Arrogante Ignoranz

Leseprobe "Wir sind dabei, dieselben Fehler von einst zu wiederholen, als wir in einer Mischung aus Arroganz und Ignoranz in den 60er Jahren erst die Japaner und dann in den 80er Jahren die Koreaner unterschätzten."
Foto: Kevin Frayer/Getty Images
Foto: Kevin Frayer/Getty Images

Einleitung

Wer kennt Guo Guangchang? Wer hat jemals von einem Unternehmen mit dem Kürzel HNA gehört? Es sind hierzulande unbekannte Namen von chinesischen Managern und Konzernen. Müssen wir die wirklich kennen?

Ja, denn Guos Konzern Fosun ist an einigen deutschen Firmen beteiligt, ihm gehören außerdem der Club Med und der Cirque de Soleil. Und HNA ist vergangenes Jahr als Großaktionär bei der Deutschen Bank eingestiegen.

Ob Guo oder HNA – viele dieser roten Bosse und ihre Unternehmen mit den kryptischen und für uns meist austauschbaren Namen sollten uns vertraut sein. Sie sind schon heute die Aufkäufer unserer Unternehmen, und sie werden zunehmend zu den Konkurrenten unserer Unternehmen. Die beiden Volkswirtschaften Chinas und Deutschlands werden immer enger verflochten. Und China ist inzwischen die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt – und uns sagen nur wenige Namen von wichtigen Unternehmern, Managern oder von Konzernen etwas.

Wir sind dabei, dieselben Fehler von einst zu wiederholen, als wir in einer Mischung aus Arroganz und Ignoranz in den 60er Jahren erst die Japaner und dann in den 80er Jahren die Koreaner unterschätzten. Wer kannte damals schon Toyota oder Sony, wer Hyundai oder Samsung? Heute sind das Weltmarken.

Dieselbe Entwicklung werden auch chinesische Marken nehmen. Noch sind es wenige Brands aus China, die auf dem Weltmarkt auftauchen. Der ein oder andere hat schon mal von Haier, Hisense, Huawei oder Lenovo gehört oder sogar deren Produkte gekauft. Und es werden jedes Jahr mehr werden. Nach der Fortune-Liste haben schon heute 115 der 500 größten Unternehmen der Welt ihren Sitz in China. Sie stellen damit nach den Amerikanern mit derzeit 132 Unternehmen auf der Liste das größte Kontingent in der Top-Liga der umsatzstärksten Unternehmen der Welt.

Viele der chinesischen Konzerne stehen dabei erst am Anfang ihrer Internationalisierung. Sie mussten erst einmal auf ihrem großen Heimatmarkt bestehen und sich dort durchsetzen. Wer aber in China, im härtesten Markt der Welt, überlebt, ist auch gerüstet für den Weltmarkt. Wir werden also in den kommenden Jahren immer mehr chinesische Unternehmen kennen lernen, die hierzulande Unternehmen kaufen oder ihre Waren verkaufen wollen.

Und das werden keine Ramschwaren sein, wie noch viele Konsumenten naiv vermuten. Ware aus China ist gleich Billigware – diese Gleichung gilt längst nicht mehr. Wer heute noch Made in China nur mit Spielwaren oder Billigklamotten assoziiert, hat die Zeit verschlafen. Ja, auch Ramschwaren produzieren die Chinesen immer noch in gigantischen Mengen. Aber eben nicht mehr nur.

Aus der Fabrik der Welt ist zunehmend das Labor der Welt geworden. Eine Entwicklung, die vom mächtigen Staatsapparat gewollt und unterstützt wird. Chinas Führung, die weg will vom Billigimage ihrer Wirtschaft, spendiert milliardenschwere Förderprogramme und betreibt eine auf Schlüssel- und Zukunftsindustrien fokussierte Industriepolitik. Man muss nur das Programm Made in China 2025 anschauen – und man erfährt, in welchen zehn Schlüsselindustrien China an der Weltspitze stehen möchte. Und es sind – Deutschland, aufgewacht und aufgepasst! – gerade die Industrien, in denen wir uns (scheinbar) konkurrenzlos sicher fühlen.

Chinas Firmen flankieren damit die Politik ihres – so scheint es zumindest nach dem 19. Parteitag im Oktober 2017 – allmächtigen Führers Xi Jinping, der das Land zur alten Stärke führen will. Global operierende Konzerne spielen bei diesem Wiederaufstieg eine wichtige strategische Rolle.

Viele Firmen Chinas werden also technologisch gewaltig aufholen und damit unsere Konkurrenten werden. Im Internet sind Chinas Konzerne jetzt schon weltweit führend. WeChat – das ist der Messaging-Dienst von Tencent – ist dem westlichen Konkurrenten WhatsApp von Facebook weit voraus. Auch im E-Commerce setzt China bereits Maßstäbe. Alibaba unter dem charismatischen Gründer Jack Ma gilt als Benchmark der Branche. Ebenso trendsetzend ist China im noch jungen Bereich der Fintech-Industrie, also der Abwicklung von Finanzgeschäften (Bezahlen, Kreditvergabe, Geldanlage, Versicherungen) online. In China wird immer öfter mit dem Handy bezahlt. Das Land ist damit als eines der Ersten auf dem Weg in die bargeldlose Gesellschaft.

