Einleitung
»Reiche« und »Normalverdiener« – gefangen in Fort Knox
Warum wir über die Funktion von Geld und Arbeit noch einmal neu nachdenken sollten
In unserer Gesellschaft wie auch in der Politik besteht Einverständnis darüber, dass jeder Mensch genug zu essen und zu trinken haben muss, dass er Kleidung, Wohnraum und medizinische Versorgung braucht, dass er Anspruch auf Zugang zu Information und zu einem Minimum an kulturellen Angeboten hat. All dies nicht etwa als Belohnung für gute Führung im Arbeits- und Alltagsleben, sondern weil die Sicherung dieser Grundbedürfnisse ein unveräußerliches Menschenrecht ist. Sieht man von der kleinen Fraktion Radikalliberaler ab, die jede Form sozialstaatlicher Unterstützung ablehnen, dann ist auch weitgehend unstrittig, dass dafür gegebenenfalls die Gemeinschaft (»der Staat«) einstehen muss. Strittig ist nur, ob an ein Geldeinkommen, das eine bescheidene, aber humane Existenz sichert, Bedingungen geknüpft werden müssen oder nicht.
Zwar wird die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) mittlerweile in fast allen im Parlament vertretenen Parteien diskutiert – und findet dort auch mehr oder minder große Fraktionen von teils sehr engagierten, teils eher bedächtigen Befürwortern. Es gibt zahlreiche Gruppen und Initiativen, die sich außerparlamentarisch für ein BGE engagieren. Seit 2016 gibt es zudem die »Einthemen-Partei« Bündnis Grundeinkommen, die ausschließlich mit der Forderung bei Wahlen kandidiert, das Thema BGE auf die Tagesordnung der Parlamente zu setzen. Ebenso spricht sich inzwischen eine ganze Reihe prominenter Vertreter aus der Wirtschaft für die Einführung eines Grundeinkommens aus. In den Medien wird das Thema ohnehin seit Längerem breit diskutiert. Und je nach Umfrage befürworten heute auch fünfzig bis sechzig Prozent der Deutschen die Einführung eines Grundeinkommens.
Insofern könnte ich, der ich die Idee nun seit fast zwanzig Jahren öffentlich vertrete, einfach sagen: Nur zu! Traut euch endlich! Ich könnte bezüglich der Details einer Einführung und Ausgestaltung des BGE auf die Themenkompetenz in Parteien wie den Grünen oder der Linkspartei setzen, ansatzweise auch in der FDP (dort nennt man das Kind »Bürgergeld«, wohinter sich freilich ein eher rigides Konzept verbirgt) und in der CDU (da gab es vor Jahren immerhin mal eine vom ehemaligen sachsen-anhaltinischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus geleitete Kommission zum Thema). Ich könnte vielleicht noch erzählen, wie ich und andere sogar einige aus der aktiven Politik ausgeschiedene Sozialdemokraten für die Idee erwärmen konnten – während sich ihre Partei beim Thema BGE noch immer recht hartleibig gibt. Und ich könnte mich ansonsten mit meinen 74 Jahren entspannt auf einem meiner Lieblingsbonmots ausruhen: dass nichts mächtiger sei als eine Idee, deren Zeit gekommen ist. Ich weiß, Victor Hugo hat das so nie geschrieben. Trotzdem wahr!
Also: Die Zeit ist fraglos reif für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Es wäre längst notwendig, damit unsere hochgradig arbeitsteilige, durchrationalisierte und internationalisierte Wirtschaft weiter funktionieren kann. Meiner Meinung nach sind auch alle Voraussetzungen für die »Machbarkeit« eines BGE längst gegeben. Die Idee ist in großen Teilen der Gesellschaft ja auch längst angekommen. Und doch haben viele Menschen, haben nicht zuletzt sehr viele Ökonomen weiterhin große Schwierigkeiten, die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens überhaupt zu denken. Da die Debatte um das BGE schon sehr lange, sehr intensiv und auf einem gedanklich ausgereiften Niveau geführt wird, könnte man das einfach für Begriffsstutzigkeit halten. Aber das führt nicht weiter. Besser ist es, den offenbar immer noch hohen Denkhürden gegen die Idee noch einmal genauer nachzuspüren.
