wie werden diese wohl reagieren? Sie sprechen dann öffentlich aus, was sie bisher nur im Anschluss an Familienessen, bei denen zu viel getrunken wurde, herausbrüllten. Vereinen, Politikern und Intellektuellen war es bisher gelungen, die rassistische Sprache auf den privaten Raum zwischen dem Mund eines Fremdenhassers und seiner Küchentür zu beschränken. Nun ist sie aber auf der Straße angekommen, hat sich in den Medien ausgebreitet und die Verbindungen der sozialen Netzwerke noch ein bisschen mehr verschmutzt.

Ja, wir erleben eine explosionsartige Zunahme rassistischer Äußerungen. Dabei wird das Wort »Rassismus« nur noch zögerlich verwendet. Eigentlich ist es auf dem besten Weg, durch »Islamophobie« ersetzt zu werden.

Wird eine verschleierte Frau beleidigt oder angegriffen, weil sie nach muslimischer Mode einen Schleier trägt (generell ist der nicht fassbare Angreifer der Beschreibung nach ein Skinhead), so unterstützt der Gegner der Islamophobie das Opfer, insofern die Frau eine Repräsentantin des Islam ist und nicht, weil sie eine Bürgerin ist, die von einem Faschisten wegen ihrer Überzeugungen attackiert wird. Das Schlimmste für ihren Verteidiger ist nicht, dass der Angriff einer Bürgerin gilt, die das Recht hat, sich zu kleiden, wie sie will, sondern dass er eine Frau muslimischen Glaubens zum Ziel hat. Das eigentliche Opfer ist daher der Islam. Dadurch steht Gott weit über dieser gläubigen Frau. Wird sie aber attackiert, so ist es Gott, den man beleidigen will. Und das ist für den aktiven Gegner der Islamophobie wirklich unerträglich.

Aus diesem Grund werden die Gegner der Islamophobie, von denen hier die Rede ist, nicht zu Gegnern der Muslimphobie gemacht. Sie betrachten die von ihnen verteidigten Muslime nur als Werkzeuge Gottes.

Das geschieht in einem solchen Ausmaß, dass der Eindruck entstehen könnte, Ausländer oder Staatsbürger ausländischer Herkunft werden in Frankreich nur noch deshalb angegriffen, weil sie Muslime sind ... Opfer des Rassismus, die von Roma abstammen oder aus Indien, Asien, Schwarzafrika, den Antillen usw. kommen, wären gut beraten, sich zu ihrem Schutz nach einer Religion umzusehen.

Die Anhänger des Kommunitarismus versuchen bei den Behörden der Justiz und Polizei den Begriff der »Islamophobie« durchzusetzen. Sie verfolgen dabei kein anderes Ziel, als die Opfer rassistischer Übergriffe dazu zu bringen, sich als Muslime zu bekennen. Dass Rassisten nebenbei auch noch Muslime hassen, das ist, mit Verlaub, schon fast nebensächlich. In erster Linie sind sie Rassisten, und über den Islam haben sie es vor allem auf den Fremden oder die Person mit Migrationshintergrund abgesehen. Schaut man ausschließlich auf die Islamophobie der Rassisten, bagatellisiert man die Gefahr des Rassismus. Der Rassismusgegner alter Schule wird allmählich zu einem Ladeninhaber mit hochspezialisiertem Angebot, gleichsam eine Minderheitenform der Diskriminierung. Der Kampf gegen den Rassismus ist ein Kampf gegen alle Arten von Rassismus. Wogegen kämpfen aber die Feinde der Islamophobie? Gegen die Kritik, die an der Religion geübt wird, oder gegen die Verachtung ihrer praktizierenden Gläubigen, weil sie ausländischer Herkunft sind? Während wir noch darüber diskutieren, ob die Charakterisierung des Korans als wertloses Buch eine Form des Rassismus sei oder nicht, lachen sich die Rassisten ins Fäustchen.

Träten morgen die französischen Muslime zum Katholizismus über oder verzichteten auf jede Ausübung ihrer Religion, würde sich nichts an der rassistischen Denkweise ändern: Fremde oder Franzosen ausländischer Herkunft werden auch dann immer noch für alle Übel verantwortlich gemacht.