Bei Elektroautos wollen die Chinesen gleich den ganz großen Sprung nach vorne schaffen und mit der neuen Antriebstechnologie die westlichen Autokonzerne überholen. Sollte ihnen das gelingen, wäre das eine große Herausforderung, wenn nicht gar ein Desaster für die deutsche Autoindustrie.

Dies ist aber trotz allem kein Angstmacher-Buch. Sondern eher ein Weckruf, sich offensiver mit unseren neuen Konkurrenten auseinanderzusetzen, sie zu verstehen. Denn leider tragen Chinas Unternehmen – bis auf wenige Ausnahmen – wenig zur Aufklärung ihres Handelns bei und wundern sich angesichts ihrer schlechten oder nicht existenten Öffentlichkeitsarbeit, wenn man ihnen erstmal mit Misstrauen begegnet.

Wer steckt also hinter all diesen teilweise mystischen chinesischen Firmen, die immer mächtiger, aggressiver und internationaler werden?

Um das zu erfahren, bin ich mehrmals nach China gefahren. Ein Land, das ich seit rund 30 Jahren regelmäßig bereise, in dem ich immer mal wieder für kurze Zeitspannen lebte und deren Unternehmenswelt ich seit Jahrzehnten verfolge. Es war – wie zu erwarten – eine sehr ambivalente Recherche. Die einen, die Staatsunternehmen, sind total verschlossen. Über sie bekommt man Informationen nur aus zweiter Hand. Deshalb habe ich viele Gespräche mit Beratern, privaten Konkurrenten und westlichen Joint-Venture-Partnern geführt.

Etwas einfacher war hingegen der Kontakt zu den privaten Unternehmen des Landes. Vor allem die jungen Firmen aus der Internetwelt sind offen. Sie verstehen ihr PR-Handwerk. Sehr hilfreich war auch der elitäre China Entrepreneur Club, in dem die wichtigsten und größten Unternehmer des Landes vertreten sind. Die Vertreter dieses Clubs ermöglichten mir einen Blick hinter die Kulissen einiger großer Unternehmen Chinas.

Dabei war mir von vornherein klar: Es gibt nicht den chinesischen Manager und Unternehmer. Chinas Bosse sind vielmehr ein Mix aus interessanten, aber doch sehr unterschiedlichen Personen und Persönlichkeiten.

Da sind zum einen die älteren Gründer, die noch die Wirren der Kulturrevolution erlebt haben und dann mit den Reformen gewachsen sind. Meist sind es Selfmademen (und auch ein paar wenige -women), die sich aus ärmlichen Verhältnissen hochgearbeitet haben. Viele Tellerwäscherkarrieren sind darunter.

Da sind die jungen Entrepreneure, die nur das boomende China kennen und jede Möglichkeit nutzen, um reich zu werden. Sie sind oft exzellent – häufig im Ausland, meist in den USA – ausgebildet.

Und da sind die Bosse der Staatsunternehmen. Sie verkörpern eher den Typus Apparatschik, der zwischen der politischen und wirtschaftlichen Welt hin- und herpendelt und häufig nicht korruptionsfrei ist.

Bis auf Letztere sind alle reich, sehr reich sogar. Der Hurun-Report zählte soeben 647 Dollar-Milliardäre in China und damit inzwischen mehr als in den USA. Allein in Beijing leben 96 Dollar-Milliardäre. Weltweit liegt Chinas Hauptstadt damit auf Platz eins – noch vor der kapitalistischen Hochburg New York.

Mit ihren vielen Millionen können sie sich teure Hobbys und private Investitionen in aller Welt leisten. In Südfrankreich – vor allem rund um Bordeaux – kaufen sie ein Weingut nach dem anderen, in London, New York, Sydney und Vancouver Apartments und Villen in besten Lagen. Fußballvereine wie AC und Inter Mailand und Atlético Madrid sowie einige englische Premier-League-Clubs sind bereits – teilweise oder ganz – im Besitz chinesischer Milliardäre.

Und irgendwann kommt auch die Bundesliga in ihr Visier. Und irgendwann kaufen sie die Deutsche Bank. Und irgendwann attackiert ein chinesischer Konzern BMW oder Daimler.

Spätestens dann wird hierzulande hektisch gefragt werden: Wer ist das? Wer steckt dahinter? Warum sind die so unverschämt reich? Und müssen wir uns dagegen wehren – und wenn ja, wie? Oder – positiv gesehen – können wir sogar etwas von ihnen lernen?

Die Antworten auf diese Fragen von morgen kann dieses Buch auf den folgenden Seiten schon heute geben.

Wolfgang Hirn, Berlin

22.02.2018, 12:17

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