Denkhürden wider das Telefonieren
Auch die Hersteller toller Produkte verstehen ja manchmal nicht, warum die Kunden es einfach nicht kaufen wollen. Den Menschen dann vorzuhalten, sie seien irgendwie nicht in der Lage, die enormen Vorzüge des Produkts zu erkennen (oder eben eine tolle Idee zu begreifen), das ist allerdings die denkbar schlechteste Form von Werbung. Klar, es gibt einfach auch schlechte Ideen. Und manche Produkte taugen schlicht nichts. Da kann man sich den Mund fusselig reden, mit den einen wie den anderen wird es nie was werden. Manchmal ist es aber auch so, dass Ideen, Produkte oder Dienstleistungsangebote völlig quer zu sehr gefestigten – um nicht zu sagen: eingefahrenen – Erfahrungen und Erwartungen der Menschen stehen. Die dann zum Beispiel annehmen, dass sich mehr Transportkapazitäten einzig und allein mit mehr Pferden, Ochsen und Kutschen schaffen ließen. Und man dann des vielen Pferdemistes in den Städten nicht mehr Herr werden könne.
Ein anderes Beispiel ist das Telefon. Auch da gibt es eines dieser schönen Zitate, die sich zwar nicht belegen lassen, die sich aber verbreitet haben, weil sie einen entscheidenden Punkt treffen. 1877, so die Anekdote, habe Alexander Graham Bell (der das Telefon nicht erfunden, aber als Erster ein Patent darauf angemeldet hatte) dem damaligen US-Präsidenten Rutherford B. Hayes sein Gerät demonstriert. Worauf dieser gesagt habe: »Eine großartige Erfindung, aber wer soll so etwas nutzen?« Die Geschichte hat sich so wohl nicht zugetragen. Immerhin: Hayes hatte sich 1877 tatsächlich einen Telefonanschluss legen lassen – das Providence Journal allerdings am 29. Juni lediglich kolportiert, der Präsident habe ausgerufen »That is wonderful!«.
Wie auch immer. Dass eine möglichst schnelle Übertragung von Informationen über weite Strecken entscheidend sein kann, das war den Militärs schon seit der Antike, den Kaufleuten seit der frühen Neuzeit bekannt. Das Telefon war darum auch alles andere als die erste technische Erfindung zu diesem Zweck. Optische Telegrafie war schon in der Antike bekannt, die Entwicklung der elektrischen Telegrafie reicht bis ins frühe 19. Jahrhundert zurück. Und der Telegraf von Samuel Morse ist vierzig Jahre älter als Bells Telefon. Was zeigt: Datenfernübertragung, wie man das heute nennen würde, war anfangs nur was für Spezialisten. Könige, Kommandeure und Kaufleute aber lebten seit Jahrhunderten, wenn nicht seit Jahrtausenden im Bewusstsein: Wenn es wichtig ist, dann muss man es aufschreiben (gr. gráphein = schreiben, zeichnen). Und dann das Schriftstück möglichst schnell in die Ferne (gr. tēle = fern) transportieren. So gesehen würde ein gewisses Misstrauen gegen Telefone auch noch zu einem US-Präsidenten des Jahres 1877 passen.
Für den Durchschnittsmenschen des 19. Jahrhunderts dagegen war die Frage nicht, wer vielleicht ein Telefon nutzen wolle. Für ihn war völlig klar, dass niemand ein Telefon braucht. Warum? Weil die erdrückende Mehrheit aller Menschen dieser Zeit kaum jemanden kannte, der nicht um die Ecke wohnte. Wer sich etwas zu sagen hatte, der traf sich zu Hause, auf der Straße oder im Dorfladen. So ist es auch kein Wunder, dass in den USA, bald darauf auch in größeren europäischen Städten, zunächst nur lokale Telefonnetze entstanden. Dass man das Telefon in Paris zwischen 1890 und 1932 auch zur Übertragung von Opern, Theatervorstellungen und Messen nutzte (»Theatrophon«). Dass um 1900 nur jeder zwanzigste amerikanische Haushalt einen Telefonanschluss hatte. Dass das erste deutsche Telefonbuch, welches 1881 in Berlin ganze 94 Personen verzeichnete, im Volksmund »Buch der Narren« genannt wurde. Und dass es sogar noch 1936 im Deutschen Reich mit seinen 65 Millionen Einwohnern und 17,7 Millionen Haushalten nur 3,2 Millionen Telefonanschlüsse und 86000 öffentliche Fernsprecher gab. Sicher hatte das auch was mit Finanzierungsvorbehalten zu tun – allein Anschluss und Gerät verschlangen damals den halben Monatslohn eines Arbeiters. Aber in der Hauptsache war telefonieren für viele ein Denkproblem: Warum sollte ich das tun?