Sehen wir uns beispielsweise Mouloud und Gérard an. Beide sind Muslime. Mouloud stammt aus dem Maghreb und kommt aus einer muslimischen Familie. Gérard stammt aus Europa und kommt aus einer katholischen Familie. Gérard ist zum Islam übergetreten. Beide wollen eine Wohnung mieten. Wer von ihnen hat wohl bei gleichem Einkommen die größere Chance, die Wohnung zu bekommen? Derjenige, der wie ein Araber aussieht, oder derjenige, der wie ein echter Franzose ausschaut? Nicht dem Muslim wird die Wohnung verweigert, sondern dem Araber. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass kein äußeres Merkmal auf die muslimische Religionszugehörigkeit des Arabers hinweist. Wie aber wird der Gegner der Islamophobie reagieren? Er wird lautstark auf die religiöse Diskriminierung hinweisen, anstatt gegen die rassistische Einstellung zu protestieren.

Rufen wir uns die einschlägige Stelle im französischen Strafgesetzbuch in Erinnerung:

»Diskriminierung ist jede Art von Unterscheidung natürlicher Personen nach Herkunft, Geschlecht, familiärer Situation, Schwangerschaft, Aussehen, Familienname, Gesundheitszustand, Behinderung, genetischen Merkmalen, Lebensweise, sexueller Orientierung oder Identität, Alter, politischen Meinungen, gewerkschaftlicher Tätigkeit, tatsächlicher oder vermeintlicher Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe, Nation, Rasse oder Religion.«

Wegen ihrer heimtückischen und unauffälligen Erscheinungsform ist von sozialer Diskriminierung viel weniger die Rede als von religiöser Diskriminierung. Und doch kommt sie in Frankreich viel häufiger vor. Bei der Einstellung neuer Angestellten sehen die Firmenchefs weniger auf die tatsächliche oder nur vermutete Religionszugehörigkeit, sondern beispielsweise auf ihren Wohnort. Wer hat bei gleicher fachlicher Eignung die größere Chance auf den Arbeitsplatz:

Mouloud, der im bürgerlich arrivierten Neuilly-sur-Seine wohnt, oder Mouloud, der im dichtbesiedelten Argenteuil mit seinen massiven Sozialproblemen wohnt? Aber wer spricht schon über diese Form der Diskriminierung? Es gibt eine massive Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sozialen Herkunft, aber unter ihnen gibt es – wie unter den Armen, die man nicht im eigenen Unternehmen, Stadtviertel und Wohnhaus sehen will – einen hohen Anteil von Personen mit Migrationshintergrund und darunter wiederum einen beträchtlichen Anteil von Personen muslimischer Herkunft. Für den Verfechter des Islam liegt das Problem bei der Islamophobie.

Vergleichen wir als Beispiel Mouloud und Abdelkader. Beide sind Muslime, beide ausländischer Herkunft, beide braungebrannter als Gérard. Mouloud ist völlig mittellos, Abdelkader Millionär. Wer von den beiden muss bei der Vermietung der Wohnung mit einer Ablehnung rechnen? Der Muslim Mouloud oder der Millionär Abdelkader?

Wir werden später noch darauf zu sprechen kommen, dass es notwendig ist, den Gebrauch der Begriffe »Islamophobie« und »Christianophobie« zurückzuweisen. Gilt das auch für die ebenfalls neu geprägten Begriffe »Homophobie« und »Negrophobie«? Denn der Sinn beider Ausdrücke ist nicht mehrdeutig, auch wenn die Angewohnheit, »-phobie« an das Wortende anzuhängen, völlig grotesk ist. Der allgemeine Wortgebrauch von »Homophobie« und »Negrophobie« meint nicht den Hass auf eine Ideologie oder eine Religion, sondern eindeutig den Hass auf Menschen. Die Homophobie ist nicht deshalb verwerflich, weil sie eine Kritik der Homosexualität sein könnte, sondern weil sie den Hass auf Homosexuelle ausdrückt. Spricht man von Negrophobie, dann zeigt sich auch hier der Hass auf Individuen, auf Menschen schwarzer Hautfarbe.

[...]

30.07.2015, 13:21

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