Kaum weniger kritisch, sondern nur viel schneller erledigt war die »Wer-braucht-denn-so-was«-Debatte bei der Einführung des Internets oder des Mobilfunks. Auch das Handy galt lange als kurzlebige Mode, als reines Statussymbol für Wichtigtuer. In den 1990er-Jahren löste man keineswegs Lachanfälle aus, wenn man behauptete, das werde sich nicht durchsetzen. 1995 gab es hierzulande gerade mal 3,7 Millionen Mobilfunkanschlüsse. Würde ich heute, wo jeder Bundesbürger vom Säugling bis zum Greis statistisch gesehen 1,7 Handys besitzt, jemanden fragen, wozu er das brauche, könnte ich mich auch nach dem Nutzwert von Wasserleitungen erkundigen.
Will sagen: Wenn das Bedürfnis, mit anderen Menschen an jedem Punkt eines Landes oder auf der ganzen Welt sprechen zu können, übermächtig wird, dann kann man sich sehr bald kaum noch vorstellen, wie eine Welt ohne Telefone überhaupt je funktionieren konnte. Dann werden Telefone im Handumdrehen zum preiswerten Massenartikel, und die Gebühren fallen so stark, dass es praktisch für niemanden mehr eine finanzielle Zugangshürde gibt. Und wenn nahezu alle Menschen begriffen haben, warum es nützlich ist, dass fast jede verfügbare schriftliche oder audiovisuelle Information jederzeit überall zugänglich ist, dann wird eine Welt ohne Internet und Smartphones undenkbar. Und sei es nur, um in einer Minute herauszufinden, ob ein berühmtes Zitat gut belegt oder nur gut erfunden ist.
Die BGE-Denkhürden: unsere Begriffe von Arbeit und Geld
Beim Telefon, einer bahnbrechenden technischen Innovation, war die zumeist fehlende räumliche Distanz zu Menschen, mit denen es etwas zu bereden gab, die entscheidende Denkhürde. Beim Grundeinkommen, einer sozialen Innovation, haben wir es mit zwei Denkhürden zu tun, die ebenfalls unser soziales Beziehungsgeflecht betreffen. Erstens mit einem verbreiteten Missverständnis des Sinns, der Funktion und der Organisation von Arbeit. Und zweitens mit verbreiteten Missverständnissen des Sinns und der Funktion von Geld. Meines Erachtens beruhen sämtliche gängigen Einwände gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen darauf, dass unser Denken über Arbeit und Geld schon eine ganze Weile nicht mehr zu den Realitäten unserer Arbeitswelt und unseres Wirtschafts- und Geldsystems passen. Aber das ist wohl noch nicht ganz so offensichtlich, wie ich selbst bisweilen annehme.
Seit dem Erscheinen der ersten Ausgabe dieses Buches 2007 mag sich noch so viel in der Wirtschaft verändert haben. Die Durchrationalisierung von Produktion und Dienstleistungen, die Digitalisierung und die Globalisierung mögen sich seitdem noch so sehr beschleunigt haben. Die Spreizung der Einkommen in den meisten westlichen Gesellschaften mag sich noch so sehr vergrößert, die relative Armut von Menschen am unteren Ende der Skala sich noch so sehr verfestigt haben. Die Verwerfungen auf den Finanzmärkten, ausgelöst durch immer maßlosere Spekulation und nicht selten auch durch schlichte Betrügereien, mögen noch so ungeheuerlich gewesen sein. Wer in der Politik Verantwortung trägt, der setzt nicht völlig zu Unrecht darauf, dass die Bürger von ihren Repräsentanten erwarten, »die Probleme der Menschen zu lösen«, wie man so schön sagt. Und nicht, dass sie erklären, warum die Probleme bislang unter falschen Voraussetzungen betrachtet und beschrieben wurden. So sind Politiker meist auch weder denkfaul noch von bösen Absichten geleitet. Der pragmatische Minimalismus des politischen Tagesgeschäfts sorgt ganz von selbst für Lustlosigkeit beim Weiterdenken. Und wer Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft mit Studien voller Zahlen, Thesen und guten Ratschlägen beliefert, der kann dann natürlich auch nicht einfach seine lange bewährten Denkfiguren und Begriffe über Bord werfen. Folge: Wer öfter die Wirtschaftsseiten liest, kennt die Textbausteine von Jahreswirtschaftsberichten oder Sachverständigengutachten längst auswendig.
Vielleicht sollte man spaßeshalber mal Pamphlete danebenlegen, die einstmals zur Rechtfertigung der Sklaverei, der Leibeigenschaft oder des Dreiklassenwahlrechts verfasst wurden. Auch Dinge, die ziemlich lange funktioniert haben. Und die bis zu ihrem Untergang Verteidiger gefunden haben, die keineswegs alle Deppen waren. Oder nehmen Sie das Frauenwahlrecht. Es ist gerade mal hundert Jahre her, dass Frauen in Deutschland erstmals wählen durften. Bis dahin war es unter Herren Common Sense, dass es ihnen für die Politik an Weitsicht und Urteilsvermögen fehle.
Dass die Denkhürden beim Thema Grundeinkommen nach wie vor sehr hoch sind, das merke ich in Diskussionen und beim Lesen einschlägiger Artikel unter anderem daran, dass die Argumente der Kritiker in den letzten zehn Jahren nicht wirklich besser geworden sind. Kaum hatte man die Hoffnung, dass wenigstens ein paar der teils wirklich nur absurden, teils schon x-mal widerlegten Einwände vom Tisch seien, schon spielte jemand wieder eins der alten Lieder: Wiewollensiedasdennfinanzieren. Dagehtjakeinermehrarbeiten. Werholtdenndannnochdenmüllab. Dannwerdendieleistungsträgerabwandern. Und. So. Weiter.
Darum habe ich mich denn doch noch einmal hingesetzt und mein zehn Jahre altes Buch überarbeitet. Nicht so sehr, um alte Zahlen zu aktualisieren, um gegen amtierende anstelle von pensionierten Politikern zu wettern oder um mich nunmehr an Professor Clemens Fuest statt an Professor Hans-Werner Sinn, am leidgeplagten John Cryan statt am seinerzeit im Buch allzu penetrant angegangenen Josef Ackermann abzuarbeiten. Sondern um möglichst alles wegzulassen, was der Wahrheitsfindung offensichtlich nicht gedient hat. Um meine Argumente gegen die bekannten Standardeinwände womöglich noch einmal zu schärfen. Um meine eigene Position (hoffentlich) noch klarer und plastischer zu formulieren. Und um über ein paar Punkte auch noch einmal gründlicher nachzudenken.
Was bringt ein Grundeinkommen für Normalverdiener?
Talkshows zum Thema beginnen ja gern mit einem Schlagwort, das auf »...ierung« endet: Rationalisierung, Globalisierung, Digitalisierung. Die »vernichten« dann immer X Prozent aller Arbeitsplätze. Weil man sich im Fernsehen erstens kurzfassen und zweitens möglichst anschaulich ausdrücken sollte, neigen Befürworter eines BGE dann dazu, die Zahl X zu dramatisieren. Während die Gegner auf die derzeitige »Rekordbeschäftigung« und auf Y Millionen neuer Arbeitsplätze verweisen, die mit jeder Runde technischer Innovation überhaupt erst entstünden. Dieses Bingo vom »Ende der Arbeit« kann man dann so circa zehn Minuten spielen, bevor man sich der Lotterie des »BGE: Wer soll das bezahlen?« zuwendet.
Nun lässt sich – Digitalisierung hin, Niedriglohnsektor her – kaum bestreiten, dass die Erwerbsquote in Deutschland mit aktuell 54 Prozent recht hoch ist. Jeder Zweite zwischen 15 und 74 hat damit einen Job. Jetzt mache spaßeshalber mal ich eine Milchmädchenrechnung auf, und zwar um eine nicht ganz unerhebliche Denkhürde auszumessen. Über wen reden wir eigentlich beim Thema BGE, wenn wir das ebenso richtige wie banale »über alle« mal für einen Moment in der Tüte lassen? 44,7 Millionen Erwerbstätige plus 21 Millionen Rentner plus 11 Millionen Schüler plus 2,8 Millionen Studierende – macht 79,5 Millionen Menschen. Zählen wir noch die offiziell knapp 2,4 Millionen Arbeitslosen dazu (und lassen die statistischen Kinkerlitzchen beiseite), dann haben wir all unsere Einwohner schon beisammen. Dass darunter ziemlich viele sind, die von ihren Teilzeitgehältern, Minilöhnen und Renten nicht leben, die auch mit zwei oder drei Jobs ihre Familien nicht ernähren, die als alleinerziehende Mütter oder Väter ihre Kinder erst recht nicht auskömmlich ins Leben führen können, übergehe ich hier ebenfalls für einen Moment. Ebenso die Tatsache, dass es in Deutschland einen ganzen Strauß mehr oder minder rigide bedingter Transfereinkommen gibt. Mir geht es um Folgendes:
Vor einiger Zeit fragte mich bei einer Podiumsdiskussion jemand aus dem Publikum, was dieses ominöse Grundeinkommen eigentlich ihm bringen würde. Er wolle uns jetzt nicht mit Details langweilen, aber er habe eine gute Ausbildung und deshalb eine zwar nicht fürstlich, aber doch gut bezahlte Stelle in einem erfolgreichen mittelständischen Unternehmen. Dieses stelle Teile für Spezialmaschinen her, die sich auf dem deutschen und europäischen Markt sowie in etlichen Ländern Asiens prächtig verkauften. Von daher betrachte er seinen Arbeitsplatz eigentlich auf längere Sicht als sicher. Und bei seinem Einkommen müssten zwar auch er und seine vierköpfige Familie ein bisschen rechnen, aber nicht jeden Cent zweimal umdrehen. Sie seien, kurz gesagt, so eine Art schwäbischer Musterhaushalt. Nun habe er gelesen, dass ein Grundeinkommen in »meinem Modell« irgendwie auf die bisherigen Einkommen »angerechnet« werden solle. Da mache er sich eher Sorgen, dass ihnen am Ende unterm Strich weniger Geld bliebe, als dass er Lust bekomme, über die sozialen Vorteile eines bedingungslosen Grundeinkommens nachzudenken.
Dass ein BGE mittelfristig die bis dato gezahlten Löhne und Gehälter teilweise ersetzen würde, das habe ich stets betont, wenn die als »Gegenargument« gemeinte Frage im Raum steht, wie denn bitte ein Grundeinkommen von 1 000 oder 1 500 Euro für 82 Millionen Bundesbürger »finanziert« werden solle. Im Kapitel über »Grundeinkommen und Erwerbseinkommen« gehe ich noch einmal darauf ein. Grundsätzlich: Wer ein Arbeitseinkommen bezieht, welches das Grundeinkommen übersteigt, der hat nach dessen Einführung nicht allein schon deswegen »mehr Geld in der Tasche«. Dabei geht es nicht um eine präzise »Anrechnung« des BGE – in welcher Höhe auch immer – auf Löhne und Gehälter ab irgendeinem 1. Januar, null Uhr. Es geht lediglich darum, dass jeder Bürger dann ein Grundeinkommen vom Staat, das heißt von der Gesellschaft als Ganzes bekommt. Und dass jeder darüber hinaus nach Belieben Einkommen aus Festanstellungen oder Freiberuflichkeit, aus unternehmerischer Tätigkeit oder auch aus Sach- und Geldvermögen beziehen kann. Da wird, wie gesagt, überhaupt nichts »angerechnet«. Der 1 001. oder 1 501. Euro gehört immer Ihnen – ganz gleich, ob Sie den in einer Fabrik, einem Laden oder einem Büro verdienen. Ob Sie selbst eine Rechnung an einen Kunden stellen. Ob Sie eine Wohnung vermieten oder eine Dividende einstreichen. Oder ob Sie – wenn es denn irgendwann mal wieder eine reale Verzinsung gibt – Zinsen auf Ihr Sparbuch oder Ihre Lebensversicherung erhalten. Über Löhne und Gehälter wird man nach Einführung eines BGE gewiss reden müssen. Aber da herrscht dann erstens endlich Augenhöhe zwischen den Parteien, weil es mit einem Grundeinkommen sehr viel leichter fällt, auch mal Nein zu sagen. Und zweitens gibt’s dann immer noch Tarifautonomie, Gewerkschaften und Streikrecht.
Doch selbstredend wäre es noch naiver, davon auszugehen, ein künftiges BGE gebe es einfach obendrauf. De facto wird »nur« Folgendes geschehen: Die Sicherung eines Grundeinkommens für jeden wird von einer betriebswirtschaftlichen zu einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, finanziert aus den Steuern aller Bürger (zum Thema Steuern kann ich hier nur auf Teil II des Buches verweisen). Dieses Einkommen hat jeder Bürger – anders als heute – ein Leben lang sicher. Sollte also die Firma des oben erwähnten Fragestellers, aus welchen Gründen auch immer, eines Tages doch ins Schlingern geraten, dann hätten der Mann, seine Frau und seine beiden Kinder zwar wohl erst mal weniger Geld zur Verfügung. Doch eine bescheidene Existenz wäre für alle gesichert. Jeder darüber hinausgehende Lebensstandard müsste natürlich auch weiterhin aus individuell erzielten Markteinkommen finanziert werden.
Was also hat unser gut situierter Durchschnittsverdiener vom BGE? Kürzestmögliche Antwort: Er und die Seinen fallen immer in ein Netz, nie in ein Loch. Auch dann nicht, wenn eine mit dem BGE ja keineswegs automatisch abgeschaffte Versicherung gegen Arbeitslosigkeit (die dann nicht mehr die Existenz, sondern einen gewünschten Lebensstandard versichern würde) nichts mehr überweist. Und hätte unser Schwabe an jenem hoffentlich fiktiven Tag sein Häusle bereits abbezahlt, dann wird kein Amt der Welt ihn zwingen können, es erst zu verscherbeln, bevor das BGE aufs Konto kommt. Ungefähr so habe ich damals auch geantwortet. Kurz: BGE bedeutet mehr Sicherheit und mehr Freiheit für alle. Nicht mehr Geld.
Erst später wurde mir klar, dass diese Antwort, so richtig sie ist, wohl am Kern der Sache vorbeigeht. Der Fragesteller ging ja durchaus mit einigem Recht davon aus, dass ein gutes Erwerbseinkommen in seinem Fall bis zur Rente gesichert ist. Dass dann auch diese seinem Einkommen entsprechend annehmbar sein werde. Und dass Eigenheim und Ersparnisse für den Rest sorgen würden. Dass er und seine Familie, solange die Welt oder wenigstens die Weltwirtschaft nicht komplett untergehen, sich also keine allzu dramatischen Sorgen machen müssten. Anders gesagt: Solange die Geschäfte unseres Mittelständlers brummen, mag die Sicherheit, die ein BGE seinen Mitarbeitern gibt, tatsächlich als etwas eher Fiktives erscheinen. Was ihnen ökonomische Sicherheit gibt, worüber sich ihre soziale Stellung bestimmt, was ihnen nicht zuletzt gesellschaftliche Anerkennung verschafft, das sind eben weit mehr die eigene Qualifikation, die offensichtliche Qualität ihrer Arbeit und der daraus resultierende Erfolg der Firma. Platt gesagt: Unser Mann hat auf den ersten Blick gute Gründe, sich ganz auf sich selbst zu verlassen.
Gesamtgesellschaftlich bedeutet dies: Für jene zahlenmäßig bedeutende, vor allem aber meinungsbildende Gruppe von gut qualifizierten Fach- und Führungskräften oder Facharbeitern scheint das Argument, ein BGE »bringe ihnen nichts«, tatsächlich etwas für sich zu haben. Jedenfalls, solange sie wie Selbstversorger denken. Genauer: wie bessergestellte Bauern früherer Zeiten, die sich damit beruhigen konnten, dass sie Äcker in bevorzugten Lagen, stabilere Scheunen und ein paar Schweine und Hühner mehr im Stall hatten.
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